Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 7. Senat | Entscheidungsdatum | 09.11.2011 | |
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Aktenzeichen | L 7 KA 107/08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 45 Abs 2 S 1 BMV-Ä, § 34 Abs 4 EKV-Ä |
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. August 2008 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten um die Höhe vertragsärztlichen Honorars in den Quartalen I/2003 bis III/2003.
Die drei im Rubrum genannten Ärzte bildeten in den Quartalen III/2002 bis III/2005 die klagende Gemeinschaftspraxis, die als Facharztpraxis für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der vertragsärztlichen Versorgung teilnahm und überwiegend im Bereich der Reproduktionsmedizin tätig war.
Für die Quartale I/2003 bis III/2003 teilte die Beklagte der Klägerin im Rahmen der Abrechnungsprüfung durch Bescheide vom 19. Mai 2003, 17. Juli 2003 und 16. Oktober 2003 mit, dass die sich aus der Tabelle ergebenden Behandlungsfälle von der Vergütung abzusetzen seien, weil sie Leistungen bei Männern beträfen und deshalb fachfremd seien.
Quartal | Gesamtfallzahl | Anerkannte Fälle | Abgesetzte Fälle |
I/2003 | 4.475 | 90 | 118 |
II/2003 | 4.968 | 99 | 80 |
III/2003 | 5.113 | 102 | 92 |
Generell seien Behandlungsfälle mit fachfremden Diagnosen nicht abrechenbar. Nach dem Vorstandsbeschluss vom 26. Februar 1997 dürften Frauenärzte aber Männer in eingeschränktem Umfange mitbehandeln (bei Infektionsorganen der Genitalorgane, Fertilitätsstörungen, Kinderwunschbehandlungen und Transsexualität), nämlich in Höhe von zwei Prozent der Gesamtfallzahl.
Bei den abgesetzten Fällen hatte die Klägerin für die behandelten, ausschließlich männlichen Patienten überwiegend die Diagnosen F 43.9 (Reaktion auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen / Reaktion auf schwere Belastung), N 46 (Sterilität beim Mann) bzw. E 29.1 (Testikuläre Dys- bzw. Unterfunktion) angegeben, außerdem u.a. die Diagnosen E 07.9 (Krankheit der Schilddrüse), E 11.9 (Diabetes mellitus), E 66.9 (Adipositas) bzw. N 49.9 (entzündliche Krankheiten der männlichen Genitalorgane) und im Einzelnen aufgeführte weitere EBM-Nummern abgerechnet; wegen der Einzelheiten wird auf die drei Heftungen im Verwaltungsvorgang der Beklagten (im Anschluss an Bl. 92 des Verwaltungsvorganges) Bezug genommen, die für jeden Absetzungsfall Diagnosen und abgerechnete Leistungen bezeichnen.
Mit ihren gegen die genannten Bescheide jeweils erhobenen Widersprüchen machte die Klägerin im Wesentlichen geltend: Sie sei seit 1983 eine Fachpraxis für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin. In diesem Rahmen würden auch Männer mit endokrinologischen Funktionsstörungen sowie mit Kinderwunsch im Rahmen der Kinderwunschpaartherapie mitbehandelt. Betroffen seien Männer mit Hypogonadismus bzw. Infertilität, einige Patienten seien zudem Transsexuelle. Daher liege der Anteil der männlichen Patienten über dem in einer normalen gynäkologischen Praxis, was bislang von der Beklagten auch akzeptiert worden sei. Insbesondere Dr. M sei auch befähigt, endokrinologische Problemfälle bei Männern zu behandeln. Andere reproduktionsmedizinische Arztpraxen unterlägen keiner Limitierung in Bezug auf die Behandlung von Männern. Hilfsweise müsse sie jedenfalls selbst entscheiden dürfen, welche Behandlungsfälle unter die Zwei-Prozent-Regelung fielen.
Mit Bescheid vom 1. Dezember 2003 wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Gemäß § 45 Abs. 1 BMV-Ä und § 34 Abs. 4 EKV obliege ihr die Prüfung der von Vertragsärzten vorgelegten Abrechnungen auf ihre sachlich-rechnerische Richtigkeit. Fehler unterlägen der Berichtigung. Fachfremde Leistungen seien grundsätzlich nicht vergütungsfähig. Maßgeblich sei die jeweilige Weiterbildungsordnung. So dürften etwa Frauenärzte nur Honorar für die Behandlung von Frauen beanspruchen. Mit Beschluss vom 26. Februar 1997 habe der Vorstand der Beklagten jedoch eine Ausnahmeregelung geschaffen, auf deren Grundlage Ärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Männer bei Vorliegen bestimmter Indikationen in eingeschränktem Umfange – bis zu zwei Prozent der Gesamtfallzahl – mitbehandeln dürften. Das gelte auch für die Klägerin. Aufgrund einer gesonderten Abrechnungsgenehmigung dürfe die Klägerin darüber hinaus reproduktionsmedizinische Leistungen nach EBM-Nrn. 1181 ff. bei Männern in unbeschränktem Umfange erbringen. Hierunter fielen die abgesetzten Leistungen jedoch nicht, denn sie seien von der Klägerin nicht als solche bezeichnet worden. In Ermangelung eines Bezuges zu reproduktionsmedizinischen Maßnahmen hätten die abgesetzten Leistungen auch von anderen Fachgruppen, insbesondere von Urologen, erbracht werden können. Eine Ungleichbehandlung zu anderen reproduktionsmedizinisch tätigen Arztpraxen bestehe nicht. Auch diese seien verpflichtet, die betreffenden Behandlungsfälle gegebenenfalls eindeutig als reproduktionsmedizinische zu kennzeichnen. Ein Anspruch auf Auswahl der unter die Zwei-Prozent-Grenze fallenden Behandlungsfälle bestehe nicht. Allerdings seien bereits die Behandlungsfälle mit den höchsten Abrechnungsvolumina ausgesucht und vergütet worden. Vertrauensschutz genieße die Klägerin nicht. Der Vorstandsbeschluss vom 26. Februar 1997 sei im KV-Blatt 7/97 veröffentlicht worden. Dass Fachärzte keine fachfremden Leistungen erbringen dürften, sei als bekannt vorauszusetzen.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt. Ihre Abrechnungsgenehmigung für künstliche Befruchtungen führe zu einer Erweiterung der Grenzen des Fachgebiets und der Abrechenbarkeit von Leistungen bei Männern mit reproduktionsmedizinischem Zusammenhang. Bei den abgesetzten Fällen handele es sich vorwiegend um solche der Kinderwunschbehandlung. Dies ergebe sich aus der Diagnose „Sterilität des Mannes“ und der unbeanstandeten Abrechnung der EBM-Nr. 3950 („physikalisch-morphologische Untersuchung des Spermas“); das Spermiogramm stehe immer am Anfang einer reproduktionsmedizinischen Behandlung. Im Mittelpunkt der Betrachtung müsse die Diagnose der Infertilität stehen; auf die jeweils abgerechneten EBM-Nummern komme es nicht an. Anstelle der Absetzung der Leistungen hätte zumindest eine Umsetzung im Sinne einer Berichtigung vorgenommen werden müssen.
Im Klageverfahren hat die Beklagte sich bereit erklärt, die von der Vergütung abgesetzten Behandlungsfälle in Bezug auf die EBM-Nr. 3950 nachzuvergüten. Streitig ist danach noch ein Betrag von 32.743,90 Euro geblieben.
Mit Urteil vom 27. August 2008 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Richtigstellungen, die die Beklagte für die streitigen Quartale vorgenommen habe, seien rechtmäßig. In der Rechtsprechung sei geklärt, dass Ärzte für fachfremde Leistungen grundsätzlich keinen Vergütungsanspruch hätten (Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 2. April 2003, B 6 KA 30/02 R). Gemessen an der Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Berlin für das Fachgebiet der Gynäkologie seien von Frauenärzten bei Männern erbrachte Leistungen in der Regel fachfremd. Die Behandlungsbefugnis von Frauenärzten sei auf Frauen beschränkt, was sich auch auf endokrinologische Behandlungen erstrecke. Fachfremd seien daher die von der Klägerin in einer Vielzahl von Fällen bei Männern vorgenommenen Schilddrüsenhormonbestimmungen, Untersuchungen auf Chlamydien, Bakterien, Pilze. Antikörper bzw. die Untersuchung endokrinologischer Parameter der Hodenfunktion. Selbst wenn diese Leistungen beim Mann in Zusammenhang mit reproduktionsmedizinischen Maßnahmen erforderlich seien, dürften sie von Frauenärzten nicht erbracht werden. Nichts anderes ergebe sich daraus, dass die Ärzte der Klägerin über die Weiterbildung in der gynäkologischen Endokrinologie und Reproduktionsmedizin verfügt hätten. Dieser Bereich umfasse nämlich gemäß Abschnitt I 9. B 1 der Weiterbildungsordnung ausschließlich Diagnostik, Differentialdiagnostik und Therapie gynäkologisch-endokrinologischer Erkrankungen einschließlich der Sterilität der Frau. Zwar umfasse das Fachgebiet auch Spermauntersuchungen; darüber hinaus sei die Fachgebietsgrenze aber nicht auf Leistungen bei Männern erweitert. Die Behandlung oder auch nur die Erhebung einer Diagnose von männlichen Fertilitätsstörungen, insbesondere die Erhebung von Laborwerten, gehöre nicht zum Fachgebiet reproduktionsmedizinisch tätiger Frauenärzte (Hinweis auf Bayerisches LSG, Urteil vom 21. Januar 2004, L 12 KA 115/01). Keinesfalls handele es sich bei den streitigen Abrechnungen um Annexleistungen in Zusammenhang mit künstlicher Befruchtung, denn in der Praxis der Klägerin sei eine solche nicht vorgenommen worden. Anhand der auf den Behandlungsscheinen genannten Diagnosen (überwiegend Sterilität beim Mann, Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen, testikuläre Dysfunktion) könne auch nicht auf einen unmittelbaren Zusammenhang zu Maßnahmen der künstlichen Befruchtung geschlossen werden, zumal es sich in Einzelfällen um vor 1945 geborene Männer gehandelt habe. Die mit 400 Punkten bewertete Ziffer 1184 EBM-Ä aus dem Kapitel J (Gynäkologie und Geburtshilfe), nach deren Leistungslegende die Untersuchung des Spermas gegebenenfalls einschließlich Aufbereitung und Kapazitation in Zusammenhang mit Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung erfolge, sei von der Klägerin in den abgesetzten Fällen gerade nicht abgerechnet worden. Schutzwürdiges Vertrauen schließlich genieße die Klägerin nicht. Angesichts der Veröffentlichung des Vorstandsbeschlusses vom 26. Februar 1997 im KV-Blatt 7/97 habe kein Zweifel daran bestehen können, dass die Mitbehandlung von Männern in Frauenarztpraxen nur in stark eingeschränktem Umfang vergütungsfähig sei.
Gegen das am 12. September 2008 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 13. Oktober 2008 (Montag). Ergänzend hat sie vorgetragen: Die erbrachten, zur Absetzung gelangten Leistungen seien abrechnungsfähig. Jedenfalls seien die streitigen Leistungen, zum Beispiel die Untersuchungen zur Zeugungsfähigkeit des Mannes, Annex zu den vergütungsfähigen Leistungen der Reproduktionsmedizin. Ein starres Festhalten an der von der Beklagten praktizierten Zwei-Prozent-Regelung sei nicht interessengerecht.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. August 2008 sowie die Bescheide der Beklagten vom 19. Mai 2003, 17. Juli 2003 und 16. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die in den Quartalen I/03 bis III/03 abgesetzten Leistungen, mit Ausnahme der anerkannten Leistungen nach Ziffer 3950, zu vergüten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Den von der Klägerin je Behandlungsfall angegebenen Diagnosen sei zu entnehmen, dass nicht nur reproduktionsmedizinische Behandlungen vorgenommen worden seien. Auch das Alter der behandelten Männer sei teilweise für eine Kinderwunschbehandlung eher untypisch gewesen. Die für reproduktionsmedizinische Behandlungen erteilte Abrechnungsgenehmigung gelte ausschließlich innerhalb der Grenzen des Fachgebiets. Auch könne nicht die Rede davon sein, dass die streitigen Behandlungsfälle „Adnexbehandlungen“ reproduktionsmedizinischer Fälle gewesen seien. Die Klägerin beanspruche für sich ein zu weit gehendes Recht auf Durchführung von Männerbehandlungen.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.
Die Berufung ist zulässig, hat aber keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die von der Beklagten vorgenommene sachlich-rechnerische Richtigstellung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Werden von einem Vertragsarzt fachfremde Leistungen zur Abrechnung gebracht, sind sie von der Kassenärztlichen Vereinigung gemäß § 75 Abs.1 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) in Verbindung mit § 45 Abs. 2 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 34 Abs. 4 Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen (EKV-Ä) im Wege der sachlich-rechnerischen Richtigstellung von der Vergütung auszunehmen. Die durch die Beklagte von der Vergütung der Klägerin in den Quartalen I/03 bis III/03 abgesetzten Honorare betrafen Leistungen bei Männern, die für die Klägerin fachfremd waren.
Wegen der Begründung im Einzelnen nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die zutreffenden Ausführungen auf Seite 5 bis 7 des erstinstanzlichen Urteils (§ 153 Abs. 2 SGG). Zu Recht hat sich das Sozialgericht darin die Entscheidungsgründe des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Januar 2004 (L 12 KA 115/01, bestätigt durch Beschluss des BSG vom 8. September 2004, B 6 KA 39/04 B) zu eigen gemacht, denn der dort zugrunde liegende Sachverhalt ist im Wesentlichen mit dem vorliegenden identisch.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 2 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.