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Durchsetzung von Bußgeldern während des laufenden Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Betroffenen


Metadaten

Gericht LG Potsdam 4. Strafkammer Entscheidungsdatum 12.01.2016
Aktenzeichen 24 Qs 52/15 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 96 Abs 1 Nr 2 OWiG, § 96 Abs 2 OWiG, § 39 Abs 1 Nr 3 InsO

Leitsatz

1. Aus einer Zahlungsunfähigkeit nach der Insolvenzordnung ist nicht zu schließen, dass ein Insolvenzschuldner eine Geldbuße im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht zu leisten vermag. Begriff der Zahlungsunfähigkeit im Ordnungswidrigkeitenrecht ist deutlich enger auszulegen als im Insolvenzrecht.

2. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Betroffenen steht für sich allein der Anordnung der Erzwingungshaft gemäß § 96 OWiG nicht entgegen.

3. Der in der Insolvenz stehende Betroffene hat im Ordnungswidrigkeitsverfahren seine Zahlungsunfähigkeit im Sinne von § 96 Abs. 1 Nr. 2 OWiG darzutun.

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den die Erzwingungshaft anordnenden Beschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 16. Juni 2015 wird als unbegründet verworfen.

Der Betroffene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

Die Oberbürgermeisterin der Stadt Br hat gegen den Betroffenen durch Bescheid vom 22. Februar 2013 eine Geldbuße von 75,00 € verhängt, weil er seit dem 1. Juli 2012 mit der Entrichtung von sechs Monatsraten zur privaten Pflegeversicherung in Verzug geraten sei. Der Bescheid ist seit dem 13. März 2013 rechtskräftig.

Am 13. Februar 2014 eröffnete das Amtsgericht P wegen Zahlungsunfähigkeit des Betroffenen das Insolvenzverfahren über sein Vermögen (Az.: 35 IN 29/14).

Weil im Weiteren Zahlungsaufforderungen der Oberbürgermeisterin der Stadt Br nicht dazu führen, dass der Betroffene das gegen ihn verhängte Bußgeld bezahlte, hat das Amtsgericht Brandenburg an der Havel schließlich auf Antrag der Bußgeldstelle durch Beschluss vom 16. Juni 2015 Erzwingungshaft von zwei Tagen ( 23a OWi 270/15) angeordnet.

Gegen diesen, dem Betroffenen am 18. Juni 2015 zugestellten Beschluss hat dieser durch Schreiben seines Verteidigers vom 22. Juni 2015, eingegangen per Telefax am selben Tage, sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung lässt er vortragen, dass aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen ein Vollstreckungshindernis bestehe, das dazu führe, dass die Anordnung der Erzwingungshaft zu Unrecht erfolgt sei. Denn während der derzeit laufenden Wohlverhaltensphase in Insolvenzverfahren sei er aufgrund der laufenden Abtretungserklärungen verpflichtet, jegliches pfändbares Einkommen an den Insolvenzverwalter abzuführen. Dieser Verpflichtung komme er auch nach. Aus diesem Grund lägen Umstände vor, die seine Zahlungsunfähigkeit bezogen auf die noch offene Geldbuße begründen würden. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die erfolgte Anordnung der Erzwingungshaft lägen somit nicht vor.

Vor der Kammer ist ein weiteres Beschwerdeverfahren des Betroffenen unter dem Az.: 24 Qs 53/15 anhängig, in dem sich er ebenfalls gegen die Anordnung der Erzwingungshaft wegen eines ähnlich gelagerten Bußgeldbescheides wendet.

II.

Die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den die Erzwingungshaft anordnenden Beschluss ist nach §§ 104 Abs. 3 Nr. 1, 46 Abs. 2 OWiG in Verbindung mit § 311 StPO zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden.

Die sofortige Beschwerde ist indessen nicht begründet. Die getroffene Anordnung der Erzwingungshaft durch das Amtsgericht ist rechtlich nicht zu beanstanden, weil die hierfür in § 96 Abs. 2 OWiG bestimmten Voraussetzungen gegeben sind. Der Betroffene hat nämlich die gegen ihn verhängte Geldbuße nicht gezahlt und auch nicht näher dargetan, dass er zu ihrer Zahlung außer Stande sei. Entgegen der von ihm vertretenen Rechtsauffassung führt auch die Durchführung des Insolvenzverfahrens hinsichtlich seines Vermögens nach der Insolvenzordnung nicht dazu, dass er seine Zahlungsunfähigkeit nicht nach § 96 Abs. 1 Nr. 2 OWiG darzutun bräuchte.

Insoweit ist dem Betroffenen jedoch zuzugeben, dass im juristischen Schrifttum teilweise die Auffassung vertreten wird, dass die Anordnung der Erzwingungshaft in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren nach § 96 Abs. 1 OWiG während eines laufenden Insolvenzverfahrens des Betroffenen unzulässig sei (so LG Bochum, Beschluss vom 04.12.2012, zitiert nach Beck RS 2013, 17768; LG Hechingen NZI 2009, 187). Dabei stützt sich diese Auffassung darauf, dass nach § 89 Abs. 1, § 294 Abs. 1 InsO Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zugunsten einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens unzulässig sind. Da nach § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO Geldbußen – wie auch Geldstrafen – gegenüber anderen Forderungen der Insolvenzgläubiger nachrangig sind, würde nach dieser Betrachtungsweise eine vom Gesetzgeber nicht gewünschte Privilegierung der Landeskasse als Insolvenzgläubigerin erfolgen, wenn eine nach der Insolvenzordnung nachrangige Geldbuße im Ordnungswidrigkeitenverfahren mittels der Anordnung der Erzwingungshaft zwangsweise durchsetzt werden könnte (so LG Bochum, a.a.O.).

Die Kammer vermag sich dieser Sichtweise nicht anzuschließen. Sie folgt vielmehr der überwiegenden Meinung im juristischen Schrifttum, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Betroffenen für sich allein der Anordnung der Erzwingungshaft gemäß § 96 OWiG nicht entgegensteht (so schon LG Potsdam – 1. Strafkammer – NStZ 2007, 293; LG Berlin, NJW 2007, 1541; LG Deggendorf, NStZ-RR 2013, 24; Göhler-Seitz, OWiG, 16. Aufl., 2012, § 96 Rdnr. 13 m.w.N.). Die oben darlegten Argumente der Gegenansicht überzeugen nämlich nicht.

Denn auch während eines laufenden Insolvenzverfahrens – oder eines sich anschließenden Restschuldbefreiungsverfahrens – können einem Betroffenen auf der Grundlage der Vorschriften der Insolvenzordnung (InsO) durchaus ausreichende Vermögensmittel zur Verfügung stehen, die die Zahlung einer Geldbuße erlauben.

Insoweit ist nämlich in den Vorschriften zur Pfändungs- und Haftungsgrenze der §§ 850 bis 852 ZPO, §§ 36, 287 Abs. 2 InsO bestimmt, dass einem Betroffenen während des laufenden Insolvenzverfahrens Vermögensmittel deutlich oberhalb des Existenzminimummes verbleiben müssen. So bestimmt etwa die Vorschrift des § 850c ZPO, dass ein Arbeitseinkommen erst dann unpfändbar ist, wenn es mehr als 930,00 € im Monat beträgt. Für verheiratete Arbeitnehmer, der einem Ehegatten Unterhalt schuldet, erhöht sich dieser Betrag gar auf 2.060,00 € im Monat. Schon angesichts dieser Gesetzeslage ist es nicht einsichtig, weshalb die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens einen Betroffenen von seiner nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz bestehenden Verpflichtung entbinden sollte, seine Zahlungsunfähigkeit darzutun, die in § 96 Abs. 1 Nr. 2 OWiG vorgesehen ist.

Dies gilt umso mehr, als der Betroffene vorliegend durch seinen Verteidiger vortragen lässt, dass er während der insolvenzrechtlichen Wohlverhaltensphase sein pfändbares Einkommen an den Insolvenzverwalter abführe, woraus sich ergibt, dass er über ein monatliches Einkommen verfügen muss, das oberhalb der Pfändungsfreigrenzen liegt.

Entgegen der Rechtsansicht des Betroffenen folgt aus den Vorschriften der Insolvenzordnung nach Auffassung der Kammer auch nicht, dass nach dem Willen des Gesetzgebers während eines laufenden Insolvenzverfahrens die Beitreibung von Geldbußen im Ordnungswidrigkeitenverfahren durch die Anordnung von Erzwingungshaft nicht erfolgen dürfte. Dies wird schon daran deutlich, dass bezogen auf die nachrangigen Verbindlichkeiten in § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht zwischen Geldstrafen im Strafverfahren und Geldbußen im Ordnungswidrigkeitenverfahren unterschieden wird, sondern sie vielmehr beide als nachrangig gegenüber den Forderungen der übrigen Gläubiger betrachtet werden.

Wegen des staatliche Strafanspruchs gegenüber einem Straftäter, der eine Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips darstellt, sowie des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gleichheit vor dem Gesetz kann die einfachgesetzliche Regelung des § 39 InsO durch den Gesetzgeber nicht im Sinne der Gegenauffassung dahin verstanden werden, dass der Staat auf die Beitreibung von Geldstrafen im Strafverfahren (oder von Geldbußen) solange verzichten will, wie der verurteilte Straftäter sich in einer privaten Insolvenz befindet. Für einen derartigen Willen des Gesetzgebers fehlt es an jeglichem Anhaltspunkt. Es wäre auch nicht verständlich, weshalb insolvente Straftäter gegenüber wirtschaftlich erfolgreicheren Tätern begünstigt werden sollten. Aus § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO ergibt sich auch kein allgemeiner Vorrang des Insolvenzrechtes gegenüber dem Strafvollstreckungsrecht. Die Regelung des § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO verfolgt vielmehr einen anderen Zweck, nämlich den des Gläubigerschutzes im Insolvenzverfahren. Sie beruht nämlich auf der Vorstellung, dass eine verhängte Geldstrafe oder Geldbuße gegenüber den Betroffenen dann ihren Sanktionscharakter verlieren würde, wenn sie nicht den zu seiner Zahlung verurteilten Angeklagten/Betroffenen belasten würde, sondern aufgrund des durchgeführten Insolvenzverfahrens den Insolvenzgläubiger, dessen Quote durch die für nachrangig erklärten Geldstrafen und Geldbußen möglichst nicht vermindert werden soll (wie hier auch LG Deggendorf, a.a.O.). Demgemäß gilt die Vorschrift des § 39 InsO allein dem Schutz der Insolvenzgläubiger, nicht aber demjenigen des Insolvenzschuldners bzw. eines Verurteilten oder Betroffenen.

Aus diesem Grunde hat ein Betroffener seine eigene Zahlungsunfähigkeit gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 4 OWiG auch während eines laufenden Insolvenz- oder Restschuldbefreiungsverfahrens substantiiert vorzutragen und nötigenfalls nachzuweisen (so auch LG Potsdam, 1. Strafkammer, a.a.O.), was vorliegend nicht gesehen ist.

Auch die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Erzwingungshaft sind vorliegend erfüllt. Insbesondere sind im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 4 OWiG keine Umstände bekannt, welche die Zahlungsunfähigkeit des Betroffenen ergeben.

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen nach der InsO stellt keinen Umstand dar, der seine Zahlungsunfähigkeit ergibt. Denn der Begriff der Zahlungsunfähigkeit im OWiG stimmt nicht mit demjenigen der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 1 InsO überein. Nach § 17 InsO ist jemand zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, fällige Zahlungsverpflichtungen mit Hilfe der vorhandenen Zahlungsmittel zu erfüllen. Ausgehend von dieser gesetzlichen Definition kann Zahlungsunfähigkeit bei hohen Zahlungsverpflichtungen auch dann eintreten, wenn ein Schuldner selbst über beträchtliche finanzielle Mittel verfügt. Wie bereits oben dargelegt worden ist, lassen die Pfändungsfreigrenzen bereits deutlich werden, dass auch einem Insolvenzschuldner finanzielle Mittel während des laufenden Insolvenzverfahrens verbleiben sollen, die deutlich oberhalb des staatlich garantierten Existenzminimums liegen. Dies macht deutlich, dass aus einer Zahlungsunfähigkeit nach der Insolvenzordnung nicht zu schließen ist, dass ein Insolvenzschuldner eine Geldbuße im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht zu leisten vermag. Demgemäß ist der Begriff der Zahlungsunfähigkeit im Ordnungswidrigkeitenrecht deutlich enger als im Insolvenzrecht auszulegen. Im Ordnungswidrigkeitenrecht ist eine Zahlungsunfähigkeit, wie sie § 96 Abs. 1 Nr. 4 OWiG vorsieht, dann gegeben, wenn einem Betroffenen selbst bei Ausschöpfung aller ihm zur Verfügung stehenden Geldquellen, der Einschränkung seiner Lebenshaltungskosten und unter Anspannung sämtlicher finanzieller Erwerbsmöglichkeiten nicht in der Lage ist, eine Geldbuße zu zahlen (wie Göhler, a.a.O., § 96 Rdnr. 13; KK-OWiG-Mitsch, 4. Aufl. 2014; § 96 Rdnr. 12). Hierfür ist vorliegend nichts bekannt. Vielmehr hat der Betroffene im Gegenteil selbst vorgetragen, dass er über ein Einkommen oberhalb der Pfändungsgrenze verfüge und diesen Anteil pflichtgemäß während des Insolvenzverfahrens an den Insolvenzverwalter abführe.

Auch hat das Amtsgericht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Anordnung der Erzwingungshaft beachtet. Mildere Mittel, wie etwa die Beitreibung der Geldbuße, standen vorliegend nicht zur Verfügung. Aufgrund der Durchführung des Insolvenzverfahrens stand die Möglichkeit des Vollstreckungsversuches gemäß § 90 OWiG der Bußgeldstelle als milderes Mittel vorliegend nicht zur Verfügung, weil darin in der Tat eine nach §§ 89 Abs. 1, 294 Abs. 1 InsO unzulässige Einzelzwangsvollstreckung zu sehen wäre (so auch LG Deggendorf, a.a.O.). Deshalb stellt die Anordnung der Erzwingungshaft bei einer Insolvenz eines Bußgeldschuldners das einzige geeignete Mittel dar, diesen zur Zahlung der Geldbuße zu veranlassen.

Schließlich begegnet die Anordnung einer Erzwingungshaft von zwei Tagen zur Durchsetzung der verhängten Geldbuße von 75,00 € im Ergebnis keine Bedenken. Die Dauer der Erzwingungshaft hat das Amtsgericht angemessen bestimmt. Zu den Kriterien, die für die Bemessung der Dauer der Erzwingungshaft eine Rolle spielen, gehört nämlich nach § 96 Abs. 3 Satz 2 OWiG auch die Höhe der Geldbuße.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 OWiG.

Hinweis:

Dieser Beschluss ist mit dem Rechtsmittel der weiteren Beschwerde nicht anfechtbar.