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Entscheidung 4 O 344/13


Metadaten

Gericht LG Cottbus 4. Zivilkammer Entscheidungsdatum 02.06.2015
Aktenzeichen 4 O 344/13 ECLI ECLI:DE:LGCOTTB:2015:0602.4O344.13.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 43.209,35 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.12.2013 zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin macht als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung Regressansprüche auf Schadenersatz aus den Rechtsgründen der unerlaubten Handlung gemäß §§ 823 ff. BGB i. V. m. 116 SGB X aus einem Verkehrsunfall vom 01.12.1995 geltend.

Die Beklagte ist als Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Fahrzeuges nach § 3 Nr. 1 Haftpflichtversicherungsgesetz eintrittspflichtig.

Die Klägerin hat als gesetzliche Unfallversicherung Leistungen für ihren gesetzlich Versicherten erbracht.

Am 01.12.1995 erlitt der Auszubildende ... auf dem Weg zu seiner Ausbildungsstelle auf der BAB .. .9, ..., einen schweren Verkehrsunfall.

Der Unfall wurde von dem Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen: ... verursacht.

Die Klägerin hat gegenüber dem Geschädigten ... Aufwendungen für die Heilbehandlung, Umschulungskosten, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht. Es werden hier insgesamt Kosten für die Internatsunterbringung vom 01.01.1999 bis 27.01.2000 in Höhe von 23.614,55 Euro geltend gemacht. Des Weiteren gewährte die Klägerin dem Geschädigten einen Zuschuss zur Teilhabe am Arbeitsleben in Höhe von 3.988,08 Euro.

Ferner macht die Klägerin Heilbehandlungskosten für den Zeitraum vom 01.01.1999 an geltend. Im Januar 2013 erhielt der Geschädigte ... ein künstliches Hüftgelenk mit anschließender Reha. Die Kosten für Heilbehandlung, Arzneien und Physiotherapie betrugen insgesamt 13.501,08 Euro.

Im August 2013 wurde der Geschädigte im städtischen Krankenhaus ... behandelt und ihm ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt. Es entstanden Behandlungskosten von 2.105,64 Euro.

Mit der Klage beansprucht die Klägerin damit für den Zeitraum vom 01.01.1999 bis 02.09.2013 die Erstattung aufgelaufener Kosten in Höhe von insgesamt 43.209,35 Euro.

Die Klägerin trägt vor, die Ansprüche seien nicht verjährt, § 8/2 des Rahmenteilungsabkommens zwischen dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. und dem Bundesverband der Unfallkassen e.V. vom 03.12.1984 in der Fassung des ersten Nachtrages vom 01.01.2000 mit Ergänzungsvereinbarungen/K1 bestimme einen Verzicht der gebundenen Haftpflichtversicherung auf die Einrede der Verjährung bis 30 Jahre nach dem Unfalltag.

Die Beklagte könne hier auch keine eigenen Ansprüche durch Aufrechnung entgegenhalten.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 43.209,35 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.12.2013 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, der geltend gemachte Anspruch sei durch Aufrechnung erloschen, da die Beklagte mit Gegenforderungen aufgerechnet habe und nach wie vor aufrechne.

Die Parteien verbinde ein anderer Vorgang, der bei der Beklagten unter der Schaden-Nr. ... und bei der Klägerin unter dem Geschäftszeichen: ... geführt werde.

Am 06.12.2000 sei es im Landkreis ... auf der B ... bei ... zu einem durch den Versicherungsnehmer der Beklagten ... verursachten Verkehrsunfall gekommen, bei dem dieser nach einer langgestreckten Linkskurve von der Fahrbahn abgekommen und mit einem Straßenbaum kollidiert sei.

Der Versicherungsnehmer sei verstorben an den Folgen des Unfalls, während die beifahrende seinerzeit 2-jährige Tochter ..., geb. am ..., schwer verletzt worden sei. Zum Unfallzeitpunkt habe zwischen dem getöteten Vater und der Verletzten eine häusliche Gemeinschaft i.S. einer Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bestanden.

Zwar sei laut Verkehrsunfallanzeige zum Vorgang der Getötete ... zur Unfallzeit in ..., und die verletzte Tochter ... in ..., polizeilich gemeldet gewesen. In Unkenntnis der häuslichen Gemeinschaft zwischen Schädiger und Geschädigter sowie in Unkenntnis, dass es sich bei dem Schädiger um den Vater der Verletzten handelte, habe die Beklagte in der Folgezeit erhebliche Leistungen an die Klägerin als gesetzlicher Unfallversicherungsträger der versicherten ... erbracht, die dieser gegenüber der Beklagten geltend gemacht hatte.

Insgesamt seien hier Zahlungen in Höhe von 55.943,42 Euro erfolgt.

Aus der zwischenzeitlich vorliegenden Stellungnahme der Kindesmutter ... vom 27.09.2005 ergebe sich, dass der Getötete nur deshalb in ... gemeldet gewesen sei, weil er das Grundstück aus einer Eigentümergemeinschaft heraus übertragen bekommen habe. Demgegenüber habe er die Nächte stets bei der Kindesmutter und Lebensgefährtin ... in ... verbracht und das gemeinsame Kind täglich zur Kindertagesstätte nach ..., so auch am Unfalltage. Ferner habe der Getötete sporadische Zahlungen zu den Unterhaltungskosten geleistet. Es sei vorliegend davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Haftungsausschlusses vorliegen. In einer am 22.05.2013 geführten Sammelbesprechung diverser Schadenfälle sei deshalb die Aufrechnung gegen die bereits außergerichtlich erhobene jetzige Klageforderung mit den o.g. Gegenansprüchen aus der Rückforderung erklärt worden. Die grundsätzliche Berechtigung des Rückforderungsanspruchs sei nicht in Abrede gestellt worden. Nunmehr fühle sich die Klägerin jedoch an diese Vereinbarung nicht mehr gebunden. Höchst vorsorglich werde nochmals die Aufrechnung gegen die Klageforderung erklärt. Die geltend gemachten Ansprüche seien dadurch erloschen.

Die Klägerin trägt hierzu vor, der Kindesvater sei seinen Unterhaltspflichten nicht nachgekommen. Der Kindesvater habe seinen Haushalt in ... gehabt. In diesem Haushalt sei das Kind zu keinem Zeitpunkt, auch nicht teilweise, integriert gewesen.

Die Parteien haben verschiedene Unterlagen zu den Akten gereicht. Auf diese und - wegen des Parteivorbringens im Übrigen - auf die gewechselten Schriftsätze wird verwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin ...

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21.04.2015 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung in Höhe von insgesamt 43.209,35 Euro nebst Zinsen gegen die Beklagte zu.

Die Höhe der geltend gemachten Regressansprüche auf Schadenersatz gemäß §§ 823 ff. BGB i. V. m. § 116 SGB X aus dem Verkehrsunfall vom 01.12.1995 des Geschädigten ... ist zwischen den Parteien unstreitig.

Die Aufrechnung der Beklagten mit Forderungen aus dem Verkehrsunfall vom 06.12.2000 bezüglich der Geschädigten ... hat indes keinen Erfolg

So hat die durchgeführte Beweisaufnahme ergeben, dass im vorliegenden Fall das Familienprivileg keine Anwendung finden kann und daher keine Forderung der Beklagten aufrechenbar der Klageforderung gegenübersteht.

So hat die Zeugin ... bei ihrer Vernehmung am 21.04.2015 bekundet, dass der verstorbene Kindesvater in ... gemeldet war. Er habe dieses Objekt auch nicht aufgeben wollen. Vielmehr sei ihm daran gelegen gewesen, das Objekt dort umzubauen. Er habe dort auch eigene Tiere zu versorgen gehabt.

Seine persönlichen Sachen, Bankangelegenheiten und Versicherungsunterlagen habe er in ... gehabt. Auch die Möbel seien in ... gewesen. Lediglich ein Teil der Kleidung sei auch in ihrer Wohnung gewesen. Er habe sich sonntags zwar mal Zeit für sie als Familie genommen, dies sei jedoch nicht regelmäßig gewesen. Er habe auch nicht viel mit seiner Tochter anfangen können. Wenn er seine Tochter mal mit nach ... genommen habe, habe sich seine Mutter um ... gekümmert.

Die Nächte habe er regelmäßig in ... verbracht. Seine Wohnung in ... sei noch nicht fertiggestellt gewesen. Ferner schilderte die Zeugin, dass ihr Partner täglich ... vom Kindergarten abgeholt und morgens in die Kita gebracht habe. Die Beziehung habe sich auch im Laufe der Zeit verändert.

Dem Kind zu Liebe habe sie die Beziehung aufrechterhalten wollen. Ein gemeinsames Konto hätten sie nicht gehabt. Sie habe für ihren Wohnsitz alles selbst bezahlt. Auch die Einkäufe usw. habe sie von ihrem Geld bezahlt. Die finanzielle Lage des Kindesvaters sei sehr angespannt gewesen. Unterhaltszahlungen seien deshalb nicht erfolgt. Nur sporadisch habe er 250,00 DM im Monat bezahlt. Es seien auch mal 500,00 DM gewesen oder auch ein höherer Betrag von 950,00 DM für zwei bis drei Monate. Auch an Geschenken für ihre Tochter habe er sich nicht beteiligt. Sie habe früher wieder arbeiten gehen müssen, um ihren eigenen Verbindlichkeiten nachkommen zu können. Es habe auch einen Vollstreckungstitel wegen Unterhaltsleistungen gegeben. Sie habe jedoch darauf verzichtet, in das Grundstück in ... zu vollstrecken, da dort auch die Mutter des Kindesvaters ein Wohnrecht gehabt habe. Sie habe ihn ja auch gern gehabt.

Die Zeugin machte einen glaubwürdigen Eindruck.

Sie konnte sich detailliert an die damalige Situation erinnern. Ihre Aussage war widerspruchsfrei und deckt sich auch mit den zuvor schriftlich niedergelegten Äußerungen in der Anlage B 5. Die Zeugin hat mit ihrer Aussage den klägerischen Vortrag bestätigt, dass der Kindesvater seinen Unterhaltspflichten nicht nachgekommen ist und seinen Haushalt in ... gehabt hat. In diesem Haushalt war das Kind zu keinem Zeitpunkt, auch nicht teilweise, integriert gewesen. Damit entfallen die Voraussetzungen für das Familienprivileg. Von einer häuslichen Gemeinschaft im Sinne des § 116 SGB X ist vorliegend nicht auszugehen. So wohnte der Kindesvater nach den Angaben der Zeugin ... nicht bei ihr, sondern hatte seinen Lebensmittelpunkt in ..., wo er auch gemeldet war. So befanden sich dort seine Möbel, Wohnungseinrichtung usw.

Ferner bestand ein Unterhaltstitel, welchen den Kindesvater zu Barunterhalt verpflichtete. Es reicht im vorliegenden Fall nicht aus, dass sich der Kindesvater nachts im Haushalt der Kindesmutter aufhielt. Dies war nach den Angaben der Zeugin auch dadurch bedingt, da die eigene Wohnung in ... noch nicht fertiggestellt war.

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Kindesvater seine Verpflichtungen durch Naturalleistungen erbracht hat. Vielmehr hat er sporadisch Unterhaltszahlungen geleistet. An dem Haushalt der Kindesmutter und Geschenken für die gemeinsame Tochter hat er sich jedoch nicht beteiligt. Es gab auch kein gemeinsames Konto. Es ist hier nicht davon auszugehen, dass ein gemeinsamer Haushalt zwischen den Eltern vorlag. Vielmehr beschränkte sich der Anteil des Kindesvaters an der Versorgung des Kindes auf das Bringen und Abholen des Kindes zur Kita. Auch in ... kümmerte sich der Kindesvater nicht selbst um seine Tochter, sondern überließ dies nach den Angaben der Zeugin ... seiner Mutter. Er lehnte es auch ab, seinen Haushalt in ... aufzugeben. Eine Wirtschaftsgemeinschaft mit der Kindesmutter wird nach den Angaben der Zeugin nicht bestätigt. Es gab keine gemeinsame Mittelaufbringung und Verwendung für die Lebenshaltungskosten.

Ein gemeinsamer Haushalt setzt jedoch auch das gemeinsame Haushalten voraus. So ist Sinn und Zweck des Familienprivilegs, zu verhindern, dass der Versicherungsnehmer durch einen Rückgriff gegen einen in seiner häuslichen Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen selbst in Mitleidenschaft gezogen wird. Dabei ist davon auszugehen, dass die in häuslicher Gemeinschaft zusammenlebenden Familienangehörigen meist eine gewisse wirtschaftliche Einheit bilden und dass bei der Durchführung des Rückgriffs der Versicherte im praktischen Ergebnis das, was er mit der einen Hand erhalten hat, mit der anderen Hand wieder herausgeben müsste, vgl. BGH, Urteil vom 05.02.2013, Az: VI ZR 274/12.

Im vorliegenden Fall ist eine solche „Mitleidenschaft" jedoch nicht erkennbar, da der Kindesvater nach den Aussagen der Zeugin ... ohnehin nicht zum Haushalt der Kindesmutter beigetragen hat. Allein das Abholen und Bringen zur Kita vermag eine häusliche Gemeinschaft zur Herstellung des Familienprivilegs nicht zu begründen. Derartige Leistungen werden auch von anderen Personen erledigt, ohne dass dadurch ein Familienprivileg begründet wird, wie z. B. durch Großeltern.

Die Aufrechnung hat damit keinen Erfolg und der Klage war vollumfänglich stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.