Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 07.07.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 2 S 63.11, OVG 2 M 38.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 80 Abs 5 VwGO, § 146 Abs 4 S 6 VwGO, § 166 VwGO, § 114 ZPO, § 16 AufenthG, § 17 AufenthG, § 31 AufenthG |
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. Mai 2011 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 23. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Mai 2011 wird angeordnet.
Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für das Verfahren des ersten Rechtszuges gewährt und Rechtsanwalt Höhne beigeordnet.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsgegner.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2 500 EUR festgesetzt.
Die Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.
Der angefochtene Beschluss, mit dem das Verwaltungsgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 23. März 2011 abgelehnt hat, kann aus einem von der Antragstellerin dargelegten - und damit der Prüfung durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO unterliegenden - Grund keinen Bestand haben. Bei der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Abwägung der widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen überwiegt auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer – nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts und dem Erlass des Widerspruchsbescheids vom 25. Mai 2011 nach ihren Angaben inzwischen eingelegten - Klage das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung der sich aus der Ablehnung der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 50 Abs. 1 AufenthG ergebenden Ausreiseverpflichtung.
Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts erscheint es nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage derzeit als offen, ob die Antragstellerin einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis als eigenständiges, eheunabhängiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG hat. Soweit das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang unter Bezugnahme auf den Beschluss des 11. Senats des OVG Berlin-Brandenburg vom 7. Dezember 2010 - OVG 11 N 54.09 - ausgeführt hat, es sei nicht gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich, von der - hier unstreitig nicht erfüllten - Voraussetzung des zweijährigen bzw. nach der seit dem 1. Juli 2011 geltenden Neufassung des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (BGBl. I S. 1266) nunmehr sogar dreijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebengemeinschaft im Bundesgebiet abzusehen, da nicht nur die Antragstellerin, sondern auch ihr Ehemann die eheliche Lebensgemeinschaft nicht fortsetzen wolle, vermag sich der beschließende Senat dieser Ansicht nicht anzuschließen.
Zwar trifft es zu, dass mit der Regelung des § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Satz 2, 2. Alternative, wonach eine besondere Härte insbesondere vorliegt, wenn dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist, ausweislich der Gesetzesmaterialien vermieden werden soll, dass durch die in § 31 Abs. 1 AufenthG geforderte Ehebestandszeit der ausländische Ehegatte eines Deutschen gezwungen ist, sich für die Fortsetzung einer nicht tragbaren, womöglich mit der Duldung von Gewalt verbundenen Lebensgemeinschaft zu entscheiden, weil anderenfalls der Aufenthaltsstatus bedroht wäre (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses vom 14. März 2000, BT-Drs. 14/2902, Seite 5 f.). Der sich hieran anschließenden Überlegung des Verwaltungsgerichts, eine solche Zwangslage bestünde nicht, wenn der deutsche Ehegatte des Ausländers die Trennung herbeiführe, mit der Folge, dass es in einem solchen Fall bei dem vom Gesetz als hinnehmbar eingestuften Verlust des Aufenthaltsrechts bleibe, sofern die Ehebestandszeit von 2 Jahren nicht erreicht sei, kann in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden, da dieser Ansatz - worauf die Beschwerde zutreffend hinweist - dem Schutzzweck des § 31 Abs. 2 AufenthG nicht hinreichend Rechnung trägt. Denn aus der Tatsache, dass die eheliche Lebensgemeinschaft - wie hier - nicht (nur) durch den nachgezogenen Ehegatten aufgelöst worden ist, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass das weitere Festhalten an der Ehe zumutbar war. Vom Schutzgedanken des § 31 AufenthG ausgehend muss eine Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft auch dann ausreichen, wenn sie durch den Ehepartner des nachgezogenen Ausländers erfolgt ist, wenn objektiv das Festhalten an der Ehe als unzumutbar anzusehen ist (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Oktober 2010, § 31 AufenthG Rn. 28). Anderenfalls hinge der Schutz des eigenständigen Aufenthaltsrechts bei einem regelmäßig länger dauernden Trennungsprozess vom Zufall ab (vgl. Marx, in: GK-AufenthG, Stand: April 2011, § 31 Rn. 184). Zudem hätte der Ehepartner mit der möglichen Drohung, das eigenständige Aufenthaltsrecht des nachgezogenen Ausländers zu vereiteln, indem er die Trennung ebenfalls betreibt, ein weiteres Druckmittel gegen den Ausländer in der Hand, was dem Schutzzweck des § 31 Abs. 2 AufenthG widerspräche. Gegen den Ansatz des Verwaltungsgericht spricht nunmehr auch die durch das am 1. Juli 2011 in Kraft getretene Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften vom 23. Juni 2003 (BGBl. I S. 1266) erfolgte Änderung des § 31 Abs. 2 AufenthG, wonach in Satz 2 der Teilsatz nach dem Semikolon wie folgt gefasst wird: „dies ist insbesondere anzunehmen, wenn der Ehegatte Opfer häuslicher Gewalt ist“. Auch hieraus dürfte sich ergeben, dass es unabhängig davon, wer die Trennung herbeiführt, allein darauf ankommt, ob objektiv das Festhalten an der Ehe als unzumutbar anzusehen ist.
Durfte die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis als eigenständiges, eheunabhängiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG mithin nicht bereits deshalb versagt werden, weil nicht nur die Antragstellerin, sondern auch ihr Ehemann die eheliche Lebensgemeinschaft nicht fortsetzen will, hätte es der Ausländerbehörde oblegen, im Einzelnen zu prüfen, ob die geltend gemachten Voraussetzungen einer besonderen Härte im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. vorliegen, weil der Antragstellerin wegen der Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist. Dies ist indes mit Blick auf den unzutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt des Antragsgegners und des Verwaltungsgerichts bisher nicht ausreichend erfolgt und bedarf angesichts der den vorliegenden Verwaltungsvorgängen zu entnehmenden widerstreitenden Darstellungen der Antragstellerin und ihres Ehemannes zu den Gründen für die Trennung und zu den von der Antragstellerin geltend gemachten Misshandlungen der weiteren Aufklärung im Hauptsacheverfahren, dessen Ausgang bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht prognostiziert werden kann.
Sind mithin entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens offen, bedarf es im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO einer Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses mit den entgegenstehenden privaten Interessen der Antragstellerin. Die hierbei erforderliche Folgenabwägung geht zu Gunsten der Antragstellerin aus; denn ihr Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet bis zur Klärung der Frage, ob ihr ein Anspruch auf Erteilung einer eheunabhängigen Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG zusteht, weil ihr wegen der Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist, wiegt schwerer als das öffentliche Interesse an einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe ist ebenfalls begründet. Die Antragstellerin hat nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 und § 121 ZPO einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Verfahren des ersten Rechtszuges. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hatte zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs aus den dargelegten Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg und war deshalb auch nicht mutwillig. Die Antragstellerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen auch nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.
Einer Entscheidung über den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bedarf es wegen der Kostentragungspflicht des Antragsgegners nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).