Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat | Entscheidungsdatum | 06.01.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 9 S 73.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 80 Abs 2 S 1 Nr 1 VwGO, § 80 Abs 5 VwGO |
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 25. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsgegner.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 8.128,87 EUR festgesetzt.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der Beitragsbescheid des Antragsgegners vom 24. März 2011 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 25. Oktober 2011, auf den sich - wie bei Ergehen eines Widerspruchsbescheides - die nicht bis zum Ergehen eines Widerspruchs- oder Änderungsbescheides beschränkte Aussetzungsentscheidung des Verwaltungsgerichts vom 25. Oktober 2011 erstreckt (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann, VwGO, Loseblatt-Kommentar, Stand; Juni 2011, § 80 Rn. 363). Nicht Verfahrensgegenstand ist hingegen der neu erlassene eigenständige Beitragsbescheid vom 25. Oktober 2011 betreffend das Flurstück 417, Flur 4, Gemarkung S…, der einen anderen Streitgegenstand verkörpert (vgl. Beschluss des Senats vom 30. November 2011 - 9 N 81.11 -, S. 3 EA).
Die Beschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg.
Bei Beschwerden in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes untersucht das Oberverwaltungsgericht wegen § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zunächst nur, ob die Rügen in der fristgerecht eingereichten Beschwerdebegründung berechtigt sind. Nur wenn das der Fall ist, prüft es weiter, ob nach allgemeinem Maßstab vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren ist.
Danach ist die zulässige Beschwerde hier unbegründet.
Im Lichte des Beschwerdevorbringens erweist sich zunächst die Begründung des Verwaltungsgerichts als nicht tragfähig. Das Verwaltungsgericht hat entscheidungstragend darauf abgestellt, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (wenngleich es auch die Begriffe „ernstliche Zweifel“ und „erhebliche Zweifel“ verwendet hat) den veranlagten klägerischen Flächen partiell kein mit einem Beitrag zu entgeltender wirtschaftlicher Vorteil durch die Anschlussmöglichkeit an die Schmutzwasserbeseitigungsanlage zukomme und dass wegen fehlender Feststellungen und Differenzierungen des Antragsgegners der Bescheid auch nicht für teilweise gerechtfertigt angesehen werden könne. An einem Vorteil fehle es hinsichtlich der mit Gleisanlagen versehenen Flächen bzw. hinsichtlich der Schienenwege und gewidmeten Betriebsanlagen. Diese Ansicht vermag die Beschwerde zu erschüttern. Denn die vom Verwaltungsgericht betrachtete Frage nach der Rechtswidrigkeit ist nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu verneinen, sondern stellt sich nach Ansicht des Senats als - allenfalls - offen dar.
Es mag zwar Überwiegendes dafür sprechen, dass mit Gleisanlagen versehenen Flächen durch die Inanspruchnahmemöglichkeit einer Abwasserbeseitigungsanlage kein beitragsrelevanter Vorteil zuwächst, soweit sie - als öffentliche Verkehrsfläche - dem öffentlichen Verkehr dienen, was einschließen dürfte, dass das Grundstück, auf dem sich die Gleisanlagen befinden, ohne Beschränkung auf einen bestimmten mit dem Verfügungsberechtigten in enger Beziehung stehenden Personenkreis der Öffentlichkeit zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 1987 - 8 C 85.86 -, Juris Rn. 27; OVG Thüringen, Beschluss vom 9. Januar 2001 - 4 EO 612/00 -, Juris Rn. 4 m.w.N.; BFH, Urteil vom 25. April 2001 - II R 19/98 -, Juris Rn. 13 m.w.N.). Nicht überwiegend wahrscheinlich, sondern eine offene Frage ist hingegen, ob ein Vorteil auch für solche Gleisflächen fehlt, die sich - wie die Beschwerde für den vorliegenden Fall hervorhebt - auf einem umzäunten Betriebshof befinden, der nur von Vertretern der Antragstellerin bzw. deren Angestellten betreten werden darf. Eine entsprechende Frage wird vom Bundesfinanzhof (Urteil vom 25. April 2001 - II R 19/98 -, Juris Rn. 13) verneint; nach anderer Auffassung - der auch das Verwaltungsgericht gefolgt ist - solle es unter dem Gesichtspunkt des Vorteils bzw. Baulandes auf einen Fachplanungsvorbehalt ankommen (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29. April 2005 - 15 A 2667/02 -, Juris), während wiederum das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 11. Dezember 1987 - 8 C 85.86 -, Juris Rn. 24, 29) zum erschließungsbeitragsrechtlichen Baulandsbegriff entschieden hat, dass es auf eine Planfeststellung gerade nicht ankomme. Überdies trägt die Begründung des Verwaltungsgerichts auch insoweit nicht, wie sie das Fehlen eines beitragsrelevanten Vorteils wohl schon mit Blick auf „gewidmete Betriebsanlagen“ annimmt; dies dürfte - wie auch mit der Beschwerde gerügt wird - einen zu weitreichenden Vorteilsausschluss bedeuten (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Oktober 1993 - 8 C 33.92 -, Juris Rn. 28 und vom 11. Dezember 1987 - 8 C 85.86 -, Juris Rn. 27).
Das Eingreifen der Rügen führt hier aber nicht zum Erfolg der Beschwerde und damit nicht zu einer Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Entscheidungsausspruchs. Denn dem Aussetzungsantrag der Antragstellerin war aufgrund ihres übrigen Vorbringens stattzugeben. Es spricht - jedenfalls wegen Nichterfüllung der betreffenden Mitwirkungsobliegenheit des Antragsgegners im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - bei überschlägiger Prüfung Überwiegendes für eine Festsetzungsverjährung des geforderten Beitrags, weil der Antragsgegner trotz Rüge durch die Antragstellerin nicht dargetan hat, warum die sich bis zum 31. Dezember 2004 Wirkung beimessenden früheren Beitragssatzungen des Zweckverbandes unwirksam seien.
Der Antragsgegner hat im angegriffenen Beitragsbescheid auf die Schmutzwasserbeitragssatzung des Zweckverbandes vom 2. Dezember 2009 abgestellt und insbesondere in einem Informationsschreiben vom 26. Januar 2011 zur Problematik der Heranziehung von sogenannten Altanschließern und zur Verjährung der Antragstellerin mitgeteilt, der Zweckverband habe „seit dem 1. Januar 2006“ eine rechtswirksame Schmutzwasserbeitragssatzung. Mit ihrem Antragsvorbringen hat die Antragstellerin auf den - unstreitigen - Zeitpunkt der Schaffung der Anschlussmöglichkeit im Jahr 2000, der im Jahr 2001 der tatsächliche Grundstücksanschluss nachgefolgt ist, hingewiesen und Festsetzungsverjährung geltend gemacht. Diese folge aus § 8 Abs. 7 KAG in Verbindung mit den Satzungen des Zweckverbandes, so dass die Festsetzungsverjährungsfrist spätestens am 31. Dezember 2004 abgelaufen sei; dafür, dass der Verband erst am 1. Januar 2006 erstmals eine rechtmäßige Schmutzwasserbeitragssatzung erlassen habe, seien keine Gründe erkennbar. Dem ist der Antragsgegner nicht hinreichend entgegengetreten.
Der fehlende Nachweis der Ungültigkeit früherer Satzungsregelungen geht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Lasten des Antragsgegners, wenn er sich zur Rechtfertigung neuen Satzungsrechts auf die Rechtswidrigkeit früherer Satzungsbestimmungen beruft und dies - wie hier von der Antragstellerin - in Abrede gestellt wird. Hier kehrt sich die Darlegungs- und Nachweislast gleichsam um, da – prima facie – auch für das frühere Satzungsrecht eine Gültigkeitsvermutung besteht und es deshalb der die Abgabe erhebenden Behörde obliegt, darzutun, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Vertrauensschutz des Bürgers in die vergleichsweise günstigeren Vorschriften des ersetzten Satzungsrechts nicht besteht (vgl. Beschluss des Senats vom 2. September 2005 - 9 S 11.05 -, Juris Rn. 7). Es müsste sich schon nach der reduzierten Prüfungstiefe des vorliegenden Verfahrens eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Beitragssatzungen feststellen lassen; dafür hat der Antragsgegner allerdings keine hinreichenden Anhaltspunkte dargetan.
Indem der Antragsgegner seine Antragserwiderung vom 24. Juni 2011 darauf beschränkt, eine „Beitragssatzung aus 2005, die am 01.01.2006 in Kraft trat“, als erste „vollwirksame“ Beitragssatzung zu erwähnen, legt er nicht die von der Antragstellerin vermissten Gründe dar, warum welche früheren Beitragssatzungen - die es unstreitig gegeben hat - unwirksam seien. Ein schlichter Hinweis, dass dies „nach der Rechtsprechung der Kammer und des Obergerichts“ so sei, ohne dazu auch nur ansatzweise auszuführen oder zumindest eine betreffende Fundstelle anzugeben, ist insoweit unergiebig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).