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Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 FGO) - gesonderter und einheitlicher Feststellung des Grundbesitzwertes auf den 22.08.2016


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 24.06.2019
Aktenzeichen 3 V 3049/19 ECLI ECLI:DE:FGBEBB:2019:0624.3V3049.19.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Gründe

A.

Die Beteiligten streiten bei einer Bedarfsbewertung für die Grunderwerbsteuer und dort gewährter Aussetzung der Vollziehung (AdV) nach Vorlage eines Sachverständigengutachtens zum Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts (§ 198 Bewertungsgesetz - BewG -) um die Frage, ob und ab wann – wegen der Säumniszuschläge – Aufhebung der Vollziehung zu gewähren ist.

I.1.

Im Zuge einer Anteilsvereinigung zum 22.08.2016 war vom in Brandenburg für die Grunderwerbsteuer zuständigen Finanzamt - FA – B… Grunderwerbsteuer für ein unbebautes, an einen Photovoltaikbetreiber verpachtetes Grundstück festzusetzen.

Mit Schreiben vom 21.12.2016 forderte das FA B… beim antragsgegnerischen FA C… eine Grundbesitzwertfeststellung an. Am 20.03.2017 forderte dieses FA von der Antragstellerin - Ast. -. eine Feststellungserklärung, die am 11.05.2017 beim FA einging. Bereits bei Einreichung der Feststellungserklärung wies die Ast. darauf hin, dass es sich um einen ehemaligen Flugplatz der sowjetischen Streitkräfte handelte, der mit Altlasten belastet sei, deren Beseitigung Kosten in Höhe von mehreren Millionen Euro erfordern würden. Außerdem seien Teile des Grundstücks Naturschutzflächen. Wegen dieser Belastungen und Einschränkungen betrage der Verkehrswert 0 €. Ein Altlastengutachten vom 05.05.2017 fügte die Ast. bei, aus diesem ergaben sich Beseitigungskosten in Höhe von 100,8 Mio €. Auch der Altlastensanierungsbescheid des Landrats vom 19.07.2013 war beigefügt.

Das FA erließ am 22.01.2018 einen Grundbesitzwertfeststellungsbescheid mit einem Grundbesitzwert von 10.631.573 € (FG-A Bl. 3). Daraufhin erließ das FA B… am 08.02.2018 einen Grunderwerbsteuerbescheid mit einer festgesetzten Grunderwerbsteuer von 706.046 €, fällig am 12.03.2018 (wobei noch ein zweites, nicht verfahrensgegenständliches Grundstück mit einem gesondert festgestellten, unstreitigen Wert von 230.687 € in die Bemessungsgrundlage mit einfloss).

Am 20.02.2018 legte die Ast. Einspruch gegen den Grundbesitzwertfeststellungsbescheid ein und kündigte die Erstellung eines Gutachtens an. Zugleich mit dem Einspruch vom 20.02.2018 beantragte die Ast. AdV und wies erneut auf die Altlasten und Nutzungsbeschränkungen hin.

Mit Schreiben vom 28.02.2018 wies das FA den Antrag auf AdV zurück. Es bestünden keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit, solange keine Steuererklärung eingereicht worden sei. Nach deren Einreichung könne erneut AdV beantragt werden. Mit Schreiben vom 08.03.2018 stellte das FA klar, dass Flächendifferenzen bestünden und bei Ansatz der von der Ast. in der Feststellungserklärung angegebenen Flächen sich ein höherer Wert ergäbe.

Der für die Grundstücksbewertung öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige Alexander Gräfe erstellte ein Gutachten, das bei seiner Unterschrift das Datum 13.03.2018 trägt und zu einem Verkehrswert von 1 € gelangt. Der Gutachter kommt zu einem Bodenwert von 6,6 Mio € und zu einem Abschlag wegen notwendiger Altlastenbeseitigung in Höhe von 100 Mio €. Mit Schreiben vom 19.03.2018, beim FA eingegangen am 20.03.2018, übersandte die Ast. dem FA das Gutachten.

Mit Schreiben vom 23.03.2018 gewährte das FA C… AdV ab dem 20.03.2018.

2.

Mit Schreiben vom 24.04.2018 legte die Ast. Einspruch gegen den Bescheid vom 23.03.2018 ein und begehrte den Beginn der AdV statt erst ab dem 20.03.2018 schon ab dem 12.03.2018, dem Tag der Fälligkeit der Grunderwerbsteuer. Sie führte aus, aufgrund der erst ab dem 20.03.2018 gewährten AdV entstünden Säumniszuschläge in Höhe von 6.910,50 €. Bereits vor Fälligkeit der Grunderwerbsteuer sei der Antrag auf AdV gestellt und ausführlich begründet worden. Auf die Flächendifferenzen sei es nicht entscheidend angekommen, denn schon durch die Altlasten und Nutzungsbeschränkungen sei der Verkehrswert auf 0 € reduziert gewesen.

3.

Mit Einspruchsentscheidung vom 11.02.2019 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück (FG-A Bl. 12). Das Gutachten diene dem Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts gemäß § 198 BewG. Bis zu dessen Einreichung hätten sich Zweifel an der Rechtmäßigkeit nicht ergeben.

II.

Mit Schriftsatz vom 06.03.2019, bei Gericht eingegangen am 08.03.2019, verfolgt die Ast. ihr Ziel, AdV der Grundbesitzwertfeststellung schon ab dem 12.03.2019 zu erhalten, weiter. Bereits vor Erlass des angefochtenen Bescheids habe sie Altlasten in den festgestellten Grundstückswert übersteigender Höhe nachgewiesen.

Die Ast. beantragt (FG-A Bl. 43),

die Vollziehung des Grundbesitzwertfeststellungsbescheids auf den 22.08.2016 vom 22.01.2018 ab dem 12.03.2018 aufzuheben.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Das FA verweist auf seine Einspruchsentscheidung und ergänzend auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10.12.1986 I B 121/86. Würde man auf die objektive Erkennbarkeit der Zweifel an der Rechtmäßigkeit abstellen, müsste in Schätzungsfällen bei nachträglicher Vorlage der Steuererklärungen Aufhebung der Vollziehung stets rückwirkend gewährt werden.

III.

Die Grundbesitzwertakten mit Stand 20.03.2019 lagen vor.

B.

Der zulässige Antrag ist nicht begründet.

In den Fällen des Nachweises des niedrigeren gemeinen Werts gemäß § 198 BewG mittels Verkehrswertgutachtens ist Aufhebung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 Satz 2 Finanzgerichtsordnung – FGO –) erst ab dem Tag des Eingangs des Gutachtens beim FA bzw. FG zu gewähren.

I.

Zwar ist in der Rechtsprechung des BFH anerkannt, dass auch der (automatische) Anfall von Säumniszuschlägen eine Vollziehung eines Bescheids (ggf. vermittelt durch einen Folgebescheid) darstellt und daher auch nur zur Vermeidung von Säumniszuschlägen die rückwirkende Aufhebung der Vollziehung statt der nur in die Zukunft wirkenden Aussetzung der Vollziehung möglich ist (BFH, Urteil vom 27.11.2009 II B 102/09, Juris Rn. 65 m. w. N.).

II.

Der BFH scheint zu der Auffassung zu tendieren, dass es darauf ankommt, ab wann die ernstlichen Zweifel objektiv vorlagen, nicht darauf, ab wann sie für das FA erkennbar waren.

1.

Allerdings hat der 1. Senat des BFH im Beschluss vom 10.12.1986 I B 121/86, BStBl II 1987, 389, Juris Rn. 9, ausgesprochen, für die Bestimmung des Zeitpunktes, von dem an die Wirkungen der Vollziehung aufzuheben sind, komme es darauf an, ab wann ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides erkennbar vorlagen. Er hat sich dort weiter (Juris Rn. 15) mit dem Zweck der Säumniszuschläge auseinandergesetzt und meinte, dass wenn nachträglich ernsthafte Zweifel festgestellt würden, die schon von Anfang an bestanden hätten, dann die Voraussetzungen für eine Druckausübung durch Säumniszuschläge rückwirkend entfielen. Die Säumniszuschläge sollten daher nur bestehen bleiben, wenn ein Steuerbescheid ohne vorherige Anfechtung geändert würde, oder in Fällen, in denen zumindest für eine gewisse Zeit keine ernsthaften Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestanden hätten, insbesondere bei Schätzung der Besteuerungsrundlagen und Abgabe der Steuererklärung im Rechtsbehelfsverfahren.

2.

Mit Beschluss vom 06.09.1989 II B 22/89, BFH/NV 1990, 670, Juris Rn. 13, hat der 2. Senat des BFH im Falle von im Klageverfahren nachgereichter Unterlagen, insbesondere eidesstattlicher Versicherungen, Aufhebung der Vollziehung ab Fälligkeit gewährt. Er hat ausgeführt, wegen der Amtsermittlungspflicht des FA sei die nachträgliche Vorlage von Unterlagen nicht der nachträglichen Vorlage von Steuererklärungen gleichzusetzen.

3.

Mit Beschluss vom 29.09.2003 III S 7/03, BFH/NV 2004, 183, Juris Rn. 10, hat der 3. Senat des BFH ausdrücklich ausgesprochen, die Wirkungen der Vollziehung seien ab dem Zeitpunkt rückgängig zu machen, ab dem objektiv ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestanden hätten. Unerheblich sei, ab wann die ernstlichen Zweifel für das FA erkennbar gewesen wären oder sich "greifbar" abgezeichnet hätten.

4.

Mit Beschluss vom 27.11.2009 II B 102/09, Juris Rn. 66, hat sich der 2. Senat die Auffassung des 3. Senats zu Eigen gemacht.

III.

Die vorgenannten Auffassungen erscheinen nicht unbedingt konsistent.

Auch in „klassischen Schätzungsfällen“ (verspäteter Abgabe der Steuererklärung, ggf. auch der Bilanz bzw. des Jahresabschlusses) sind objektiv die Zweifel an der Richtigkeit der Schätzung schon von vornherein gegeben.

Der Jahresgewinn steht, von bei der Steuerbilanz seltenen Bilanzierungswahlrechten abgesehen, mit Ablauf des Bilanzierungszeitraums fest. Er wird bei Aufstellung der Bilanz nicht erzeugt, sondern nur festgestellt. Objektiv hat der Gewinn, der sich aus der Gesamtheit der Geschäftsvorfälle des Jahres bzw. aus dem Vergleich des Betriebsvermögens zu dessen Beginn und zu dessen Ende ergibt, bereits vor Aufstellung der Bilanz festgestanden, auch wenn er dem FA und vielleicht auch dem Steuerpflichtigen noch nicht bekannt gewesen ist.

Auch die anderen Angaben einer Steuererklärung (Einnahmen und Werbungkosten bei den Überschusseinkünften, Sonderausgaben usw.) liegen vor deren Erstellung und Einreichung beim FA bereits, von den seltenen Fällen von Veranlagungswahlrechten abgesehen, fest und sind objektiv erkennbar. Aufgrund des Legalitätsprinzips im Steuerrecht und der Anknüpfung der Steuerentstehung an den objektiven Sachverhalt ohne Ermessen der Finanzbehörde ist die zuletzt festgesetzte Steuer, egal wie oft Bescheide durch das FA oder ein Gericht geändert werden, grundsätzlich immer von Anfang an objektiv erkennbar gewesen.

IV.

Der Senat kann gleichwohl offenlassen, ob er der Rechtsprechung des BFH grundsätzlich darin folgen wollte, dass Aufhebung der Vollziehung ab dem Zeitpunkt zu gewähren sei, ab dem objektiv ernstliche Zweifel vorgelegen haben. Denn jedenfalls bei Anwendung des § 198 BewG kommt es auf die subjektive Erkennbarkeit durch das FA bzw. das Gericht an.

1.

Beim Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts gemäß § 198 BewG trifft den Steuerpflichtigen nicht nur die Darlegungs- und Feststellunglast, sondern auch die Nachweislast (BFH, Urteil vom 11.09.2013 II R 61/11, BStBl II 2014, 363, Juris Rn. 31). Er kann den Nachweis durch Sachverständigengutachten eines Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken führen. Bei dem Sachverständigen muss es sich um einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen handeln. Aufgrund der Nachweislast obliegt es dem Steuerpflichtigen nämlich, den Nachweis durch Sachverständigengutachten so zu führen, dass ihm das FA bzw. FG regelmäßig ohne Bestellung weiterer Sachverständiger folgen kann. Dieses Ziel würde verfehlt, wenn Gutachten anderer Personen für den Nachweis durch den Steuerpflichtigen zugelassen würden, weil das FG zunächst Feststellungen zur fachlichen Eignung dieser Personen treffen und zur Überprüfung der Feststellungen ggf. sich eines weiteren Sachverständigen bedienen müsste. Damit träfe den Steuerpflichtigen im Ergebnis entgegen der gesetzlichen Wertung nicht mehr die Nachweislast, sondern allenfalls noch eine Darlegungs- und Feststellungslast.

Aus diesen Erwägungen des BFH folgt, dass das FA bzw. FG bei § 198 BewG keine Amtsermittlungspflicht trifft und allgemeine Erwägungen, Überlegungen und Herleitungen außerhalb eines Sachverständigengutachtens nicht ausreichen.

2.

Dann bestehen Zweifel an der Richtigkeit aber auch erst mit Vorlage des Gutachtens, nicht schon mit dessen Erstellung und erst recht nicht vor dessen Erstellung mit dem Vorbringen von – wenn auch schlüssigen – Erwägungen.

Zwar stellt auch ein Sachverständiger in einem Verkehrswertgutachten den Verkehrswert auf einen bestimmten Stichtag nur fest und erzeugt ihn nicht erst, so dass der Inhalt des Gutachtens, namentlich der Verkehrswert als dessen Ergebnis, objektiv eigentlich schon vor Gutachtenerstellung feststeht. Würde man aber deswegen Aufhebung der Vollziehung

des Grundbesitzwertfeststellungsbescheids nach Vorlage des Gutachtens bereits ab einem Zeitpunkt vor Vorlage des Gutachtens gewähren, stünde dies im Wertungswiderspruch zur Nachweislast des Steuerpflichtigen beim Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts gemäß § 198 BewG. Denn jedenfalls der Nachweis ist – objektiv – erst erbracht, wenn das Gutachten dem FA (bzw. dem FG) vorliegt.

V.1.

Die Beschwerde wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 i. V. m. § 128 Abs. 3 FGO.

Er erscheint klärungsbedürftig und klärungswürdig, ab welchem Zeitpunkt Aufhebung der Vollziehung von Grundbesitzwertfeststellungsbescheiden zu gewähren ist, wenn ein Verkehrswertgutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen zum Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts gemäß § 198 BewG vorgelegt wird.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.