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Beschäftigung - Ausland - Sowjetunion - Stipendium - Altersversorgung Intelligenz


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 27. Senat Entscheidungsdatum 10.01.2012
Aktenzeichen L 27 R 803/09 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 4 SGB 4, § 7 SGB 4, § 5 AAÜG

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 8. Mai 2009 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens streitig, ob die Beklagte auch den Zeitraum vom 11. Februar 1972 bis zum 11. Juli 1972 als Zeit der Zugehörigkeit des Klägers zu der zusätzlichen Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen (AVIwiss, Zusatzversorgungssystem nach Nr. 4 der Anlage I zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz –AAÜG–) festzustellen hat.

Der 1941 geborene Kläger war seit 1960 als Russischlehrer in der DDR tätig. Er besuchte in der Zeit vom 11. Februar 1972 bis zum 11. Juli 1972 einen Kurs zur Erhöhung der Qualifikation der Russischlehrer an der Fakultät der russischen Sprache für ausländische Bürger an der Staatlichen Lomonossow-Universität in Moskau. Zu diesem Kurs war er vom Ministerium für Volksbildung über den Rat des Kreises Prenzlau delegiert worden. Während seines Auslandsaufenthalts wurde ihm auf sein Konto in der DDR ein Betrag überwiesen, der nur einem Teil seines bisherigen Gehalts entsprach; den restlichen Betrag erhielt er seinen Angaben zufolge über die Moskauer Botschaft der DDR in Rubel ausgezahlt.

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten überführte mit Bescheid vom 29. Juli 1997 die Anwartschaften und Ansprüche des Klägers aus der Zusatzversorgung in die Rentenversicherung. Hierbei wies sie für das Jahr 1972 Entgelte in Höhe von 7.074,15 M aus.

Auf das Schreiben des Klägers vom 25. April 2006, mit dem er eine Berichtigung der Bescheinigung über die Arbeitsentgelte für das Jahr 1972 beantragte, erließ die Beklagte den Feststellungsbescheid vom 7. Juni 2006. Ohne Änderung des Betrages der für das Jahr 1972 erzielten Entgelte in Höhe von 7.074,15 M stellte sie für dieses Jahr die Zeiträume vom 1. Januar bis 10. Februar sowie vom 12. Juli bis 31. Dezember fest. Sie führte hierzu aus, dass in der Zeit vom 11. Februar bis zum 11. Juli 1972 kein Entgelt aus einem Beschäftigungsverhältnis erzielt worden sei.

Den Antrag des Klägers vom 12. Juli 2006, unter Änderung des Bescheides vom 7. Juni 2006 auch diesen Zeitraum zu berücksichtigen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober 2006 ab. Hiergegen legte der Kläger keinen Rechtsbehelf ein.

Am 16. November 2006 stellte der Kläger einen Überprüfungsantrag, mit dem er darauf hinwies, dass Kollegen, die ebenfalls einen Sprachkurs besucht hätten, bei der Rentenberechnung keine Probleme hätten. Die Beklagte holte eine Auskunft des Staatlichen Schulamtes vom 2. Januar 2007 ein, welches bestätigte, dass der Kläger 1972 Arbeitsentgelte in Höhe von 7.074,15 M bezogen habe. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 30. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. September 2007 eine Änderung des Feststellungsbescheides ab. Im fraglichen Zeitraum habe der Kläger ein Auslandsstudium absolviert. Die Ausbildung sei kein Bestandteil eines Beschäftigungsverhältnisses, weshalb die Zahlungen kein Entgelt darstellten.

Mit der bei dem Sozialgericht Neuruppin erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Er bringt vor, während des Kurses in Moskau weiterhin in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden zu haben, denn es habe sich um eine Delegierung im Rahmen einer Lehrerbildung gehandelt. Er hätte den Kurs auch nicht besucht, wenn er nicht sein volles Gehalt erhalten hätte.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 8. Mai 2009 abgewiesen: Voraussetzung für die Feststellung als Zeit in der Zusatzversicherung sei die Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit. Das Gehalt für ein Auslandsstudium der hier vorliegenden Art sei erst mit der Anordnung zur Stipendienzahlung bzw. zur Vergütung der zur Aus- und Weiterbildung in andere Staaten delegierten Bürger der DDR vom 13. Mai 1974 (GBl. I, S. 281) ab dem 1. September 1974 der Beitragspflicht zur Sozialversicherung unterworfen worden.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung zum Landessozialgericht eingelegt, mit der er betont, dass es sich bei seinem Aufenthalt in Moskau um eine berufliche und damit versicherungspflichtige Weiterbildung gehandelt habe. Auch sei er nicht darauf hingewiesen worden, dass er im Rahmen der Weiterbildung nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegen solle.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 8. Mai 2009 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung des Überprüfungsbescheides vom 30. Januar 2007 in der Ge-stalt des Widerspruchsbescheides vom 6. September 2007 zu verpflichten, den Feststellungsbescheid vom 7. Juni 2006 zu ändern und die Zeit vom 11. Februar 1972 bis zum 11. Juli 1972 als Zeit seiner Zugehörigkeit zu dem Zusatzversorgungssystem der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht Neuruppin eine Verpflichtung der Beklagten abgelehnt, unter Änderung des Feststellungsbescheides vom 7. Juni 2006 auch den Zeitraum vom 11. Februar 1972 bis zum 11. Juli 1972 als Zeit der Zugehörigkeit zu dem Zusatzversorgungssystem und die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen, denn der Kläger hat keinen dahingehenden Anspruch; der von dem Kläger angegriffene Überprüfungsbescheid der Beklagten vom 30. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. September 2007 ist rechtmäßig.

Bei Erlass des Feststellungsbescheides hat der Beklagte weder das Recht unrichtig angewandt noch ist er von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch). Der Kläger, der unstreitig unter den persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG fällt, erfüllte im maßgeblichen Zeitraum nicht die Voraussetzungen für die positive Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zum Versorgungssystem der AVIwiss.

Abzustellen ist hierbei auf § 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Diese Vorschrift ordnet die Gleichstellung mit Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung für Zeiten an, in denen der Versorgungsberechtigte eine (entgeltliche) Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in einem System vorgesehen war, das in der Anlage 1 und 2 zum AAÜG aufgeführt ist. Ob die Tatbestandsvoraussetzungen für die Gleichstellung mit rentenrechtlichen Pflichtbeitragszeiten erfüllt sind, hängt somit davon ab (siehe Bundessozialgericht – BSG –, Urteil vom 24. Juli 2003, B 4 RA 40/02 R, SozR 4-8570 § 5 Nr. 1), ob

1. der Betroffene eine „Beschäftigung“ ausgeübt hat, die
 2. „entgeltlich“ war und die
 3. ihrer Art nach von einem Versorgungssystem erfasst war.

Nach § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV) ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Ausschlaggebende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Beschäftigung sind die Tätigkeit nach Weisungen und die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Unternehmens des Arbeitgebers. Eine im Voraus zeitlich begrenzte Verlagerung des Erfüllungsortes/Arbeitsortes ins Ausland beseitigt die Versicherungspflicht nicht, wenn sie im Rahmen eines im Inland (fort-)bestehenden Beschäftigungsverhältnisses erfolgt (§ 4 Abs. 1 SGB IV). Bei der Anwendung dieser bundesrechtlichen Bestimmungen auf Sachverhalte und Ereignisse, die sich in der DDR zugetragen haben, ist allerdings zu beachten, dass die Betroffenen damals ihr Verhalten nicht nach dem Bundesrecht, sondern nach den Vorgaben der DDR ausgerichtet haben. Es ist deshalb stets wertend zu prüfen, ob ein solcher "DDR-Sachverhalt" in seinem wirtschaftlichen und sozialen Sinn und rechtlichen Gehalt der in einer Norm des Bundesrechts ausgeprägten (normativ gedachten) Wirklichkeit entspricht. Der in der DDR gegebene Sachverhalt kann also nicht unmittelbar unter einen Rechtsbegriff des Bundesrechts "subsumiert" werden. Vielmehr ist stets zu prüfen, ob dieser Rechtsbegriff auf einen solchen Sachverhalt nach Sinn und Zweck anwendbar ist (siehe BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 a.a.O.).

Vorliegend ist es nicht ausgeschlossen, dass die von vornherein befristete Fort- oder Weiterbildung eines Lehrers an einer Universität des Auslandes nach den seinerzeit in der DDR geltenden – und damit für die Auslegung maßgeblichen – Anschauungen weiterhin als Fortsetzung der ursprünglichen Beschäftigung verstanden wurde. Der Umstand, dass im Sozialversicherungsausweis des Klägers dessen Beruf unverändert für das gesamte Jahr 1972 als „Lehrer“ bezeichnet wurde, spricht jedenfalls dafür. Dem steht allerdings die Bescheinigung des Schulleiters vom 14. Januar 1972 entgegen, wonach der Kläger vom 1. Februar bis Juli 1972 an einem „Auslandsstudium“ in der Sowjetunion teilnehme. Diese Frage kann jedoch offen bleiben, denn jedenfalls ist die weitere Voraussetzung der „Entgeltlichkeit“ nicht erfüllt.

Zwar erhielt der Kläger während seines Aufenthalts an der Moskauer Universität Geldleistungen in Form von Überweisungen auf sein Konto in der DDR und von Barauszahlungen in Rubel, die seinen Angaben zufolge dem ihm zuvor gewährten Gehalt entsprachen. Diese Zahlungen stellten aber kein (beitragspflichtiges) „Entgelt“ dar. Auch dieses – in § 5 AAÜG nicht ausdrücklich genannte, aber aus der Gleichstellung mit Pflichtbeitragszeiten sowie aus der Funktion der §§ 5 bis 8 AAÜG, die Überleitung des SGB VI auch auf zum 31. Dezember 1991 in das Rentenversicherungsrecht des Beitrittsgebietes überführte Renten zu regeln, folgende (so BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 a.a.O.) – Tatbestandsmerkmal ist vor dem Hintergrund der seinerzeit in der DDR geltenden Anschauungen auszulegen.

Hierbei weist der Umstand, dass seitens des Rates des Kreises Prenzlau in den Versicherungsausweis des Klägers für das Jahr 1972 im Hinblick auf dessen Aufenthalt in Moskau ein geringerer Verdienst eingetragen wurde als in den Jahren davor und danach, darauf hin, dass die Zahlungen während des streitgegenständlichen Zeitraums nicht als „Entgelt“ verstanden wurden. Die nach mehr als 30 Jahren vorgebrachte Behauptung des Klägers, der Eintrag sei fehlerhaft, vermag nicht zu überzeugen. Denn der maßgeblichen Praxis in der DDR war es nicht fremd, Geldleistungen an Arbeitnehmer, die zur Ausbildung an eine ausländische Universität delegiert wurden, als Stipendien (und nicht als Entgelt) zu verstehen, die etwa nach § 16 der „Anordnung über die Gewährung von Stipendien an Direktstudenten der Universitäten, Hoch- und Fachschulen der DDR“ – Stipendienordnung – vom 4. Juli 1968 (GBl. II S. 527) nicht der Sozialversicherungspflicht unterfielen. Diese in der DDR vorliegende Anschauungsweise wird verdeutlicht durch die „Anweisung des Staatssekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen über die Zahlung von Stipendien an Hochschulabsolventen, die aus dem Bereich der sozialistischen Praxis zu einem zusätzlichen Qualifizierungsstudium ins Ausland delegiert werden“ vom 1. Oktober 1959 in der Fassung der „Arbeitsrichtlinie zur Durchführung der Anweisung des Staatssekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen über die Zahlung von Stipendien an Hochschulabsolventen … vom 1.10.1959“ vom 1. Oktober 1962. Die betreffenden Personen erhielten nach Nr. 1 der Anweisung „neben dem in der jeweiligen Währung des Gastlandes auf der Grundlage bestehender Abkommen bezahlten Stipendium einen Teil ihres bisherigen Gehaltes als Stipendium in D-Mark der Deutschen Notenbank weiter.“ Das in D-Mark der Deutschen Notenbank gewährte Stipendium betrug hierbei 65% des bisherigen Nettogehaltes bei unterhaltspflichtigen Angehörigen, sonst 50% des bisherigen Nettogehaltes (Nr. 2 der Anweisung) und wurde durch den Betrieb ausgezahlt (Nr. 3 der Anweisung). In diesem Sinne wurde auch im Falle des Klägers verfahren. Die hiervon hinsichtlich der Bestimmung der Höhe des Stipendiums teilweise abweichenden Vorschriften in der Stipendienordnung vom 4. Juli 1968 (GBl. II S. 527) betrafen, wie aus § 8 Abs. 1 dieser Anordnung hervorgeht, nicht zum Auslandsstudium delegierte Berufstätige, sondern Studenten der DDR, die zum Studium in das Ausland delegiert wurden. Auch später wurde in der DDR an der Anschauung festgehalten, dass Berufstätige, die zu einem weiterführenden Studium in andere Staaten delegiert wurden, einen bestimmten Prozentsatz ihres letzten Nettoverdienstes als Stipendium erhalten, so etwa in § 4 Abs. 1 der „Anordnung zur Stipendienzahlung bzw. zur Vergütung der zur Aus- und Weiterbildung in andere Staaten delegierten Bürger der DDR“ vom 13. Mai 1974 (GBl. I, S. 281), der für Aspiranten auf die „Anordnung Nr. 2 über die wissenschaftliche Aspirantur – Finanzielle Regelungen“ vom 29. April 1974 (GBl. I S. 279) verwies. Der Umstand, dass sich die Zahlungen an dem letzten Netto-Entgelt orientierten, stellt lediglich die Bemessungsgrundlage für die Stipendien dar, machte diese aber nicht zu (sozialversicherungspflichtigen) Entgelten (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. Dezember 2007, L 8 RA 83/04, bei Juris).

Selbst wenn man zugunsten des Klägers von der Fortführung seiner „Beschäftigung“ während seiner Weiterbildung in Moskau ausgehen wollte, fehlt es demzufolge für den streitbefangenen Zeitraum an der notwendigen Entgeltlichkeit, sodass der von ihm geltend gemachte Anspruch nicht besteht. Somit bedarf die weitere Frage, ob es sich hierbei um von der AVIwiss erfasste Tätigkeiten handelt, keiner Entscheidung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht ersichtlich sind.