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Erledigung der Hauptsache; Kostenentscheidung; konsularische Betreuung von Gefangenen; Auslieferungshaft; Art und Maß der Betreuung; unbestimmter Rechtsbegriff; gerichtliche Kontrolle; objektive Gesamtumstände des Einzelfalles


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat Entscheidungsdatum 18.01.2013
Aktenzeichen OVG 10 S 45.12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 1 KonsG, § 5 KonsG, § 7 KonsG, § 161 Abs 2 VwGO, § 119 Abs 1 S 2 ZPO

Tenor

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für den Rechtszug vor dem Oberverwaltungsgericht bewilligt und ihm Rechtsanwalt A...S... beigeordnet.

Das Beschwerdeverfahren wird eingestellt.

Die Kosten der Beschwerde tragen der Antragsteller und die Antragsgegnerin je zur Hälfte.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beteiligten streiten im Beschwerdeverfahren über das Maß der konsularischen Betreuung des Antragstellers, einem deutschen Staatsangehörigen, der sich auf Ersuchen der Bundesrepublik Deutschland in Marokko in Auslieferungshaft befand.

1. Dem Antragsteller ist unter Beiordnung seines Rechtsanwalts Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 121 Abs. 1, 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen. Im Rechtszug vor dem Oberverwaltungsgericht ist nach § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht zu prüfen, ob die Rechtsverteidigung des Antragstellers im Beschwerdeverfahren hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, denn die Antragsgegnerin hat das Rechtsmittel eingelegt, soweit das Verwaltungsgericht sie im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet hat, bei der Betreuung des Antragstellers in der Auslieferungshaft Besuche in Abständen von nicht mehr als zwei Wochen vorzunehmen. Der Bewilligung von Prozesskostenhilfe steht nicht entgegen, dass die Beteiligten die Beschwerde zwischenzeitlich übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Von dem grundsätzlichen Erfordernis einer beabsichtigten Rechtsverteidigung ist hier in der Konstellation nach Erledigung der Beschwerde eine Ausnahme zu machen (vgl. OVG Bln-Bbg., Beschluss vom 23. September 2008 - OVG 2 M 35.08 -, Beschluss vom 12. Januar 2009 - OVG 10 M 56.08 -, juris Rn. 5; Beschluss vom 23. September 2008 - 2 M 35.08 -), denn der Bewilligungsantrag des Antragstellers ist am 8. November 2012 während des laufenden Verfahrens gestellt worden und war vor Eintritt des erledigenden Ereignisses durch die am 20. Dezember 2012 erfolgte Auslieferung des Antragstellers entscheidungsreif (vgl. dazu OVG Bln-Bbg., Beschluss vom 26. September 2012 - OVG 10 M 41.11 -). Der Antragssteller hatte mit diesem Antrag bereits alles für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe Erforderliche getan.

2. Das Beschwerdeverfahren ist entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, nachdem die Beteiligten es übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.

Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Dem Gericht steht bei dieser Kostenentscheidung ein weites Ermessen zu. Nach der gesetzlichen Wertung soll wegen der allein zu treffenden Kostenentscheidung keine erschöpfende Klärung der Sach- und Rechtslage mehr stattfinden (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 22. März 2012 - OVG 10 A 14.11 -; OVG für das Land Brandenburg, Beschluss vom 6. April 2005 - OVG 5 B 53/04 - NVwZ 2005, S. 1213, juris Rn. 5). Insbesondere hat für die allein zu treffende Kostenentscheidung keine weitere Sachaufklärung stattzufinden (Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 161 Rn. 17). Wirft das in der Hauptsache erledigte Verfahren schwierige Rechts- oder Tatsachenfragen auf, die den Ausgang des Verfahrens offen erscheinen lassen, entspricht es in der Regel der Billigkeit im Sinne von § 161 Abs. 2 VwGO, den Beteiligten die Kosten jeweils zur Hälfte aufzuerlegen.

Dies ist hier der Fall, denn der Ausgang des sich infolge der Auslieferung des Antragstellers in die Bundesrepublik Deutschland erledigten Verfahrens warf jedenfalls schwierige Sachfragen auf. Nach § 7 Konsulargesetz (KonsG) sollen die Konsularbeamten in ihrem Konsularbezirk deutsche Untersuchungs- und Strafgefangene auf deren Verlangen betreuen und ihnen insbesondere Rechtsschutz vermitteln. Die Regelung, dass die Konsularbeamten bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf Verlangen der Gefangenen diese betreuen „sollen“, hat zur Folge, dass diese in der Regel dazu verpflichtet sind, aber in atypischen Situationen von einer Betreuung absehen können (vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl., § 7 Rn. 11). Die Hilfe für Gefangene ist, wie die Hilfe nach § 5 KonsG, Ausfluss der allgemeinen konsularischen Rat- und Beistandspflicht nach § 1 KonsG (vgl. Hoffmann, Konsularrecht, Stand 1. März 2011, § 7 Rn. 2). Zu Recht geht die Antragsgegnerin davon aus, dass § 7 KonsG auch auf den Antragsteller anzuwenden ist, der sich aufgrund eines Auslieferungsersuchens im Konsularbezirk der Auslandsvertretung in Auslieferungshaft befindet, denn auch er ist eine Person, der für gewisse Zeit durch Inhaftierung die Freiheit entzogen worden ist und die in dieser Situation im Ausland potenziell des Beistands bedarf. Die Art, Form und das Maß der Betreuung des Gefangenen durch die Konsularbeamten richtet sich bei verständiger Würdigung nach den objektiven Gesamtumständen des Einzelfalles, insbesondere den Gegebenheiten vor Ort, dem Grund der Inhaftierung, den Haftbedingungen (insbesondere, ob der Gefangene in der Haft korrekt und human behandelt wird), ob die Vermittlung von Rechtsschutz notwendig ist und in welchem Umfang Hilfe zur Erfüllung seiner persönlichen Bedürfnisse in der Haft (z. B. Kontakt und Kommunikation zur Außenwelt, Verpflegung, medizinische Versorgung) erforderlich ist (vgl. dazu näher: Das Deutsche Bundesrecht, Konsulargesetz, 927. Lieferung, Erl. zu § 7; Hoffmann, a.a.O., § 7 Rn. 7.3 ff.). Die im Einzelfall zu treffende Entscheidung zur Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs des Betreuens im Sinne von § 7 KonsG unterliegt der gerichtlichen Kontrolle und seine Konkretisierung ist grundsätzlich Sache der Gerichte, die die Rechtsanwendung der Auslandsvertretungen nachzuprüfen haben (vgl. zur Kontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe u. a. BVerfG, Beschluss vom 17. April 1991 - 1 BvR 419.91 -; BVerfGE 84, 34; juris Rn. 47; BVerwG, Urteil vom 21. Dezember 1995 - 3 C 24.95 -, BVerwGE 100, 121, juris Rn. 29). Dass im Rahmen der Entscheidung nach § 7 KonsG besondere Voraussetzungen vorliegen würden, die es ausnahmsweise rechtfertigen würden, den Auslandvertretungen einen eigenen, der gerichtlichen Kontrolle nur beschränkt zugänglichen Beurteilungsspielraum einzuräumen, ist jedenfalls nicht offensichtlich und bedarf hier wegen der allein zu treffenden Kostenentscheidung keiner abschließenden Klärung. Offen zu bewerten ist hier auch die Frage, ob es im Einzelfall der Inhaftierung des Antragstellers bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände gerechtfertigt war - wie das Verwaltungsgericht dies ohne nähere Begründung in zeitlicher Hinsicht relativ schematisch angenommen hat -, die Antragsgegnerin zu verpflichten, dass zumindest in Abständen von nicht mehr als zwei Wochen ein Beamter der Auslandsvertretung Besuche in der Auslieferungshaft vorzunehmen hat. Die Beurteilung, in welchem Maß die Betreuung der Antragsgegnerin durch ein Aufsuchen in der Haft durch einen Konsularbeamten geboten war, hängt wie ausgeführt, von den Umständen des Einzelfalls ab. Diese sind hier aber zwischen den Beteiligten strittig und deren tatsächliche Aufklärung insbesondere im Hinblick darauf, ob hier Besuche zur Vermittlung von Rechtsschutz durch Überbringung von Schriftsätzen und zur Erfüllung geltend gemachter Bedürfnisse des Antragstellers nach Winterbekleidung erforderlich waren, soll nach der gesetzlichen Bewertung des § 161 Abs. 2 VwGO wegen der allein zu treffenden Kostenentscheidung nicht mehr stattfinden. Der Ungewissheit über den Verfahrensausgang ist daher in diesem Einzelfall durch eine hälftige Kostenbelastung Rechnung zu tragen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.

Die Entscheidung war entsprechend § 87 a Abs. 1 Nr. 3, 4 und 5 sowie Abs. 3 VwGO von dem Berichterstatter zu treffen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).