Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 7. Senat | Entscheidungsdatum | 05.12.2013 | |
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Aktenzeichen | OVG 7 M 34.13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 37 Abs 1 AufenthG, § 37 Abs 2 Nr 1 AufenthG, § 166 VwGO |
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. Februar 2013 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die erstinstanzliche Versagung von Prozesskostenhilfe, über die der Berichterstatter anstelle des Senats allein zu entscheiden befugt war, da alle Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Vorgehensweise erklärt haben (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO), hat keinen Erfolg. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Klage gegen die Versagung eines Visums zur Wiederkehr gemäß § 37 AufenthG keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO biete, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Zwar erscheint die Annahme des Verwaltungsgerichts, das Vorliegen einer besonderen Härte im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 AufenthG könne vorliegend offen bleiben, da die Beklagte jedenfalls das ihr bei seiner Entscheidung zustehende Ermessen fehlerfrei betätigt habe, zumindest zweifelhaft. Denn der Beklagte hat in seinem Bescheid vom 19. Juni 2012 lediglich ausgeführt: „Nach der Auskunft der Ausländerbehörde liegen die Voraussetzungen zur Wiederkehr gemäß § 37 Aufenthaltsgesetz nicht vor. Der Antrag musste daher abgelehnt werden.“
Jedoch sind vorliegend im Falle der Klägerin hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung des § 37 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach von den in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 bezeichneten Voraussetzungen „zur Vermeidung einer besonderen Härte“ abgewichen werden kann, weder vorgetragen noch ersichtlich. Dabei ist im rechtlichen Ansatz davon auszugehen, dass maßstabsbildend für den gesetzlichen Typus des Wiederkehrers zwei Voraussetzungen sind: Zum einen eine während des Voraufenthalts in Deutschland durch einen mindestens achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und sechsjährigen Schulbesuch erreichte Aufenthaltsverfestigung (Nr. 1) und zum anderen eine durch Rückkehr als Jugendlicher oder Heranwachsender und Antragstellung auf Wiederkehr innerhalb von höchstens fünf Jahren sichergestellte (Re)Integration bzw. (Re)Integrationsfähigkeit (Nr. 3). Zwar können im Rahmen der Feststellung der erforderlichen „besonderen“ Härte, die über die allgemeine Härte hinausgehen muss, Defizite bei der Erfüllung dieser Voraussetzungen im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung aller hierfür erheblichen Umstände des Einzelfalles ausgeglichen werden, jedoch muss der Einzelfall vom gesetzlichen Regelungsziel her den ausdrücklich erfassten Fällen annähernd gleichen bzw. muss sich danach eine Gleichwertigkeit mit dem gesetzlichen Typus des Wiederkehrers ergeben (vgl. OVG Magdeburg, Beschluss vom 16. November 2006 - 2 M 296.06 -, juris Rz. 6 m.w.N.). Hiervon ausgehend ist vorliegend eine besondere Härte nicht erkennbar.
Zwar ist die Klägerin im Bundesgebiet geboren und erst im Alter von zwölf Jahren nach Abschluss der sechsten Schulklasse mit der Familie ihres Onkels, bei der sie nach der Trennung ihrer Eltern lebte, in die Türkei nach Istanbul übergesiedelt, so dass sie die Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG - allerdings nur hinsichtlich der Dauer ihres hiesigen Aufenthalts - „übererfüllt“. Jedoch hat die Klägerin den Antrag auf Visumserteilung zur Wiederkehr erst mehr als sechseinhalb Jahre nach Ausreise gestellt, d.h. zu einem Zeitpunkt, als der gesetzliche vorgesehene maximal fünfjährige Abwesenheitszeitraum zeitlich weit überschritten war. Von ihrer Reintegration bzw. Reintegrationsfähigkeit kann bei der gebotenen Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalles weder aufgrund des genannten früheren (längeren) Aufenthalts im Bundesgebiet noch aufgrund anderweitiger Umstände ausgegangen werden:
Zu Recht haben die Beklagte und die Beigeladene darauf hingewiesen, dass die Klägerin nach ihrer Übersiedelung in die Türkei, was unstreitig ist, weder nachhaltig eine Schule besucht noch eine Ausbildung absolviert hat. Das ergibt sich insbesondere auch aus einem Vermerk im Verwaltungsvorgang der Beklagten vom 16. Mai 2012 über ihre seinerzeitige Vorsprache und Befragung. Danach sei sie in der Türkei nur zwei Tage zur Schule gegangen und habe danach keine Schule mehr besucht und auch nicht gearbeitet. Sie habe im Haushalt ihres Onkels bei der Hausarbeit geholfen, sonst nichts gemacht und Freunde getroffen. In Deutschland wolle sie den Hauptschulabschluss nachholen, habe aber noch keine näheren Informationen, eventuell wolle sie eine Ausbildung als Zahnarzthelferin beginnen.
Soweit die Klägerin hinsichtlich des in der Türkei über Jahre unterbliebenen Schulbesuchs nunmehr geltend macht, sie habe sich dort als Außenseiterin gefühlt und sei durch Mitschüler und Lehrer „gemobbt“ worden, so dass sie sich - seinerzeit war sie erst zwölf Jahre alt! - gegen eine Fortsetzung des Schulbesuchs entschieden habe, weist die Beigeladene zu Recht darauf hin, dass dann ggf. der Wechsel auf eine andere Schule in Istanbul angezeigt gewesen wäre. Im Übrigen erscheint dieses (neue) Vorbringen der Klägerin gerade auch vor dem Hintergrund eines bloß zweitägigen Schulbesuchs unglaubhaft, zumal über Versuche einer Abhilfe oder Einschaltung entsprechender Stellen im Falle eines solchen Mobbings nichts berichtet wird und nach derart kurzer Zeit ein gänzlicher Verzicht auf einen künftigen Schulbesuch weder erklärbar noch zu rechtfertigen ist. Dieses Verhalten der Klägerin und ihre gänzliche Untätigkeit über einen Zeitraum von mehr als sechs Jahren - noch dazu in einer Metropole wie Istanbul - mit ihrer Prägung durch das bundesdeutsche Schulsystem zu erklären und als Beleg einer fortbestehenden hiesigen Integration zu werten, wie klägerischerseits nunmehr geltend gemacht wird, vermag, zumal diese auch in ihrer hiesigen Schule zuletzt nicht unerhebliche Probleme hatte, nicht einmal ansatzweise zu überzeugen.
Dass die Klägerin nunmehr behauptet, sie habe die Bundesrepublik mit der Familie ihres Onkels nicht freiwillig verlassen, sondern habe sich dessen Willen beugen müssen, ist hinsichtlich der Chancen ihrer hiesigen Integration bedeutungslos. Im Übrigen erscheint dies Vorbringen ebenfalls wenig überzeugend. Denn die Klägerin hat von einer erzwungenen Übersiedlung ausweislich des zitierten Vermerks über ihre Befragung weder am 16. Mai 2012 berichtet noch im Rahmen ihres bei Visumsantragstellung eingereichten Lebenslaufs vom 23. Februar 2012. Dort hat sie vielmehr ausgeführt, sie sei mit ihrem Onkel nach Istanbul gezogen, „da ich keine Geschwister habe und die Kinder meines Onkels als Geschwister angesehen habe“. Auch vom Willen und von Versuchen einer früheren Rückkehr nach Deutschland hat die Klägerin weder in diesem Lebenslauf noch bei ihrer Befragung am 16. Mai 2012 berichtet - und behauptet dies auch heute nicht -, obwohl sie bei Visumsantragstellung bereits seit ca. einem Jahr volljährig war und an ihrem Wohnort in Istanbul insoweit sicherlich weitergehende Möglichkeiten bestehen als in Dörfern etwa im anatolischen Teil der Türkei.
Schließlich hatte die Klägerin ausweislich des zitierten Vermerks über ihre Befragung am 16. Mai 2012 trotz des seinerzeit behaupteten täglichen telefonischen Kontakts zu ihrer in Deutschland lebenden und inzwischen eingebürgerten Mutter, die sie zweimal jährlich besuche, zwar erklärt, den Hauptschulabschluss nachholen zu wollen, nähere Informationen jedoch noch nicht eingeholt zu haben. Der weitere Hinweis, eventuell wolle sie eine Ausbildung als Zahnarzthelferin beginnen, wird durch die Erklärung im genannten Lebenslauf, d.h. nur kurze Zeit zuvor, relativiert, sich um eine Ausbildung als Steuerberaterin bewerben zu wollen. Auch das spricht eher weniger dafür, dass sie nunmehr die Phase der „ völligen Lethargie“, in der sie in der Türkei lebe (Schriftsatz vom 7. Januar 2013), überwunden hat und ihre hiesigen Integrationschancen, die von ihr im Wesentlichen mit dem - allerdings lange zurückliegenden - Aufenthalt im Bundesgebiet und ihren hiesigen Sprachkenntnissen begründet werden, nach einer derart langen Zeit der Untätigkeit und fehlender schulischer Bildung anders als schlecht zu bezeichnen.
Bei dieser Sachlage kann letztlich offen bleiben, ob der Lebensunterhalt der Klägerin, wie nach § 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erforderlich und worauf im Rahmen des hier maßgeblichen Absatz 2 Satz 1 auch nicht verzichtet werden kann, durch die angebotene Verpflichtungserklärung seitens einer Verwandten als hinreichend gesichert anzusehen ist, zumal deren Vermögensverhältnisse und Verpflichtungen - auch zum Unterhalt gegenüber Dritten - darzulegen, nachzuweisen und sodann noch zu prüfen wären.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr nicht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).