Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 07.06.2012 | |
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Aktenzeichen | L 11 VH 44/08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 21 StrRehaG, § 22 Abs 1 S 1 StrRehaG, § 15 S 1 KOVVfG |
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Oktober 2007 und der Bescheid des Beklagten vom 9. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2002 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum ab 1. November 2001 Hinterbliebenenversorgung dem Grunde nach ihrem verstorbenen Ehemann K H zu gewähren.
Der Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin begehrt eine Hinterbliebenenversorgung nach dem Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz – StrRehaG – verkündet als Artikel I des Ersten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht – 1. SED-UnBerG – vom 29. Oktober 1992, BGBl. I, Seite 1814) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die Klägerin ist die Witwe des 1931 geborenen und 1971 verstorbenen K H (im Folgenden: K. H.). In dem Sektionsprotokoll - - des Instituts für gerichtliche Medizin der H vom 07. September 1971 ist als Todesursache eine stenosierende Koronarsklerose mit groben Herzmuskelschwielen angegeben. In den Zeiten vom 05. Mai 1953 bis 11. Juni 1953 und vom 30. Oktober 1961 bis zum 02. März 1962 befand sich K. H. aufgrund strafrechtlicher Ermittlungsverfahren in der ehemaligen DDR in Untersuchungshaft. Mit Beschluss vom 08. Mai 2001 – ) – hat das Landgericht Berlin das durch freisprechendes Urteil des Stadtbezirksgerichts Berlin-Prenzlauer Berg vom 08. Februar 1962 – – abgeschlossene Strafverfahren gegen K. H. für rechtsstaatswidrig erklärt, ihn rehabilitiert und festgestellt, dass er in der Zeit vom 30. Oktober 1961 bis zum 02. März 1962 zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten hat.
Im November 2001 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung und führte zur Begründung aus, ihr Ehemann sei an einem Herzinfarkt als Folge der in der ehemaligen DDR erlittenen Haft in den Zeiten vom 05. Mai bis 11. Juni 1953 und 30. Oktober 1961 bis 02. März 1962 verstorben. U. a. nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme des Arztes für Innere Medizin Dr. D vom 24. Juli 2002 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 09. August 2002 ab. Zur Begründung führte der Beklagte aus, K. H. sei an den Folgen einer koronaren Herzkrankheit verstorben, deren Entstehung grundsätzlich anlage- und altersbedingt und nicht auf die Belastung der zu Unrecht erlittenen Haft zurückzuführen sei. Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch trug die Klägerin vor, ihr verstorbener Ehemann sei 1961 wegen Fluchthilfe inhaftiert worden. Nach der Haftentlassung am 02. März 1962 sei er wegen einer Herzattacke in der Zeit vom 30. April 1962 bis 13. Mai 1962 stationär behandelt worden. Von da an seien weitere Behandlungen dieser Art erforderlich gewesen. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme der Ärztin für Innere Medizin Dr. T vom 29. Oktober 2002 wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07. November 2002 als unbegründet zurück.
Mir ihrer am 22. November 2002 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und zur Begründung ergänzend vorgetragen: Die Herzerkrankung des K. H. sei allein auf die Zeit der Inhaftierung vom 30. Oktober 1961 bis 02. März 1962 zurückzuführen. Bis 1971 habe K. H. mehrfach plötzliche Krampfanfälle mit anschließendem Erbrechen und weiteren Entleerungen erlitten; auch habe er wiederholt über plötzliche Schmerzen im Brustbereich geklagt und das Bewusstsein verloren. Wegen seines Gesundheitszustandes sei ihm das Führen von Kraftfahrzeugen untersagt worden. Durch die im Sozialversicherungsausweis des K. H. dokumentierten Diagnoseschlüssel 414, 412, 424 und 344/368 sei belegt, dass er nach dem ersten Herzinfarkt in dem Zeitraum von 1962 bis 1969 wiederholt auch stationär wegen Herzbeschwerden behandelt worden sei. Der im Sozialversicherungsausweis vom 12. Juni 1967 für den Zeitraum der Heilkur in G vom 03. Juli 1969 bis 29. Juli 1969 dokumentierte Diagnoseschlüssel 458 weise auf eine weitere Herzattacke hin. Der behandelnde Hausarzt Dr. H habe nach einer EKG-Untersuchung einen Herzinfarkt vermutet und K. H. dementsprechend mit Herzmedikamenten behandelt.
Das Sozialgericht hat die Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage durch den Arzt für Innere Medizin Dr. B veranlasst. Dieser hat in seinem Gutachten vom 20. Januar 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom 15. Juli 2007 ausgeführt: In der Zusammenschau der vorliegenden Daten, insbesondere unter Würdigung des vorliegenden Sektionsprotokolls, sei K. H. an einem plötzlichen Herztod aufgrund bestehender älterer Infarktnarben im linken Ventrikel verstorben. Der plötzliche Herztod sei eine typische Todesursache bei Patienten, die einen größeren Myokardinfarkt erlitten hätten. Die im Sektionsprotokoll benannten ausgedehnten Schwielen (Narben) in mehreren Versorgungsregionen des linken Ventrikels wiesen auf ein früheres Infarktgeschehen hin, wobei nicht rückgeschlossen werden könne, ob die Narben auf einem oder mehreren Infarkten beruhten. Der Zeitpunkt der Infarzierung könne rückwirkend ebenfalls nicht festgestellt werden. Aufgrund der Vernarbung sei jedoch von einem älteren Geschehen auszugehen. Zudem hätten sich im Riva arteriosklerotische Veränderungen (u. a. stark verkalkende und einengende Koronarsklerose) gezeigt, die entsprechend den pathologisch-anatomischen Angaben im Sektionsprotokoll schon länger bestanden haben müssten. Hinweise darauf, dass K. H. an einem akuten Myokardinfarkt verstorben wäre, fänden sich nicht. Das Sektionsprotokoll unterstütze die Angaben der Klägerin, die von einem Myokardinfarkt nach der Haftentlassung 1962 sowie einem späteren erneuten Ereignis und einer Herzmedikation berichtet habe. Soweit im Sozialversicherungsausweis des K. H. unter Berücksichtigung der Kodierungen in den jeweiligen Fassungen keine bedeutsamen Herzkrankheiten bis zum Tod 1971 verzeichnet seien, sei dieser als unvollständig einzuschätzen. Unter der Annahme, dass die Angaben der Klägerin zuträfen, wäre der Myokardinfarkt am 30. April 1962 eingetreten. Der spätere Herztod sei mit hoher Wahrscheinlichkeit Folge des früheren Myokardinfarktes. Die Todesursache sei nicht die Koronarsklerose an sich, sondern ein plötzlicher Herztod auf dem Boden eines älteren Myokardinfarktes. Der Myokardinfarkt sei wahrscheinlich ursächlich auf die vorhergehende Haft zurückzuführen. Die Haft sei zumindest als gleichwertige Mitursache anzusehen. Dafür spreche der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Inhaftierung und dem Auftreten des Myokardinfarktes. So sei der Infarkt zumindest teilweise als Folge der psychischen Belastungen während der Haft denkbar. Für einen bedeutsamen Einfluss der psychischen Belastungen auf die Entwicklung eines akuten koronaren Syndroms sprächen das Fehlen anderer prädisponierender Faktoren und das damalige Lebensalter des Verstorbenen. Hinweise auf eine genetische Disposition für die Entwicklung einer vorzeitigen koronaren Herzkrankheit ergäben sich aufgrund der Familienanamnese nicht. Ebenso wenig fänden sich Anhaltspunkte dafür, dass K. H. an einem Hypertonus oder einem Diabetes mellitus gelitten hätte.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 10. Oktober 2007 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Aufgrund der Beweisaufnahme sei es zwar als erwiesen anzusehen, dass bei K. H. eine gesundheitliche Schädigung eingetreten sei (Herzinfarkt oder mehrere Herzinfarkte), die zu seinem Tod geführt habe. Ein kausaler Zusammenhang mit den Umständen der Haft 1961/1962 sei jedoch zu verneinen. Der vom Sachverständigen getroffenen Schlussfolgerung, die Haft sei als zumindest gleichwertige Mitursache für das Infarktgeschehen anzusehen, könne das Gericht nicht folgen. Dagegen sprächen die fehlende Möglichkeit der zeitlichen Einordnung des Infarktgeschehens und das Bestehen einer stark verkalkenden und einengenden Koronarsklerose. Die Angaben der Klägerin zum Zeitpunkt des ersten Herzinfarktes und bezüglich der weiteren ambulanten und stationären Herzbehandlungen ließen sich mit den in den Sozialversicherungsausweisen des K. H. niedergelegten Behandlungsnachweisen nicht in Einklang bringen. Nach den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ in der Fassung von 1996 und den „Anhaltpunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ in der Fassung von 2004 und von 2005 seien arteriosklerotisch bedingte Organerkrankungen durch das Zusammentreffen mehrerer Faktoren geprägt, von denen Erbanlage, Hypertonie, Nikotin, Störungen des Kohlehydrat-, Fett- oder Purinstoffwechsels und entzündliche Gefäßwandreaktionen am bedeutsamsten seien. Auch lang anhaltende extreme seelische Belastungen könnten im Einzelfall eine Rolle spielen. Insoweit seien jedoch extreme Lebensbedingungen von mindestens 3-jähriger Dauer vorauszusetzen, und die der Komplikation (hier Herzinfarkt) zugrunde liegende Arteriosklerose müsse bis in die Zeit der extremen Lebensverhältnisse zurückzuverfolgen sein. Diese Voraussetzungen seien bei Vorliegen einer Haftdauer von vier Monaten nicht erfüllt.
Gegen das der Klägerin am 17. Oktober 2007 zugestellte Urteil hat diese am 22. Oktober 2007 Berufung eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen: K. H. habe einen ersten Herzinfarkt bereits am 06. Januar 1962 erlitten, der Folge der von ihm zuvor während der Inhaftierung erlittenen Misshandlungen gewesen sei. So sei K. H. im Zeitraum November bis Dezember 1961 täglich und zu jeder Tages- und Nachtzeit verhört worden. Er sei regelmäßig geschlagen und immer wieder gezwungen worden, seinen eigenen Urin zu trinken. Schließlich sei er am 01. Januar 1962 durch den Wachtmeister K H durch Schläge mit einem Gummiknüppel auf die Genitalien so schwer verletzt worden, dass ihm in der C ein Hoden habe entfernt werden müssen. Einen zweiten Herzinfarkt habe K. H. am 19. Juli 1962 erlitten. Wegen der Vorgänge sei ihm ein Schmerzensgeld, ein Telefonanschluss und eine Heilkur in B E aus dem Kontingent der Funktionäre zuerkannt worden, obwohl er selbst niemals Funktionär gewesen sei. Im Gegenzug habe er sich zur Verschwiegenheit verpflichten müssen. Die ursprünglich falsche zeitliche Zuordnung des Herzinfarktes vom 19. Juli 1962 beruhe auf einer fehlerhaften Auswertung des Sozialversicherungsausweises anhand der dort eingetragenen Diagnoseschlüssel. Neben der Herzkrankheit habe K. H. auch unter schweren Angstzuständen gelitten, zu deren Abklärung er in das Krankenhaus H verbracht worden sei. Ein epileptisches Leiden habe bei ihm nicht vorgelegen. Einen Kreislaufzusammenbruch des K. H. vom 2. April 1962 habe sein damaliger Arbeitgeber jedoch als epileptischen Anfall gewertet, um ihn als geisteskrank darstellen zu können. Seit 1963 sei er als Schwerbeschädigter der Stufe II anerkannt gewesen. Auf seinen Antrag vom 18. Januar 1965 sei ihm mit Rentenbescheid vom 24. Februar 1966 Invalidenrente bewilligt worden.
Zu ihrem Vorbringen hat die Klägerin insbesondere folgende Unterlagen vorgelegt:
- Behandlungsblatt KH mit den Einträgen „3. Jan. 1962 stationär Riss im Scrotum 575 C“ und „6. Jan. 1962 466 K stationär 7.2.62 H“,
- Brief des R H vom 05. Januar 1962 an den Staatsratsvorsitzenden der Deutschen Demokratischen Republik Walter Ulbricht, in dem er von Misshandlungen seines inhaftierten Sohnes K. H. berichtet und darum bittet, gegen die Misshandlungen einzuschreiten,
- Schreiben des Arztes für Innere Medizin Dr. E S vom 25. März 1962 an den Rat des Stadtbezirks P, Fachabteilung Medizinisches Begutachtungswesen, in dem dieser sich zu der Hodenverletzung des K. H. äußert und mitteilt, dass ein ihm vorliegender EKG-Befund einen Herzinfarkt des K. H. ausweise,
- Ehrenerklärung des Wachtmeisters KH vom 25. Mai 1962, in der er erklärt, „die K H verursachten Verletzungen nicht beabsichtigt zu haben“,
- Kopie eines (unvollständigen und in Einzelteilen aufgeklebten) Erste-Hilfe-Berichtes des Arztes Dr. S übereine„Reanimation nach Myokardinfarkt“,
- Kopie eines (unvollständigen und in Einzelteilen aufgeklebten) EKG mit dem handschriftlichen Vermerk „O Stat. I 20.7.62 + 24 H,
- Teilausschnitt des vorgenannten EKG im Original,
- Brief des Arztes Dr. BS Krankenhaus, vom 3. Oktober 1962 über den stationären Aufenthalt des K. H. in der Zeit vom 12. September 1962 bis 02. Oktober 1962,
- Schreiben des MR Dr. G Rat des Stadtbezirks B, vom 20. Juli 1962, an K. H., in dem dieser u. a. erklärt, dass die Leiden des K. H. „auf die Maßregelungen zurückzuführen“ seien,
- beglaubigte Abschrift eines Schreibens des Rates des Stadtbezirks P– Abteilung Inneres – Sicherheit/Nachrichten vom 10. Oktober 1962 an den Magistrat von G, Abteilung Gesundheitswesen, in dem (u. a.) mitgeteilt wird, dass dem „Bürger das Bedauern schriftlich zum Ausdruck gebracht worden“, ihm 459,00 DM ausgezahlt worden seien, er einen Telefonanschlusserhalte und sich zum Schweigen verpflichtet habe. Zudem solle ihm „zur Rekonvaleszens nach der Hodenresektion (re) und dem klinischen Herzleiden eine Heilkur im Kurort B E rasch zugewiesen werden“. Dazu könne „das Kontingent der Funktionäre zu Lasten der Kostenstelle 1011 in Anspruch genommen werden“,
- Abschrift eines Protokolls über die Beratung der Konfliktkommission der AGL VI beim VEB W vom 31. Juli 1963, in dem berichtet wird, dass K. H u. a. eine schriftliche Richtigstellung begehre, dass er kein Epileptiker und sein „Anfall“ vom 2. April 1962 kreislaufbedingt gewesen sei,
- ein Schreiben des S Klinikums B vom 27. Juli 1966 an K. H., in dem ihm Wehrdienstuntauglichkeit bescheinigt und dazu erklärt wird, dass er seit 1962 an einer Herzkrankheit leide, seit 1963 schwerbeschädigt und seit 1965 Invalide sei.
- Brief des KH vom 23. November 1967, in dem dieser u. a. von Misshandlungen während seiner Inhaftierung berichtet,
- Behandlungskarte der H Medizinische Fakultät (C), Poliklinik für Nervenkranke für K. H. mit den Einträgen „Behandlung Epilepsie EEG ohne Befund, ausgestellt am 31.10.68“ und „11. Juni 1969 EEG ohne Befund“,
- Schreiben des OMR Dr. D, Ministerium für Gesundheitswesen, HA Medizinische Betreuung, vom 11. August 1975, an den Sohn des K. H. und der Klägerin GH in dem u. a. mitgeteilt wird, dass Grundlage der Versorgung des K. H. die einmalige Entschädigung in Verbindung mit einer schriftlichen Entschuldigung für die Vorgänge am 1. Januar 1962 gewesen sei.
Das Landessozialgericht hat u. a. Auskünfte des V Klinikums Krankenhaus P vom 15. Januar 2008, des S Klinikums L vom 26. Februar 2008, des Instituts für Rechtsmedizin an der C vom 16. Januar 2008 und des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vom 13. April 2011 eingeholt. Ferner hat das Landessozialgericht die Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage nebst ergänzender Stellungnahme durch den Arzt für Innere Medizin Dr. G veranlasst und weitere internistisch-kardiologische Stellungnahmen des Sachverständigen Dr. B vom 04. März 2009, 03. August 2011, 10. Oktober 2011 und 11. März 2012 eingeholt.
Der Sachverständige Dr. G hat in seinem Gutachten vom 02. August 2008 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11. Oktober 2008 – ohne Kenntnis der von der Klägerin erst später zu den Akten gereichten Unterlagen – ausgeführt: Im Laufe der Zeit nach der Haftentlassung bis zum Tod habe sich bei K. H. eine juvenile Herzkrankheit entwickelt, in deren Verlauf Hinter-, Seitenwand- und kleinere Vorderwandinfarkte eingetreten seien. Diese wohl mehrzeitig abgelaufenen Vorderwandinfarkte könnten einem bestimmten Datum nicht zugeordnet werden. In neurologisch-psychiatrischer Hinsicht hätten bei K. H. eine Epilepsie, mit hoher Wahrscheinlichkeit in der unmittelbaren Zeit nach der Haftentlassung beginnend, und ein neurotisches Leiden vorgelegen. Es lägen keine Erkenntnisse vor, die die Entwicklung der koronaren Herzkrankheit und den daraus resultierenden Herztod wahrscheinlich ursächlich in der Haftzeit beginnen ließen. Aus der Haftzeit seien keine Ereignisse bekannt, die eine alleinige, annähernd gleichwertige oder nur mögliche Ursache der kardialen Gesundheitsstörung darstellen könnten. Einzig verlässlich erscheinende Dokumente seien das Sektionsprotokoll vom 07. September 1971 und der Sozialversicherungsausweis des K. H. Aus den vorliegenden Dokumenten ergäben sich keine kardiovaskulären Erkrankungen, die dem als „Kollaps“ oder „Kreislaufzusammenbruch“ genannten Ereignis vom 02. April 1962 zugrunde liegen könnten. Der von der Klägerin vermutete Herzinfarkt im Jahr 1962 könne zum damaligen Zeitpunkt kaum vorgelegen haben. Dagegen spreche, dass K. H. nicht dem damaligen Stand der medizinischen Diagnostik und Therapie bei einem Herzinfarkt entsprechend mit einer strengstens einzuhaltenden Liegezeit von zumindest drei bis vier Wochen behandelt worden sei. Auch für die Folgezeit fehlten im Sozialversicherungsausweis jegliche Hinweise auf eine wie auch immer geartete Herzerkrankung. Im Vordergrund hätte eine erkennbare Neigung zu Infekten besonders der oberen Luftwege gestanden, die schließlich auch zu einer Nasennebenhöhlenoperation im April 1963 geführt habe. Ab 1968 sei ein gewisser Wandel im Diagnosespektrum eingetreten, nun hätten gastrointestinale und neurologisch-psychiatrische Erkrankungen vorgeherrscht. Im Zeitraum Januar 1969 bis März 1970 sei K. H. zweimal ambulant und einmal über mehrere Wochen stationär wegen Epilepsie in der psychiatrischen Klinik des Städtischen Krankenhauses H und wegen einer Neurose im Krankenhaus P sowie im S-Krankenhaus behandelt worden. Mit der klinisch nunmehr gestellten Diagnose Epilepsie bekämen die früher geäußerten Verdachtsmomente für ein solches Anfallleiden eine rückwirkende Legitimation. Nach den Erkenntnissen der Autopsie sei davon auszugehen, dass eine akute Herzrhythmusstörung zu dem letztendlichen Herzstillstand geführt habe. Ein akuter Herzinfarkt sei wohl nicht aufgetreten, jedenfalls sei ein akuter verschließender Koronarthrombus nicht beschrieben worden. Die größeren Schwielen der Hinter- und Seitenwand des linken Ventrikels seien Folgen durchgemachter Herzinfarkte, die einige Monate bis wenige Jahre zurückliegen könnten. Bei der sich offenbar langsam entwickelnden Herzkrankheit sei es zu einer kompensatorischen Hypertrophie der verbliebenen linksventrikulären Herzmuskulatur gekommen. Der Umstand, dass zum Zeitpunkt des Todes eine geometrisch relevante Dilatation weder im Gebiet der Infarktnarben noch im nicht betroffenen hypertrophierten Herzmuskelgewebe vorgelegen habe, spreche dafür, dass der Lauf der Arteriosklerose und speziell der koronaren Herzerkrankung auf wenige Jahre begrenzt werden könne. Ein wesentlich über ca. fünf Jahre hinausgehendes Infarktalter könne kaum angenommen werden. Der Tod könne ausgehend von der klinisch festgestellten Epilepsie des Verstorbenen auch Folge eines unerkannt gebliebenen zerebralen Anfalls gewesen sein. Die Inhaftierung des Verstorbenen für einen Zeitraum von 123 Tagen könne für die Entstehung der Arteriosklerose nicht ursächlich sein. Da ein arteriosklerotischer Plaques, der zu einer signifikanten Stenose einschließlich eines schlussendlichen Infarktes heranwachse, nicht im „Schnellverfahren“ entstehe, seien eine durch die Haft induzierte Koronarsklerose und der vermeintliche anschließende Infarkt nicht möglich. Demnach sei davon auszugehen, dass sich bei dem Verstorbenen in der Zeit nach der Haftentlassung bis zum Tod eine juvenile koronare Herzkrankheit entwickelt habe, die ihre Ursache nicht in der Haftzeit finde und sehr viel schneller verlaufe als die Alters-Koronarsklerose.
Der Sachverständige Dr. B hat in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 04. März 2009, 03. August 2011, 10. Oktober 2011 und 11. März 2012 im Wesentlichen ausgeführt: Unter Zugrundelegung des versorgungsrechtlichen Ursachenbegriffs sei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Tod des K. H. und seiner Freiheitsentziehung überwiegend wahrscheinlich. Aus den vorliegenden Dokumenten ergebe sich, dass K. H. einige Tage nach seiner Misshandlung am 01. Januar 1962 einen Herzinfarkt erlitten habe und insoweit ein ursächlicher Zusammenhang mit den Haftbedingungen ableitbar sei. Eine weitere Herzattacke mit anschließender stationärer Behandlung habe er im Jahr 1969 erlitten, wobei sich für den seinerzeit behandelnden Arzt Dr. H anhand eines EKG’s der Verdacht auf einen Herzinfarkt ergeben habe. Die Herzattacke könne als Brückensymptom gewertet werden. Soweit die Klägerin geltend mache, ihr verstorbener Ehemann habe am 19. Juli 1962 einen (weiteren) Herzinfarkt erlitten, seien die von ihr eingereichten EKG-Streifen wie auch die weiteren von ihr eingereichten EKG-Befunde nicht eindeutig beweisend. Die im Sektionsprotokoll festgestellten Veränderungen sprächen allerdings für eine länger anhaltende bzw. sich weiter entwickelnde Arteriosklerose, die durch den Infarkt 1962 allein nicht erklärt werden könne, sondern möglicherweise auf spätere weitere Myokardinfarkte zurückzuführen sei. Die insoweit von dem Sachverständigen Dr. G angestellten Überlegungen über die Dauer der koronaren Herzkrankheit seien spekulativ. Der Verlauf des Umbaus des linken Ventrikels nach einem Myokardinfarkt sei individuell sehr unterschiedlich und könne im Einzelfall nicht regelhaft vorhergesagt werden. Für eine längere Dauer des arteriosklerotischen Prozesses spreche, dass atheromatöse Veränderungen in anderen Gefäßgebieten gefunden worden seien. Auch die von dem Sachverständigen Dr. G aufgeführte Theorie der langsamen Entstehung eines Myokardinfarktes entspreche nicht mehr dem Stand des Wissens. Typischerweise entständen viele Myokardinfarkte durch eine plötzliche nicht vorhersagbare Ruptur eines Plaques in der Gefäßwand. Es sei sehr wohl denkbar, dass sich durch starke emotionale Belastungen instabile Plaques bilden könnten, die durch eine Ruptur zu einem akuten Myokardinfarkt führten. Infarktnarben seien typische Ursachen eines plötzlichen Herztodes. Maligne Herzrhythmusstörungen, die dann zum plötzlichen Herztod führten, könnten auch Jahre nach einem Myokardinfarkt auftreten. Angesichts des pathologisch-anatomischen Substrats am Herzen, sei ein epileptischer Anfall als Todesursache eher unwahrscheinlich. Ebenso sei es eher unwahrscheinlich, dass dem stationären Aufenthalt des Klägers in der Zeit vom 19. Juli 1962 bis 2. Oktober 1962 u. a. in der Kardiologie ein epileptischer Anfall vorausgegangen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Oktober 2007 und den Bescheid des Beklagten vom 9. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2002 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum ab 1. November 2001 Hinterbliebenenversorgung dem Grunde nach nach ihrem verstorbenen Ehemann K H zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend und verweist ergänzend zur Begründung auf die versorgungsärztlichen Stellungnahmen der Ärztin für Innere Medizin Dr. G vom 19. Februar 2010, 08. März 2010 und 04. Mai 2012.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakten, den Inhalt der Gerichtsakten der zum vorliegenden Berufungsverfahren durchgeführten vorläufigen Rechtsschutzverfahren L 13 VH 3/08 ER, L 11 VH 52/08 ER, L 11 VH 68/09 ER (einschließlich L 11 VH 72/09 B RG und L 11 VH 82/09 ER), L 11 VH 58/09 ER, L 11 VH 75/09 ER, L 11 VH 79/09 ER, L 11 VH 82/09 ER und L 11 VH 2/10 ER sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Die zulässige Berufung ist begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Sie ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 09. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. November 2002 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat für den Zeitraum ab 01. November 2001 einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung dem Grunde nach nach ihrem verstorbenen Ehemann K H.
Der Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenversorgung ergibt sich aus § 22 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG in Verbindung mit § 21 StrRehaG. Danach erhalten Hinterbliebene eines Betroffenen, der infolge einer rechtsstaatswidrigen Freiheitsentziehung (vgl. §§ 1, 12, 16 Abs. 1 StrRehaG) eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat und an den Folgen der Schädigung gestorben ist, auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG.
Unstreitig hat der verstorbene Ehemann der Klägerin K. H. in der Zeit vom 30. Oktober 1961 bis zum 02. März 1962 eine rechtsstaatswidrige Freiheitsentziehung erlitten, weshalb er mit dem Beschluss des Landgerichts Berlin vom 8. Mai 2001 – rehabilitiert worden ist.
K. H. hat infolge der Freiheitsentziehung auch eine gesundheitliche Schädigung im Sinne des § 21 StrRehaG erlitten, an deren Folgen er gestorben ist (vgl. auch § 38 Abs. 1 Satz 1 BVG). Vorauszusetzen ist insoweit, dass der schädigende Vorgang (die schädigende Einwirkung), die gesundheitliche Schädigung (der Primärschaden) und die Schädigungsfolge (das Todesleiden) nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nachgewiesen und nicht nur wahrscheinlich sind (vgl. Bundessozialgericht – BSG –, Urteil vom 05. Mai 1993 – 9/9a RV 1/92 –, zitiert nach juris). Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der Schädigung sowie zwischen dieser und den Schädigungsfolgen genügt es, dass die Kausalität wahrscheinlich ist (§ 21 Abs. 5 StrRehaG). Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne ist anzunehmen, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht; hingegen reicht die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs nicht aus.
Bei der vorzunehmenden Kausalitätsbeurteilung sind für den hier maßgeblichen Zeitraum ab 01. November 2001 grundsätzlich die „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“, Ausgabe 1996 – AHP 1996 –, und für den Zeitraum ab Juli 2004 – die „Anhaltpunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ in ihrer jeweils geltenden Fassung (zuletzt Ausgabe 2008 – AHP 2008) zu beachten, die jeweils unter den Nrn. 53 bis 143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen enthalten. Dies gilt auch für die Zeit ab In-Kraft-Treten der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) am 01. Januar 2009, die solche auf einzelne Krankheitszustände bezogene Hinweise nicht mehr enthält (vgl. dazu Begründung zur VersMedV, Bundesrats-Drucksache 767/08, Seite 4). Die auf den Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft fußenden AHP haben normähnlichen Charakter und sind grundsätzlich wie untergesetzliche Normen heranzuziehen, um eine möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zu gewährleisten. Grundsätzlich ist der neueste medizinische Erkenntnisstand zu berücksichtigen, und zwar auch dann, wenn der zu beurteilende Vorgang – wie hier – Jahrzehnte zurückliegt (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juni 2003 – B 9 VG 1/02 R –, Urteil vom 7. April 2011 – B VJ 1/10 R –, jeweils juris).
Zum Ursachenbegriff ist in den AHP, zuletzt Teil C Nr. 36 Abs. 2 AHP 2008 (Seite 148), und in Teil C Nr. 1 b) der Anlage zu § 2 VersMedV (Seite 104) übereinstimmend ausgeführt, dass Ursache im Sinne des Versorgungsgesetzes die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne ist, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Haben mehrere Umstände zum Erfolg beigetragen, sind sie versorgungsrechtlich nur dann als (Mit-)Ursachen zu werten, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig sind. Kommt einem der Umstände gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist dieser Umstand allein Ursache des Versorgungsrechts.
Zum ursächlichen Zusammenhang zwischen Schädigung und Tod heißt es zuletzt in Teil C Nr. 46 Abs. 1, Abs. 4 AHP (Seite 158 f.) und Teil C Nr. 11. a) und d) der Anlage 2 zu § 2 VersMedV (Seite 109 f.): Der Tod ist die Folge einer Schädigung, wenn er durch sie verursacht ist. Haben zum Tod mehrere Leiden beigetragen, die nicht alle Schädigungsfolgen sind, ist unter Anwendung des versorgungsrechtlichen Ursachenbegriffs zu prüfen, ob die Schädigungsfolgen zumindest eine annähernd gleichwertige Bedeutung für den Eintritt des Todes hatten. In seltenen Fällen kann bei dieser Beurteilung auch der Zeitpunkt des Todes eine wichtige Rolle spielen, und zwar dann, wenn neben den Schädigungsfolgen ein schweres schädigungsunabhängiges Leiden vorgelegen hat, das nach ärztlicher Erfahrung ohne die Schädigungsfolgen noch nicht zu diesem Zeitpunkt, jedoch in einem späteren Stadium in absehbarer Zeit für sich allein zum Tode geführt hätte. In einem solchen Fall ist der Tod dann als Schädigungsfolge anzusehen, wenn der Beschädigte ohne die Schädigungsfolgen wahrscheinlich mindestens ein Jahr länger gelebt hätte.
Hiervon ausgehend hat zur Überzeugung des Senats K. H. infolge der Freiheitsentziehung in der Zeit vom 30. Oktober 1961 bis zum 2. März 1962 eine gesundheitliche Schädigung erlitten, an deren Folgen er gestorben ist. Nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts ergibt sich aus der Gesamtheit der vorliegenden Unterlagen, dass K. H. infolge der Freiheitsentziehung einen ersten Herzinfarkt bereits am 06. Januar 1962 und einen zweiten Herzinfarkt am 19. Juli 1962 erlitten hatte und diese Infarkte seinen Tod verursacht haben.
Dass K. H. zu den vorgenannten Zeitpunkten Herzinfarkte erlitten hat, kann allerdings nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Insoweit fehlt es an ärztlichen Befunden, die das Vorliegen eines oder mehrerer Herzinfarkte nachweisen. Insbesondere ergibt sich nach den Ausführungen des Sachverständige Dr. Bin seiner ergänzenden Stellungnahme vom 3. August 2011 aus dem von der Klägerin eingereichten EKG-Befund mit dem Vermerk „O Stat. I 20.7.62 + 24 H kein eindeutiger Nachweis eines Herzinfarktes, weil die zwar erkennbaren ST-Streckenhebungen (vgl. dazu Pschyrembel, a. a. O, akutes Koronarsyndrom, Seite 45, Herzinfarkt, Seite 859 ff.) nicht definierten Ableitungen zugeordnet seien. Die Möglichkeiten zur weiteren Sachaufklärung sind insoweit ausgeschöpft. Die von dem Beklagten von der Justizvollzugsanstalt P beigezogen Krankenunterlagen aus der Haftzeit vom 30. Oktober 1961 bis zum 02. März 1962 weisen keine Herzerkrankung des K. H. aus. Die Cteilte auf Anfrage des Beklagten mit Schreiben vom 29. Januar 2002 mit, dass die ärztlichen Unterlagen über K. H. nach Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist vernichtet worden seien. Entsprechende Auskünfte erteilten auf Anfrage des Landessozialgerichts das V Klinikum Krankenhaus Pam 15. Januar 2008 und das S Klinikum L mit Schreiben vom 26. Februar 2008. Ebenso teilte Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik mit Schreiben vom 08. Mai 2002 und 13. April 2011 auf Anfragen des Beklagten und des Landessozialgerichts mit, dass dort keine Unterlagen über K. H. vorlägen.
Da die Klägerin sich jedoch insoweit ohne ihr Verschulden in Beweisnot befindet, ist ihr nach der im sozialen Entschädigungsrecht anzuwendenden Vorschrift des § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung eine Beweiserleichterung zuzuerkennen. Danach sind ihre Angaben, soweit sie sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen und nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen, auch dann der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn anhand der vorliegenden Beweismittel nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, ob sich der Sachverhalt so wie von der Klägerin vorgetragen zugetragen hat. Glaubhaftmachung bedeutet in diesem Zusammenhang das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, das heißt der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, das heißt, es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht hingegen nicht aus, die Beweisanforderungen zu erfüllen (BSG, Beschluss vom 08. August 2001 – B 9 V 23/01 B –, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, und Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 4 R 29/06 R –, SozR 4-5075 § 1 Nr. 3).
Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin glaubhaft gemacht, dass K. H. einen Herzinfarkt am 06. Januar 1962 und einen zweiten Herzinfarkt am 19. Juli 1962 erlitten hat. Glaubhaft ist zunächst das Vorbringen der Klägerin, dass K. H. am 06. Januar 1962 einen Herzinfarkt erlitten habe. Hierfür sprechen maßgeblich das von ihr vorgelegte Behandlungsblatt K H u. a. mit dem Eintrag „6. Jan. 1962 466 K stationär 7.2.62 H“ und der Brief des Arztes für Innere Medizin Dr. Svom 25. März 1962, in dem dieser u. a. ausführt, dass ein ihm vorliegender EKG-Befund vom 15. Februar 1962 einen Herzinfarkt des K. H. ausweise. Wie auch der Sachverständige Dr. Bin seiner ergänzenden Stellungnahme vom 03. August 2011 ausgeführt hat, bezeichnet der verwendete Diagnoseschlüssel 466 K nach der zum Behandlungszeitpunkt auch in der ehemaligen DDR gebräuchlichen ICD - 7 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) einen Myokardinfarkt und degenerative Myokardschäden. Damit ist es in Zusammenschau mit den Angaben des Arztes Dr. S, wonach er bei K. H. aufgrund eines ihm vorliegenden EKG-Befundes 15. Februar 1962 einen stattgehabten Herzinfarkt festgestellt hatte, überwiegend wahrscheinlich, dass K. H. am 06. Januar 1962 einen Herzinfarkt erlitt und deshalb in der Zeit vom 06. Januar 1962 bis zum 07. Februar 1962 stationär behandelt wurde. Insoweit spricht auch im Hinblick auf den Zeitraum der stationären kardiologischen Behandlung von mehr als einem Monat mehr dafür als dagegen, dass die von Dr. S auf Grund eines ihm vorliegenden EKG-Befundes getroffene Feststellung eines stattgehabten Herzinfarktes zutreffend war.
Ebenso hat die Klägerin glaubhaft gemacht, dass K. H. am 19. Juli 1962 einen weiteren Herzinfarkt erlitten hat. Hierfür sprechen maßgeblich der allerdings nur fragmentarisch erhaltene Erste-Hilfe-Bericht des Arztes Dr. S übereine„Reanimation nach Myokardinfarkt“ und der Bericht des Arztes Dr. BS -Krankenhaus, an den Arzt Dr. K vom 3. Oktober 1962 über den stationären Aufenthalt des K. H. in der Zeit vom 12. September 1962 bis 2. Oktober 1962 sowie, wenn auch mit Einschränkungen, der ebenfalls nur noch in Fragmenten erhaltene EKG-Befund mit dem Vermerk „O Stat. I 20.7.62 + 24 H.
Der Erste-Hilfe-Bericht des Arztes Dr. S hat, soweit lesbar, folgenden Inhalt:
„Name H Vorname K geboren in B Geschlecht 1 Familienstand verh. Versichert VA B
Wohnsitz N B Staatsang. DR
Werkzeugmacher VEB Werk f. S Im Notfall zu benachrichtigen H H (Frau)
Letzter Krankenhausaufenthalt 3..4.-14.4.62
Einweisender Arzt Dr. med. S Verweildauer in Tagen: 1
… Reanimation nach Myokardinfarkt, E. m. H. Thoraxkompression
Wärmedecken, auf Trage gebettet durch Betriebssanitäter
Pat. nicht ansprechbar, geschw. Hauptv. Zyanose, EP
Nitrangin, 500 ml aC lin -Lösung
Der Pat. klagte über plötzliche Übelkeit, Schwindel und fiel zu Boden
Keine Verletzung“
Der Bericht Arztes Dr. B vom 03. Oktober 1962 hat im Wesentlichen folgenden Wortlaut:
„… Wir berichten über den Pat. K H geb. 1931, wohnhaft in Berlin N , C Str. , der sich vom 19. 7. bis 2. 10 1962 in stationärer Behandlung befand.
Es handelt sich bei dem Pat., der uns von der Kardiologie unseres Hauses am 12. 9. verlegt wurde, um eine vegetative Dysregulation mit Verdacht auf Ulcus.
Zur Verlegung kam ein 31-jähriger Mann in mäßigem EZ und AZ.
Kein Ikterus, keine Ödeme.
Cor: Aktion regelmäßig, Grenzen altersgemäß, Töne rein.
Pulmo: keine Dämpfung, Vesiculäratmen
Abomen: Leber, Milz unauffällig, Nierenlager beiderseits frei.
Geringer Druckschmerz in epigastrischen Winkel.
Pat. ist vegetativ stark stigmatisiert. Intentionstremor, Hyperhidrosis.
Paraklinische Befunde:
…
EKG: Sinusrhythmus, respiratorische Arrhythmie. Praecordial Zeichen von vermehrter vegetativer Labilität.
Wir behandelten den Pat. mit einer Ulcus Diät-Kur, verabfolgten täglich Vitamin B und C im Wechsel und führten zur allgemeinen Umstimmung eine Sanaestin-Kur i. v. durch, durch Neo-Secatropin wurde der recht unruhige Pat. ruhig gestellt. …“
Hiervon ausgehend und unter Berücksichtigung des EKG-Befundes des S -Krankenhauses vom 20. Juli 1962 ist es überwiegend wahrscheinlich, dass K. H. am 19. Juli 1962 einen Herzinfarkt erlitt, deshalb reanimiert werden musste und noch am selben Tag in das O-Krankenhaus verbracht wurde, wo er in der kardiologischen Abteilung bis zum 12. September 1962 stationär behandelt wurde. Dabei ist der Erste-Hilfe-Bericht des Arztes Dr. S, dem sich weder ein Erstelldatum noch ein Datum der ärztlichen Behandlung des K. H. entnehmen lässt, im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem durch den Bericht des Arztes Dr. B vom 03. Oktober 1962 belegten stationären Aufenthalt des K. H. im S -Krankenhaus in der Zeit vom 19. Juli 1962 bis zum 02. Oktober 1962 zu sehen. Dies ergibt sich aus der darin enthaltenen Feststellung „Letzter Krankenhausaufenthalt 3.4.-14.4.62“. Daraus lässt sich herleiten, dass die von dem Arzt Dr. S berichtete „Reanimation nach Myokardinfarkt“ in dem Zeitraum nach dem 14. April 1962 bis zur stationären Aufnahme des K. H. im S -Krankenhaus am 19. Juli 1962 erfolgt sein muss. Dabei ist es höchst wahrscheinlich, dass die Reanimation K. H. am 19. Juli 1962 erfolgte und er noch am selben Tag in das S -Krankenhaus verbracht wurde. Dafür spricht auch der fragmentarisch erhaltene EKG-Befund mit dem Vermerk „O Stat. I 20.7.62 + 24 H. Insoweit dürfte die Abkürzung „OZK“ das S -Krankenhaus und die Angabe „20.7.62 + 24“ den Zeitpunkt der EKG- Untersuchung bezeichnen, wobei sich der Zusatz „+ 24“ auf die Zeit beziehen dürfte, die seit der stationären Aufnahme oder der Reanimation des K. H. verstrichen war. Dass demnach bei K. H. einen Tag nach seiner Aufnahme am 19. Juli 1962 eine EKG-Untersuchung durchgeführt und er bis zum 12. September 1962 in der kardiologischen Abteilung des S -Krankenhauses stationär behandelt wurde, spricht dafür, dass der Aufnahme des K. H. seine Reanimation durch den Arzt Dr. S unmittelbar vorausgegangen war. Angesichts des Umstandes, dass K. H. bereits im Januar 1962 einen Herzinfarkt erlitten hatte, und der Dauer seines stationären Aufenthaltes von mehr als sieben Wochen in der kardiologischen Abteilung des S -Krankenhauses ist es auch wahrscheinlich, dass der Arzt Dr. S bei der Reanimation des K. H. zutreffend vom Vorliegen eines Herzinfarktes ausgegangen ist. Dafür spricht auch die Feststellung einer Zyanose. Auch wenn insoweit der EKG-Befund vom 20. Juli 1962 nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Bin seiner ergänzenden Stellungnahme vom 03. August 2011 nicht eindeutig beweisend ist, lässt dieser Befund nach den Feststellungen des Sachverständigen zumindest ST- Streckenhebungen erkennen, die einen stattgehabten Herzinfarkt möglich erscheinen lassen. Auch die von dem Arzt Dr. Bin seinem Bericht vom 03. Oktober 1962 für den Zeitraum nach der Verlegung des K. H. aus der kardiologischen Abteilung am 12. September 1962 bis zu seiner Entlassung am 02. Oktober 1962 mitgeteilten Befunde stützen die Annahme eines am 19. Juli 1962 stattgehabten Herzinfarktes. So beschreibt der Arzt Dr. B K. H. als vegetativ stark stigmatisiert, der nach der Verlegung erhobene EKG-Befund wies nach seinen Angaben eine respiratorische Sinusarrythmie auf, die auf eine Herzinsuffizienz oder einen Herzinfarkt hinweist (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 2011, Sinusarrythmie, Seite 1919). Die Annahme eines Herzinfarktgeschehens wird auch gestützt durch das Schreiben des Rates des Stadtbezirks P– Abteilung Inneres – Sicherheit/Nachrichten vom 10. Oktober 1962 an den Magistrat von G, Abteilung Gesundheitswesen, dessen Inhalt sich – auch wenn eine namentliche Nennung nicht erfolgt – ohne Zweifel auf K. H. bezieht, und wonach ihm „zur Rekonvaleszens nach der Hodenresektion (re) und dem klinischen Herzleiden eine Heilkur im Kurort B rasch zugewiesen werden“ sollte. Ebenso ergibt sich aus dem Schreiben des S Klinikums vom 27. Juli 1966, dass K. H. seit 1962 an einer Herzkrankheit litt.
Die erlittenen Herzinfarkte sind auch Folge der Freiheitsentziehung des K. H. in der Zeit vom 30. Oktober 1961 bis zum 02. März 1962. Denn der Kläger hat während der Haftzeit erhebliche Misshandlungen erlitten, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Herzinfarkte des K. H. wesentlich mit verursacht haben.
Zur Kausalitätsbeurteilung bei einer koronaren Herzkrankheit und einem Herzinfarkt ist zuletzt in Teil C Nr. 101 AHP 2008 (Seite 222) ausgeführt: Die koronare Herzkrankheit ist durch arteriosklerotische Veränderungen an den Herzkranzgefäßen bedingt. Die wichtigste und häufigste Komplikation der koronaren Herzkrankheit ist der Herzinfarkt. Die Beurteilung richtet sich nach (Teil C) Nr. 92 Abs. 2 bis 4 (Abs. 1). Wesentliche mitwirkende Faktoren für einen Herzinfarkt können Belastungen des linken Herzens (z. B. Hochdruck, extreme Tachykardien oder Bradykardien, Aortenklappenfehler) oder eine erhebliche Verminderung des Sauerstoffgehaltes des Blutes (z. B. nach akutem Blutverlust, Hypoxie) sein (Abs. 2). Auch eine außergewöhnliche seelische Belastung oder eine außergewöhnliche körperliche Belastung bei ungenügendem Trainingszustand können Mitursache eines Herzinfarktes sein. Der Wehrdienst im Frieden bringt im Allgemeinen keine körperlichen und psychischen Belastungen mit sich, die als wesentliche Bedingung eines Herzinfarktes in Frage kommen (Abs. 3). Wenn erneut ein Herzinfarkt auftritt, so ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang dieser Krankheitsverlauf von den Folgen des früheren Herzinfarktes beeinflusst wird (Abs. 4).
In Teil C Nr. 92 Abs. 2 bis 4 AHP 2008 (Seite 216 f.) wird (soweit hier in Frage kommend) ausgeführt: Die arteriosklerotisch bedingten Organerkrankungen werden durch das Zusammentreffen mehrerer Faktoren geprägt, von denen Erbanlage, Hypertonie, Nikotin, Störungen des Kohlehydrat-, Fett- oder Purinstoffwechsels und entzündliche Gefäßwandreaktionen am bedeutsamsten sind. Überernährung ist häufig mit einigen der genannten Faktoren verknüpft. Lang anhaltende extreme seelische Belastungen können in Einzelfällen Teilursache für akute kardiale oder zerebrale arteriosklerotische Komplikationen sein. Die genannten pathogenetischen Faktoren sind nicht immer von gleicher Bedeutung für die Entwicklung eines arteriosklerotischen Krankheitsbildes. Es steht vielmehr von Fall zu Fall der eine oder andere Faktor im Vordergrund ... (Abs. 2). Ist einer der oben aufgeführten Umstände als Schädigungsfolge oder schädigender Vorgang die Ursache einer arteriosklerotisch bedingten Organerkrankung oder von Komplikationen, so sind auch sie als Schädigungsfolge anzusehen (Abs. 3). Arteriosklerotische Gefäßkomplikationen, die während extremer Lebensverhältnisse oder im Anschluss daran in der Reparationsphase (bis zu zwei Jahren) auftreten, sind in der Regel Schädigungsfolge … (Abs. 4).
Hiervon ausgehend ist zunächst erwiesen, dass K. H. während seiner Haftzeit außergewöhnlichen körperlichen und seelischen Belastungen im Sinne von Teil C Nr. 101 Abs. 3 AHP 2008 ausgesetzt war, die als wesentliche Bedingung eines Herzinfarktes in Frage kommen. Diese haben auch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu den Herzinfarkten vom 06. Januar 1962 und 19. Juli 1962 geführt.
Dass K. H. während der Haftzeit außergewöhnlichen körperlichen und seelischen Belastungen ausgesetzt war, wird insbesondere durch das bereits genannte Behandlungsblatt KH u. a. mit dem Eintrag „3. Jan. 1962 stationär Riss im Scrotum 575 C“, dem Brief des Vaters R H vom 05. Januar 1962 an den damaligen Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht, den ebenfalls bereits benannten Brief des Arztes Dr. S vom 25. März 1962, die Ehrenerklärung des Wachtmeisters K H vom 25. Mai 1962, das Schreiben des Rates des Stadtbezirks P– Abteilung Inneres – Sicherheit/Nachrichten vom 10. Oktober 1962 an den Magistrat von G, Abteilung Gesundheitswesen und durch den Brief des K. H. vom 23. November 1967 sowie das Schreiben des OMR Dr. D, Ministerium für Gesundheitswesen, HA Medizinische Betreuung, vom 11. August 1975 belegt.
So ist dem Behandlungsblatt KH u. a. mit dem Eintrag „3. Jan. 1962 stationär Riss im Scrotum 575 C“ in Verbindung mit dem Brief des Arztes Dr. S vom 25. März 1962, der „Ehrenerklärung“ des K H vom 25. Mai 1962, dem Schreiben des Rates Stadtbezirks P– Abteilung Inneres – Sicherheit/Nachrichten vom 10. Oktober 1962 und dem Schreiben des OMR Dr. D, Ministerium für Gesundheitswesen, HA Medizinische Betreuung, vom 11. August 1975 zu entnehmen, dass dem K. H. am 01. Januar 1962 von dem Wachtmeister K durch Schläge mit einem Gummiknüppel so schwerwiegende Genitalverletzungen zugefügt worden waren, dass der rechte Hoden operativ entfernt werden musste und K. H. deshalb unter Berücksichtigung der „Ehrenerklärung“ des Wachtmeisters K H vom 25. Mai 1962 eine einmalige Entschädigung erhielt.
Außergewöhnliche Belastungen in Form täglicher Verhöre, systematischer Anwendung von körperlicher Gewalt und sonstigen demütigenden und menschenverachtenden Maßnahmen werden auch durch den Brief des Vaters R H vom 05. Januar 1962 an den damaligen Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht und den Brief des K. H. vom 23. November 1967 an seinen Schwagers (?) H belegt. So heißt es in dem Brief des R H vom 05. Januar 1962 u. a.:
„… Der Grund meines Briefes ist mein seit zwei Monaten inhaftierter Sohn K. Er hatte unbekannten Passanten die neu befestigten Grenzanlagen an der B B erklärt. Sodann versuchten die einen Grenzdurchbruch und wurden von der Polizei gestellt. Sie beschuldigten meinen Sohn, sie dazu ermuntert zu haben… Derzeit wird mein Sohn zu jeder Tageszeit gewaltsam verhört. Er soll Hintermännerpreisgeben. Er wird geschlagen und man hat ihm Fäkalien verabreicht. Mein Sohn beschwerte sich bereits bei der Gefängnisleitung. Solange er nicht gesteht, besteht Besuchsverbot und verschärfte Haft, sagte mir ein Wachtmeister. Als OdFler erzwang ich nach vier Stunden Wartezeit einen Besuch bei meinem Sohn. Er beteuert seine Unschuld und ist ohne jeden Beistand. Ich bitte Sie einzuschreiten. Mein Sohn darf derartigen Maßnahmen nicht ausgesetzt sein ...“
In dem Brief des K. H. vom 23. November 1967 heißt es u. a.:
„… Aber Demütigungen, Kälte, Ungeziefer und Graupensuppen hatte ich schon vor genau 6 Jahren erlitten. Die haben uns wie Leibeigene behandelt. Jede Kritik wurde buchstäblich erschlagen. Den R Z haben sie so geschlagen, bis er am Boden zusammengedrungen um Gnade flehend lag. Uns forderten sie auf, ihn noch zu treten. Ich werde nie seine Augen vergessen, als ich dran war. Danach wurde ich jeweils gezwungen, meinen Urin zu trinken, um den Unterschied zwischen dem Fraß und Urin zu ergründen. Immer wenn wir einen Tag vorher nicht zu den Toiletten durften ...“
Dies zu Grunde gelegt, ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die Herzinfarkte vom Januar 1962 und Juli 1962 durch die schädigenden Einwirkungen während der Haftzeit wesentlich mit verursacht worden sind. Wie der Sachverständige Dr. B in seinem Gutachten vom 20. Januar 2007 nebst ergänzenden Stellungnahmen vom 15. Juli 2007, 04. März 2009, 03. August 2011, 10. Oktober 2011 und 11. März 2012 dargelegt hat, sprechen für den ursächlichen Zusammenhang insbesondere der enge zeitliche Zusammenhang mit den schädigenden Ereignissen in der Haft und zudem das zum Zeitpunkt der Infarkte junge Lebensalter des K. H. bei fehlenden Anhaltspunkten für das Vorliegen von Risikofaktoren, wie sie zuletzt in Teil C Nr. 92 Abs. 2 Satz 1 AHP 2008 beschrieben sind. Insbesondere liegen keine Anhaltpunkte für einen erheblichen Nikotinkonsum des K. H. vor. Insbesondere dem Sektionsprotokoll - - des Instituts für gerichtliche Medizin der H vom 07. September 1971 lassen sich solche Anhaltpunkte nicht entnehmen. Soweit darin eine gelbliche Verfärbung der Fingerspitzen der ersten drei Finger beider Hände erwähnt wird, hat die Klägerin glaubhaft dargelegt, dass diese auf die Berufstätigkeit des K. H. zurückzuführen ist. Nikotinbedingte Veränderungen insbesondere auch der Atmungsorgane weist das Sektionsprotokoll nicht aus.
Demnach ist es unwahrscheinlich, dass die Herzinfarkte durch die im Sektionsprotokoll ausgewiesene stenosierende Koronarsklerose verursacht worden sind. So ergeben sich aus den vorliegenden Unterlagen zunächst keine Anhaltpunkte dafür, dass K. H. schon zum Zeitpunkt der Herzinfarkte vom Januar 1962 und Juli 1962 an einer länger bestehenden koronaren Herzerkrankung litt. Wie zudem Dr. B insbesondere in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 04. März 2009 im Einklang mit Teil C Nr. 101 Abs. 3 AHP 2008 und unter Bezugnahme auf die aktuelle wissenschaftliche Literatur ausgeführt hat, setzt die Entstehung eines Herzinfarktes keine schon vorher länger bestehende koronare Herzerkrankung voraus. Vielmehr entstehen dem Sachverständigen zufolge Herzinfarkte überwiegend nicht an vorher stenosierten Herzkranzgefäßen, sondern durch eine plötzliche nicht vorhersagbare Ruptur eines Plaques in der Gefäßwand, der vorher nicht zu einer wesentlichen Einengung des Herzkranzgefäßes geführt hat. Dabei können sich insbesondere durch starke emotionale Belastungen instabile Plaques bilden, die durch eine Ruptur zu einem akuten Herzinfarkt führen (siehe dazu auch http://de.wikipedia.org/wiki/ Myokardinfarkt m. w. N.). Dass K. H. solchen Belastungen ausgesetzt war, wurde bereits vorstehend dargelegt. Im Übrigen wurde ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Herzinfarkten und den schädigenden Vorgängen offenbar schon im Jahr 1962 gesehen, wie in dem Schreiben des Rates des Stadtbezirks P– Abteilung Inneres – Sicherheit/Nachrichten vom 10. Oktober 1962 zum Ausdruck kommt, wonach dem K. H. „zur Rekonvaleszens nach der Hodenresektion (re) und dem klinischen Herzleiden“ eine Heilkur bewilligt wurde.
Demgegenüber kann dem Sachverständigen Dr. G nicht gefolgt werden, soweit er in seinem Gutachten vom 02. August 2008 nebst ergänzender Stellungnahme vom 11. Oktober 2008 ausgeführt hat, K. H. habe im Laufe der Zeit nach der Haftentlassung bis zum Tod eine juvenile Herzkrankheit entwickelt, und es lägen keine Erkenntnisse vor, die die Entwicklung der koronaren Herzkrankheit und den daraus resultierenden Herztod wahrscheinlich ursächlich in der Haftzeit beginnen ließen. Denn diese Annahmen stützen sich auf eine Tatsachengrundlage, die sich auf Grund der nunmehr vorliegenden Erkenntnisse als unzutreffend erwiesen hat. So hat der Sachverständige seine Schlüsse maßgeblich aus Eintragungen in dem Sozialversicherungsausweis des K. H. gezogen, denen jedoch keine Aussagekraft zukommt, weil sie die hier maßgeblichen Behandlungen nicht dokumentieren. Dies ist aus Sicht des Senats damit zu erklären, dass die damit im Zusammenhang stehenden Vorgänge der Geheimhaltung unterlagen, wie auch in dem Schreiben des Rates des Stadtbezirks P– Abteilung Inneres – Sicherheit/Nachrichten vom 10. Oktober 1962 an den Magistrat von G, Abteilung Gesundheitswesen, zum Ausdruck kommt, wonach sich K. H. im Zuge der ihm in diesem Zusammenhang gewährten Entschädigung zum Schweigen verpflichten und Anzeigen zurücknehmen musste.
Die Herzinfarkte vom 06. Januar 1962 und 19. Juli 1962 haben schließlich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit den Tod des K. H. verursacht. Dies ergibt sich maßgeblich unter Würdigung des Sektionsprotokolls - - des Instituts für gerichtliche Medizin der H vom 07. September 1971 und des Gutachtens des Sachverständigen Dr. B vom 20. Januar 2007 nebst seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 15. Juli 2007, 04. März 2009, 03. August 2011, 10. Oktober 2011 und 11. März 2012.
Danach ist erwiesen, dass K. H. an den Folgen früherer Herzinfarkte verstorben ist. So weist das Sektionsprotokoll vom 07. September 1971 als Todesursache eine stenosierende Koronarsklerose mit groben Herzmuskelschwielen aus. Wie der Sachverständige Dr. B unter eingehender Würdigung des Inhalts des Sektionsprotokoll dargelegt hat, ist insoweit Todesursache (Todesleiden) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht die Koronarsklerose an sich, sondern die im Sektionsprotokoll ausgewiesene grobe Verschwielung der Hinter- und Seitenwand des linken Ventrikels, die das Vorliegen eines ausgedehnten älteren Herzinfarktgeschehens belegt. Dies ergibt sich maßgeblich aus dem Umstand, dass K. H. einen so genannten plötzlichen Herztod erlitten hat, wobei das Sektionsprotokoll als Zeichen des plötzlichen Todes überwiegend flüssiges Leichenblut, eine akute Blutstauung der inneren Organe und kleine Magenschleimhautblutungen ausweist. Wie der Sachverständige weiter dargelegt hat, ist der plötzliche Herztod bei Patienten mit großen Infarkten und Einschränkung der globalen linksventrikulären Pumpfunktion eine typische Todesursache. Dies beruht seinen Ausführungen zufolge darauf, dass sich nach einem akuten Myokardinfarkt eine Narbe bildet, die am Übergang zum intakten Herzmuskelgewebe zu einem elektrisch instabilen Bereich führt. Diese elektrische Instabilität ist typischer Auslöser für tachykarde Herzrhythmusstörungen, die auch Jahre nach einem Herzinfarkt ohne Ankündigung durch vorhergehende Symptome auftreten und zu einem plötzlichen Herztod führen können (vgl. auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Myokardinfarkt, http://www.kerckhoff-klinik.de/franz-groedel-institut/archiv/myokardialer_umbau_nach_ herzinfarkt, Ärztezeitung online, 30. August 2011, Herzinfarkt: Risikomarker Narbentiefe, http://www.aerztezeitung.de /extras/druckansicht/ ?sid=667826 &pid=667826).
Hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen anderer Erkrankungen, die den Tod des K. H. verursacht habe könnten, liegen nicht vor. Insbesondere besteht kein Grund zu der Annahme, dass der Tod des K. H. durch einen epileptischen Anfall verursacht worden ist. Den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Gin seinem Gutachten vom 02. August 2008 nebst ergänzender Stellungnahme vom 11. Oktober 2008 kann insoweit ebenfalls nicht gefolgt werden. Zwar ist im Sozialversicherungsausweis des K. H. bezogen auf die Zeit des stationären Aufenthaltes des Klägers im Städtischen Krankenhaus H vom 16. Januar 1969 bis zum 14. März 1969 zweimal der Diagnoseschlüssel 345.3 und bezogen auf die Zeit der Arbeitsunfähigkeit vom 12. bis 17. November 1969 einmal der Diagnoseschlüssel 345 eingetragen, der nach der damals maßgeblichen ICD 8 der Diagnoseschlüssel für eine Epilepsie war. Diese Eintragungen erscheinen jedoch schon vor dem Hintergrund, dass in dem Sozialversicherungsausweis die oben genannten stationären kardiologischen Behandlungen nicht dokumentiert sind, nicht aussagekräftig. Zudem lassen sich den weiter vorliegenden ärztlichen Unterlagen keine Hinweise auf ein epileptisches Anfallleiden des K. H. entnehmen. Entsprechende EEG-Untersuchungen vom 26. Oktober 1963, 31. Oktober 1968 und 11. Juni 1969 blieben vielmehr ohne Befund.
Die todesursächliche grobe Verschwielung der Hinter- und Seitenwand des linken Ventrikels ist schließlich ursächlich auf die Herzinfarkte vom 06. Januar 1962 und 19. Juli 1962 zurückzuführen. Dabei kann offen bleiben, ob es in dem Zeitraum nach dem 19. Juli 1962 bis zum Tod des K. H. zu weiteren Herzinfarkten gekommen ist, was sich nicht mehr aufklären lässt. Denn wie der Sachverständige Dr. B zuletzt in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11. März 2012 dargelegt hat, müssten etwaig nachfolgende Herzinfarkte als Brückensymptome gewertet werden, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit den schädigenden Ereignissen während der Haftzeit stehen. Dies gilt auch angesichts der in dem Sektionsprotokoll ausgewiesenen ausgedehnten Arteriosklerose, die neben dem Herzen auch andere Gefäßgebiete umfasste. So spricht viel dafür, dass auch der Verlauf der Koronarsklerose maßgeblich durch die massiv schädigenden Ereignisse und die hierdurch verursachten Herzinfarkte geprägt worden ist. Denn wie Dr. B dargelegt hat, ist die frühzeitige Entwicklung einer derart ausgedehnten Arteriosklerose ungewöhnlich, wenn es – wie hier – an atherogenen Risikofaktoren mangelt.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.