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Entscheidung 20 Vollz 2/12


Metadaten

Gericht LG Potsdam 20. Zivilkammer Entscheidungsdatum 04.01.2013
Aktenzeichen 20 Vollz 2/12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Es wird festgestellt, dass die von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 8. Dezember 2011 angekündigte zwangsweise Behandlung der Antragstellerin mit Neuroleptika unzulässig ist.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Antragstellerin trägt die Staatskasse.

Der Streitwert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Mit Urteil vom 15. Februar 2011 (Az.: 16 Kls 24/10) hat das Landgericht Neuruppin die Unterbringung der Antragstellerin in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Strafvollstreckungskammer hat am 14. August 2012 zuletzt die Fortdauer der Maßregel beschlossen. Die unter anderem für den Kreis der Gesundheitsfürsorge unter gesetzlicher Betreuung stehende Antragstellerin, die unter einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis, einer paranoiden Schizophrenie (ICD 10 F 20.0), leidet, hat in der Vergangenheit eine Behandlung mit Neuroleptika zeitweise und in der ihr angetragenen Dosis abgelehnt.

Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 8. Dezember 2011 gegenüber dem gesetzlichen Betreuer der Antragstellerin für den Fall der weiteren Ablehnung der oralen Aufnahme von Neuroleptika angekündigt, die Antragstellerin mittels einer Depot-Neuroleptika-Medikation (Vergabe von Olanzapin, Flupentixol und Paliperidon) zwangsbehandeln zu wollen.

Der Betreuer der Antragstellerin bestätigte mit Schreiben vom 4. Januar 2011 die Aufklärung über die damit verbundenen Risiken und Nebenwirkungen und beauftragte den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin mit Schreiben vom 23. Januar 2012 damit, gegen die angekündigte Zwangsbehandlung Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu stellen.

Seit Februar 2012 nimmt die Untergebrachte freiwillig eine geringe Menge Risperidon - derzeit 4 mg/täglich - ein, darunter ist eine positive Änderung ihres Kontaktverhaltens zu verzeichnen.

Unter dem 4. Oktober 2011 erklärte der Betreuer der Antragstellerin seine Zustimmung zu einer Zwangsbehandlung gemäß § 40 Abs. 2 BbgPsychKG.

Am 31. Januar 2012 hat die Antragstellerin bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Sie meint im Wesentlichen, die angekündigte Zwangsbehandlung sei in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage, die den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 15. April 2011 (Az.: 2 BvR 882/09) in materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Sicht an eine Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug aufgestellt habe, genüge, rechtswidrig; die Antragsgegnerin könne sich insbesondere nicht mit Erfolg auf § 40 Abs. 2 und 3 BbgPsychKG als Eingriffsgrundlage berufen, da diese Bestimmungen nach Maßgabe der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts keine hinreichende Grundlage für einen derart schwerwiegenden Grundrechtseingriff böten und nichtig seien. Die Antragstellerin beanstandet daneben, dass nicht hinreichend festgestellt sei, ob sie tatsächlich dauerhaft einsichts- und einwilligungsunfähig sei; eine Prüfung durch einen externen Sachverständigen sei nicht erfolgt. Es sei auch nicht aufgezeigt, dass die Vorteile einer Zwangsbehandlung in einem angemessenen Verhältnis zu den ihr innewohnenden Risiken und Nebenwirkungen stünden.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegen getreten. Sie meint, dass aufgrund der bei der Antragstellerin diagnostizierten paranoiden Schizophrenie eine Krankheitseinsicht und eine Einsicht in die Notwendigkeit einer medikamentösen Behandlung krankheitsbedingt während der zweijährigen Unterbringung nicht habe erarbeitet werden können, da die Untergebrachte unter der nicht ausreichend dosierten neuroleptischen Medikation nicht vollständig remittiert sei und so die Behandlungsnotwendigkeit im Rahmen ihres psychotischen Erlebens weiterhin verkenne. Stattdessen habe sie die notwendige begleitende medikamentöse Behandlung in wahnhafter Verkennung für sich selbst als unverständlich und feindlich-bedrohlich erlebt und in ihr systematisiertes Wahnsystem eingebaut. Aufgrund ihres ausgeprägten Bedrohungs- und Verfolgungserlebens und hypochondrischer Wahngedanken habe sie existentielle Ängste, vergiftet oder getötet zu werden. Erst bei einer ausreichenden und langfristigen Dosierung mit Neuroleptika über eine Stabilisierungsphase von 3 bis 6 Monaten sei eine Rückbildung der psychosomatischen Symptomatik zu erwarten. Eine Verzögerung der medikamentösen Behandlung stelle eine Gefahr für die Gesundheit der Antragstellerin dar, weil sich die bestehende eingeschliffene Wahnsymptomatik nicht zurückbilde und sie daran hindere, gebotene ärztliche Maßnahmen (zahnärztliche Behandlung, Blutentnahmen und EKG-Ableitungen) wahrzunehmen.

Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 31. Januar 2012 ist gemäß § 109 StVollzG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er hat auch in der Sache Erfolg.

Allerdings geht auch die Kammer davon aus, dass die Betroffene zur Einsicht in die Schwere ihrer schizophrenen Erkrankung und die Notwendigkeit der medikamentösen Behandlung gemäß solcher Einsicht krankheitsbedingt nicht fähig ist. Die Untergebrachte hat nach Lage der Akten bislang eine Behandlung mit einem neuroleptischen Medikament in der medizinisch gebotenen Dosis verweigert. Eine signifikante Besserung der Erkrankung ist ohne eine ausreichende Medikation nicht zu erwarten.

Die angekündigte Zwangsbehandlung mit Neuroleptika ist dennoch unzulässig, weil es an der dazu erforderlichen gesetzlichen Grundlage fehlt. Eine Behandlung auf betreuungsrechtlicher Grundlage aufgrund stellvertretender Einwilligung des Betreuers scheidet aus, nachdem der Bundesgerichtshof in Ansehung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2011 (Az.: 2 BvR 882/09) und vom 15. April 2011 (Az.: 2 BvR 882/09) zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug (FamRZ 2011, 1128 und FamRZ 2011, 1927) seine bisherige Rechtsprechung, derzufolge die Befugnis des Betreuers zur Einwilligung in ärztliche Maßnahmen gegen den Willen des Betroffenen im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung zur Heilbehandlung - § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB - auch die Befugnis umfasste, erforderlichenfalls einen der ärztlichen Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betroffenen zu überwinden, ausdrücklich aufgegeben hat (BGH, NJW 2012, 215, 216).

Die Antragsgegnerin kann sich zur Rechtfertigung der medizinisch indizierten Medikation auch nicht mit Erfolg auf § 40 Abs. 3 des BbgPsychKG berufen, weil diese Norm als Rechtsgrundlage für eine Zwangsmedikation zum Zwecke der Erreichung des Vollzugsziels keine geeignete Grundlage darstellt (vgl. auch BVerfG zur Verfassungswidrigkeit von § 6 Abs. 1 des Rheinland-Pfälzischen Landesgesetzes über den Vollzug freiheitsentziehender Maßregeln; Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 3. August 2011, Recht und Psychiatrie 2011, 230-246 zu § 8 des Niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetzes). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem grundrechtlich geschützten Freiheitsinteresse der Untergebrachten (Art. 2 Abs. 2 GG). Dieses kann zwar nach dem Bundesverfassungsgericht als ultima ratio eine Zwangsmedikation zur Erreichung des Vollzugsziels rechtfertigen; der schwerwiegende Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG, der in der medizinischen Behandlung eines im Maßregelvollzug Untergebrachten gegen dessen natürlichen Willen liegt, erfordert jedoch, dass die wesentlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit und Schranken des Eingriffs gesetzlich geregelt sind, woran es bei § 40 (Abs. 2 und 3) BbgPsychKG mangelt.

§ 40 Abs. 2 und 3 BbgPsychKG genügen insbesondere nicht den Anforderungen, die an die Klarheit und Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage für einen besonders schweren Grundrechtseingriff wie den einer Zwangsmedikation zu stellen sind. Weder für aktuell noch potentiell betroffene Untergebrachte und für die zur Normanwendung in erster Linie berufenen Entscheidungsträger der Unterbringungseinrichtungen, die einer klaren und Rechtssicherheit vermittelnden Eingriffsgrundlage auch im eigenen wohlverstandenen Interesse bedürfen, sind die wesentlichen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung zur Erreichung des Vollzugsziels aus dem Gesetz erkennbar. Den Mängeln der gesetzlichen Regelung kann auch nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung abgeholfen werden, so dass die verfassungsrechtlichen Defizite nur durch den Gesetzgeber behoben werden können. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass das bestehende gesetzgeberische Defizit bei Zwangsbefugnissen zur Durchsetzung notwendiger medizinischer Maßnahmen dazu führen kann, dass sich die medizinisch indizierte und der Erreichung des Vollzugszieles dienende Behandlung von Betroffenen ohne eine solche Behandlung verzögert und dies dem Vollzugsziel zuwiderläuft (vgl. auch zu Grenzen der Zwangsbehandlung sog. interkurrenter Erkrankungen im Maßregelvollzug Untergebrachter, Schleswig-Holsteinisches OLG, RuP 2012, 43-46).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 1 StVollzG; die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf §§ 65 Satz 1, 60, 52 Abs. 1 GKG.