Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat | Entscheidungsdatum | 06.03.2013 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | OVG 9 S 69.12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 80 VwGO, § 146 VwGO, § 90 Abs 2 AO, § 122 AO, § 155 Abs 1 S 2 AO, § 169 Abs 1 S 3 AO |
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. Juli 2012 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsgegner.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 993,87 EUR festgesetzt.
I.
Die Antragstellerin ist Mitglied einer ungeteilten Erbengemeinschaft; zum Erbe gehört auch ein Grundstück in Strausberg.
Die Antragstellerin wohnte früher unter der Anschrift S... Berlin; laut Auskunft des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin ist sie am 1. Mai 2006 nach Spanien verzogen. Verwandte der Antragstellerin wohnten noch im Jahr 2012 unter der Berliner Anschrift.
Der Antragsgegner sandte zunächst unter dem 11. Mai 2011 einen an die Antragstellerin gerichteten Beitragsbescheid an die genannte Berliner Anschrift. Gegen den Bescheid ließ die Antragstellerin Widerspruch einlegen. Weiterer Schriftwechsel folgte, einschließlich eines Widerspruchsbescheides vom 19. September 2011, mit dem der Antragsgegner den Bescheid vom 11. Mai 2011 aufhob.
Der Verwaltungsvorgang des Antragsgegners enthält einen neuen Beitragsbescheid vom 1. November 2011, der an die Antragstellerin unter der Berliner Anschrift gerichtet ist.
Am 9. Dezember 2011 richtete der Antragsgegner ein Mahnschreiben an die Antragstellerin unter der Berliner Anschrift. Ihr Verfahrensbevollmächtigter machte durch Schreiben vom 19. Dezember 2011geltend, die Mahnung sei unberechtigt, nachdem der angefochtene Bescheid zuletzt aufgehoben worden sei; er bat, die anwaltliche Vertretung strikt zu beachten und ihm ein Original des Widerspruchsbescheides zu übersenden.
Unter dem 13. Januar 2012 übersandte der Antragsgegner an den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin eine Kopie des Bescheides vom 1. November 2011. Der daraufhin eingelegte Widerspruch blieb erfolglos.
Mit Beschluss vom 18. Juli 2012 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage der Antragstellerin angeordnet, weil der Bescheid vom 1. November 2011 nicht vor Ablauf der Festsetzungsverjährungsfrist bekanntgegeben worden sei. Gegen den am 20. Juli 2012 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 23. Juli 2012 Beschwerde eingelegt und diese am 20. August 2012 begründet.
II.
Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO nur im Rahmen der fristgerechten Darlegungen des Beschwerdeführers entscheidet, ist unbegründet. Der angefochtene Beschluss hält einer auf das Vorbringen des Antragsgegners bezogenen Überprüfung stand.
Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Festsetzungsverjährungsfrist für eine Herstellungsbeitragsforderung betreffend das Grundstück der Antragstellerin mit dem 31. Dezember 2011 geendet habe und dass der Antragsgegner darlegungs- und beweispflichtig sei, wenn die Antragstellerin den für die Bekanntgabe erforderlichen Zugang des Beitragsbescheids bestreite. Dies ist auch im Beschwerdeverfahren zugrundezulegen; die Beschwerde vertritt insoweit keine andere Auffassung.
Weiter hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass die Antragstellerin bestritten habe, dass ihr der Bescheid zugegangen sei. Zudem habe eine ordnungsgemäße Bekanntgabe nicht erfolgen können, weil der Bescheid an eine Anschrift versandt worden sei, unter der die Antragstellerin nicht wohne.
Demgegenüber macht der Antragsgegner geltend, dass er den Beitragsbescheid der Antragstellerin wirksam bekannt gegeben habe, weil er den Bescheid an die Berliner Anschrift habe senden dürfen und die Antragstellerin den Zugang unter dieser Anschrift nicht bestritten habe. Dieses Rügevorbringen greift nicht. Dabei kann dahinstehen, ob der Antragsgegner der Antragstellerin den Bescheid unter der genannten Anschrift in Berlin wirksam hätte bekannt geben dürfen. Denn die Antragstellerin hat – anders, als die Beschwerde meint - den Zugang bestritten. Sie hat vorgetragen, dass ihre Berliner Verwandten ihr und ihrem Verfahrensbevollmächtigten Schriftstücke in Kopie bzw. per Fax weitergeleitet haben. Die Antragstellerin hat im Einzelnen angegeben, um welche Bescheide und Schreiben es sich dabei gehandelt habe; der Bescheid vom 1. November 2011 war nicht darunter. Damit hat sie zum Ausdruck gebracht, dass sie auch insoweit den Posteingang bei ihren Verwandten in den Blick genommen habe und dieser Bescheid dort nicht eingegangen sei, weil er sonst an sie weitergeleitet worden wäre. Soweit der Antragsgegner indessen annimmt, der Bescheid sei unter der Berliner Anschrift eingegangen, bleibt diese Frage vorliegend offen; dies geht mit Blick auf die nach Obenstehendem hier zugrunde zu legende Darlegungslast des Antragsgegners zu seinen Lasten.
Die Beschwerde macht weiter geltend, dass eine wirksame Bekanntgabe anzunehmen sei, weil es sich im Hinblick auf den Umzug nach Spanien um einen „Auslandssachverhalt“ handele und sich aus § 90 Abs. 2 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a KAG eine erhöhte Aufklärungs- und Beweisvorsorgepflicht für die Antragstellerin ergebe. Auch diese Rüge greift nicht. § 90 Abs. 2 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a KAG regelt Pflichten betreffend „Vorgänge außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes“ (§ 90 Abs. 2 Satz 1 AO). Darum handelt es sich indessen nicht bei der Frage, ob der im November 2011 abgesandte Bescheid unter der Anschrift S... in Berlin tatsächlich eingegangen ist.
Der Antragsgegner meint ferner, dass ein Zugang auch anzunehmen sei, wenn der Abgabenpflichtige - wie dies die Antragstellerin getan habe - den Wohnungswechsel arglistig und zur Vereitelung der Bekanntgabe kurzfristig herbeigeführt habe. Auch dieser Einwand greift nicht. Schon mit Blick auf den nach Auskunft der Meldebehörde im Jahr 2006 erfolgten Umzug der Antragstellerin erscheint es abwegig, dass dies zur Vereitelung der Bekanntgabe eines mehr als fünf Jahre später ergehenden Bescheides erfolgt ist.
Zudem macht die Beschwerde geltend, die Antragstellerin verhalte sich treuwidrig und rechtsmissbräuchlich, wenn sie sich auf die verspätete Bekanntgabe berufe, nachdem sie seit 2006 bis Januar 2012 unter ihrer „Geschäftsanschrift S... in Berlin ausdrücklich firmiert“ habe. Diese Behauptung hat der Antragsgegner indessen bereits nicht hinreichend substantiiert; die beiden in seinem Verwaltungsvorgang befindlichen Anwaltsschreiben vom 16. Mai 2011 und 19. Dezember 2011 tragen seine Behauptung nicht. Unabhängig davon kommt es auf seine Behauptung nicht an. Denn selbst wenn die Antragstellerin derart „firmiert“ hätte, könnte dies allenfalls dazu führen, dass der Antragsgegner der Antragstellerin den Bescheid unter der Berliner Anschrift hätte bekanntgeben dürfen. Dies ändert aber nichts daran, dass der Antragsgegner nicht dargelegt hat, dass er den Bescheid unter dieser Adresse auch tatsächlich bekanntgegeben hat.
Ferner greift auch nicht, soweit der Antragsgegner sich auf § 169 Abs. 1 Satz 3 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b KAG beruft und meint, die Festsetzungsfrist sei danach gewahrt. Nach dieser Vorschrift ist die Festsetzungsfrist gewahrt, wenn vor dem Fristablauf der Abgabenbescheid den Bereich der für die Abgabenfestsetzung zuständigen Behörde verlassen hat. Dies setzt voraus, dass es den Abgabenbescheid überhaupt gibt, was gemäß § 155 Abs. 1 Satz 2 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b KAG erst mit seiner Bekanntgabe der Fall ist. Dass der nach Blatt 24 des Verwaltungsvorgangs (wohl) am 1. November 2011 abgesendete Bescheid der Antragstellerin - vor oder nach Fristablauf - bekanntgegeben worden ist, legt der Antragsgegner indessen nicht dar. Darauf, dass der Antragsgegner dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin unter dem 13. Januar 2012 eine Kopie des Bescheides übermittelt hat, kommt es nicht an, weil es sich dabei nicht um den ursprünglich abgesendeten Bescheid handelt und die Kopie erst nach Fristablauf abgesendet worden ist (vgl. zum Ganzen: BFH Großer Senat, Beschluss vom 25. November 2002 - GrS 2/01 -, Juris Rn. 26 ff.).
Soweit der Antragsgegner schließlich auf einen Fall der Fristwahrung abstellt, in dem einem Abgabenpflichtigen - obwohl er der Behörde einen Zustellungsbevollmächtigten benannt hatte - der Abgabenbescheid unmittelbar zugesandt und nach Erhalt vom Abgabenpflichtigen an seinen Bevollmächtigten weitergeleitet worden ist (vgl. BFH, Urteil vom 1. Juli 2003 - VIII R 29/02 -, Juris), liegt ein solcher Fall hier nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).