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Mahalmi-Kurden; Einreise und Herkunft aus dem Libanon 1981; Bürgerkriegsflüchtlinge; hier geborene und aufgewachsene Kinder; Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen; Weisung des Senators für Inneres vom 1. Oktober 1987; ungeklärte Staatsangehörigkeit; Umstände der Eintragung in das türkische Personenstandsregister ungeklärt; türkische Staatsangehörigkeit nach den Eltern; Kenntnis bei Erteilung und Verlängerung des Aufenthaltstitels; Fremdenpässe; Reisedokumente; Kinderpässe; rückwirkende Rücknahme sämtlicher Verwaltungsakte im Jahre 2005; Abschiebungsandrohung; maßgeblicher Zeitpunkt; Ermessensfehler; Nachschieben von Gründen; erstinstanzliche Stattgabe bestätigt


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 7. Senat Entscheidungsdatum 12.03.2013
Aktenzeichen OVG 7 B 2.13 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 3 Abs 1 AuslG, § 9 Abs 1 Nr 1 AuslG, § 4 Abs 1 AuslG 1990, § 43 Abs 1 Nr 1 AuslG 1990, § 3 Abs 1 AufenthG, § 26 Abs 4 AufenthG, § 52 Abs 1 S 1 Nr 1 AufenthG, § 59 Abs 1 AufenthG, § 48 Abs 1 VwVfG, § 48 Abs 3 VwVfG, Art 3 Abs 1 GG, § 114 VwGO

Tenor

Soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt und der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. September 2007 für wirkungslos erklärt.

Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten, soweit hierüber nach der Abtrennung des Verpflichtungsbegehrens der Kläger zu 1. und 6. auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis im vorliegenden Verfahren noch zu entscheiden ist, zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die 1969 geborene Klägerin zu 5. und ihre zwischen 1986 und 1992 in Berlin geborenen Kinder, die Kläger zu 1. bis 4. und 6., wenden sich gegen die mit Bescheiden vom 19. und 20. Oktober sowie 7. November 2005 wegen Täuschung bzw. Verschweigens ihrer türkischen Staatsangehörigkeit/Herkunft verfügte Rücknahme ihnen ab 1988 erteilter Aufenthaltstitel, Fremdenpässe, Reiseausweise und Kinderpässe, die Kläger zu 1., 2. und 6 ferner gegen die Androhung ihrer Abschiebung. Hinsichtlich der in diesen Bescheiden gegenüber den Klägern zu 4. bis 6. verfügten Ausweisungen, der Ablehnung der Verlängerung von Aufenthaltstiteln für die Klägerinnen zu 2. bis 5. und der Androhung der Abschiebung der Klägerinnen zu 3. bis 5. ist das Verfahren in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend für erledigt erklärt worden. Hinsichtlich der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltstitel der Kläger zu 1. und 6. ist das Verfahren zur gesonderten Entscheidung abgetrennt worden.

Die Klägerin zu 5. reiste gemeinsam mit ihren Eltern und fünf Geschwistern erstmals im Juni 1981 ins Bundesgebiet ein. Im Rahmen ihres Asylbegehrens gaben die Eltern ihre Personalien mit H..., geboren 1941 in Beirut/Libanon, und S..., geboren 1945 in Beirut/Libanon, und die ihrer Kinder mit Geburtsdaten zwischen 1968 und 1979 und ebenfalls dem Geburtsort Beirut/Libanon an. Dabei legten sie ein am 2. Juni 1981 ausgestelltes libanesisches Laissez-Passer mit der Nr. 0... (Familienpass) vor. Ferner erklärten sie, staatenlose Kurden aus dem Libanon zu sein und in Beirut im Bezirk B...gewohnt zu haben. Geflohen seien sie aus Furcht um ihr Leben wegen des dortigen Bürgerkrieges.

Nachdem ein Schreiben des Beklagten an die libanesische Botschaft in Bonn wegen Verlängerung des abgelaufenen Laissez-Passer ohne Reaktion geblieben war, erhielt die Klägerin zu 5., die im November 1984 den 1967 in Beirut/Libanon geborenen libanesischen Staatsangehörigen F... geheiratet hatte, erstmals im April 1986 eine Duldung, wobei als Staatsangehörigkeit „ungeklärt“ angegeben ist. Auf Antrag vom 15. Dezember 1987 wurde ihr aufgrund der Weisung des Senators für Inneres vom 1. Oktober 1987 Ziffer II.2. als Kind von H... und unter Berücksichtigung von zwei in Berlin geborenen Kindern am 9. Februar 1988 erstmals für die Dauer eines Jahres für die Personalien S..., geboren 1970 in Beirut, Staatsangehörigkeit „ungeklärt“ ein Fremdenpass und eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Beides wurde in der Folgezeit jeweils um ein Jahr verlängert. Seit dem 8. Februar 1992 erhielt sie auf zwei Jahre befristete Aufenthaltsbefugnisse in ihren jährlich verlängerten Fremdenpass, später in das vom Beklagten erteilte Reisedokument. Die Kläger zu 1. bis 4. und 6., die im libanesischen Pass ihres im März 1995 verstorbenen Vaters eingetragen waren, erhielten ab 1989 bzw. 1993 im Hinblick auf ihre ungeklärte Staatsangehörigkeit ebenfalls befristete und später verlängerte Aufenthaltsbefugnisse und Kinderausweise, später Reisedokumente. Aus einer Bescheinigung der libanesischen Botschaft vom 25. September 1995 ergibt sich, dass die Klägerin zu 5. als „Staatenlose“ geführt werde und ihr ein Reisepass nicht ausgestellt werden könne. Auch ihre Kinder, d.h. die Kläger zu 1. bis 4. und 6., würden dort als staatenlos geführt. Ungeachtet eines Vermerks vom Oktober 1995 in der Ausländerakte der Klägerin zu 5. über die „evtl. türkische StA d. Familie“, die sich aus dem Schriftverkehr in der Akte des verstorbenen Vaters ergebe, wurden die Aufenthaltsbefugnisse der Kläger und ihre Ausweise auch in der Folgezeit um jeweils zwei Jahre, zuletzt am 25. November 1999 bis zum 26. November 2001, verlängert. Im Anschluss hieran erhielten sie auf ihre Verlängerungsanträge lediglich noch sog. Fiktionsbescheinigungen.

Durch Bescheid vom 19. Oktober 2005 nahm der Beklagte u.a. die der Klägerin zu 5. erteilten Aufenthaltstitel und Fremdenpässe sowie Reisedokumente mit Wirkung für die Vergangenheit zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, aufgrund eines vorliegenden türkischen Registerauszugs, in dem sie seit dem 9. Juni 1975 mit den Personalien S..., geboren am 6. Juli 1969 in Ü.../Türkei, als Tochter des H..., geboren am 4. Juli 1935 in Ü.../Türkei, und der S..., geboren am 3. Dezember 1939 in Ü.../Türkei, eingetragen sei, stehe nunmehr fest, dass sie nicht, wie anfangs durch ihre Eltern und später durch sie angegeben worden sei, Staatenlose aus dem Libanon sei, sondern türkische Staatsangehörige. Wäre dies bekannt gewesen, wären ihr die genannten Dokumente und Aufenthaltstitel nicht erteilt und ihre Rückführung in die Türkei betrieben worden. Diese würden deshalb nunmehr gemäß § 48 VwVfG zurückgenommen. Wegen der langjährigen Täuschung habe sie auch nicht auf den Bestand dieser Verwaltungsakte vertrauen können bzw. sei ein Vertrauen nicht schutzwürdig. Zwar stehe die Entscheidung im behördlichen Ermessen, jedoch überwiege das öffentliche Interesse an der Rücknahme ihr persönliches Interesse am weiteren Bestand der Verwaltungsakte. Ihre Einlassung im Anhörungsverfahren, sie habe von ihrer Registrierung in der Türkei und ihrer türkischen Staatsangehörigkeit nichts gewusst, sei als Schutzbehauptung anzusehen. Ihr Vater habe bei einer polizeilichen Vernehmung am 13. November 2003 eingeräumt, türkischer Staatsangehöriger zu sein. Zwar sei sie bei Einreise ins Bundesgebiet erst 12 Jahre alt gewesen, jedoch müsse sie sich die Täuschung durch ihren Vater als gesetzlichen Vertreter zurechnen lassen.

Durch weitere Bescheide vom 19. und 20. Oktober sowie 7. November 2005 nahm der Beklagte u.a. auch die den Klägern zu 1. bis 4. und 6. erteilten Aufenthaltsbefugnisse, Kinderausweise und Reisedokumente mit Wirkung für die Vergangenheit zurück und drohte ihnen die Abschiebung an. Zur Begründung verwies er darauf, aufgrund der vorliegenden türkischen Registerauszüge nach ihrer Mutter und zudem auch nach ihrem Vater, der als Sohn von T..., geboren am 5. September 1945 und 6. Oktober 1941 in Ü.../Türkei verzeichnet sei, stehe fest, dass auch sie von Geburt an türkische Staatsangehörige seien. Damit habe auch in ihrem Fall eine Täuschung vorgelegen und fehle ein schutzwürdiges Vertrauen. Das öffentliche Interesse an der Rücknahme der Aufenthaltstitel überwiege deshalb ihr privates Interesse.

Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen erhobenen Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und durch Gerichtsbescheid vom 26. September 2007 u.a. die Rücknahmeentscheidungen und die Abschiebungsandrohungen aufgehoben. Zur Begründung insoweit hat es im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Die Rücknahme aller den Klägern erteilten Aufenthaltstitel und der ihnen ausgestellten Dokumente mit Wirkung für die Vergangenheit sei zu Unrecht erfolgt.

Es sei bereits zweifelhaft, ob die gegenüber den Klägern erteilten Verwaltungsakte überhaupt noch zurückgenommen werden konnten, weil sie sich sämtlich durch Zeitablauf erledigt hätten. Jedenfalls die Fremdenpässe, Reise- und Kinderausweise hätten zu diesem Zeitpunkt keinerlei innere oder äußere Bindungswirkung mehr entfaltet, so dass deren Rücknahme mangels Wirksamkeit nicht mehr in Betracht gekommen sei. Demgegenüber hätten die ab 1988 erteilten Aufenthaltstitel zumindest noch äußere Bindungswirkung besessen, da die Dauer des rechtmäßigen Voraufenthalts für die Verfestigung des Bleiberechts von Bedeutung sein könne, so dass eine Rücknahme insoweit nicht von vornherein ausgeschlossen gewesen sei.

Ob die Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltstitel objektiv rechtswidrig gewesen sei, könne offen bleiben. Denn jedenfalls habe der Beklagte sein Rücknahmeermessen nicht fehlerfrei ausgeübt. Hierbei gehe das Gericht im Sachverhalt davon aus, dass die Klägerin zu 5. tatsächlich aus dem Libanon stamme, wo sie auch als „staatenlos“ geführt werde. Das ergebe sich aus ihrem unwiderlegten Vortrag und werde durch das im Asylverfahren von ihren Eltern vorgelegte libanesische Laissez-Passer sowie die Bescheinigung der libanesischen Botschaft aus dem Jahre 1995 belegt. Ihre Kinder teilten die arabische Abstammung ihrer Mutter und, ohne dass es auf die Staatsangehörigkeit ihres Vaters ankomme, deren libanesische Identität. Gleichzeitig sei die Klägerin zu 5. mit abweichenden Personalien im Hinblick auf ihre Eintragung im türkischen Personenstandsregister als Tochter dort ebenfalls eingetragener Eltern nach dem türkischen Staatsangehörigkeitsgesetz Nr. 403 vom 11. Februar 1964 „objektiv“ türkische Staatsangehörige und vermittele ihren Kindern auch diese Staatsangehörigkeit.

Die den Klägern aufgrund ihrer libanesischen Identität erteilten Aufenthaltstitel seien jedoch nur dann rechtswidrig, wenn ihre Ausreise in die Türkei überhaupt möglich gewesen wäre. Das sei jedoch mehr als fraglich, weil nicht ersichtlich sei, warum der türkische Staat von einer Personenidentität der Klägerin zu 5. mit der „S...“ habe ausgehen sollen. Ein Nachweis durch Vorlage entsprechender Urkunden sei unwahrscheinlich. Ihre Kinder seien in den türkischen Personenstandsregistern überhaupt nicht verzeichnet. Bezogen auf den Zeitpunkt der Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltstitel sei die Rückkehrberechtigung nicht geprüft worden. Mangels vollständiger Sachverhaltsermittlung sei das Ermessen deshalb nicht sachgerecht ausgeübt worden.

Ferner habe der Beklagte verkannt, dass er im Rahmen der Ermessensentscheidung die Frage des Vertrauensschutzes der Kläger habe berücksichtigen müssen. Dass diese den Beklagten über ihre wahre Identität getäuscht hätten bzw. die Aufenthaltstitel durch in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben erwirkt hätten, stehe nicht zur Überzeugung des Gerichts fest. Denn es werde als glaubhaft angesehen, dass die Klägerin zu 5. bis zu dem gegen ihren Vater geführten Ermittlungsverfahren nichts von ihrer Registrierung in der Türkei gewusst habe. Dies ergebe sich aus ihren Einlassungen und den Erkenntnissen der Untersuchung der Rechtsanwälte Freckmann und Kalmbach „Staatenlose Kurden aus dem Libanon oder türkische Staatsangehörige?“ aus dem Jahre 2001 (nachfolgend: Untersuchung der Rechtsanwälte Freckmann und Kalmbach) über die sog. Mahalmi-Kurden, zu denen die Klägerin zu 5. und ihre Eltern, aber auch die Familie ihres Ehemannes gehörten. Danach sei es eine in ländlichen Gegenden durchaus nicht unübliche Praxis gewesen, dass entfernte Verwandte, Dritte oder gar Dorfvorsteher Eintragungen in die örtlichen Personenstandsregister veranlassten, ohne dass die im Libanon oder sonst im Ausland lebenden Familienangehörigen hiervon Kenntnis erlangt hätten. Selbst wenn man eine solche unterstelle, habe die Klägerin zu 5. daraus nicht notwendig auf ihre türkische Staatsangehörigkeit und vor allem auch eine Ausreiseberechtigung der Familie in die Türkei schließen müssen. Man könne von den Klägern nicht verlangen, dass sie zutreffendere Schlussfolgerungen zögen als der Beklagte, der bereits im Oktober 1995 von den türkischen Registerauszügen betreffend den Vater ihrer Kinder Kenntnis gehabt habe, ohne daraus Konsequenzen gezogen zu haben. Stattdessen habe er ihnen danach noch ihre Aufenthaltsbefugnisse verlängert. Eine etwaige Täuschung der Behörden durch die Eltern bzw. Großeltern im Asylverfahren liege nicht in ihrem Verantwortungsbereich und könne ihnen deshalb nicht zugerechnet werden.

Mangels vollziehbarer Ausreisepflicht seien auch die Abschiebungsandrohungen aufzuheben.

Mit der wegen nicht ohne weiteres zu klärender besonderer tatsächlicher Schwierigkeiten und offenem Verfahrensausgang zugelassenen Berufung hat der Beklagte im Wesentlichen Folgendes geltend gemacht:

Es fehlten bereits hinreichende Feststellungen für den Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerin zu 5. aus dem Libanon stamme und dort seinerzeit als staatenlos geführt worden sei. Abgeleitet worden sei das zum einen aus dem von ihren Eltern im Asylverfahren vorgelegten Laissez-Passer. Dabei handele es sich nach dem polizeilichen Abschlussbericht LKA GE Ident vom 16. April 2003 jedoch um eine Fälschung. Zum anderen stütze sich das Gericht auf eine Bescheinigung der libanesischen Botschaft aus dem Jahre 1995, wonach die Klägerin zu 5. als staatenlos geführt werde. Diese lasse jedoch offen, wann ihre dortige Registrierung erfolgt sei. Im Übrigen sei auch die von ihrem Vater am 27. Juli 1995 vorgelegte Bescheinigung der libanesischen Botschaft nach dem genannten polizeilichen Abschlussbericht gefälscht gewesen. Vor dem Hintergrund, dass dieser in seiner polizeilichen Vernehmung im November 2003 eingeräumt habe, aus Ü.../Türkei zu stammen, dass ferner nach dem Vermerk der Staatsanwältin To... enge familiäre türkische Bindungen der Klägerin zu 5. bestünden, sie türkische Sprachkenntnisse besitze, nach den beschlagnahmten Fotoalben ersichtliche Türkeibezüge der Kläger existierten, bedürfe es näherer Aufklärung, ob sie tatsächlich aus dem Libanon stamme. Dass sie sich ihrer türkischen Staatsangehörigkeit bewusst gewesen sei, belege der polizeiliche Schlussbericht vom 9. Juli 2004. Allerdings sei sie hiernach im Libanon als Ausländerin registriert und die weiteren Kläger dort als libanesische Staatsangehörige.

Die Rücknahme der Erteilung der früheren Aufenthaltstitel und des Fremdenpasses an die Klägerin zu 5. sei rechtmäßig. Denn die ihr am 9. Februar 1988 erteilte Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage der Weisung vom 1. Oktober 1987 wäre nach Sinn und Zweck der Weisung nicht erteilt worden, wenn ihre türkische Staatsangehörigkeit bekannt gewesen wäre. Aus den Erläuterungen vom 20. November 1987 ergebe sich, dass es für die Begünstigung von Personen aus dem Libanon darauf angekommen sei, dass die Ausreisepflicht dieser Personen wegen der Lage im Libanon nicht durchgesetzt werde. Eine Begünstigung für türkische Staatsangehörige habe die Weisung nicht vorgesehen. Zwar sei der Fall des Bestehens einer weiteren Staatsangehörigkeit nicht ausdrücklich geregelt gewesen. Das habe aber daran gelegen, „dass die Senatsverwaltung für Inneres zum Zeitpunkt des Erlasses der früheren Weisungen kein Bewusstsein dafür hatte, dass die fehlende Rückführungsmöglichkeit aufgrund des nicht bekannten Bestehens einer (weiteren) Staatsangehörigkeit zu Unrecht angenommen worden sein könnte. … Wären derartige Fälle zum Zeitpunkt der Geltung der Altfallweisungen bekannt geworden, so hätte dies mit Sicherheit zu einer entsprechenden Klarstellung der Weisungslage geführt. Zu der Zeit, als ein Anlass für die ersten Ermittlungen im Bereich der heutigen GE-Ident erkannt wurde, waren die Altfallregelungen längst außer Kraft getreten und wurden die Aufenthaltsbefugnisse der Betroffenen als Aufenthaltsbefugnisse im Sinne des § 30 AuslG behandelt, auf die § 34 Abs. 2 AuslG ohne weiteres Anwendung fand.“

Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts habe im Zeitpunkt der seinerzeitigen Erteilung der Aufenthaltstitel und des Fremdenpasses an die Klägerin zu 5. kein Anlass zur Prüfung bestanden, ob eine Rückführung in die Türkei überhaupt möglich gewesen sei. Damals, d.h. bis 2001, habe hierfür ein deutsches Reisedokument und für Kinder eine internationale Geburtsurkunde genügt. Die türkische Staatsangehörigkeit werde gemäß § 38 Abs. 2 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 403 bei Vorliegen einer dortigen Registereintragung vermutet. Insbesondere belegten auch die Erfahrungen in den sogen. GE-Ident-Fällen, in denen das türkische Generalkonsulat regelmäßig Rückreisedokumente für Personen, für die Registerauszüge unter den (entsprechenden) türkischen Identitäten vorgelegt worden seien, ausgestellt habe, die Möglichkeit der Beschaffung von Rückreisedokumenten für die Türkei. Aufgrund der sich deckenden Familienstrukturen sei von den türkischen Behörden bislang in derartigen Fällen nicht in Zweifel gezogen worden, dass sich die festgestellten libanesischen und türkischen Personalien auf die gleichen Personen bezögen. Im vorliegenden Fall seien in den türkischen Registern sowohl die Eltern der Klägerin zu 5. als auch diese selbst erfasst, zudem aber auch ihr verstorbener Ehemann und dessen Eltern. Demzufolge sei sie selbst objektiv türkische Staatsangehörige und seien dies gemäß Art. 1 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes auch ihre Kinder. Nach dem polizeilichen Ermittlungsbericht vom 16. April 2003 habe ihr Vater H... offenbar auch bereits seit 1992 einen seinerzeit ausgestellten türkischen Nüfus besessen, den er wie seinen türkischen Pass allerdings erst am 5. August 2001 gegenüber der Beklagten offenbart habe. Im Übrigen sei die Erteilung von Aufenthaltstiteln nach der damaligen Weisungslage für Ausländer ohne Rückkehrmöglichkeit überhaupt nicht von der Rücknahmebereitschaft des Heimatstaates, sondern nur von Zumutbarkeitsgesichtspunkten abhängig gewesen.

Unzutreffend sei auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, man habe die Frage des Vertrauensschutzes nicht hinreichend berücksichtigt. Nicht zu folgen sei zunächst der Annahme, die Klägerin zu 5. habe bis zu dem gegen ihren Vater im Jahre 2003 eingeleiteten Ermittlungsverfahren nichts von ihrer und ihrer Eltern Registrierung in der Türkei gewusst. Soweit das Gericht sich darauf gestützt habe, nach der Untersuchung der RA Freckmann/Kallmann hätten die im Libanon oder im Ausland lebenden Familien von ihrer Registrierung in der Türkei in der Regel nichts gewusst und dies auch nicht gewollt, sei das angesichts des Umstandes, dass die Mahalmi-Kurden sich die Türkei „als Rückzugsraum“ hätten offen halten wollen, und aufgrund der Erkenntnisse in den GE-Ident-Fällen sowie entsprechenden Erfahrungen aus der Bearbeitung dieser Fälle in der jüngsten Vergangenheit, wo eine solche Kenntnis vielfach eingeräumt worden sei, inzwischen widerlegt. Danach erfolge die Eintragung in der Regel durch den Betroffenen selbst oder durch Vorlage entsprechender Urkunden, zumal es anderenfalls einer Übermittlung entsprechender Informationen in die Türkei bedurft habe. Dafür spreche auch die in vielen Fällen stattfindende Registerpflege, die sich aus den intensiven Kontakten zu den im Ausland lebenden Familienangehörigen und dem starken ethnischen Zusammenhalt der Mahalmi-Kurden auch über die Ländergrenzen hinweg erkläre. Hiervon gehe im Übrigen auch die genannte Untersuchung aus. Dass die türkischen Ursprünge der Familie - auch im Rahmen der mehrfachen, erstmals zum Zwecke des Verwandtenbesuchs im Jahre 1989 begonnenen Türkei-Reisen - gegenüber den Klägern verheimlicht worden sein sollen, erscheine nach alledem wenig lebensnah. Zudem müsse sich die Klägerin zu 5. auch die durch ihre Eltern begangenen Täuschungshandlungen zurechnen lassen, die sich aus dem polizeilichen Abschlussbericht vom 16. April 2003 ergäben.

Verfehlt sei auch die verwaltungsgerichtliche Annahme, man könne von der Klägerin zu 5. keine zutreffenderen Schlussfolgerungen erwarten als sie von dem Beklagten selbst angestellt worden seien. Denn Konsequenzen für die Kinder habe man aus der Mitteilung über die türkische Registrierung ihres Ehemannes im Oktober 1995 nach dessen Tod im Hinblick auf das ihr zustehende Aufenthaltsrecht, wovon das der Kinder sich ableitete, nicht ziehen können.

In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte sein Ermessen vorsorglich ergänzend ausgeübt und im Ergebnis, soweit der Rechtsstreit nicht übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, an den noch streitgegenständlichen Entscheidungen festgehalten.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. September 2007 aufzuheben und die Klagen abzuweisen, soweit das Verfahren nicht für erledigt erklärt worden sei.

Die Kläger beantragen,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigen den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid und haben in der mündlichen Verhandlung ergänzende Ausführungen insbesondere zu ihrer aktuellen persönlichen Situation bzw. Entwicklung gemacht und insoweit diverse Unterlagen vorgelegt.

Hinsichtlich der Einzelheiten der Ausführungen der Verfahrensbeteiligten in der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift, hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands auf die Streitakten, die Ausländerakten der Kläger, des verstorbenen Ehemannes der Klägerin zu 5. und die ihrer Eltern verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren einzustellen und der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. September 2007 gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO für wirkungslos zu erklären.

II. Im Übrigen ist die Berufung des Beklagten gegen den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid, soweit hierüber nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten und der Abtrennung der Verfahren der Kläger zu 1. und 6. wegen der Ablehnung der Verlängerung ihrer Aufenthaltstitel in der mündlichen Verhandlung noch zu befinden ist, zwar zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Kläger gegen die Rücknahme der ihnen ab 1988 erteilten Aufenthaltstitel, Fremdenpässe, Reiseausweise und Kinderpässe sowie der Kläger zu 1., 2. und 6. gegen die Androhung ihrer Abschiebung im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Denn die Bescheide des Beklagten vom 19. Oktober 2005 betreffend die Klägerin zu 5. (dazu unten 1.) und vom 19. und 20. Oktober sowie vom 7. November 2005 betreffend die Kläger zu 1. bis 4. und 6. (dazu unten 2.) sind insoweit rechtswidrig und verletzen diese in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Der Bescheid des Beklagten vom 19. Oktober 2005 betreffend die Klägerin zu 5. ist rechtswidrig, da weder die rechtlichen Voraussetzungen für die Rücknahme ihrer Aufenthaltstitel (dazu unten a) noch ihres Fremdenpasses bzw. Reisedokuments (dazu unten b) vorlagen.

a) Die verfügte Rücknahme der der Klägerin zu 5. zunächst auf der Grundlage des Ausländergesetzes 1965 befristet erteilten und verlängerten sowie ab dem 1. Januar 1991 nach dem Ausländergesetz 1990 - zuletzt am 25. November 1999 bis zum 26. November 2001 - verlängerten Aufenthaltserlaubnis und -befugnis scheitert an der erforderlichen objektiven Rechtswidrigkeit dieser Verwaltungsakte (dazu unten aa) und ist darüber hinaus ermessensfehlerhaft (dazu unten bb).

Rechtsgrundlage der Rücknahme ist § 48 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Bln. Danach kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt auch nach Eintritt der Unanfechtbarkeit ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wobei ggf. ein schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen auf dessen Bestand zu berücksichtigen ist.

aa) Vorliegend kam die Rücknahme der Aufenthaltstitel schon deshalb nicht in Betracht, weil deren Erteilung nicht objektiv rechtswidrig war.

Erstmalig erteilt worden ist der Klägerin zu 5. eine Aufenthaltserlaubnis am 9. Februar 1988. Rechtsgrundlage hierfür war, wie die entsprechende Verfügung in ihrer Ausländerakte belegt, die Weisung der Senatsverwaltung für Inneres vom 1. Oktober 1987, und zwar dort - ausweislich der Bezugnahme auf die Erfüllung der Voraussetzungen eines handschriftlich ausgefüllten Prüfbogens - die Ziffer II. 2.

In dieser Weisung wird unter dem Betreff „Ausländerangelegenheiten; hier: Regelung des Verbleibs von Ausländern, die a) nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens zur Ausreise verpflichtet sind, b) wegen der Lage im Libanon geduldet werden“ in Ziffer II. mit der Überschrift „Ausländer aus dem Libanon“ geregelt, dass Ausländer dieses Personenkreises, die sich am 1. Oktober 1987 im Land Berlin aufhalten und entweder im Asylverfahren stehen oder aufgrund bestimmter Weisungen geduldet werden, eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, „wenn sie … 2. als Alleinstehende oder Ehepaare mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren … eingereist und keine Straftäter im Sinne des Abschnitts III.7 sind.“

Soweit der Beklagte geltend macht, die erste Aufenthaltserlaubnis wäre „nach Sinn und Zweck nicht erteilt worden, wenn die auch türkische Staatsangehörigkeit der Klägerin bekannt gewesen wäre“, stellt das eine nicht belegte Behauptung dar. Eine entsprechende Einschränkung des Anwendungsbereichs der genannten Regelung findet in der Weisung selbst jedenfalls keinen Rückhalt. Maßgeblich wird dort nämlich nicht auf die Staatsangehörigkeit der Ausländer abgestellt, sondern nur darauf, dass es sich um „Ausländer aus dem Libanon“ handelt. Dies entsprach dem humanitären Zweck der Bleiberechtsregelung dieser Weisung. Hintergrund der Regelung für Ausländer aus dem Libanon war der seinerzeit dort noch fortdauernde Bürgerkrieg, der nach damaliger Auffassung eine Rückführung - noch dazu von Familien mit Kindern - wegen der allgemeinen lebens- oder freiheitsbedrohenden Verhältnisse nicht zuließ. Dass die Weisung bezogen auf den Libanon gerade hierauf - und nicht auf die Staatsangehörigkeit bzw. eine zusätzliche Staatsangehörigkeit der Betroffenen - zielte, machen entgegen der Auffassung des Beklagten auch seine Erläuterungen vom 20. November 1987 deutlich, wo zu II. ausgeführt wird, für Ausländer aus dem Libanon sei entscheidend, dass die Ausreisepflicht dieser Personen wegen der Lage im Libanon bisher nicht durchgesetzt worden sei.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Ziffer IV.2.2 der Weisung vom 1. Oktober 1987. Denn die dortige Regelung über die Ausreisepflicht für libanesische Staatsangehörige bezieht sich nur auf Personen, die „nach dieser Weisung keine Aufenthaltserlaubnis erhalten“. Das lässt vielmehr eher den Gegenschluss zu, dass auch libanesische Staatsangehörige eine Aufenthaltserlaubnis nach Ziffer II.2. der Weisung erhalten konnten, wenn sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllten.

Anhaltspunkte für eine von dieser Weisungslage seinerzeit abweichende Verwaltungspraxis des Beklagten gibt es nicht. Maßgeblich wäre diese, weil „Altfall-Regelungen“ wie die vorliegende nicht auf gesetzlicher Regelung unter Geltung des Ausländergesetzes 1965, sondern auf der im behördlichen Ermessen stehenden Berechtigung zum Erlass von Bleiberechtsregelungen aus humanitären Gründen durch die obersten Landesbehörden ohne Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Inneres beruhten (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2009 - 1 C 40.07 -, juris Rz. 11). Insofern bestand für den betroffenen Ausländer lediglich ein Anspruch auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG entsprechend der tatsächlich geübten Anwendung der Weisung. Zwar hätte eine solche Bleiberechtsregelung bei Bekanntwerden besonderer Umstände modifiziert werden können mit der Folge, dass bei geänderter Verwaltungspraxis der Gleichbehandlungsanspruch erloschen wäre. Dies ist jedoch tatsächlich nicht geschehen. Dies wird durch das Vorbringen des Beklagten im Rahmen der Berufungsbegründung bestätigt. Dort wird nämlich ausgeführt,

„dass die Senatsverwaltung für Inneres zum Zeitpunkt des Erlasses der früheren Weisungen kein Bewusstsein dafür hatte, dass die fehlende Rückführungsmöglichkeit aufgrund des nicht bekannten Bestehens einer (weiteren) Staatsangehörigkeit zu Unrecht angenommen worden sein könnte. … Wären derartige Fälle zum Zeitpunkt der Geltung der Altfallweisungen bekannt gewesen, so hätte dies mit Sicherheit zu einer entsprechenden Klarstellung der Weisungslage geführt. Zu der Zeit, als ein Anlass für die er-sten Ermittlungen im Bereich der heutigen GE-Ident erkannt wurde, waren die Altfallregelungen längst außer Kraft …“.

Trotz eines entsprechenden rechtlichen Hinweises des Gerichts hat der Beklagte auch in der mündlichen Verhandlung nichts für eine von der genannten Weisungslage seinerzeit abweichende Verwaltungspraxis dargelegt.

Unabhängig davon, ob ein hypothetischer Geschehensablauf, wie er hier geltend gemacht wird, im Rahmen von § 48 VwVfG Berücksichtigung finden kann, vermag der Senat aus heutiger Sicht nicht festzustellen, dass eine solche Modifizierung erfolgt wäre, wenn dem Beklagten die türkische Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 5. schon seinerzeit bekannt gewesen wäre. Gegen die Annahme des Beklagten, bei Kenntnis von Fällen einer Registrierung in türkischen Personenstandsregistern wäre die Weisungslage „mit Sicherheit“ dahingehend klargestellt worden, dass eine Aufenthaltserlaubnis in solchen Fällen nicht erteilt werde, spricht, dass der Beklagte auf gewichtige Anhaltspunkte für eine türkische Staatsangehörigkeit des Vaters der Klägerin zu 5. nicht reagiert hat. Denn der Polizeipräsident Recklinghausen hatte dem Beklagten bereits mit Schreiben vom 6. August 1993 mitgeteilt, dass Z..., der Bruder des Vaters der Klägerin zu 5., zweifelsfrei aus der Türkei stamme, dass türkische Behörden dessen türkische Identität bestätigt hätten und dass eine Vielzahl von dessen Verwandten in der Bundesrepublik Deutschland unter Verwendung falscher Identitäten aufhältlich seien, und hierbei auf ihren Vater H..., „angeblich“ 1941 in Beirut geboren, und dessen „direkte Familienangehörige“ verwiesen (vgl. die Ausländerakte des Vaters Bl. 165 f. ). Dennoch wurde die Aufenthaltsbefugnis der Klägerin zu 5. in der Folgezeit um jeweils zwei Jahre, zuletzt bis zu 26. November 2001, verlängert. Hinzu kommt, dass der Beklagte in einem vergleichbaren Fall, dem der ebenfalls zur Familie E... gehörigen Eltern des verstorbenen Ehemannes der Klägerin zu 5., nicht die Rücknahme bisher erteilter Aufenthaltstitel eingeleitet hatte, obwohl deren Registrierung im türkischen Personenstandsregister bereits seit 1995 bekannt war. Gleichwohl sind in der Folgezeit auch dort Aufenthaltsbefugnisse ohne jeglichen Vorbehalt verlängert und ist schließlich eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt worden (vgl. das Urteil des Senats im Parallelverfahren OVG 7 B 1.13). Dies muss der Beklagte sich entgegenhalten lassen.

Die oben dargelegten Voraussetzungen der Weisung des Senators für Inneres vom 1. Oktober 1987 in Ziffer II. 2. für die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die Klägerin zu 5. am 9. Februar 1988 waren erfüllt. Das ergibt sich aus der Verfügung des Beklagten vom 3. Februar 1988 über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis an die Klägerin zu 5. mit ihrem Verweis auf einen dortigen tabellarischen Prüfbogen zu Ziffer 2, in dem die Voraussetzungen im Einzelnen genannt und durch Ankreuzen festzustellen waren. Hiernach wurde die „AE-Erteilung“ im Ergebnis unter dem 13. November 1987 bejaht, wobei ein Prüfvermerk vom 3. Februar 1988 dies nochmals bestätigt.

Die Klägerin zu 5. ist auch als „Ausländer aus dem Libanon“ nach der Weisung des Senators für Inneres vom 1. Oktober 1987 in dem Sinne anzusehen, dass der Libanon im Zeitpunkt ihrer familiären Einreise im Juni 1981 ihr Herkunftsland war.

Dies entspricht zunächst einmal dem durchgehenden Vorbringen ihrer Eltern und ihrem eigenen während der Dauer ihres mehr als dreißigjährigen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland. Bereits unmittelbar nach der seinerzeitigen Einreise der Familie mit einem - wie von ihrem Vater bereits frühzeitig eingeräumt - gefälschten libanesischen Laissez-Passer (Familienpass mit der Nr. 0...) hatten ihre Eltern im Rahmen ihres ersten Asylbegehrens vom 23. Juni 1981 erklärt, sie seien 1941 bzw. 1945 in Beirut/Libanon geboren, staatenlose Kurden aus dem Libanon mit Wohnsitz in Beirut im Bezirk B... und seien wegen des dortigen Bürgerkrieges aus Furcht um ihr Leben nach Deutschland geflohen. In einem weiteren Asylantrag vom 11. Oktober 1982 hatte ihr Vater u.a. erklärt, im Hinblick auf die zwischenzeitliche „israelische Aggression“ im Libanon nicht dorthin „zurückkehren“ zu können. Auch einen nach Abschluss dieses Verfahrens gestellten Duldungsantrag vom 19. Februar 1985 hat er für sich und seine Familie damit begründet, bei einer Rückkehr in den Libanon mit seiner Verhaftung rechnen zu müssen. Dieses Vorbringen war später Grundlage für die Erteilung von Aufenthaltstiteln an die Eltern der Klägerin zu 5. nach der Weisung des Senators für Inneres vom 1. Oktober 1987. Soweit der Beklagte geltend macht, der Vater habe später bei einer polizeilichen Vernehmung eingeräumt, aus Ü.../Türkei zu stammen, ist das nicht weiter konkretisiert worden. Ausweislich einer Beschuldigtenvernehmung der LKA 424 GE Ident vom 11. März 2003 hat er zudem lediglich erklärt, sie seien eigentlich Araber, von der Türkei aber zwangsweise registriert worden und damit Türken. Letztlich mag das aber dahinstehen. Denn dass ihr Vater und evtl. auch ihre Mutter in Ü.../Türkei geboren sind und (deshalb) von dort stammen, stellt nicht die Herkunft der Klägerin zu 5. aus dem Libanon und auch nicht ihre dortige Geburt in Frage.

Für eine Herkunft der Klägerin zu 5. aus dem Libanon spricht, dass sie ausweislich einer Bescheinigung der Botschaft des Libanon in Bonn vom 25. September 1995 im Libanon als „Staatenlose geführt wird“. Zwar weist der Beklagte zutreffend darauf hin, dass sich daraus nicht ergibt, wann die Registrierung erfolgt ist, er muss sich jedoch entgegenhalten lassen, erstmals im Rahmen der Zulassungsbegründung im Dezember 2007 die Zuwanderung der Familie aus dem Libanon als „ungeklärt“ bezeichnet und auf das Fehlen hinreichender Feststellungen hingewiesen zu haben. Obwohl - wie bereits ausgeführt wurde - Hinweise auf eine türkische Herkunft der Familie vorlagen und zumindest Anlass zur Prüfung hätten geben können, hat der Beklagte weder eigene Ermittlungen angestellt, um festzustellen, wo die im Jahre 1981 eingereiste Familie der Klägerin zu 5. zuvor dauerhaft gelebt hatte, noch die Vorlage entsprechender Dokumente verlangt.

Belastbare Anhaltspunkte, die den Schluss auf ein anderes Herkunftsland zuließen, sind nicht ersichtlich.

Das gilt zunächst für die laut Nüfüs im Juni 1975 erfolgte Registrierung der Klägerin zu 5. im türkischen Personenstandsregister. Insofern schließt sich der Senat den Ausführungen des Verwaltungsgerichts an, wonach türkische Registerauszüge aus dieser Zeit und in ländlichen Gegenden - wie hier - nur geringe Beweiskraft besitzen und der Beklagte selbst eingeräumt habe, dass gerade Eintragungen über Zeit und Ort der Geburt in Abwesenheit durch Familienangehörige und auch noch nachträglich veranlasst werden konnten. Dass dies für ländliche Gegenden der Türkei eine nicht unübliche Praxis war, belege im Übrigen die angesichts der Einbeziehung eines Vertreters einer Ausländerbehörde ein hohes Maß an Objektivität aufweisende Untersuchung der Rechtsanwälte Freckmann und Kalmbach. Diese Ausführungen werden durch die letztlich nicht belegte, sich auf nicht substantiierte Erfahrungen aus anderen Verfahren berufende Behauptung des Beklagten zur Berufungsbegründung, in der Regel erfolgten solche Eintragungen durch den Betroffenen selbst oder aufgrund entsprechender Urkunden, nicht durchgreifend und überzeugend in Zweifel gezogen.

Ebenso wenig ist aus dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen die Eltern der Klägerin zu 5. und diese selbst u.a. wegen unrichtiger oder unvollständiger Angaben [(215) 68 Js 433/04 (35/08)] etwas herzuleiten, da es lediglich die Frage betraf, ob ihnen ihre Registrierung in der Türkei und ihre türkische Staatsangehörigkeit/Identität bekannt war, und das Verfahren zudem eingestellt wurde, ohne insoweit beweiskräftige Feststellungen zu treffen.

Schließlich gibt der Inhalt des undatierten Vermerks der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren gegen den Vater der Klägerin zu 5. (68 Js 433/04) keinen Anlass zu Zweifeln, wonach die Eltern der Klägerin zu 5. erklärt haben, dass ihre Eltern in der Türkei gelebt hätten und dort auch verstorben seien. Denn in dem Vermerk heißt es weiter, die Eltern der Klägerin zu 5. hätten unter ihren türkischen Personalien in der Türkei gelebt, bevor sie in den Libanon gegangen seien. Wie lange sie dort unter ihren arabischen Personalien gelebt hätten, bleibe unbekannt. Das Gleiche gilt für die Angabe des Vaters der Klägerin zu 5., seinen Wehrdienst in der Türkei abgeleistet zu haben, da er darüber hinaus erklärt hat, mit seinem Bruder in den Libanon gegangen zu sein. Die genannten Türkeibezüge der Klägerin zu 5. wie auch etwaige türkische Sprachkenntnisse sind letztlich nicht geeignet, hinreichend sicher zu belegen, dass sie mit ihren Eltern und Geschwistern nicht aus dem Libanon stammt oder zumindest in den letzten Jahren vor ihrer Einreise ins Bundesgebiet im Juni 1981 dort gelebt hat.

Dass weitergehende Nachforschungen des Senats hinsichtlich der Herkunft der Klägerin zu 5. ungeachtet ihrer inzwischen mehr als 30 Jahre zurückliegenden Einreise und der offensichtlich insoweit bestehenden Probleme im Gebiet Savur erfolgversprechend sein könnten (vgl. die Untersuchung der Rechtsanwälte Freckmann und Kalmbach, S. 1 unten), hat der Beklagte selbst trotz des vorherigen gerichtlichen Hinweises auch in der mündlichen Verhandlung nicht dargelegt. Dafür ist auch nichts ersichtlich. Letztlich trägt der Beklagte angesichts der o.g. Bescheinigung der libanesischen Botschaft und der dargelegten weiteren Umstände die Beweislast, dass Herkunftsland der Klägerin zu 5. nicht der Libanon war.

Auch die späteren Verlängerungen der Aufenthaltstitel der Klägerin zu 5., zuletzt am 25. November 1999 bis zum 26. November 2001, waren nicht objektiv rechtswidrig.

Gemäß Ziffer III.2. der Weisung des Senators für Inneres sollte die Aufenthaltserlaubnis zunächst für ein und danach zweimal für je zwei Jahre verlängert werden. Anschließend konnte bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Eine erneute Prüfung der Erteilungsvoraussetzungen war hiernach nicht vorgesehen. Die Verfügungen über die Verlängerung der Aufenthaltstitel in der Ausländerakte der Klägerin zu 5. geben Gegenteiliges nicht her. Gemäß der Weisung des Beklagten Nr. 40 vom 3. Januar 1991 galten die auf der Grundlage der Weisung des Senators für Inneres vom 1. Oktober 1987 erteilten Aufenthaltserlaubnisse zudem als Aufenthaltsbefugnisse fort und wurden nach § 99 Abs. 2 AuslG 1990 verlängert. Dies war nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts generell zulässig (vgl. Urteil vom 27. Januar 2009 - 1 C 40.07 -, juris Rz. 12).

bb) Die Rücknahme aller ab 1988 an die Klägerin zu 5. erteilten Aufenthaltstitel ist darüber hinaus aber auch deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte das ihm gemäß § 48 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Bln zustehende Ermessen im Bescheid vom 19. Oktober 2005 fehlerhaft ausgeübt hat. Er beschränkt sich nämlich lediglich auf die Feststellung: „Das öffentliche Interesse an der Rücknahme … ihres Aufenthaltstitels überwiegt Ihr persönliches Interesse am weiteren Bestand“ und damit letztlich auf die Annahme der Rechtswidrigkeit der Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltstitel. Dies reicht nicht aus. Weder wird erkennbar berücksichtigt, dass die Klägerin zu 5. bereits im Kindesalter, d.h. mit elf bzw. zwölf Jahren, in die Bundesrepublik Deutschland zugewandert ist, noch werden die während der Dauer ihres seinerzeit bereits 24 Jahre währenden Aufenthalts im Bundesgebiet entwickelten persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen schutzwürdigen Belange zumindest im Ansatz dargelegt und, wie erforderlich, mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme gewichtend abgewogen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. April 2010 - 1 C 10.09 -, juris Rz. 21 f.; vgl. zu Art. 8 EMRK auch BVerfG, Beschluss vom 21. Februar 2011 - 2 BvR 1392.10 -, juris Rz. 19 ff.). Zudem war hierbei auch die Frage einer etwaigen eigenen Beteiligung der Kinder an einer Täuschung durch ihre Eltern bzw. ggf. das Vorliegen eigener Täuschungshandlungen in die Ermessenserwägungen einzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. September 2003 - 1 C 6.03 -, juris Rz. 32).

Auch die Darlegungen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung sind nicht geeignet, diese unzureichende Ermessensausübung im angegriffenen Bescheid im Sinne einer Heilung des (Ermessens-)Fehlers zu ergänzen.

Maßgeblicher Zeitpunkt bei der gerichtlichen Nachprüfung der Rechtmäßigkeit eines Bescheids, mit dem eine Aufenthaltsbeendigung durch Rücknahme oder Widerruf eines Aufenthaltstitels verfügt wird, ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung und Entscheidung des Tatsachengerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. April 2010 - 1 C 10.09 -, juris Rz. 11). Die Verwaltungsbehörde darf ihre Ermessenserwägungen in diesen Fällen noch im gerichtlichen Verfahren gemäß § 114 Satz 2 VwGO nicht nur ergänzen, d.h. durch nachgeschobene Erwägungen nachbessern und heilen, sondern sie ist hierzu bei der Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunkts von der behördlichen zur gerichtlichen Entscheidung im Sinne einer fortlaufenden Aktualisierung verpflichtet, sie muss die Rechtmäßigkeit ihrer Verfügung ständig verfahrensbegleitend kontrollieren (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 - 1 C 14.10 -, juris Rz. 8 ff.). Allerdings sind im Hinblick darauf, dass durch die Änderung der Begründung des Verwaltungsakts im gerichtlichen Verfahren der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden darf, bei der Ergänzung von behördlichen Er-messensentscheidungen im gerichtlichen Verfahren strenge Anforderungen an Form und Handhabung zu stellen. Insbesondere muss die Behörde klar und eindeutig zu erkennen geben, mit welcher „neuen“ Begründung die behördliche Entscheidung letztlich aufrechterhalten bleibt. Dabei muss sie auch deutlich machen, welche ihrer ursprünglichen bzw. bereits früher nachgeschobenen Erwägungen sie aufrecht erhält und welche gegenstandslos werden. Ferner muss die Nachholung von Ermessenserwägungen aus Gründen der Rechtsklarheit und -sicherheit grundsätzlich schriftlich erfolgen bzw. müssen Ergänzungen in der mündlichen Verhandlung als solche vom Gericht protokolliert werden (vgl. BVerwG, ebenda, Rz. 18).

Für Fälle, in denen die Ermessensprüfung im behördlichen Bescheid - wie vorliegend - dadurch geprägt war, dass die während eines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet entstandenen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen schutzwürdigen privaten Belange nicht im Ansatz dargelegt wurden und es zudem an einer gewichtenden Abwägung mit den öffentlichen Rücknahmeinteressen fehlt, ist für eine nach § 114 Satz 2 VwGO zulässige und hinreichende Nachbesserung und Heilung der Ermessensentscheidung zunächst die fehlerfreie Darstellung der einzustellenden bedeutsamen privaten Belange und sodann eine sorgfältige Abwägung zu fordern.

Bereits diesen Grundanforderungen genügen die Darlegungen des Beklagten zur Begründung seiner Ermessensentscheidung in der mündlichen Verhandlung nicht. Sie beschränken sich auf die Feststellung, das öffentliche Interesse an der Rücknahme überwiege das private Interesse, da die Klägerin zu 5. neben ihrem jahrelangen Aufenthalt von Sozialleistungen lebe und keine besondere Integrationsleistung vorweisen könne. Dabei übersieht der Beklagte, dass nach der Weisung des Senators für Inneres vom 1. Oktober 1987 in Ziffer III.1., der - wie dargelegt - humanitäre Erwägungen zugrunde lagen, die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht davon abhängen sollte, „ob die Ausländer ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln bestritten werden können oder nicht“. Das belegt zudem der Prüfbogen für die Erteilung dieser Aufenthaltserlaubnis, wonach die Sicherung des Lebensunterhalts nicht zu den Voraussetzungen hierfür gehörte. Auch die weiteren Verfügungen über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und -befugnis der Klägerin zu 5. lassen einen derartigen Rückschluss nicht zu, zumal am fortlaufenden Sozialhilfebezug jedenfalls ab Oktober 1995 nach den in der Ausländerakte befindlichen Bescheinigungen des Bezirksamts Neukölln kein Zweifel bestehen konnte. Auch das spricht dafür, dass es hierauf nach der letztlich maßgeblichen Ermessenspraxis nicht ankam. Dann aber kann eine Rücknahme hierauf auch nicht gestützt werden. Im Übrigen hätte der Beklagte zumindest abwägend berücksichtigen müssen, dass die Klägerin angesichts der notwendigen Betreuung ihrer fünf zwischen 1986 und 1992 geborenen Kinder zur Sicherung des Lebensunterhalts der Familie allenfalls eingeschränkt in der Lage war, zumal sie seit dem Tode ihres Ehemannes im Jahre 1994 „alleinerziehende Mutter“ war. Hierfür ist nach den Darlegungen in der mündlichen Verhandlung nichts ersichtlich.

Darüber hinaus hätte es auch der Prüfung und Abwägung bedurft, ob ihr, nachdem sie bereits als Kind in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, eine Integration in den Libanon oder die Türkei überhaupt möglich und zumutbar erschien. Auch das lässt die „Erweiterung“ des Ermessens in der mündlichen Verhandlung nicht erkennen.

Angesichts dessen kommt es auf die weiteren Ausführungen des Beklagten zur Berufungsbegründung, wonach das Verwaltungsgericht fehlerhaft auf die Möglichkeit der Rückführung oder Ausreise der Klägerin zu 5. in die Türkei abgestellt habe und zu Unrecht angenommen habe, diese habe von ihrer Registrierung in der Türkei bzw. ihrer türkischen Staatsangehörigkeit nichts gewusst und auch nicht deren rechtliche Konsequenzen überblicken können, letztlich nicht an. Gleichwohl weist der Senat darauf hin, dass viel dafür spricht, dass die Rügen des Beklagten insoweit zu Recht erhoben werden.

b) Die Rücknahme des der Klägerin zu 5. am 9. Februar 1988 für die Dauer eines Jahres erteilten und anschließend fortlaufend verlängerten deutschen Fremdenpasses sowie des am 18. Februar 1993 erteilten und ebenfalls fortlaufend verlängerten Reisedokuments nach § 48 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 VwVfG und § 1 Abs. 1 VwVfG Bln im Bescheid des Beklagten vom 19. Oktober 2005 ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt sie in ihren Rechten.

Allerdings dürfte die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass eine Rücknahme dieser Verwaltungsakte wegen deren Erledigung durch Zeitablauf unzulässig sei, unzutreffend sein. Unabhängig davon, dass dies richtigerweise bereits das Rechtsschutzbedürfnis für die Erhebung einer Anfechtungsklage entfallen ließe, hätte die rückwirkende Rücknahme jedenfalls für die Zeit bis zum 31. Dezember 1990 unmittelbare Wirkung auf das bereits dadurch entfallende Aufenthaltsrecht. Denn die Erteilung von Fremdenpässen und Reisedokumenten an Ausländer, die nach Ziffer III.4. der Weisung des Senators für Inneres vom 1. Oktober 1987 voraussetzt, dass der Ausländer nicht im Besitz eines Passes oder Passersatzpapiers seines Heimatlandes ist und ein solches auch nicht erlangen kann, diente der Sicherstellung der Erfüllung der Ausweis-/Passpflicht für Ausländer nach zunächst § 3 Abs. 1 AuslG 1965, später nach § 4 Abs. 1 AuslG 1990 und nunmehr nach § 3 Abs. 1 AufenthG. Das Fehlen eines gültigen Passes während des Inlandsaufenthaltes führte bis zum 31. Dezember 1990 zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG 1965) und danach zur Möglichkeit des Widerrufs gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990, nunmehr gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Für die Zeit danach wäre das wegen der sich bereits hieraus ergebenden rückwirkenden Widerrufsmöglichkeit nicht anders zu beurteilen. Letztlich kann das aber offen bleiben.

Dahingestellt bleiben kann ferner, ob diese Rücknahme schon tatbestandlich nicht in Betracht kam, weil die seinerzeitige Erteilung bzw. Verlängerung des Fremdenpasses bzw. Reisedokuments an die Klägerin zu 5. nicht objektiv rechtswidrig war. Nach Ziffer III.4. der Weisung des Senators für Inneres vom 1. Oktober 1987 war die Erteilung des Fremdenpasses für Ausländer, denen nach dieser Weisung eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen war, allein davon abhängig, dass ein Pass oder Passersatzpapier nicht vorhanden oder nicht gültig war oder wegen Fehlens der Rückkehrberechtigung nicht anerkannt werden konnte. Dass die Klägerin zu 5. im Jahre 1988 oder danach einen libanesischen Pass oder ein libanesisches Passersatzpapier zu erlangen vermochte, hat weder der Beklagte dargelegt noch ist das ansonsten ersichtlich. Dagegen spricht, dass die libanesische Botschaft in Bonn die Erteilung eines Reisepasses ausweislich einer Bescheinigung vom 25. September 1995 unter Hinweis darauf, dass sie dort als „Staatenlose“ geführt werde, abgelehnt hat. In Betracht gekommen wäre somit wohl allenfalls die Erlangung eines türkischen Passes oder Passersatzpapiers.

Jedenfalls hat der Beklagte sein bei der Rücknahme der Erteilung und Verlängerung zunächst des Fremdenpasses und später des Reiseausweises bestehendes Ermessen nicht ausgeübt, sondern lediglich ausgeführt, das öffentliche Interesse an der Rücknahme des Fremdenpasses und des Reisedokuments überwiege das persönliche Interesse am weiteren Bestand. Damit beschränkt sich die Ermessensprüfung auch hier fehlerhaft allein auf die Annahme der seinerzeitigen Rechtswidrigkeit der Erteilung bzw. Verlängerung.

2. Die Bescheide des Beklagten vom 19. und 20. Oktober sowie 7. November 2005 betreffend die Kläger zu 1. bis 4. und 6. sind rechtswidrig und verletzen sie in ihren Rechten, weil die rechtlichen Voraussetzungen für die Rücknahme weder der ihnen erteilten Aufenthaltstitel (dazu unten a) noch der ihnen erteilten Kinderausweise und Reisedokumente (dazu unten b) vorlagen und die noch streitgegenständlichen Androhungen der Abschiebung der Kläger zu 1., 2. und 6. unzulässig waren (dazu unten c).

a) Die verfügte Rücknahme aller ihnen seit 1993 erteilten und letztmalig am 15. Dezember 1999 bis zum 26. November 2001 verlängerten Aufenthaltsbefugnisse scheitert bereits an der objektiven Rechtswidrigkeit dieser Verwaltungsakte (dazu unten aa) und ist darüber hinaus ermessensfehlerhaft (dazu unten bb).

Rechtsgrundlage der Rücknahme ist wiederum § 48 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Bln.

Zweifel an der Zulässigkeit der Rücknahme der Aufenthaltstitel wegen einer möglichen Erledigung durch Zeitablauf bestehen nicht. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zur Bedeutung eines rechtmäßigen Voraufenthalts für die Verfestigung eines Bleiberechts verwiesen.

aa) Die Rücknahme der Aufenthaltstitel kam schon deshalb nicht in Betracht, weil deren Erteilung nicht objektiv rechtswidrig war.

Dabei mag letztlich offen bleiben, inwieweit den Klägern zu 1. bis 4. und 6. angesichts ihres Alters eine Täuschung seitens ihrer Mutter zuzurechnen war, da die Kläger selbst im Zeitpunkt der letzten Verlängerung ihrer Aufenthaltsbefugnisse im Dezember 1999 erst zwischen sieben und dreizehn Jahre alt waren (vgl. zur Rücknahme von Einbürgerungen minderjähriger Kinder: BVerwG, Urteile vom 9. September 2003 - 1 C 6.03 -, juris Rz. 28 ff., und vom 30. Juni 2008 - 5 C 32.07 -, juris Rz. 22, 24).

Denn jedenfalls liegt eine zur Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltstitel an die Kläger zu 1. bis 4. und 6. führende Täuschung seitens der Klägerin zu 5. nach den obigen Ausführungen, wonach für die Erteilung bzw. Verlängerung von Aufenthaltstiteln auf der Grundlage der Weisung des Senators für Inneres vom 1.Oktober 1987 - bzw. nachfolgend nach § 99 Abs. 2 AuslG 1990 - maßgeblich nur die Herkunft aus dem Libanon war, nicht vor. Für die durchweg erst im Bundesgebiet geborenen Kinder der Klägerin zu 5. kann, da ihr Aufenthaltsrecht stets von dem ihrer Mutter abgeleitet war, nichts anderes gelten.

bb) Darüber hinaus lassen die Rücknahmebescheide des Beklagten vom 19. und 20. Oktober sowie 7. November 2005 jegliche Ermessensausübung vermissen (Ermessensausfall). Hierin wird vielmehr durchgehend nur ausgeführt, das öffentliche Interesse an der Rücknahme der Aufenthaltstitel überwiege das persönliche Interesse am weiteren Bestand. Damit wird allenfalls das Ergebnis der Ermessensausübung benannt, nicht jedoch, welche persönlichen Interessen im Einzelfall berücksichtigt und mit welchem Gewicht diese in die Prüfung eingestellt worden sind. Die unterbliebene individuelle Prüfung und Würdigung macht auch der Umstand deutlich, dass nicht zwischen den Klägern und ihren jeweiligen individuellen Belangen einschließlich des Alters differenziert wird. Zu berücksichtigen waren jedoch insbesondere Umfang und Gewicht ihrer jeweiligen Integration in die hiesigen Verhältnisse, vor allem der Umstand, dass sie durchweg im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen sind. Ob sie zur Türkei (oder dem Libanon) persönliche Beziehungen haben und entsprechende Sprachkenntnisse besitzen, die ihnen eine Integration und eine Zukunft dort ermöglichen könnten, wird weder festgestellt noch abgewogen. Im Rahmen der Rücknahme nach § 48 Abs. 1 VwVfG bedarf es jedoch einer „eigenständigen Ermessensentscheidung“, bei der insbesondere die Frage der eigenen Beteiligung der Kinder an einer Täuschung, ggf. eigene Täuschungshandlungen, und „darüber hinaus … etwaige eigene schutzwürdige Belange des Kindes“ (Alter, Integration etc.) in die Ermessenserwägungen einzustellen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. September 2003 - 1 C 6.03 -, juris Rz. 32). Auch wenn diese Entscheidung die Rücknahme einer Einbürgerung betraf, für die verschärfte Rücknahmevoraussetzungen im Hinblick auf den Verlust der Staatsangehörigkeit gelten, sind die dortigen Ausführungen zur Ermessensprüfung bei der Rücknahme im Grundsatz auch auf den rückwirkenden Verlust eines langjährigen Aufenthaltsrechts hier geborener und aufgewachsener Ausländer zu übertragen.

Eine Ergänzung der Ermessenserwägungen in der mündlichen Verhandlung gemäß § 114 Satz 2 VwGO war angesichts des Ausfalls jeglicher Ermessensausübung in den genannten Bescheiden nicht zulässig. Das ist hier auch nicht deshalb anders zu beurteilen, weil es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen nach den obigen Ausführungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 - 1 C 14.10 -, juris Rz. 8 f.) nunmehr auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ankommt. Denn die Notwendigkeit einer Ermessensausübung hat sich vorliegend nicht erst nach Klageerhebung ergeben, sondern bestand bereits bei Erlass der angegriffenen Bescheide vom 19. und 20. Oktober sowie 7. November 2005.

Unabhängig hiervon genügt die seitens des Beklagten in der mündlichen Ver-handlung abgegebene Erklärung, man halte an der Ausübung des Ermessens in diesen Bescheiden fest, nicht den oben genannten Anforderungen an die erforderliche Ermessensabwägung.

b) Die Rücknahme der den Klägern zu 1. bis 4. und 6. ab 1989 erteilten und verlängerten Kinderpässe und Reisedokumente nach § 48 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 VwVfG und § 1 Abs. 1 VwVfG Bln in den Bescheiden des Beklagten vom 19. und 20. Oktober sowie 7. November 2005 ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt sie in ihren Rechten.

Ob Zweifel an der Zulässigkeit der Rücknahme wegen einer möglichen Erledigung durch Zeitablauf bestehen, kann dabei dahinstehen.

Letztlich mag auch offen bleiben, ob deren Rücknahme tatbestandlich nicht in Betracht kam, weil die seinerzeitige Erteilung bzw. Verlängerung der Kinderausweise und Reisedokumente nicht objektiv rechtswidrig war. Dass die Kläger zu 1. bis 4. und 6. bzw. ihre Mutter, die Klägerin zu 5., für sie entsprechende libanesische Dokumente zu erlangen vermochte, hat weder der Beklagte dargelegt noch ist das ansonsten ersichtlich. Dagegen könnte sprechen, dass die libanesische Botschaft in Bonn ausweislich einer Bescheinigung vom 25. September 1995 unter Hinweis darauf, dass die Klägerin zu 5. dort als „Staatenlose“ geführt werde, die Ausstellung eines Reisepasses an sie abgelehnt hat, und weiter ausführt, auch ihre Kinder, d.h. die Kläger zu 1. bis 4. und 6., würden dort als „Staatenlose“ geführt. In Betracht gekommen wäre somit allenfalls die Erlangung entsprechender türkischer Pässe oder Reisedokumente.

Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass der Beklagte sein bei der Rücknahme der Erteilung und Verlängerung der Kinderausweise und Reisedokumente bestehendes Ermessen ausgeübt hat. Denn keiner der genannten Bescheide macht hierzu Ausführungen.

c) Schließlich ist auch die Androhung der Abschiebung der Klägerin zu 1., 2. und 6. in den Bescheiden des Beklagten vom 20. Oktober und 7. November 2005 rechtswidrig und verletzt diese in ihren Rechten. Denn eine solche ist nach § 59 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 1 AufenthG nur im Falle vollziehbarer Ausreisepflicht zulässig. Nach Aufhebung der Rücknahme ihrer Aufenthaltstitel gilt ihr Aufenthalt jedoch im Hinblick auf die jeweils am 26. November 2001, d.h. am Tage des Ablaufs ihrer bisherigen Aufenthaltsbefugnis, gestellten Anträge auf Verlängerung ihrer Aufenthaltstitel kraft Gesetzes fort (vgl. § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Dass der Beklagte ihnen nach Erlass der genannten Bescheide durchweg lediglich Duldungen, nicht aber Fiktionsbescheinigungen im Sinne von § 81 Abs. 5 AufenthG erteilt hat, stellt das nicht in Frage.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO bzw., soweit das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, aus § 161 Abs. 2 VwGO. Soweit der Beklagte die Kostenübernahme erklärt hat, folgt das bereits aus dieser Erklärung. Im Übrigen entspricht die Auferlegung der Kosten billigem Ermessen im Hinblick darauf, dass die Klagen insoweit voraussichtlich Erfolg gehabt hätten bzw. er die Kläger ohne maßgebliche Änderung der Sach- und Rechtslage klaglos gestellt hat. Über die Kosten der abgetrennten Verfahren der Kläger zu 1. und 6. betreffend die Ablehnung der Verlängerung ihrer Aufenthaltstitel ist im Verfahren OVG 7 B 35.13 zu befinden.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.