Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 30.08.2012 | |
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Aktenzeichen | L 3 U 177/09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 8 SGB 7 |
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 30. April 2009 sowie der Bescheid der Beklagten vom 05. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2006 geändert und festgestellt, dass der Tinnitus links auch über den 31. Juli 2004 hinaus Folge des Arbeitsunfalls vom 20. November 2003 ist. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte erstattet der Klägerin die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitig ist die Feststellung weiterer Folgen eines Arbeits- / Wegeunfalls vom 20. November 2003.
Die 1986 geborene Klägerin befand sich am 20. November 2003 im ersten Lehrjahr zur kaufmännischen Fremdsprachenassistentin und war Schülerin am B-S Bildungszentrum. Am 20. November 2003 um 8:05 Uhr befand sie sich morgens als Beifahrerin in einem Pkw auf dem Weg zur Schule. An der Ecke W Straße/ Sstraße bremste das vorausfahrende Fahrzeug stark, so dass der Fahrer des Fahrzeugs, in dem die Klägerin saß, ebenfalls stark bremsen musste. Daraufhin fuhr das hinter ihnen befindliche Fahrzeug auf. An dem Fahrzeug, in dem die Klägerin saß, entstand wirtschaftlicher Totalschaden (Kfz-Gutachten des Dipl.-Ing. W vom 21. November 2003). Die Klägerin setzte den Schulweg nicht fort und begab sich um 10:27 Uhr in durchgangsärztliche Behandlung bei dem Orthopäden Dr. D. Dort klagte sie über Übelkeit, ein Piepen auf dem linken Ohr sowie einen Druckschmerz oberhalb des Processus spinosus HWK 7. Erbrechen und Bewusstlosigkeit traten nicht ein, neurologische Defizite lagen nicht vor. Die Röntgenuntersuchung der Halswirbelsäule (HWS) ergab keine knöcherne Verletzung. Dr. D diagnostizierte eine HWS-Distorsion sowie einen posttraumatischen Tinnitus und bescheinigte Arbeitsunfähigkeit ab dem 20. November 2003 (Durchgangsarztbericht <DAB> vom 20. November 2003). Am 21. November 2003 klagte die Klägerin über einen deutlichen Druckschmerz im Bereich des linksseitigen Kiefergelenks mit fehlender linksseitiger vollständiger Occlusion, weshalb Dr. D einen Verdacht auf Kiefergelenksläsion links äußerte (DAB vom 21. November 2003).
Auf Eigeninitiative stellte sich die Klägerin am 20. November 2003 außerdem bei dem Facharzt für Hals-, Nasen-, Ohren- (HNO-)Heilkunde Dr. L vor, wo sie über Tinnitus und Hörminderung links klagte. Dr. L stellte ein grenzwertiges Normgehör links und eine Normakusis rechts fest und leitete eine Infusionstherapie ein, die wegen Unverträglichkeit jedoch abgebrochen werden musste. Des Weiteren stellte Dr. L ein Kiefergelenkshämatom fest (vgl. den Bericht vom 05. Dezember 2003). Eine Vorstellung der Klägerin in der C am 21. November 2003 ergab die Diagnose einer Kiefergelenksprellung links. Im Röntgenbild fand sich kein Anhalt für eine Fraktur (Nachschaubericht vom 24. November 2003 und Bericht vom Dezember 2003). Am 26. November 2003 bestanden nach Abnahme der Schanz´schen Krawatte noch schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der HWS und des Kopfes ohne neurologische Auffälligkeiten (Zwischenbericht Dr. D vom selben Tag). Am 08. Dezember 2003 waren die Beschwerden seitens des linken Kiefergelenks bis auf geringe Restbeschwerden verschwunden (Zwischenbericht des Dr. D vom selben Tag).
Am 16. Januar 2004 stieß sich die Klägerin an einem Waschbecken den Kopf, woraufhin subjektiv eine Verstärkung des Tinnitus sowie der Hörminderung links eintrat. In der C wurde am selben Tag eine geringgradige Hochtonsenke bei 3 kHz bis maximal 30 dB links festgestellt (Erste-Hilfe-Berichte der C vom 16. Januar 2004 sowie Bericht der Frau Dipl.-Med. C vom 15. September 2004). Am 27. Januar 2004 begab sich die Klägerin in HNO-ärztliche Behandlung bei Frau Dipl.-Med. C, die einen chronifizierten Tinnitus als Unfallfolge feststellte (Bericht vom 27. Januar 2004). Außerdem stellte sie linksseitig einen Hochtonschrägabfall ab 2 kHz bis maximal 45 dB bei 6 kHz sowie einen Abfall im Tieftonbereich von 50 dB bei 125 kHz fest (Bericht der Frau Dipl.-Med. C vom 15. September 2004). Am 02. Februar 2004 wurde die Klägerin in die stationäre Behandlung des Unfallkrankenhauses B (UKB) aufgenommen zur Infusionstherapie des Tinnitus. Dort fand sich neben einem hochfrequenten Tinnitus linksseitig eine pantonale Hörminderung bei 20 dB links, wobei die transitorisch evozierten otoakustischen Emissionen (TEOAE) in allen Frequenzen reproduzierbar waren. Die Gleichgewichtsuntersuchungen ergaben regelrechte Ergebnisse (Bericht des UKB vom 09. Februar 2004).
Nachdem die Klägerin sich ab dem 20. Januar 2004 nicht mehr in seiner Praxis vorgestellt hatte, schloss Dr. D die bg-liche Behandlung ab und stellte ab dem 24. Januar 2004 Arbeitsfähigkeit fest (Mitteilung des Dr. D vom 04. März 2004). Ab dem 02. März 2004 befand sich die Klägerin in neurologisch-psychiatrischer Behandlung bei Dr. S im Tinnitus-Zentrum B-W. Dieser stellte u. a. einen schwergradigen Tinnitus aurium fest und berichtete von einer zunehmenden psychischen Dekompensation. Es wurde eine intensive Entspannungstherapie mit begleitender Physiotherapie, Pharmakotherapie und psychosomatischer Führung sowie eine manuelle Therapie HWS und Akupunktur eingeleitet (Bericht des Dr. S vom 25. März 2004). Dieser bescheinigte auch Arbeitsunfähigkeit (vgl. die Abrechnung des Dr. S vom 22. Juni 2004). Eine Besserung des Tinnitus sowie der Hörminderung traten dennoch nicht ein (Bericht des Dr. S vom 06. September 2004). Im April 2004 war die zunächst unterbrochene Ausbildung abgebrochen worden.
In einem Bericht vom 15. September 2004 ging die HNO-Ärztin C aufgrund der Tatsache, dass bis zum 14. Juni 2004 linksseitig ein weiteres Absinken der Hörschwelle eingetreten war, wobei die subjektive Hörempfindung sich in der weiter führenden audiologischen Diagnostik (TEOAE) nicht hatte objektivieren lassen, von einer psychogenen Hörstörung posttraumatischer Genese aus.
Die Beklagte beauftragte den HNO-Arzt Dr. B mit der Untersuchung der Klägerin und der Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens. In dem am 02. November 2004 nach einer Untersuchung der Klägerin am 18. Oktober 2004 fertig gestellten Gutachten kam dieser zu dem Ergebnis, von HNO-ärztlicher Seite seien durch den Unfall keine dauernde Hörminderung sowie kein auf HNO-Gebiet entstehender Tinnitus zurückgeblieben. Die objektiven und subjektiven Untersuchungsergebnisse stimmten nicht überein. Der Tinnitus müsse in seiner Entstehung nicht als peripher, sondern zentral eingeschätzt werden.
Die Beklagte veranlasste daraufhin ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. D. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 23. Dezember 2004 nach Untersuchungen am 14. und 22. Dezember 2004 fest, dass die Diagnose eines Schädel-Hirn-Traumas nicht zu rechtfertigen sei. Eine neurogene Läsion im auditiven cortikalen System sei nicht nachweisbar. Hinweise auf eine posttraumatische Belastungsreaktion lägen nicht vor. Bei der Klägerin bestünden ein zervikogener Kopfschmerz sowie eine Anpassungsstörung im Sinne einer länger anhaltenden depressiven Reaktion und ein Tinnitus aurium links. Diese Schäden seien allein auf das Ereignis vom 20. November 2003 zurückzuführen. Bis zum Abschluss der nervenärztlichen Behandlung am 30. Juni 2004 sei eine MdE auf nervenärztlichem Gebiet von 10 vom Hundert (v. H.) anzunehmen, gegenwärtig sei keine MdE auf nervenärztlichem Fachgebiet anzunehmen.
Nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Dr. B vom 07. Februar 2005 veranlasste die Beklagte eine fachchirurgische Stellungnahme nach Aktenlage des Dr. T vom 22. Juni 2005 sowie eine neurologisch-psychiatrische Stellungnahme nach Aktenlage des Dr. Dr. W vom 27. Juli 2005.
Dr. T kam zu dem Schluss, das Unfallereignis sei geeignet gewesen, sowohl eine HWS-Distorsion als auch eine Commotio labyrinthii und eine occipitale Schädelprellung auszulösen. Der wenige Minuten nach dem Unfall eingetretene linksseitige Tinnitus sei ebenso wie das im weiteren Verlauf aufgetretene Kiefergelenkshämatom mit vorübergehenden Schmerzen und Occlusionsstörungen, die muskulären Verspannungen mit schmerzhaften Bewegungseinschränkungen der HWS und wiederkehrenden Kopfschmerzen zunächst als Unfallfolge einzuschätzen. Während das Kiefergelenkshämatom folgenlos ausgeheilt sei, seien die Beschwerden nach Commotio labyrinthii mit Tinnitus links, Hörminderung links und rezidivierender Kopfschmerzsymptomatik und Verspannung des Hals-Nacken-Bereichs lange Zeit persistierend gewesen, ohne dass ein organisches Korrelat habe gefunden werden können. Neurologisch-psychiatrisch sei festgestellt worden, dass die persistierende Symptomatik Folge einer Anpassungstörung sei. Die durch das Unfallereignis entstandenen Beeinträchtigungen (HWS-Distorsion, occipitale Schädelprellung sowie Commotio labyrinthii links) seien zwischenzeitlich folgenlos ausgeheilt. Verblieben sei eine rückläufige Anpassungsstörung, deren nach Abschluss der neurologisch-psychiatrischen Behandlung im Juli 2004 anhaltende restliche Symptomatik nun unterhalten werde durch die unfallfremde und vorbestehende Persönlichkeitsstruktur der Klägerin. Deshalb sei unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit bis zum Abschluss der neurologisch-psychiatrischen Heilbehandlung im Juli 2004 anzunehmen.
Dr. Dr. W vertrat schließlich die Auffassung, im Zuge des Unfallereignisses sei es zu einer Distorsion der HWS mitsamt Tinnitus gekommen. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit sowie Behandlungsbedürftigkeit hätten bis zu einem unbekannten Tag im Juli 2004 bestanden. Eine messbare MdE bestehe nicht, weitere Behandlungsbedürftigkeit ebenfalls nicht.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 05. Oktober 2005 die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 20. November 2003 ab, da die Erwerbsfähigkeit nicht um wenigstens 20 v. H. gemindert sei. Als Unfallfolgen bestünden: linksseitiger zentraler Tinnitus aurium (der außerhalb der Hörrinde entsteht) nach HWS-Distorsion. Die Kiefergelenksprellung links sei zwischenzeitlich ausgeheilt. Keine Folgen des Arbeitsunfalls seien: Kopfprellung am 16. Januar 2004 mit Tinnitusverstärkung links und Hörverschlechterung links sowie Konzentrationsstörung und depressiven Reaktionen (Privatunfall), Kopfschmerzen unter Stresseinwirkung. Die Entscheidung stütze sich auf die fachärztlichen Gutachten des Dr. B und des Dr. D sowie auf die eingeholten Stellungnahmen des Dr. T und des Dr. Dr. W. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe bis zum 24. Januar 2004, Behandlungsbedürftigkeit bis zum 31. Juli 2004 bestanden. Der inzwischen vorliegende chronische Tinnitus aurium links sei über den 31. Juli 2004 hinaus nicht mehr ursächlich auf den Arbeits-Wegeunfall vom 20. November 2003 zurückzuführen. Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung seien nicht mehr gegeben. Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2006 zurück. Zwar sei nach Auffassung des Widerspruchsausschusses die Anerkennung des Tinnitus als Folge des Arbeits-Wegeunfalls zu Unrecht erfolgt, da ein Tinnitus nur dann als Folge eines Traumas hinreichend wahrscheinlich gemacht werden könne, wenn gleichzeitig andere, objektivierbare pathologische Befunde aufgetreten seien wie z. B. eine messbare Hörstörung, eine objektivierbare Gleichgewichtsstörung, neurologische Ausfälle oder eine Schädelbasisfraktur. Eine Rücknahme des die Klägerin insoweit begünstigenden Bescheides vom 05. Oktober 2005 komme wegen der Maßgaben des § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) jedoch nicht in Betracht. Die mit Bescheid vom 20. November 2003 im Hinblick auf die anerkannten Unfallfolgen getroffenen Feststellungen seien deshalb für die Beklagte bindend. Eine rentenberechtigende MdE liege aber in jedem Falle nicht vor.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage vor dem Sozialgericht Neuruppin (SG) hat die Klägerin die Gewährung von Verletztenrente begehrt sowie hilfsweise die Feststellungen, dass die Gesundheitsstörung „chronifizierter subjektiver Tinnitus und Hypakusis links“ Folge des Arbeitsunfalls ist, dass aufgrund des Arbeitsunfalls zur Zeit eine MdE von wenigstens 5 v. H. vorliegt, dass die Beklagte die Kosten für etwaige Behandlungen des „chronifizierten subjektiven Tinnitus und der Hypakusis links“ sowie darauf beruhender Störungen zu tragen hat und letztlich, dass bei Eintritt einer Verschlechterung seitens der Beklagte eine Verletztenrente zu zahlen ist. Als Folge des Arbeitsunfalls habe sie ihre Ausbildung abbrechen müssen und nicht wieder aufnehmen können. Die Ohrgeräusche würden nahezu ununterbrochen bewusst wahrgenommen und verursachten Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie Kopf- und Ohrenschmerzen.
Das SG hat Beweis erhoben und den Facharzt für Neurochirurgie Prof. Dr. W mit der Untersuchung der Klägerin und der Erstellung eines Sachverständigengutachtens betraut. In seinem am 31. Dezember 2007 aufgrund einer Untersuchung der Klägerin am 08. Dezember 2007 fertig gestellten Gutachten hat dieser ausgeführt, die Klägerin habe bei dem Arbeits-Wegeunfall vom 20. November 2003 eine leichtere HWS-Distorsion erlitten, da sich im Röntgenbild lediglich eine Steilstellung der oberen HWS gezeigt habe. In der Literatur werde die Problematik eines Tinnitus nach HWS-Schleudertrauma diskutiert. Dabei sei einerseits der Zusammenhang zwischen einwirkenden Kräften und Tinnitusentstehung schwierig, wobei angenommen werde, dass leichte Unfälle eher nicht geeignet seien, einen Tinnitus hervorzurufen. Andererseits gebe es in der Literatur Hinweise, dass ein Tinnitus nach einem HWS-Schleudertrauma unabhängig von den physikalischen Kräften entstehen könne. Entscheidend sei aus seiner Sicht, inwieweit die Argumentation des Verunfallten glaubwürdig sei und inwieweit mehr Argumente für als gegen einen Zusammenhang sprächen. Bei der Klägerin seien die Ohrgeräusche unmittelbar nach dem Unfall aufgetreten und seien auch im ersten DAB festgehalten worden. Somit sei ein direkter Zusammenhang zum Unfall belegt. Eine Simulation könne ausgeschlossen werden, da ein Tinnitus nach einem Verkehrsunfall nicht das naheliegendste Symptom sei. Seit dem Unfall leide die Klägerin an einem subjektiven Tinnitus, der inzwischen chronifiziert sei. Dieser sei als Unfallfolge anzusehen, auch wenn objektive Befunde einen direkten Zusammenhang nicht beweisen könnten, da allgemein zu viele Fragen zur Tinnitusentstehung offen seien. Sie habe gelernt, mit dem Tinnitus umzugehen und sich alternativ zum ursprünglichen Lebensplan eine Existenz aufgebaut (seit dem 01. Juli 2006 Übernahme der Firma des Großvaters, Vertrieb von Quellwasser und Wasserspendern). Dennoch liege eine Beeinträchtigung der Lebensqualität vor. Ab dem Wegfall der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit habe eine MdE von 10 v. H. bestanden, ab dem Zeitpunkt der Untersuchung betrage die MdE 5 v. H.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 30. April 2009 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Verletztenrente, denn nach dem Ergebnis der Beweiserhebung bedingten die Unfallfolgen keine MdE von wenigstens 20 v. H. Auch mit ihren Hilfsanträgen könne die Klägerin nicht durchdringen.
Mit ihrer am 11. Juni 2009 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) eingegangenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren nur noch teilweise weiter. Der Tinnitus sei von der Beklagten bereits als Unfallfolge anerkannt. Darüber hinaus sei aber auch die Hypakusis links Folge des Arbeits-Wegeunfalls.
Die Klägerin beantragt unter Rücknahme der Berufung im Übrigen,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 30. April 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 05. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2006 abzuändern und festzustellen, dass die Gesundheitsstörung chronifizierter Tinnitus und eine Hypakusis links Folge des Arbeitsunfalls vom 20. November 2003 ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Sie habe mit Bescheid vom 05. Oktober 2005 den linksseitigen Tinnitus nach HWS-Distorsion als Folge des Arbeits-Wegeunfalls anerkannt. Eine ggf. über den 31. Juli 2004 hinaus bestehende Restsymptomatik sei jedoch in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfall gesehen worden. Ein Hörverlust sei nicht nachgewiesen worden. Prof. Dr. W räume ferner in seinem Gutachten ein, dass objektive Befunde, die den linksseitigen Tinnitus der Klägerin als Folge des Arbeitsunfalls hinreichend wahrscheinlich machen könnten, fehlten. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass sich die Klägerin bei einem privaten Unfall am 16. Januar 2004 den Kopf an einem Waschbecken gestoßen habe und danach eine Tinnitus- sowie Hörverschlechterung bemerkt habe.
Der Senat hat Befundberichte von der HNO-Ärztin C vom 11. März 2010 (Behandlung vom 27. Januar bis zum 19. August 2004) sowie von Dr. L vom 05. März 2010 (Behandlung vom 19. September 2002 bis zum 02. Dezember 2003: Hörleistung beidseits als im Normbereich zu bezeichnen) sowie vom 28. Mai 2010 eingeholt. Darüber hinaus hat der Senat die am 16. Januar 2004 in der C erhobenen audiologischen Befunde beigezogen.
Anschließend hat der Senat ein HNO-ärztliches Gutachten von Frau Dr. K eingeholt. In dem am 12. November 2010 nach einer Untersuchung der Klägerin am 01. Oktober 2010 erstellten Gutachten ist sie zu dem Schluss gelangt, bei der Klägerin bestünden eine grenzwertige, pantonale sensorineurale Schwerhörigkeit links, ein chronisch-dekompensierter Tinnitus links sowie eine Hyperakusis links. In der Zusammenschau der Hörprüfungen seit dem Unfall sei anzunehmen, dass seit dem 28. November 2003 (Kontrollhörtest mit leichter Hörverschlechterung um durchschnittlich 10 dB HL in fast allen Frequenzen) eine sehr geringgradige sensorineurale Schwerhörigkeit links bestehe. Der prozentuale Hörverlust betrage jedoch beidseits 0%. Sämtliche der genannten Gesundheitsstörungen seien mit Wahrscheinlichkeit durch den Unfall vom 20. November 2003 bedingt. Im Tinnitusfragebogen nach Göbel und Hiller ergebe sich ein Punktwert von 59, entsprechend einem schwergradigen, dekompensierten Tinnitus. Die Klägerin habe jedoch im Termin gelassen und kooperativ gewirkt und den Eindruck vermittelt, die jetzige Lebenssituation anzunehmen. Eine zeitliche Begrenzung der Anerkennung des Tinnitus als Unfallfolge sei nicht begründbar. Der kleine Privatunfall mit Stoß des Kopfes am Waschbecken und Tinnitusverstärkung sei nicht im Sinne einer unfallunabhängigen, wesentlichen Beeinflussung der Unfallfolgen zu werten.
Die Beklagte hat das Gutachten kritisiert. Die Sachverständige nehme eine Schwerhörigkeit (nur) an, weise im nächsten Satz jedoch darauf hin, dass der prozentuale Hörverlust 0% betrage. Dr. L habe im Übrigen die Hörleistung bei der ersten Vorstellung der Klägerin als „im Normalbereich“ beschrieben.
In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 07. Februar 2011 hat die Sachverständige erläutert, die objektiven Hörprüfungen könnten lediglich ausschließen, dass die Klägerin nicht schlechter als 20 bis 25 dB HL höre. Eine engere Eingrenzung der Hörschwelle sei nicht möglich. Zudem könne nicht die Intaktheit der inneren Haarzellen gemessen werden. Dies bedeute, dass die TEOAEs auch bei Erreichen der kritischen Schwelle von 20 dB HL als Grenze zur geringgradigen Schwerhörigkeit noch normal sein könnten. Die im Vergleich zur rechten Seite leicht verminderte Tonhörschwelle links sei deshalb im Zweifel anzuerkennen und sei auch nicht altersentsprechend normal, auch wenn der prozentuale Hörverlust 0% betrage. Ein prozentualer Hörverlust von 0% nach dem Sprach- und Tonaudiogramm sei nicht gleichbedeutend mit einer normalen Hörschwelle.
Die Beklagte hat ihre Kritik aufrecht erhalten. Es fehle nach wie vor an einem Nachweis einer objektiven Hörminderung. Allein die Tatsache, dass die Klägerin an einer Hörminderung leiden könne, die technisch aber nicht darstellbar sei, bedeute nicht den Nachweis einer solchen Störung. Es bleibe letztlich weiter fraglich, ob der chronische Tinnitus Folge des Arbeitsunfalls sei, denn in der Literatur sei ein Tinnitus als Folge einer HWS-Distorsion zwar bekannt. Umstritten sei jedoch, unter welchen Bedingungen er auf eine HWS-Distorsion zurückgeführt werden könne. Ferner werde nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Klägerin selbst nach einem Kopfanstoß im Januar 2004 – 2 Monate nach dem Ereignis – eine Verschlechterung des Tinnitus sowie des Hörvermögens beklagt habe. Erst danach habe eine intensive Behandlung eingesetzt und auch die meisten Befunde und Beschwerden, auf die sich die Sachverständige stütze, seien nach diesem Privatunfall erhoben worden.
Zum übrigen Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten (Az. ) verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Die fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig und teilweise begründet. Das Urteil des SG Neuruppin vom 30. April 2009 sowie der Bescheid der Beklagten vom 05. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2006 sind insoweit abzuändern, als der linksseitige Tinnitus auch über den 31. Juli 2004 hinaus Folge des Arbeitsunfalls ist. Darüber hinaus ist die Berufung allerdings unbegründet.
Die auf Feststellung weiterer Unfallfolgen (chronifizierter subjektiver Tinnitus links und Hypakusis links) gerichtete Klage ist gemäß § 55 Abs. 1 Hs. 1 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 28. April 2004 – B 2 U 21/03 R -, zitiert nach juris Rn. 24); ihr eignet das erforderliche Feststellungsinteresse gemäß § 55 Abs. 1 Hs. 2 SGG. Nach der Systematik des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) sind in den Vorschriften, welche die Voraussetzungen der verschiedenen sozialen Rechte auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung regeln (z.B. §§ 27 ff. SGB VII <Heilbehandlung> und §§ 45 ff. SGB VII <Verletztengeld>), nur die spezifischen Voraussetzungen der jeweiligen einzelnen Arten von Leistungsrechten ausgestaltet. Demgegenüber sind die allgemeinen Rechtsvoraussetzungen, die für alle Leistungsrechte des SGB VII gleichermaßen gelten, nämlich die Regelungen über den Versicherungsfall und die ihm zuzurechnenden Unfallfolgen (§§ 7 bis 13 i. V. m. §§ 2 bis 6 SGB VII), vorab und einheitlich ausgestaltet. Ermächtigung und Anspruch betreffen daher auch die Entscheidung über jene Elemente des Anspruchs, die Grundlagen für jede aktuelle oder spätere Anspruchsentstehung gegen denselben Unfallversicherungsträger aufgrund eines bestimmten Versicherungsfalls sind. Zu den abstrakt feststellbaren Anspruchselementen gehören neben dem Versicherungsfall die (sog. unmittelbaren) Unfallfolgen im engeren Sinn, also die Gesundheitsschäden, die wesentlich (und deshalb zurechenbar) spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des Versicherungsfalls verursacht wurden. Der Feststellung, ob und welche Gesundheitsstörungen Folgen eines Versicherungsfalls sind, kommt eine über den einzelnen Leistungsanspruch hinausgehende rechtliche Bedeutung für den Träger und den Versicherten zu. Denn trotz unterschiedlicher Tatbestandsvoraussetzungen im Übrigen setzen, wie bereits ausgeführt, alle Leistungsansprüche nach den §§ 26 ff. SGB VII als gemeinsame Tatbestandsmerkmale einen Versicherungsfall (i. S. d. §§ 7 bis 13 SGB VII) und durch ihn verursachte Gesundheitsschäden - bis hin zum Tod des Verletzten - voraus und begründen dafür die Verbandszuständigkeit nur eines bestimmten Trägers der Unfallversicherung (BSG, Urteil vom 05. Juli 2011 – B 2 U 17/10 R – zitiert nach juris, Rn. 12, 17, 19 ff.). Dem steht hier nicht entgegen, dass die Beklagte in ihrem Bescheid vom 05. Oktober 2005 bereits einen „linksseitigen Tinnitus aurium (der außerhalb der Hörrinde entsteht) nach HWS-Distorsion“ als Unfallfolge anerkannt hat, denn die Beklagte hat diese Anerkennung nach dem weiteren Wortlaut des Bescheides auf den Zeitraum bis zum 31. Juli 2004 beschränkt.
gerhardtVersicherungsfälle sind gemäß § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (BKen). Nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle der Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Zu den versicherten Tätigkeiten eines Versicherten zählt nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3, 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Nach § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Der Gesetzgeber bringt mit der wiederkehrenden Formulierung „infolge“ – vgl. §§ 8 Abs. 1 S. 1, 45 Abs. 1 Nr. 1, 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII - das Erfordernis eines Zusammenhangs zum Ausdruck. Es muss eine kausale Verknüpfung des Unfalls bzw. seiner Folgen mit der betrieblichen Sphäre bestehen, mithin eine rechtliche Zurechnung für besonders bezeichnete Risiken der Arbeitswelt beziehungsweise gleichgestellter Tätigkeiten, für deren Entschädigung die gesetzliche Unfallversicherung als spezieller Zweig der Sozialversicherung einzustehen hat, und zwar nicht nur im Sinne einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, sondern auch im Sinne der Zurechnung des eingetretenen Erfolges zum Schutzbereich der unfallversicherungsrechtlichen Norm als eines rechtlich wesentlichen Kausalzusammenhangs (Zurechnungslehre der wesentlichen Bedingung, ständige Rechtsprechung, etwa BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 13 ff.). Die Frage nach diesem Zurechnungszusammenhang stellt sich auf drei Ebenen, nämlich als Unfallkausalität zwischen ausgeübter Tätigkeit und Unfallereignis, als haftungsbegründende Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden und als haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheitserstschaden und länger andauernden Unfallfolgen (BSG, a. a. O., Rn. 10; Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, Kap. 1.4, S. 21 f.). Die vorgenannten Merkmale der versicherten Tätigkeit und des Unfallereignisses müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R –, zitiert nach juris Rn. 15). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a. a. O., auch Rn. 18 und 20).
Unstreitig handelt es sich bei dem am 20. November 2003 erlittenen Verkehrsunfall der Klägerin, die damals Schülerin war, um einen Wegeunfall i. S. v. § 8 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB VII.
Der Senat ist jedoch nur teilweise im nach § 128 Abs. 1 S. 1 SGG erforderlichen Maße überzeugt, dass die anhaltenden Gesundheitsstörungen und Beschwerden der Klägerin (antragsgemäß: chronifizierter subjektiver Tinnitus links und Hypakusis links) mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückzuführen sind.
Eine Hypakusis (d. h. Schwerhörigkeit) der Klägerin ist nicht nachgewiesen. Aus keinem der vorliegenden audiologischen Befunde ergibt sich ein prozentualer Hörverlust, vielmehr beträgt der prozentuale Hörverlust bei der Klägerin nach übereinstimmender Auffassung der zuletzt beauftragten Sachverständigen Dr. K, des Dr. B und des ehemals behandelnden HNO-Arztes Dr. L 0%. Dr. L hat in seinem Befundbericht vom 05. März 2010 explizit darauf hingewiesen, dass die Hörleistung während seiner Behandlung „als im Normbereich“ befindlich zu bezeichnen war. Auch die objektive audiologische Diagnostik (TEOAE, CERA und DPOAE) konnte keinen Nachweis einer Hörminderung erbringen. Dr. Khan gelangt in ihrem Gutachten vom 08. November 2010 und ihrer Stellungnahme vom 07. Februar 2011 auch nur indirekt zu der Annahme, dass bei der Klägerin eine Hörminderung (allerdings ohne prozentualen Hörverlust) vorliege. Sie geht aufgrund einer nahezu pantonalen Verschlechterung der Hörschwelle zwischen dem 20. und dem 28. November 2003 (8 Tage nach dem Unfall) und der danach fortbestehenden Angabe eines pantonalen Hörverlustes von durchschnittlich 20 dB HL davon aus, dass diese Hörschwelle mit hoher Wahrscheinlichkeit das tatsächliche Hörvermögen wiedergebe. Die objektiven Hörprüfungen könnten dies aber aufgrund ihrer eingeschränkten Empfindlichkeit nicht bestätigen. Die im Vergleich zur rechten Seite leicht verminderte Tonhörschwelle links sei im Zweifel anzuerkennen und auch nicht altersentsprechend normal. Diese Argumentation ist nicht geeignet, die volle richterliche Überzeugung zu begründen, dass eine Schwerhörigkeit bei der Klägerin tatsächlich vorliegt.
Als Hörschwelle bezeichnet man die Wahrnehmungsgrenze eines Höreindrucks(vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O. Kap. 7.3.1. S. 321). Sie ist frequenzabhängig. Für eine Frequenz von 2.000 Hz ist sie bei gesundem Hörvermögen mit einem Schalldruck von 0 dB definiert. Auf dieser Grundlage wird das Ausmaß der Schwerhörigkeit in fünf Stadien geteilt (vgl. http://www.hno-aerzte-im-netz.de/krankheiten/schwerhoerigkeit/stadien-der-schwerhoerigkeit.html):
· Normalhörigkeit: Ein Abweichen der Hörfähigkeit von der definierten Hörschwelle bis 20 dB liegt im Bereich der Normalhörigkeit (vgl. etwa die Tabelle nach Feldmann bei Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Kap. 7.3.3.3.1, S. 346).
· Geringgradige Schwerhörigkeit liegt bei einer Abweichung oberhalb von 20 dB vor, d.h. etwa das Ticken einer Armbanduhr oder Blätterrauschen können akustisch nicht mehr wahrgenommen werden. Die betroffene Person kann erst Töne mit einer Schallintensität von 25 bis 40 dB hören.
· Mittelgradige Schwerhörigkeit beginnt bei einem Hörverlust von 40 dB, dies entspricht etwa den Grundgeräuschen in Wohngebieten. Die betroffene Person kann erst Töne mit einer Schallintensität von 40 bis 60 dB hören.
· Hochgradige Schwerhörigkeit entsteht bei mindestens 60 dB, dann kann ein Gesprächspartner bei normaler Sprechlautstärke nicht mehr gehört werden.
· An Gehörlosigkeit grenzende Schwerhörigkeit beginnt bei einem Hörverlust von mehr als 80 dB. In diesen Fällen hört man weder laute Musik noch die Geräusche einer Autobahn. Hört man praktisch nichts mehr, ist man taub bzw. gehörlos.
Zutreffend weist die Sachverständige Dr. K in ihrer Stellungnahme vom 07. Februar 2011 darauf hin, dass ein Tonhörverlust von etwa 20 dB einen prozentualen Hörverlust von 0% ergibt (vgl. die Drei-Frequenz-Tabelle (Röser 80) in Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O. Kap. 7.3.3.2.9, S. 342). Normalhörigkeit wird demnach mit einer bestimmten Bandbreite definiert. Bewegt sich das Hörvermögen der Klägerin noch innerhalb dieser normgerechten Bandbreite, so kann hier nicht von einem regelwidrigen, krankhaften Hörverlust bzw. Schwerhörigkeit gesprochen werden.
Nach dem Ergebnis der Beweiserhebung steht aber zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin (inzwischen) an einem chronischen subjektiven linksseitigen Tinnitus leidet. Dies ergibt sich aus dem ausführlichen HNO-ärztlichen Sachverständigengutachten der Frau Dr. K vom 12. November 2010. Die gutachterliche Beurteilung der Sachverständigen steht insofern auch in Übereinstimmung mit dem erstinstanzlich eingeholten neurochirurgischen Gutachten des Prof. Dr. W vom 31. Dezember 2007 und den von der Beklagten eingeholten Gutachten bzw. gutachterlichen Stellungnahmen des Dr. B vom 02. November 2004, des Dr. D vom 23. Dezember 2004, des Dr. T vom 22. Juni 2005 und des Dr. Dr. W vom 27. Juli 2005. Dies wird letztlich auch von der Beklagten nicht bestritten.
Dieser chronische Tinnitus ist auch mit Wahrscheinlichkeit ursächlich bedingt durch den Arbeitsunfall vom 20. November 2003. Zu diesem überzeugenden Ergebnis sind sowohl der erstinstanzliche Sachverständige Prof. Dr. W als auch Frau Dr. K gelangt. Unter Bezugnahme auf Feldmann, Das Gutachten des Hals-, Nasen-, Ohrenarztes, 6. A., 2006, wird ausgeführt, die Klägerin habe bei dem Verkehrsunfall vom 20. November 2003 eine leichtgradige HWS-Distorsion und eine Kiefergelenksprellung erlitten. Frakturen waren nicht festgestellt worden, im Röntgenbild fand sich nur eine Steilstellung der oberen HWS. Daneben bestanden ein Druckschmerz oberhalb des Processus spinosus HWK 7 (DAB vom 20. November 2003) sowie Bewegungseinschränkungen der HWS und des Kopfes (DAB vom 26. November 2003). Andauernde und gravierendere Gleichgewichtsstörungen (insbesondere Drehschwindel), neurologische Störungen oder Durchblutungsstörungen lagen nicht vor. Demgemäß dürfte es sich maximal um eine Distorsion Grad II nach Ermann bzw. Grad II nach Quebec Task Force gehandelt haben (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O. Kap. 8.3.4.2.1, S. 464 f.). HWS-Distorsionen (Beschleunigungsverletzungen) können auch zu Symptomen am Gehör- und Gleichgewichtsorgan führen. Diese treten entweder sofort nach dem Unfall (wie hier: Tinnitus laut eigener Angaben der Klägerin nach ca. 30 Minuten) oder erst mit einem Intervall von einigen Stunden auf. Ein einheitliches Schädigungsmuster existiert nicht. Am häufigsten ist eine Schallempfindungsstörung mit flachem Kurvenverlauf, meist einseitig, die progredient verlaufen kann, eventuell verbunden mit Tinnitus. Der Entstehungsmechanismus ist ungeklärt (vgl. hierzu Feldmann, a. a. O., S. 258). In Vordergrund stehen meistens Gleichgewichtsstörungen, die allerdings bei der Klägerin abgesehen von anfänglicher Übelkeit (lt. Feldmann, a. a. O. S. 258 auch ein Zeichen der Gleichgewichtsstörung) nicht dokumentiert sind. Für die häufigen leichten Distorsionen der HWS gilt: je länger das beschwerdefreie Intervall nach dem Unfall und je protrahierter der Verlauf mit Ausweitung der Symptomatik später war, desto weniger wahrscheinlich ist, dass der Unfall die alleinige und wesentliche Ursache für das Beschwerdebild war (vgl. Feldmann, a. a. O., S. 259). Zusammenfassend kann festgehalten werden,
· dass eine HWS-Distorsion wie sie die Klägerin erlitten hat, zu einem Tinnitus führen kann,
· dass die Klägerin darüber hinaus an der linken Seite eine Kiefergelenksprellung erlitten hat,
· dass bei der Klägerin unmittelbar nach dem Unfall eine Affektion des Hör- und Gleichgewichtsorgans eintrat (Übelkeit und Tinnitus),
· dass zwar der Beschwerdeverlauf protrahiert war, aber die eigentlichen HWS- und Kiefergelenksbeschwerden regelrecht abklangen,
· dass keine Vorerkrankungen bzgl. Hör- und Gleichgewichtsorgan oder der Psyche dokumentiert sind (vgl. das in der Akte befindliches Vorerkrankungsverzeichnis vom 15. Februar 2005).
Darauf und auf weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen beruhend (vgl. das Gutachten des Prof. Dr. W vom 31. Dezember 2007 auf S. 21/22) fußend gelangen die Sachverständigen überzeugend zu dem Schluss, dass der chronische Tinnitus der Klägerin mit Wahrscheinlichkeit auf den Arbeits-Wegeunfall zurückzuführen ist. Dagegen spricht entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht, dass Feldmann (a. a. O.) auf Seite 280 ausführt, dass Tinnitus als alleiniges Symptom eines Traumas in der Regel nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als Unfallfolge darstellen lasse. Insbesondere angesichts des Hinweises bei Feldmann auf S. 258, dass ein einheitliches Schädigungsmuster bzgl. der Symptome am Gehör- und Gleichgewichtsorgan nach HWS-Distorsionen nicht existiert, kann das „in der Regel“ gerade nicht so verstanden werden, dass ein Tinnitus hier als Unfallfolge ausgeschlossen ist. Vielmehr bleibt der Einzelfall zu betrachten und zu beurteilen, so wie es die Sachverständigen getan haben. Dabei sind insbesondere der sehr enge zeitliche Zusammenhang zwischen Unfall und Auftreten des Tinnitus, das Auftreten von Übelkeit, die Kiefergelenksprellung ebenfalls auf der linken Seite und das jugendliche Alter der Klägerin zu berücksichtigen. Auch das von der Beklagten zitierte Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 14. April 2005 – L 1 U 168/03 – (zitiert nach juris) stellt letztlich nur eine Einzelfallentscheidung dar. Ein Vollbeweis des ursächlichen Zusammenhangs ist gerade nicht erforderlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den anteiligen Erfolg des Berufungsbegehrens.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.