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(Kündigungsfristen im Massenentlassungsverfahren)


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 13. Kammer Entscheidungsdatum 09.04.2010
Aktenzeichen 13 Sa 30/10 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 18 Abs 1 KSchG, § 17 KSchG, § 622 Abs 2 BGB

Leitsatz

Nach § 18 KSchG werden Entlassungen, die nach § 27 KSchG anzuzeigen sind, vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Massenentlassungsanzeige nur mit Zustimmung der Agentur für Arbeit wirksam. Eine nach erfolgter Anzeigeerstattung ausgesprochene Kündigung bleibt aber als Rechtsgeschäft grundsätzlich wirksam.

Sie beendet, sofern der Kündigungstermin vor Ablauf dieser Sperrfrist liegen sollte, das Arbeitsverhältnis nur nicht zu dem in der Kündigungserklärung genannten Zeitpunkt, sondern erst mit Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige, wenn keine Zustimmung der Agentur für Arbeit zu einer früheren Beendigung erfolgt.

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 10. November 2009 - 5 Ca 209/09 - wird auf seine Kosten bei einem Streitwert von 6.400,00 EUR in der II. Instanz zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger verlangt aus Annahmeverzug für den Monat August 2009 6.400,-- € brutto nebst Zinsen von der Beklagten. Die Beklagte hatte im Rahmen von Massenentlassungen auch das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der ordentlichen Kündigungsfrist von 7 Monaten zum Monatsende nach § 622 Abs. 2 Ziff. 7 BGB mit Schreiben vom 23. Dezember 2008, dem Kläger am 30. Dezember 2008 zugegangen, zum 31. Juli 2009 gekündigt. Am 22. Dezember 2008 hatte die Beklagte bei der Bundesagentur für Arbeit - Agentur für Arbeit Potsdam - (im Folgenden: Arbeitsagentur Potsdam) gem. § 17 KSchG eine Massenentlassungsanzeige erstattet.

Mit Bescheid vom 23. Dezember 2008 teilte die Arbeitsagentur Potsdam der Beklagten mit, dass die in § 18 KSchG festgesetzte Frist (Entlassungssperre oder Sperrfrist) von 1 Monat am 23. Dezember 2008 begann und am 22. Januar 2009 endete, was nach einer Verlängerung der Sperre durch die Arbeitsagentur Potsdam und dem erfolgreichen Widerspruch der Beklagten nunmehr rechtskräftig feststeht.

Der Kläger ist im Rahmen seiner am 30. Januar 2009 beim Arbeitsgericht Potsdam eingegangenen Klage der Auffassung gewesen, dass die Kündigungsfrist erst mit Ablauf der Sperrfrist des § 18 Abs. 1 KSchG in Lauf gesetzt worden sei und damit das Arbeitsverhältnis erst am 31. August 2009 geendet habe.

Das Arbeitsgericht Potsdam hat die Klage mit Urteil vom 10. November 2009 abgewiesen und sich zur Begründung auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 06. November 2008 - 2 AZR 935/07 - (z. B. EzA § 18 KSchG Nr. 1 mit zustimmender Anmerkung von Brose) gestützt. Danach hindert die Entlassungssperre nach § 18 Abs. 1 KSchG weder den Ausspruch einer Kündigung nach Anzeige der Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit während des Laufs der Sperrfrist noch verlängert die Sperrfrist die gesetzlichen Kündigungsfristen. Wegen der konkreten Begründung des Arbeitsgerichts und des Vortrags der Parteien erster Instanz wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 10. November 2009 (Bl. 71 ff d. A.) verwiesen.

Gegen dieses ihr am 08. Dezember 2009 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam richtet sich die am 07. Januar 2010 im Original eingegangene und am 22. Februar 2010 nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22. Februar 2010 per Fax begründete Berufung des Klägers. Er meint, dass die Auffassung des Arbeitsgerichts Potsdam und des Bundesarbeitsgerichts in der zitierten Grundsatzentscheidung europarechtswidrig sei und nicht genügend die Entscheidungsgründe der EuGH-Entscheidung vom 27. Januar 2005 - C - 188/03 - [Junk] (EzA § 17 KSchG Nr. 13) berücksichtige. Nach den dortigen Entscheidungsgründen und insbesondere der Gleichsetzung von „Kündigung“ und „Entlassung“ in §§ 17, 18 KSchG könne zwar nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige die Kündigung ausgesprochen werden, der Lauf der Kündigungsfrist sei jedenfalls bis zum Ablauf der Entlassungssperre gehemmt, so dass vorliegend der Lauf der Kündigungsfrist sich um 1 Monat verlängere.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 10. November 2009 - 5 Ca 209/09 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.400,-- € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. September 2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und verweist sowohl auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts als auch des Europäischen Gerichtshofs.

Wegen des weiteren konkreten Vortrags in der zweiten Instanz wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 22. Februar 2010 (Bl. 100 ff d. A.) und 31. März 2010 (Bl. 135 f. d. A.) und der Beklagten vom 24. März 2010 (Bl. 121 ff d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die gem. §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe b, Abs. 6; 66 Abs. 1 S. 1 und S. 5 ArbGG; §§ 519; 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässige Berufung ist insbesondere formgerecht und fristgemäß eingelegt und begründet worden.

II.

In der Sache hat die Berufung des Klägers jedoch keinen Erfolg. Sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht hat das Arbeitsgericht Potsdam unter Verweis auf die zitierte Grundsatzentscheidung des BAG vom 06. November 2008 die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg folgt dem Arbeitsgericht Potsdam, dem Bundesarbeitsgericht in der zitierten Entscheidung und der bestätigenden Entscheidung des 8. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Mai 2009 - 8 AZR 273/08 - EzA § 17 KSchG Nr. 20, zu Rz. 67 ff und verweist wie in der mündlichen Verhandlung auf die beiden eigenen rechtskräftig entschiedenen Fälle vom 28. November 2008 - 13 Sa 1561/08 - n. v. - und 13 Sa 1461/08 - n. v. -, so dass von einer nur wiederholenden Begründung gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen wird. Zusammenfassend wird nur darauf verwiesen, dass nach § 18 Abs. 1 KSchG Entlassungen, die nach § 17 KSchG anzuzeigen sind, vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Massenentlassungsanzeige nur mit Zustimmung der Agentur für Arbeit wirksam werden. Eine nach erfolgter Anzeigeerstattung ausgesprochene Kündigung bleibt aber als Rechtsgeschäft grundsätzlich wirksam. Sie beendet, sofern der Kündigungstermin vor Ablauf dieser Sperrfrist liegen sollte, das Arbeitsverhältnis nur nicht zu dem in der Kündigungserklärung genannten Zeitpunkt, sondern erst mit Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige, wenn keine Zustimmung der Agentur für Arbeit zu einer früheren Beendigung erfolgt.

Nach dem Wortlaut des § 18 Abs. 1 KSchG darf eine Kündigung schon unmittelbar nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit ausgesprochen werden. Die Fassung des Gesetzes verbietet den Ausspruch der Kündigung vor dem Ablauf der Sperrfrist nicht, auch wenn unter „Entlassung“ i. S. d. § 18 Abs. 1 KSchG die Kündigung verstanden wird. Aus dem Gesetzeswortlaut lässt sich nur entnehmen, dass die Entlassung - auch bei ordnungsgemäßer Anzeige - grundsätzlich nicht ohne Einhaltung einer Mindestfrist von 1 Monat vollzogen werden darf.Geregelt wird insoweit nur der Vollzug der Entlassung. Damit bezieht sich das „Wirksamwerden“ i. S. d. § 18 KSchG auf den Eintritt der Rechtsfolgen der Kündigung. Diese treten mit dem Ablauf der Kündigungsfrist ein. Der Gesetzeswortlaut umschreibt daher nur einen „Mindestzeitraum“, der zwischen der Anzeigenerstattung und der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegen muss. Dieses Ergebnis steht auch der Richtlinie 98/59/EG vom 20. Juli 1998 (Massenentlassungsrichtlinie) nicht entgegen (BAG 28.05.2009, a. a. O., Rz. 70; BAG 06.11.2008, a. a. O., m. w. N. und eingehender Begründung). Im Streitfall erlangt § 18 Abs. 1 KSchG deshalb keine Bedeutung, weil der Kündigungstermin (31.07.2009) außerhalb der Sperrfrist des § 18 Abs. 1 KSchG liegt (ebenso BAG 28.05.2009, a. a. O., Rz. 71).

III.

Der Kläger trägt daher die Kosten seiner erfolglosen Berufung gem. § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.

Für eine Zulassung der Revision oder einer Vorlage an den EuGH zwecks Vorabentscheidung bestand keine Veranlassung:

1. Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung i. S. v. § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG, da sie nun bereits mehrfach durch das Bundesarbeitsgericht entschieden worden ist.

2. Einer Vorlage an den EuGH bedurfte es zum einen deshalb nicht, weil keine Vorlagepflicht gem. Art. 267 Abs. 2 AEUV besteht, da das Landesarbeitsgericht wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht letztinstanzlich entscheidendes nationales Gericht ist (ständige Rechtsprechung der nationalen Obergerichte, des Bundesverfassungsgerichts und des EuGH, vgl. etwa BFH 30.09.2009 - VII B 72/09 - zitiert nach juris, zu Rz. 10 m. w. N. aus der Rechtsprechung), zum anderen weil auch der EuGH in der zitierten Entscheidung vom 27.01.2005 [„Junk“] bereits das vorliegende Problem entgegen der Auffassung des Klägers entschieden hat.