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Arbeitsunfall, Bandscheibenvorfall, Kausalität, Wahrscheinlichkeit


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 21.02.2011
Aktenzeichen L 3 U 258/09 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 2 SGB 7, § 8 SGB 7

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 28. Mai 2009 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Anerkennung von Arbeitsunfallfolgen und Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der Kläger erlitt am 02. März 2007 einen Arbeitsunfall, als er während seiner Beschäftigung als Maurer aus etwa zwei Metern Höhe von einer Stehleiter fiel, mit dem linken Bein in den Sprossen hängen blieb und dann auf das Gesäß fiel. Nach dem Durchgangsarztbericht Dr. Es von der Klinik für Chirurgie – Unfall- und Wiederherstellungschirurgie – des W-Klinikums vom 05. März 2007 wurde nach einer Röntgenuntersuchung eine Prellung des linken Unterschenkels diagnostiziert. Der Kläger begab sich in die Weiterbehandlung bei Dres. P und anderen, vgl. H-Arzt-Bericht vom 05. März 2007. Laut einem Nachschaubericht Dr. Es vom 07. März 2007 wurde aufgrund einer weiteren Röntgenuntersuchung eine Fraktur des Wadenbeinköpfchens, in dessen Bereich der Kläger unter deutlichem Druckschmerz litt, ausgeschlossen. Aufgrund einer von der Radiologischen Gemeinschaftspraxis Dr. Bs und anderer am 13. März 2007 durchgeführten MRT-Untersuchung wurde beim Kläger eine Fibulaköpfchenfraktur ohne wesentliche Dislokation im Frakturbereich mit begleitendem traumatisch bedingtem Knochenmarködem und eine Innenmeniskusdegeneration zweiten Grades im Hinterhorn bei sonst intakten Kniebinnenstrukturen festgestellt. Aufgrund einer von der Radiologischen Gemeinschaftspraxis Dr. Bs und anderer durchgeführten MRT-Untersuchung vom 19. April 2007 wurde beim Kläger kein Nachweis einer okkulten Fraktur und eine Osteochondrosis intervertebralis im Segment L4/5 mit Dehydrierung der Bandscheibenetage sowie partieller Höhenabnahme und begleitend ein linkslateraler partiell intraforaminaler raumfordernder Bandscheibenprolaps unter direkter Alteration nervaler Strukturen festgestellt.

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 03. August 2007 die Anerkennung des Bandscheibenvorfalls als Folge des Arbeitsunfalls und führte zur Begründung aus, dass den Schmerzen im Rückbereich zunächst von den Ärzten keine Aufmerksamkeit gegeben worden sei. Erst durch weitere Untersuchungen, als die Schmerzen nicht aufgehört hätten und schlimmer geworden seien, sei ein Bandscheibenvorfall diagnostiziert worden. Die Beklagte lehnte die Anerkennung des Bandscheibenvorfalls als Arbeitsunfallfolge mit Bescheid vom 28. August 2007 ab. Es handele sich nach dem MRT-Bericht vom 19. April 2007 um einen fortschreitenden degenerativen Bandscheibenschaden. Sie wies den Widerspruch des Klägers vom 05. September 2007 mit Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 2007 und mit im Wesentlichen gleichbleibender Begründung zurück.

Der Kläger, welcher sich zwischenzeitlich in der S-Klinik an der Bandscheibe im Segment L4/5 operieren ließ, hat sein Begehren mit der am 26. November 2007 zum Sozialgericht Neuruppin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Er hat behauptet, dass die seit dem Unfalltag vorhandenen Rückenschmerzen und der Bandscheibenschaden überwiegend wahrscheinlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen seien. Der Zustand seines Bewegungsapparates sei im Zeitpunkt des Unfalls altersgerecht gewesen. Er hat die Meinung vertreten, dass lediglich altersgemäße Verschleißerscheinungen als Vorschäden und damit als konkurrierende Ursache nicht in Betracht kämen. Der Kläger hat zur Untermauerung seines Vorbringens unter anderem gutachterliche Äußerungen des ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit vom 18. März 2008 und 20. Oktober 2008 sowie ein sozialmedizinisches Gutachten des Beratungs- und Begutachtungszentrums im Ccarreé vom 20. Oktober 2008 vorgelegt. Letzteres stellte unter anderem die Diagnose Lumboischialgie links bei Zustand nach durchgeführter interlaminärer Fensterung L4/5 und Entfernung des Bandscheibenmaterials bei nachgewiesenem Prolaps. Das SG hat bei den Krankenkassen des Klägers dessen Arbeitsunfähigkeitszeiten und -gründe ermittelt und aufgrund Beweisanordnung vom 12. Februar 2009 das gerichtliche Sachverständigengutachten des Chirurgen und Sozialmediziners Dr. B vom 11. März 2009 eingeholt, welches er aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 10. März 2009 erstellt hatte. Dr. B hat anlässlich der Untersuchung eine anhaltende schwere Lumboischialgie nach operativer Versorgung eines lumbalen Bandscheibenvorfalls in der Etage L4/5 und eine abgelaufene, knöchern konsolidierte hohe Wadenbeinfraktur diagnostiziert. Der im unfallbedingten Behandlungsverlauf aufgetretene Schmerzzustand im Bereich der LWS, der nachgewiesene Bandscheibenvorfall und die daraus resultierenden operativen Maßnahmen seien ebenso wie die anlässlich der Begutachtung festgestellten erheblichen Funktionseinschränkungen im LWS-Bereich schicksalhaft durch anlagebedingte Vorschäden aufgetreten. Aus dem Unfall vom 02. März 2007 resultierten keine Gesundheitsschäden oder Funktionseinschränkungen und keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE). Das SG hat die Klage mit Urteil vom 28. Mai 2009 abgewiesen und sich im Wesentlichen auf die medizinischen Feststellungen Dr. Bs gestützt. Das anhaltende LWS-Leiden des Klägers sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 31. Juli 2009 zugestellte Urteil am 31. August 2009 Berufung eingelegt und im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen vertieft. Er behauptet, dass die Bandscheibe durch den Unfall geplatzt und herausgetreten sei. Er legt ein ärztliches Attest des Arztes für Neurochirurgie an der S-Kinik Dr. R vom 02. März 2010 vor, wonach er den Kläger an der Bandscheibe operiert habe, wobei sich ein Bandscheibenvorfall gezeigt habe, der durch den gerissenen Annulus fibrosus ausgetreten gewesen sei und den Nerv komprimiert habe.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 28. Mai 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 28. August 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 30. Oktober 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bandscheibenvorfall im Segment L4/5 als Folge des Arbeitsunfalls vom 02. März 2007 anzuerkennen und ihm Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren,

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Der Senat hat den Operationsbericht vom 08. Oktober 2007 über die von Dr. R durchgeführte Bandscheibenoperation und die Epikrise der S-Klinik vom 17. Oktober 2007 eingeholt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.

Der Senat hat die Beteiligten unter dem 15. Dezember 2010 zum beabsichtigten Erlass eines Beschlusses nach § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) angehört.

II.

Die Berufung ist gemäß § 153 Abs. 4 S. 1 SGG nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss zurückzuweisen, weil der Senat sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und beschweren den Kläger nicht. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung seines Bandscheibenvorfalls als Folge des Arbeitsunfalls vom 02. März 2007.

Nach § 8 Abs. 1 S. 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle der Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Nach § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Der Gesetzgeber bringt mit der Formulierung „infolge“ in § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII das Erfordernis eines Zusammenhangs zum Ausdruck. Es muss eine kausale Verknüpfung des Unfalls mit der betrieblichen Sphäre bestehen, mithin eine rechtliche Zurechnung für besonders bezeichnete Risiken der Arbeitswelt beziehungsweise gleichgestellter Tätigkeiten, für deren Entschädigung die gesetzliche Unfallversicherung als spezieller Zweig der Sozialversicherung einzustehen hat, und zwar nicht nur im Sinne einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, sondern auch im Sinne der Zurechnung des eingetretenen Erfolges zum Schutzbereich der unfallversicherungsrechtlichen Norm als eines rechtlich wesentlichen Kausalzusammenhangs (Zurechnungslehre der wesentlichen Bedingung, ständige Rechtsprechung, etwa Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 13 ff.). Die Frage nach diesem Zurechnungszusammenhang stellt sich auf drei Ebenen, nämlich als Unfallkausalität zwischen ausgeübter Tätigkeit und Unfallereignis, als haftungsbegründende Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden und als haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheitserstschaden und längerandauernden Unfallfolgen (BSG, a.a.O., Rn. 10; Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, 1.4, S. 21 f.). Die vorgenannten Merkmale der versicherten Tätigkeit und des Unfallereignisses müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R –, zitiert nach juris Rn. 15). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a.a.O., auch Rn. 18 und 20).

Hiervon ausgehend ist der Senat nicht im nach § 128 As. 1 S. 1 SGG gebotenen Maße überzeugt, dass die anhaltenden Beschwerden des Klägers an der LWS auf den Unfall vom 02. März 2007, in welchem das nach §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 8 Abs. 1 SGB VII maßgebliche versicherte Ereignis zu sehen ist, zurückzuführen sind. Es fehlt insofern an der nach dem oben Gesagten zu fordernden hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Zum einen geben die zeitnah zum Unfall erhobenen ärztlichen Stellungnahmen nichts für einen unfallbedingten LWS-Schaden her. Erst die am 19. April 2007 durchgeführte MRT-Untersuchung ergab einen objektiven Befund für das anhaltende LWS-Leiden des Klägers, allerdings gerade ausdrücklich ohne den nach dem arbeitsmedizinischen Schrifttum (vgl. Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, a.a.O., 8.3.2.6.2., S. 434) für einen unfallbedingten Bandscheibenvorfall geforderten Nachweis einer knöchernen Begleit- oder Bandverletzung im betroffenen Segment. Eben hierauf weist der gerichtliche Sachverständige des erstinstanzlichen Verfahrens Dr. B nachvollziehbar hin. Dementsprechend erscheint es überzeugend, dass Dr. B, an dessen fachlicher Kompetenz nach dem vom Senat aus einer Vielzahl von Begutachtungen in anderen Verfahren gewonnenen Eindruck kein Zweifel besteht, nach einer eingehenden Befunderhebung die LWS-Beschwerden des Klägers auf die degenerativen Veränderungen der LWS zurückführt, zumal er hierfür von derselben Diagnose wie das Beratungs- und Begutachtungszentrums im Ccarreé in seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 20. Oktober 2008 ausgeht, in welchem unter anderem die Lumboischialgie links bei Zustand nach durchgeführter interlaminärer Fensterung L4/5 und Entfernung des Bandscheibenmaterials bei nachgewiesenem Prolaps festgestellt wurde. Diese Diagnose steht wiederum im Einklang mit dem MRT-Befund vom 19. April 2007, welcher keinen Nachweis einer okkulten Fraktur, sondern nur einer Osteochondrosis intervertebralis im Segment L4/5 mit Dehydrierung der Bandscheibenetage sowie partieller Höhenabnahme und begleitend eines linkslateralen partiell intraforaminalen raumfordernden Bandscheibenprolaps unter direkter Alteration nervaler Strukturen erbringt, mithin nichts für einen unfallbedingten, sondern nur etwas für einen degenerativen Bandscheibenschaden hergibt. Dr. Rs ärztliche Kurzstellungnahme vom 02. März 2010, der Operationsbericht vom 08. Oktober 2007 und die Epikrise vom 17. Oktober 2007 geben für einen unfallbedingten LWS-Schaden nichts her, weil es hier bereits an jeglichen Kausalitätserwägungen fehlt. Soweit der ärztliche Dienst der Bundesagentur für Arbeit in seinen beiden oben genannten Stellungnahmen das LWS-Leiden auf den Unfall zurückzuführen scheint, fehlt es bereits an der Erhebung eines objektiven Befunds sowie an einer konkreten Beschreibung des Krankheitsbildes beziehungsweise Diagnose, so dass sich aus diesen beiden ärztlichen Äußerungen, welche im Übrigen nicht den Zweck einer Kausalitäts-, sondern nur sozialmedizinischen Beurteilung verfolgen, gerade nicht ein mit dem Unfallgeschehen korrespondierendes Krankheitsbild gewinnen lässt.

Abgesehen davon, dass es vorliegend schon an einer überprüfbaren Verwaltungsentscheidung der Beklagten bezüglich konkreter Entschädigungsleistungen (Verletztengeld, Verletztenrente etc.) fehlt, kommen schon mangels anzuerkennender Arbeitsunfallfolgen im Hinblick auf den Bandscheibenvorfall auch Entschädigungsleistungen nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.