Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 03.05.2011 | |
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Aktenzeichen | L 11 SB 287/09 B PKH | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 73a Abs 1 S 1 SGG, § 114 S 1 ZPO, § 118 Abs 2 S 2 ZPO |
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. Juli 2009 abgeändert. Der Klägerin wird ab dem 8. Mai 2007 für das erstinstanzliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe ohne Festsetzung von Monatsraten und aus dem Vermögen zu zahlenden Beträgen unter Beiordnung von Rechtsanwalt T K, Astraße, B bewilligt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 8. Juli 2009 ist zulässig und begründet.
Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Prozessbeteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht und nicht mutwillig erscheint. Bei der Abwägung, ob einer Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg zukommt, gebietet Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i. V. m. dem in Artikel 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegten Rechtsstaatsgrundsatz und der in Artikel 19 Abs. 4 GG verankerten Rechtsschutzgarantie gegen Akte der öffentlichen Gewalt eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. In der Folge dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überzogen werden, weil das Prozesskostenhilfeverfahren den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bietet, sondern ihn erst zugänglich macht (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 2009 – 1 BvR 439/08 – zitiert nach juris -; vom 14. März 2003 – 1 BvR 1998/02 – in NJW 2003, 2976; vom 7. April 2000 – 1 BvR 81/00 – in NJW 2000, 1936). Damit muss der Erfolg des Rechtsschutzbegehrens nicht gewiss sein; hinreichende Aussicht auf Erfolg ist nur dann zu verneinen, wenn diese nur entfernt oder schlechthin ausgeschlossen ist. Die hinreichende Erfolgsaussicht ist daher gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Ist eine Rechtsfrage aufgeworfen, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber klärungsbedürftig ist, muss ebenfalls Prozesskostenhilfe bewilligt werden (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 73a, Rn. 7a, b, m. w. N.).
Nach Maßgabe der genannten Grundsätze bietet die Rechtsverfolgung zwar zum Entscheidungszeitpunkt des Senats keine Erfolgsaussichten mehr. Denn die Klage ist durch das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 8. Juli 2009 abgewiesen worden. Dieser ist nach Lage der Akten rechtskräftig. Auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Senats kommt es aber jedenfalls vorliegend nicht an. Zwar ist für die geforderte Erfolgsprognose grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts – hier des Senats – abzustellen (vgl. hierzu und zum Folgenden Lowe in Beck'scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 73a SGG, Rn. 5). Dies kann aber dann nicht gelten, wenn die Entscheidung durch das Gericht grundlos verzögert wird und sich zwischenzeitlich die Sach- oder Rechtslage zum Nachteil des Antragstellers geändert hat. Abzustellen ist dann auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Antrags, zu dem das Prozesskostenhilfegesuch einschließlich der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den dazu gehörigen Belegen vollständig bei Gericht eingegangen ist, oder den Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Antrags, zu dem die erforderlichen Entscheidungsgrundlagen vorliegen und das Gericht über das Gesuch bereits hätte entscheiden können (vgl. zum Meinungsstand Beschluss des Senats vom 6. Oktober 2010 - L 11 SB 55/10 B PKH - juris).
Ob der Zeitpunkt der Bewilligungs- oder der der Entscheidungsreife maßgeblich ist, kann hier dahinstehen. Bewilligungsreife lag mit Eingang des Prozesskostenhilfegesuches einschließlich der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den dazu gehörigen Belegen am 8. Mai 2007 vor. Entscheidungsreife lag mit Eingang der Verwaltungsakten des Beklagten am 11. Mai 2007 vor. Zu beiden Zeitpunkten hatte die Klage hinreichende Erfolgsaussichten.
Die hinreichenden Erfolgsaussichten ergeben sich hier daraus, dass das Sozialgericht drei Befundberichte mit ausführlicher Fragestellung eingeholt hat. Ob jede Einholung von Befundberichten die Annahme hinreichender Erfolgsaussichten einer Klage rechtfertigt, lässt der Senat offen (in diese Richtung Landessozialgericht <LSG> Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Dezember 2009 - L 27 P 23/09 B PKH –, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. März 2010 - L 6 B 158/09 AS – beide bei juris), wobei für diese Ansicht spricht, dass in der Regel die hinreichende Erfolgsaussicht nicht verneint werden kann, wenn das Gericht eine Beweiserhebung von Amts wegen für notwendig erachtet (Leitherer, a. a. O., Rn. 7a). Gegen diese Ansicht mag indes der über § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG anwendbare § 118 Abs. 2 Satz 2 ZPO sprechen, nach dem das Gericht Erhebungen an Stellen, insbesondere die Vorlegung von Urkunden anordnen und Auskünfte einholen kann (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18. Juni 2008 - L 12 B 2/08 SB - juris). Auch das LSG Niedersachsen-Bremen geht in dem genannten Beschluss aber davon aus, dass Erfolgsaussichten trotz notwendig gehaltener Befundberichte nur verneint werden können, solange das Gericht mit den erbetenen Befundangaben keine (weitergehende) Beurteilung des ihm konkret vorliegenden Sachverhalts oder seiner einzelnen Aspekte erfragt, wie etwa - je nach Lage des Einzelfalls -, welcher GdB sich aus bestimmten Gesundheitsbeschwerden ergibt, ob die (medizinischen) Voraussetzungen für ein bestimmtes Merkzeichen vorliegen, ob eine bestimmte Tätigkeit noch verrichtet werden kann, etc.
Hier hat das Sozialgericht die weitergehende Beurteilung des Sachverhalts und einzelner Aspekte erfragt. Es hat zwar nicht konkret die Bezifferung des jeweiligen GdB gefordert. Es hat aber in der Anlage der jeweiligen Befundberichte weitgehend wortgleich die Beschreibungen der Erkrankungen und der dazu gehörigen Funktionseinschränkungen aus den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) (hier: AHP 2005 und 2008) sowie der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) (VersMedV) übernommen und abgefragt (etwa Nr. 26.18 der AHP 2005 und 2008, S. 116 f. und S. 119 f., Teil B, Nr. 18.9 und 18.13 der Anlage zu § 2 VersMedV, S. 89 f. und S. 93f. bei der Befundberichtsanforderung an Dr. B; Nr. 26.9 der AHP 2005 und 2008, S. 71 f. und S. 75f., Teil B, Nr. 9.1 und Nr. 9.3 der Anlage zu § 2 VersMedV, S. 46 f. und S. 51f. bei der Befundberichtsanforderung an Dr. S; Nr. 26.8 der AHP 2005 und 2008, S. 67f. bzw. 68f., Teil B Nr. 8.2 und 8.3 der Anlage zu § 2 VersMedV, S. 43f. bei der Befundberichtsanforderung an Dr. P). Mit der Beantwortung dieser Fragen wurde vorliegend von den behandelnden Ärzten der Klägerin teilweise aber auch eine über die bloße Tatsachenmitteilung hinausgehende Beurteilung gefordert. Damit hat das Sozialgericht hier nicht im Sinne des § 118 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur Auskünfte eingeholt, sondern ist in die Beweiserhebung eingetreten. Bei dieser Sachlage durfte das Sozialgericht nicht den Eingang der Befundberichte abwarten, um auch auf der Grundlage dieser die Erfolgsaussichten für die Klage zu verneinen und Prozesskostenhilfe abzulehnen.
Die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe waren und sind erfüllt. Insbesondere war und ist die Klägerin nicht in der Lage, sich auch nur teilweise an den Kosten der Prozessführung zu beteiligen. Die Beiordnung des von ihr benannten Rechtsanwalts ist nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO erforderlich.
Für die Zeit vor dem 8. Mai 2007 hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Ergebnis zu Recht abgelehnt, weil dem am 4. April 2007 bei Gericht eingegangenen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom selben Tag eine Erklärung der Klägerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht beigefügt war und diese erst am 8. Mai 2007 mit dem Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 7. Mai 2007 bei Gericht eingegangen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.