Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 24.03.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 2 B 9.10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 91 VwGO |
Auf die Berufung des Beklagten wird das dem Kläger sowie der Beigeladenen zu 1. am 16. Juni 2008 und dem Beklagten am 18. Juni 2008 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge einschließlich der ab dem Zeitpunkt der Beiladung entstandenen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. und 3. Die Beigeladene zu 1. trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Am 9. März 2004 stellte der Kläger bei dem Beklagten einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung zur „Sanierung einer ortstypischen Hofbebauung“, nämlich (u.a.) des rückwärtigen Anbaus und Seitenflügels an das Wohngebäude auf dem Flurstück 166/3 der Flur der Gemarkung W_____. Nach der Baubeschreibung sollte die grenzständig zum nördlichen Nachbargrundstück (Flurstück 165/1) aufstehende Wand des Seitenflügels abgebrochen und erneuert werden, da ihre Standsicherheit insbesondere durch eine ca. 80 cm tiefe Abgrabung auf Seiten des Nachbarn nicht mehr gegeben war. Das Dach des Seitenflügels war neu zu errichten; zur Innenseite des Hofes soll eine Vollverglasung vorgenommen werden („Wintergarten“). Nach den Bauvorlagen weist der Seitenflügel einen grenzständig zum Nachbargrundstück aufstehenden Holzkamin auf. Mit Schreiben vom 18. Mai 2004 beantragte der Kläger eine Abweichung von dem Abstandsflächenerfordernis. Unter dem 4. Juni 2004 versagten die von dem Beklagten beteiligten Beigeladenen zu 2. und 3. ihre Zustimmung zu dem Vorhaben des Klägers. Mit Bescheid vom 23. August 2004 lehnte der Beklagte die beantragte Baugenehmigung ab, weil das Vorhaben sich als vom Bestandsschutz nicht mehr gedeckter Neubau darstelle, somit Abstandsflächen auslöse, eine Übernahme der Abstandsflächen auf das Nachbargrundstück nicht nachgewiesen sei und die beantragte Abweichung mangels einer Nachtbarzustimmung nicht zugelassen werden könne; überdies fehle ein amtlicher Lageplan. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. November 2004 zurück.
Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht seinen Baugenehmigungsantrag dahingehend modifiziert, dass die Errichtung eines Schornsteins nicht mehr vorgenommen werden solle, und weiter erklärt, dass er den bereits im Rohbau errichteten Schornstein im Falle einer rechtskräftig werdenden positiven Entscheidung des Gerichts alsbald zurück bauen werde. Das Verwaltungsgericht hat der Klage auf der Grundlage des modifizierten Baugenehmigungsantrags stattgegeben und zur Begründung zusammengefasst ausgeführt, der Kläger könne sich zwar weder auf die nach Erlass der angefochtenen Bescheide in Kraft getretene Regelung des § 6 Abs. 12 Satz 1 BbgBO noch auf einen erweiterten Bestandsschutz berufen. Jedoch sei in Bezug auf den grenzständig zum Nachbargrundstück errichteten Seitenflügel auf der Basis des in der mündlichen Verhandlung geänderten Baugenehmigungsantrags gemäß § 60 Abs. 1 BbgBO eine Abweichung von dem Erfordernis des § 6 Abs. 1 BbgBO zur Einhaltung von Abstandsflächen zu erteilen.
Zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Berufung vertritt der Beklagte die Ansicht, die Klage sei unzulässig, weil der Kläger seinen ursprünglichen Antrag in der mündlichen Verhandlung geändert hat. Er - der Beklagte - habe der Klageänderung weder zugestimmt noch sei diese sachdienlich. Ihm werde die Möglichkeit genommen, das ihm zustehende Ermessen bei der Entscheidung über den Abweichungsantrag auszuüben. Im Übrigen habe der Kläger kein Sachbescheidungsinteresse, da der Bau abweichend von den Bauvorlagen errichtet worden sei und die vorliegenden Bauvorlagen mangels eines amtlichen Lageplans ohnehin nicht bescheidungsfähig seien. Dem Bauvorhaben stehe § 6 BbgBO entgegen, da Abstandsflächen nicht eingehalten würden und die Zulassung einer Abweichung nach § 60 Abs. 1 BbgBO neben den in § 6 Abs. 2 und 12 BbgBO genannten besonderen Abweichungsfällen nur bei einer atypischen Grundstückssituation in Betracht komme.
Der Beklagte beantragt,
die Klage unter Abänderung des dem Kläger sowie der Beigeladenen zu 1. am 16. Juni 2008 und dem Beklagten am 18. Juni 2008 zugestellten Urteils des Verwaltungsgerichts Potsdam abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er sieht in der Modifizierung seines Baugenehmigungsantrags in der mündlichen Verhandlung keine Klageänderung im Sinne von § 91 VwGO, sondern eine teilweise Klagerücknahme gemäß § 92 VwGO, so dass eine Einwilligung des Beklagten nicht erforderlich sei. Eine etwaige Klageänderung sei in jedem Fall sachdienlich, da der Streitstoff im Wesentlichen derselbe bleibe. Bezüglich der Genehmigungsfähigkeit seines Bauvorhabens stützt sich der Kläger auf die aus seiner Sicht zutreffenden Darlegungen des Verwaltungsgerichts in dem angegriffenen Urteil.
Die Beigeladenen zu 2. und 3. beantragen,
die Klage unter Abänderung des dem Kläger sowie der Beigeladenen zu 1. am 16. Juni 2008 und dem Beklagten am 18. Juni 2008 zugestellten Urteils des Verwaltungsgerichts Potsdam abzuweisen.
Zur Begründung schließen sie sich den Ausführungen des Beklagten an.
Die Beigeladene zu 1. hat sich zur Sache nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben, weil es sich bei dem in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung gestellten modifizierten Klageantrag um eine unzulässige Klageänderung im Sinne von § 91 VwGO handelt.
1. Entgegen der Ansicht des Klägers beinhaltet die Umstellung seines Verpflichtungsantrages keine teilweise Klagerücknahme, da eine solche einen - hier nicht gegebenen - teilbaren Streitgegenstand verlangt. Die begehrte Verpflichtung zur Erteilung der beantragten Baugenehmigung mit der Modifikation, dass ein Schornstein nicht errichtet werden soll, stellt nicht ein lediglich im Umfang verringertes, sondern ein anderes Klagebegehren dar. Indem der Kläger mit seinem modifizierten Antrag ein geändertes Bauvorhaben zur Genehmigung stellt, wird der Streitgegenstand des anhängigen Verfahrens, nämlich der zu Grunde liegende Lebenssachverhalt (Klagegrund) geändert.
2. Eine zur Zulässigkeit der Klageänderung führende Einwilligung der übrigen Beteiligten liegt nicht vor (§ 91 Abs. 1 VwGO). Der Beklagte und die Beigeladenen haben weder im verwaltungsgerichtlichen Verfahren noch im Berufungsverfahren ausdrücklich in die Klageänderung eingewilligt. Ebenso wenig liegen rügelose Einlassungen im Sinne von § 91 Abs. 2 VwGO vor. Der Kläger hat den veränderten Klageantrag ohne vorherige schriftsätzliche Ankündigung auf den Hinweis des Gerichts in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gestellt. Dem Terminsprotokoll lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass sich der Beklagte und die - vor dem Verwaltungsgericht lediglich beteiligte - Beigeladene zu 1. nach der Stellung des Klageantrags sachlich auf die geänderte Klage eingelassen hätten. Der von dem Beklagten gestellte Klageabweisungsantrag beinhaltet keine Einlassung, da es nicht zulässig ist, hieraus indiziell zu schließen, er sei gleichwohl mit einer sachlichen Behandlung des geänderten Klageantrages einverstanden; § 91 VwGO fordert vielmehr äußere Indizien dafür, dass Einverständnis mit einer Änderung des Streitgegenstandes besteht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. März 1995 - 4 B 26.95 -, juris). Auch im Berufungsverfahren lassen sich rügelose Einlassungen nicht feststellen. Die Beigeladene zu 1. hat nicht Stellung genommen, der Beklagte hat ausdrücklich auf die Unzulässigkeit der Klageänderung hingewiesen und die Beigeladenen zu 2. und 3. haben sich dieser Ansicht angeschlossen.
3. Die Klageänderung ist nicht sachdienlich. Sachdienlichkeit ist aus Gründen der Prozessökonomie regelmäßig gegeben, wenn auf der Grundlage des geänderten Antrags eine streitbefriedigende Sachentscheidung getroffen werden könnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. März 1995 - 4 B 26.95 -, a.a.O.). Hieran fehlt es, wenn die geänderte Klage unzulässig ist, insbesondere wenn es für den geänderten Sachantrag an dem erforderlichen behördlichen Verfahren fehlt (vgl. Nieders. OVG, Urteil vom 29. April 2008 - 12 LC 20.07 -, juris; BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1987 - 4 C 12.84 -, NJW 1988, 1228; Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Aufl. 2010, § 91 Rn. 13; Rennert in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 91 Rn. 31; Ortloff/Riese in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: August 2010, § 91 Rn. 63). So liegt der Fall hier.
Die vorliegend erhobene Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO setzt voraus, dass zuvor ein entsprechender Antrag auf Erteilung des begehrten Verwaltungsaktes bei der Behörde gestellt und - mit Ausnahme der in § 68 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 2, § 75 VwGO aufgeführten Fälle - das Vorverfahren gemäß §§ 68 f. VwGO durchgeführt wird. Das Bemühen des Rechtsuchenden, sein Begehren vor Klageerhebung in einem Verwaltungsverfahren geltend zu machen, ist eine Sachurteilsvoraussetzung, die der Verwirklichung des in Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG verankerten Gewaltenteilungsprinzips dient (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Januar 1986 - 5 C 36.84 -, NVwZ 1987, 412; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 42 Rn. 37). Die Verwaltungsgerichte sind dazu berufen, behördliche Entscheidungen - u.a. Bauanträge - zu überprüfen, nicht dagegen, solche Entscheidungen unmittelbar selbst zu treffen. Allerdings erfährt dieser Grundsatz aus Gründen der Prozessökonomie dort eine Durchbrechung, wo nur unwesentliche Änderungen in den Streitstoff eingeführt werden (vgl. OVG Nordrh.-Westf., Urteil vom 22. August 2001 - 13 A 817/01 -, juris). Im Falle eines auf die Erteilung einer Baugenehmigung gerichteten Verwaltungsstreitverfahrens bedarf es keines neuen Antragsverfahrens, wenn der Betroffene die Änderung in einer ohne weiteres prüffähigen Weise anbietet, die Änderung - bezogen auf die baurechtliche Beurteilung - nur untergeordnete Bedeutung hat und die zumindest prinzipielle Genehmigungsfähigkeit des Antrags nicht zweifelhaft ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Januar 1971 - V C 70.70 -, Buchholz 310 § 68 VwGO Nr. 9). Gemessen hieran fehlt es bereits an der zuerst genannten Voraussetzung, da der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht keinen seinem jetzigen Begehren angepassten Bauantrag einschließlich der erforderlichen Bauvorlagen vorgelegt hat. Insbesondere die Bauvorlagen dienen dazu, den Inhalt des Bauvorhabens und dessen Merkmale präzise zu bestimmen. Die nunmehr zur Genehmigung gestellte Änderung des Bauvorhabens ist zudem nicht lediglich von untergeordneter Bedeutung, vielmehr war der Verzicht auf den Bau eines Schornsteins ausschlaggebend für die Bewertung des Verwaltungsgerichts, dass eine Abweichung gemäß § 60 Abs. 1 BbgBO zu erteilen und das Bauvorhaben trotz Überschreitung der Abstandsflächen genehmigungsfähig ist. Eine Änderung, die - wie hier - geeignet ist, die baurechtliche Beurteilung des gesamten Bauvorhabens zu ändern, ist als wesentlich anzusehen und kann nicht unmittelbar in das gerichtliche Verfahren eingebracht werden (vgl. OVG Nordrh.-Westf., Urteil vom 1. August 1989, NWVBL 1990, 66; Bay.VGH, Urteil vom 12. November 1979, BayVBl 1980, 296, 297). Angesichts dieser Sach- und Rechtslage bedarf weder einer Entscheidung, ob die weitere Voraussetzung einer unzweifelhaften prinzipiellen Genehmigungsfähigkeit des Antrags erfüllt ist, noch ob das dem Beklagten bei der im Rahmen der Bescheidung des Bauantrages zu treffenden Entscheidung über die Erteilung einer Abweichung von dem Abstandsflächenerfordernis zustehende Ermessen „auf Null" reduziert ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 GKG, wobei der ausgeworfene Betrag dem erstinstanzlich festgesetzten Wert entspricht. Das Verwaltungsgericht hat diesen Betrag in Anlehnung an Ziffern9.1.1 und 9.1.9 des - im Interesse der Vorhersehbarkeit der Kostenfolgen und damit der Rechtssicherheit sowie der Gleichbehandlung - regelmäßig herangezogenen Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von Juli 2004 (veröffentlicht in DVBl. 2004, 1525) im Wege pauschalierter Schätzung ermittelt. Anhaltspunkte für eine hiervon abweichende Bewertung des klägerischen Interesses sind im Berufungsverfahren weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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