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Bedarfsgemeinschaft; Familienzusammenführung mit türkischem Ehemann und gemeinsamen Kindern; keine Erwerbstätigkeit; langjähriger SGB II-Bezug; Lebensunterhaltssicherung; Schlechterstellungsverbot aus Art. 6 Abs. 1 GG; Türkin; Verpflichtungserklärung der Kinder nur für Mutter; Volljährigkeit der Kinder; vorläufiger Rechtsschutz


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat Entscheidungsdatum 10.10.2012
Aktenzeichen OVG 11 S 39.12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 30 Abs 3 AufenthG, § 68 AufenthG, Art 6 Abs 1 GG, § 80 Abs 5 VwGO, § 146 Abs 4 VwGO

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 11. Juni 2012 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die 1960 geborene türkische Antragstellerin reiste in Begleitung einer 1993 geborenen Tochter nach Eheschließung mit einem in Deutschland mit Aufenthaltsberechtigung lebenden türkischen Staatsangehörigen erstmals im September 2003 zwecks Familienzusammenführung mit weiteren in Berlin lebenden Kindern und ihrem Ehemann ins Bundesgebiet ein. Hier erhielt sie im Hinblick hierauf in der Folgezeit fortlaufend Aufenthaltserlaubnisse zu diesem Zweck, wobei diese am 28. Februar 2008 und am 11. Februar 2010 im Hinblick auf den Bezug von Leistungen nach dem ALG II bzw. SGB II jeweils nur aufgrund von Ermessensentscheidungen nach § 29 i.V.m. § 30 Abs. 3 AufenthG für zwei Jahre verlängert wurden, da im Haushalt noch die miteingereiste minderjährige Tochter lebe.

Die am 19. Januar 2012 beantragte weitere Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis lehnte der Antragsgegner unter Androhung ihrer Abschiebung durch Bescheid vom 24. Februar 2012 im Wesentlichen mit der Begründung ab, der Lebensunterhalt der Familie sei nicht hinreichend gesichert. Bereits kurz nach ihrer Einreise habe ihr Ehemann seine Arbeitsstelle verloren. Trotz einer gewerblichen Tätigkeit als Gaststättenbetreiber habe ihr Ehemann schon seit Einführung des ALG II zum 1. Januar 2005 fortlaufend diesbezügliche öffentliche Leistungen für die Familie bezogen. Eine eigenständige Erwerbstätigkeit habe sie selbst, obwohl sie vom Jobcenter als erwerbsfähig eingestuft werde, nie ausgeübt und sich auch nicht darum bemüht. Das gelte fortlaufend für sie und auch für ihren Ehemann. Bei der letzten Erteilung der Aufenthaltserlaubnis sei sie im Hinblick auf den bevorstehenden Eintritt der Volljährigkeit der Tochter darauf hingewiesen worden, eine weitere Verlängerung käme danach nur im Falle der Sicherung des Lebensunterhalts in Betracht. Trotz langdauernder Teilnahme an Deutschkursen könne sie selbstständig kein deutsches Wort sagen. Ihre Integration in die hiesigen Verhältnisse sei ersichtlich nicht gelungen. Angesichts der Volljährigkeit der hier lebenden gemeinsamen Kinder und der Möglichkeit, mit ihrem Ehemann in die Türkei zurückzukehren, werde das im Rahmen des § 30 Abs. 3 AufenthG bestehende Ermessen zu ihren Lasten ausgeübt. Ein Aufenthaltsrecht aus dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 (ARB 1/80) bestehe nicht. Eine besondere Härte liege nicht vor.

Hiergegen hat die Antragstellerin am 24. März 2012 Klage erhoben (VG 30 K 178.12) und den streitgegenständlichen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt. Das Verwaltungsgericht hat diesen Antrag durch Beschluss vom 11. Juni 2012 im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, ein Anspruch der Antragstellerin auf ein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 ARB 1/80 bestehe nicht. Sie habe mangels hinreichender Sicherung des Lebensunterhalts auch keinen Verlängerungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1 und 30 Abs. 1 AufenthG, da sie weiterhin auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen seien. Ihr Bedarf sei auch nicht durch Unterhaltszusagen von zwei Söhnen gedeckt. Entsprechende Verpflichtungserklärungen gemäß § 68 AufenthG lägen nicht vor, so dass deren Geeignetheit und Werthaltigkeit nicht geprüft zu werden brauche. Schließlich habe der Antragsgegner auch eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 30 Abs. 3 AufenthG ermessensfehlerfrei abgelehnt. Insbesondere seien ihre geringe soziale und wirtschaftliche Integration, die Beziehungen zu den hier lebenden Familienangehörigen, die Volljährigkeit der Kinder und die Möglichkeit der Fortführung der Ehe im gemeinsamen Heimatland Türkei berücksichtigt worden. Auch könne sie sich angesichts der Hinweise bei den letzten beiden Verlängerungen der Aufenthaltserlaubnis nicht auf Vertrauensschutz berufen.

II.

Die am 25. Juni 2012 erhobene und am 9. Juli 2012 auch rechtzeitig begründete Beschwerde gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes hat auf der Grundlage des nach § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO maßgeblichen Beschwerdevorbringens aus den nachstehend aufgeführten Gründen keinen Erfolg.

Die Antragstellerin macht zunächst geltend, zwar sei sie vom Antragsgegner im Hinblick auf die eintretende Volljährigkeit ihrer Tochter aufgefordert worden, eine Berufstätigkeit aufzunehmen, jedoch seien seit ihrer Einreise nahezu zehn Jahre vergangen, in denen sie sich um die im Haushalt lebenden Kinder habe kümmern müssen. In dieser Zeit habe sie einer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen können. Auch die deutsche Sprache habe sie nicht gelernt. Zwischenzeitlich sei sie erkrankt und nicht in der Lage, eine Arbeit aufzunehmen. Sie sei dauerhaft arbeitsunfähig, insoweit werde eine ärztliche Stellungnahme eines Krankenhauses vom 12. Juni 2012 überreicht. Dieses Vorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Die vorgelegte Krankenhausbescheinigung ist nicht einmal im Ansatz geeignet, eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit der Antragstellerin zu belegen. Hierin wird neben einer Gastritis lediglich attestiert, dass sie einen niedergeschlagenen Eindruck mache, häufig mutlos und traurig wirke. Nach Angaben ihrer Kinder stehe dies mit dem Tod ihres Bruders in Zusammenhang. Dieser lag ausweislich dieser Bescheinigung zwei Wochen zurück. Für den Fall des Fortbestehens des Eindrucks wurde hiernach die Vorstellung in der psychiatrischen Institutsambulanz empfohlen. Ansonsten werde die Patientin wegen der aufgetretenen Schmerzen im Brustbereich in gebessertem Zustand in ambulante Weiterbehandlung entlassen.

Auch der Verweis der Antragstellerin darauf, sie habe sich in den Jahren nach ihrer Einreise nach Deutschland um ihre Kinder kümmern müssen und deshalb nicht erwerbstätig sein können, überzeugt schon angesichts deren Alters zumindest im Zeitpunkt der letzten Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis im Februar 2010 - damals waren ihre 1986, 1988 und 1989 geborenen Söhne längst volljährig und auch ihre im Juli 1993 geborene Tochter bereits 16 Jahre alt - nicht. Auch das Unterbleiben des Erwerbs wenigstens geringfügiger deutscher Sprachkenntnisse vermag das nicht zu erklären.

Mit ihrem Beschwerdeschriftsatz vom 9. Juli 2012 macht die Antragstellerin weiterhin geltend, das Verwaltungsgericht habe die „Wirksamkeit“ der Verpflichtungserklärungen ihrer beiden Söhne verneint, weil deren Bonität wegen anderweitiger Abzahlungsverpflichtungen nicht gesichert sei. Richtig sei jedoch, dass man bereits zuvor eine Bescheinigung der Berliner Bank vorgelegt habe, wonach der Kredit der Söhne bereits abgelöst sei, und man um einen schnellstmöglichen Termin zur Abgabe einer Verpflichtungserklärung gemäß § 68 AufenthG gebeten habe. Daraus werde sich dann ergeben, dass beide unverheiratet seien, keine Unterhaltspflichten gegenüber Dritten hätten und auch keine Bankkredite „liefen“. Im Übrigen sei es auch unproblematisch, dass aufgrund ihrer Einkommensverhältnisse zwei Verpflichtungserklärungen in Höhe von 378,00 und 340,00 EUR zu ihren Gunsten abgegeben würden.

Auch dieses Vorbringen - und selbst die später nachgereichten Verpflichtungserklärungen zweier Söhne der Antragstellerin zu ihren Gunsten vom 3. September 2012 - rechtfertigen keine andere Beurteilung. Denn der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 20. September 2012 zu Recht darauf hingewiesen, dass die Bedarfsgemeinschaft, der die Antragstellerin und ihre Familie angehören, weiterhin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Anspruch nimmt. Insoweit wird auf einen (später vorgelegten) Bescheid des Jobcenters vom 6. August 2012 verwiesen, wonach der Bedarfsgemeinschaft Leistungen in Höhe von knapp 1.200 EUR für die Zeit vom 1. August 2012 bis zum 31. Januar 2013 bewilligt worden sind. Dass die Antragstellerin selbst hiernach solche Leistungen seit dem 1. August 2012 nicht mehr bezieht, ist unerheblich, da es ausweislich des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. November 2010 zum Geschäftszeichen 1 C 20.09 darauf ankommt, dass der Gesamtbedarf einer gemäß § 7 Abs. 3 SGB II bestehenden Gemeinschaft, zu der sie gehört, nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen gedeckt wird.

Abgesehen davon, dass ein derartiger Einwand jedenfalls mit der allein fristgemäß eingegangenen Beschwerdebegründung nicht dargelegt wurde, liegt auch ein Verstoß gegen das aus Art. 6 Abs. 1 GG folgende Verbot der Schlechterstellung nur wegen des Bestehens einer ehelichen Lebensgemeinschaft nicht vor. Denn die Antragstellerin hätte im vorliegenden Fall auch dann keinen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis, wenn ihre eheliche Lebensgemeinschaft nicht (mehr) bestünde. Die dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Mai 2007 zum Geschäftszeichen 2 BvR 2483/06 (NVwZ 2007, 1302) zugrundeliegende Konstellation ist mit der vorliegenden nicht vergleichbar. Das aus den Unterhaltsleistungen von zweien ihrer Söhne resultierende Einkommen würde allerdings den im Falle einer unterstellten Trennung der Antragstellerin von ihrem Ehegatten verbleibenden Bedarf der dann (nur) aus ihr und den wirtschaftlich noch nicht selbständigen drei Kindern bestehenden Bedarfsgemeinschaft nicht abdecken (vgl. den Bescheid des Jobcenters vom 6. August 2012). Denn die ihr Unterhalt gewährenden Söhne sind nach den eigenen Angaben der Antragstellerin aufgrund ihres Einkommens (nur) zur Erbringung von 378,00 bzw. 340,00 EUR monatlich in der Lage.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).