Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat | Entscheidungsdatum | 14.06.2019 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 6 B 8.18 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2019:0614.6B8.18.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 42 Abs 2 VwGO, § 1 Abs 1 Nr 2 UVG, § 30 SGB I, § 1 Abs 1a UVG, § 113 Abs 5 S 1 VwGO |
Der Fortbestand einer häuslichen Gemeinschaft mit einem der Elternteile gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG richtet sich bei einer vorübergehenden Trennung nicht nach einer schematischen Betrachtung, ob der Aufenthalt kürzer oder länger als sechs Monate sei, sondern nach einer Einzelfallbetrachtung. In deren Rahmen ist zu beurteilen, ob der ansonsten bestehende Betreuungszusammenhang durch die vorübergehende Abwesenheit aufgehoben wird. Dabei ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalles im Wege einer Gesamtbetrachtung abzustellen.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 11. September 2018 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin beantragte im Juli 2017 Unterhaltsvorschussleistungen für ihren im Mai 2000 geborenen Sohn und gab an, dieser besuche von August 2017 bis Juni 2018 eine staatliche Tagesschule in Großbritannien und wohne während dieser Zeit bei einer Gastfamilie. Mit Bescheid vom 20. Oktober 2017 lehnte der Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, der Sohn der Klägerin lebe nicht mit dieser in einem Haushalt. Auf den Widerspruch der Klägerin bewilligte er mit Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2018 Unterhaltsvorschussleistungen für den Monat Juli 2017 und wies den Widerspruch im Übrigen zurück.
Auf die am 10. Februar 2018 erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht den Beklagten, der Klägerin für ihren Sohn Unterhaltsvorschussleistungen für die Zeit vom 1. August 2017 bis zum 10. Januar 2018 (Erlass des Widerspruchsbescheides) zu bewilligen. Der Sohn der Klägerin lebe entgegen der Auffassung des Beklagten im Geltungsbereich des Unterhaltsvorschussgesetzes bei seiner Mutter. Er habe den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen trotz des Auslandsaufenthalts beibehalten.
Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Berufung. Zu deren Begründung trägt er vor: Nach den Richtlinien des BMFSFJ zum Unterhaltsvorschussgesetz, die auch auf die Anhebung der Altersgrenze für die Leistungsbewilligung von zwölf auf 18 Jahre reagiert hätten, sei in Fällen einer zeitweisen ausbildungsbedingten Abwesenheit des Kindes die häusliche Gemeinschaft mit dem alleinerziehenden Elternteil bei voraussichtlich mehr als sechs Monaten Abwesenheit in der Regel nicht mehr gegeben. Das Verwaltungsgericht verkenne im Übrigen, dass das Vorhalten von Wohnraum auch bei einer Betreuung im Wechselmodell nicht anspruchsbegründend sei und dass das Zimmer des Kindes im Falle mehrmonatiger Abwesenheit eher umgenutzt werden könne als bei einer teilweisen Abwesenheit im Wechselmodell. Auch die Pflege und Erziehung sei bei einem Auslandsaufenthalt nicht mit den Anforderungen zu vergleichen, die ein tägliches Zusammenleben erfordere. Ein mehrmonatiger Auslandsaufenthalt diene nicht zuletzt der Förderung der Selbstständigkeit des Jugendlichen, da der sorgeberechtigte Elternteil nicht für die Lösung jedes Problems jederzeit zur Verfügung stehe und sich in der Regel um allgemeine Schul- oder Alltagsprobleme nicht kümmern könne und zu kümmern brauche. Auch dass der Unterhaltsbedarf nicht gemindert sei, begründe das Verwaltungsgericht nicht nachvollziehbar. Die Kosten des Auslandsaufenthalts seien von dessen Art, vom Anbieter, der Vertragsgestaltung, den Gepflogenheiten im Gastland und der Gastfamilie abhängig. Hinzu käme, dass es vielfältige finanzielle Fördermöglichkeiten gebe. Selbst wenn der Lebensunterhalt des Kindes im Auslandsjahr höher als sonst wäre, bliebe es bei der deutlichen Reduzierung der Betreuungsleistungen des alleinerziehenden Elternteils während dieser Zeit.
Der Beklagte und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 11. September 2018 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.
I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin gemäß § 42 Abs. 2 VwGO befugt, die Unterhaltsvorschussleistungen für ihren Sohn im eigenen Namen geltend zu machen, denn sie kann geltend machen, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Dass Berechtigter des Anspruchs auf Unterhaltsvorschussleistungen nach § 1 des Unterhaltsvorschussgesetzes das minderjährige Kind selbst und nicht der Elternteil ist, steht dieser Annahme nicht entgegen (Senatsurteil vom 18. Dezember 2018 - OVG 6 B 9.17 -, Rn. 17 bei juris).
II. Die Klage ist auch begründet. Dem Sohn der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Bewilligung von Unterhaltsvorschussleistungen in dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Zeitraum von August 2017 bis Januar 2018 zu. Die Ablehnung ihres hierauf gerichteten Begehrens durch den angefochtenen Bescheid war rechtswidrig und verletzt die Klägerin daher in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist § 1 Abs. 1 und Abs. 1a des Gesetzes zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfallleistungen in der Fassung vom 17. Juli 2007 (BGBl. I S. 1446), zuletzt geändert mit Gesetz vom 14. August 2017 (BGBl. I S. 3122) - UVG -. Danach hat Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen wer das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat (Absatz 1 Nummer 1), im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt (Absatz 1 Nummer 2), und nicht oder nicht regelmäßig Unterhalt von dem anderen Elternteil oder Waisenbezüge erhält (Absatz 1 Nummer 3). Nach Abs. 1a Satz 1 Nr. 1, 1. Fall der Norm besteht Anspruch auf Unterhaltsleistung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes, wenn das Kind keine Leistungen nach dem SGB II bezieht. Diese Voraussetzungen liegen vor.
Der im Mai 2000 geborene Sohn der Klägerin hatte im streitgegenständlichen Zeitraum das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet. Er bezog keine Leistungen nach dem SGB II und erhielt auch nicht Unterhalt von seinem Vater. Das ist zwischen den Beteiligten im Übrigen unstreitig. Im Streit steht die Frage, ob der Sohn der Klägerin während seines Schulbesuchs in Großbritannien im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG „bei einem seiner Elternteile lebte“.
1. Ein Kind lebt in diesem Sinne bei einem seiner Elternteile, wenn es mit ihm eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft unterhält, in der es auch betreut wird. Dem Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes entsprechend ist das Merkmal erfüllt, wenn der alleinstehende leibliche Elternteil wegen des Ausfalls des anderen Elternteils die doppelte Belastung mit Erziehung und Unterhaltsgewährung in seiner Person zu tragen hat (Senatsurteil vom 18. Dezember 2018 - OVG 6 B 9.17 -, Rn. 21 bei juris). Soweit vorübergehende Unterbrechungen oder Abwesenheitszeiten in Rede stehen, kommt es darauf an, ob der Betreuungszusammenhang zwischen dem alleinerziehenden Elternteil und dem Kind oder Jugendlichen unterbrochen ist (vgl. Senatsurteil vom 18. Dezember 2018, a.a.O., Rn. 32 bei juris).
Der Sohn der Klägerin hat danach bis zum Antritt seines Schulaufenthaltes in Großbritannien ohne weiteres in diesem Sinne bei einem seiner Elternteile, nämlich bei der Klägerin, gelebt. Davon geht auch der Beklagte aus, wie der Umstand belegt, dass er für den Monat Juli 2017 Unterhaltsvorschussleistungen bewilligt hat, weil der Sohn erst im August nach Großbritannien gereist ist. Der Beklagte meint allerdings unter Berufung auf Ziffer 1.3.1. der Richtlinien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes - UVG-Richtlinien -, weil der Schulaufenthalt in Großbritannien von Anfang an für eine Dauer von mehr als sechs Monaten geplant gewesen sei, lebe der Sohn seit Beginn des Auslandsaufenthaltes bei „keinem seiner Elternteile“, weil er nicht mehr von seiner Mutter „betreut“ werde und keine häusliche Gemeinschaft mehr mit ihr bestehe.
Der Beklagte verkennt, dass sich die Frage des Fortbestandes einer häuslichen Gemeinschaft im Sinne des Lebens bei einem der Elternteile gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei einer vorübergehenden Trennung nicht nach einer schematischen Betrachtung, ob der Aufenthalt kürzer oder länger als sechs Monate sei, richtet, sondern nach einer Einzelfallbetrachtung. In deren Rahmen ist zu beurteilen, ob der ansonsten bestehende Betreuungszusammenhang durch die vorübergehende Abwesenheit aufgehoben wird. Dabei ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalles im Wege einer Gesamtbetrachtung abzustellen.
a) Zu berücksichtigen sind zum einen der Planungshorizont und die Dauer des Auslandsaufenthalts. Es ist danach zu fragen, ob von vornherein nur ein vorübergehender Auslandsaufenthalt beabsichtigt ist oder ein dauerhafter Verbleib im Ausland erwogen wird. Mit Blick auf die Erziehungsverantwortung spielt auch das Alter des Kindes eine Rolle.Während bei jüngeren Kindern eine relativ engmaschige Betreuung erforderlich ist, die alltägliche Verrichtungen wie Körperpflege, Be- und Entkleiden, Zubereitung der Mahlzeiten, Einkaufen, Wäsche waschen, Schulaufgabenbetreuung, Transport zu Freizeitaktivitäten etc. einschließt, tritt dieser Aspekt mit zunehmendem Alter des Kindes oder Jugendlichen in den Hintergrund. Es liegt dann in der Hand des jeweiligen Erziehungsberechtigten, die Selbstständigkeit eines Jugendlichen nach seinen oder ihren erzieherischen Vorstellungen und den Bedürfnissen und Fähigkeiten des oder der Jugendlichen zu fördern und ihn oder sie in bestimmtem Maß dazu anzuhalten, mehr oder weniger selbstständig den Alltag zu bewältigen. Die Betreuung beschränkt sich dann zunehmend und regelmäßig auf die Unterstützung und Hilfestellung bei der konkreten Lebensplanung und Entscheidungsfindung. Dies bleibt nicht ohne Auswirkungen bei der Auslegung und Anwendung der Anspruchsvoraussetzungen des Unterhaltsvorschussgesetzes. Die mit der Alleinerziehung typischerweise einhergehenden Einschränkungen, etwa hinsichtlich der Berufsausübung sowie sozialer und sonstiger Aktivitäten, deren Kompensation die Unterhaltsvorschussleistungen u.a. dienen sollen, treten mit zunehmendem Alter des Kindes mehr und mehr in den Hintergrund. Dem entspricht, dass in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Heraufsetzung der Altersgrenze für den Bezug von Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz von der Vollendung des zwölften Lebensjahres auf die Vollendung des 18. Lebensjahres weniger auf den Ausfall der Betreuungsleistungen des anderen Elternteils als vielmehr auf das Bedürfnis, für den von dem anderen Elternteil geschuldeten Unterhalt aufkommen zu müssen, abgestellt wird (BT-Drs. 18/12589, S. 154). Daher ist in diesem Zusammenhang weiter von Bedeutung, wer den Auslandsaufenthalt und die laufenden Kosten für Bekleidung, Taschengeld und ggf. Freizeit- sowie weitere Aktivitäten finanziert und damit letztlich die Verantwortung für die Sicherung des Lebensunterhalts des Kindes trägt. Darüber hinaus ist in den Blick zu nehmen, inwieweit sich infolge des Auslandsaufenthalts die grundlegenden Lebensbeziehungen des Kindes oder Jugendlichen ändern. Dabei kommt es darauf an, inwieweit in der heimischen Wohnung Zimmer vorgehalten werden und inwieweit die Verbindung zum Haushalt des Elternteils aufrecht erhalten bleibt. Schließlich kann auch die (Betreuungs-) Situation im Gastland und dabei die Frage eine Rolle spielen, wer und auf welche Weise den konkreten Betreuungsbedarf des Kindes oder Jugendlichen deckt.
b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der Auslandsschulaufenthalt des Sohnes der Klägerin die Zugehörigkeit zu deren Haushalt und den dadurch begründeten Betreuungszusammenhang nicht unterbrochen.
Für dessen Fortbestand spricht, dass der Besuch der ausländischen Schule von Anfang an auf eine Rückkehr nach zehn Monaten angelegt gewesen ist und daher nur vorübergehenden Charakter hatte. Die Dauer von zehn Monaten erreicht auch noch nicht eine Länge, die für sich genommen geeignet wäre, den Betreuungszusammenhang zu einem Jugendlichen zu unterbrechen. Die Klägerin hat zudem auch während dessen Auslandsaufenthaltes rechtlich und tatsächlich weiterhin die Verantwortung für ihren Sohn getragen. Es lag in ihrer Hand, diesen weiter durchzuführen oder abzubrechen. Sofern Fragen auftraten, die der Entscheidung eines Erziehungsberechtigten bedurften (Teilnahme an Schulausflügen, Klassenfahrten, besonderen Veranstaltungen, Arztbesuchen etc.), war es an der Klägerin, hierzu ihre Zustimmung zu erteilen oder diese zu verweigern. Auch die finanzielle Verantwortung für ihren Sohn und die Sicherung seines Lebensunterhalts wurde von der Klägerin während des Auslandsaufenthalts getragen. Sie hat die an die Austauschorganisation zu zahlenden Kosten von 8.990 Euro für den gesamten Zeitraum von zehn Monaten, also monatlich 899 Euro, aufgebracht, um den Aufenthalt ihres Sohnes in Großbritannien sicherzustellen. Sie hat ihm zudem ein Taschengeld sowie laufende weitere Kosten, etwa für Kleidung, finanziert. Sie hat das von ihrem Sohn in der gemeinsamen Wohnung bewohnte Zimmer für diesen vorgehalten und auch insoweit die Kosten weiter getragen. Zudem hat die Klägerin die Heimreise während der Herbst-, Weihnachts- und Osterferien bezahlt und sich während des gesamten fraglichen Zeitraums um schulische und sonstige Belange, wie etwa Arztbesuche in Berlin gekümmert.
Dass die Klägerin während des Auslandsjahres ihres Sohnes von der Versorgung mit Essen und gegebenenfalls vom Wäsche waschen und anderen Verrichtungen des täglichen Lebens, die sie im gemeinsamen Haushalt für ihren Sohn bei dessen Anwesenheit vorgenommen haben mag, entlastet gewesen ist, rechtfertigt insbesondere angesichts dessen damaligen Alters und seiner insofern zu unterstellenden Selbstständigkeit keine andere Einschätzung. Entgegen der Auffassung des Beklagten lässt sich daher nicht annehmen, dass der Betreuungsaufwand während des Auslandsschulaufenthaltes des Sohnes der Klägerin „massiv verringert“ gewesen sei. Ebenso wenig spielt es eine Rolle, dass auch im Rahmen des sog. Wechselmodells, bei dem sich beide getrennt lebenden Elternteile gleichermaßen um ihr Kind kümmern, das Vorhalten eines Kinderzimmers nicht anspruchsbegründend für Leistungen nach dem UVG sei. Die im Rahmen der hier anzustellenden Gesamtbetrachtung anzunehmende Indizwirkung dieses Umstandes für einen Fortbestand der häuslichen Gemeinschaft wird dadurch nicht infrage gestellt.
c) Diesem Befund entspricht im Übrigen die Rechtslage hinsichtlich des zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs eines minderjährigen Kindes gegenüber dem barunterhaltsverpflichteten Elternteil. Das OLG Köln hat mit Urteil vom 15. Juni 2010 - 4 UF 16/10 - (Rn. 12 bei juris) entschieden: Der Umstand, dass sich ein unterhaltsberechtigtes minderjähriges Kind zehn Monate zu einem Schüleraustausch in den USA aufgehalten habe, habe die Aufteilung zwischen den Eltern (Barunterhaltspflicht des Vaters und Betreuungsleistung der Kindesmutter) nicht entfallen lassen.
d) Bestätigt wird dieses Ergebnis dem Grunde nach weiter durch die vom Beklagten angeführten, das Gericht nicht bindenden, UVG-Richtlinien. In deren Ziffer 1.3.1. ist - soweit hier von Interesse - ausgeführt:
„Eine zeitweise ausbildungsbedingte Abwesenheit des Kindes unterbricht die häusliche Gemeinschaft mit dem Elternteil nicht, soweit das Kind seinen Lebensmittelpunkt weiterhin bei dem Elternteil hat; dies gilt insbesondere, wenn es sich in den verbleibenden Zeiten bei dem Elternteil aufhält und dieser weiterhin den überwiegenden Teil der altersentsprechenden Erziehungsverantwortung (z.B. Klärung wichtiger Ausbildungsfragen, Stellung von Anträgen, Gesundheitsfragen, zumindest teilweise Haushaltsführung auch für das Kind, gegebenenfalls Finanzierung der Ausbildung usw) wahrnimmt. Bei voraussichtlich mehr als 6 Monaten Abwesenheit besteht in der Regel von Beginn der Abwesenheit an keine häusliche Gemeinschaft mehr.“
Auch die UVG-Richtlinien stellen demnach darauf ab, ob der jeweilige Betreuungszusammenhang durch eine Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft unterbrochen ist. Soweit sie annehmen, dass bei mehr als sechs Monaten Abwesenheit „in der Regel“ keine häusliche Gemeinschaft mehr vorliege, lassen sie immerhin insoweit Raum für die hier angezeigte Einzelfallbetrachtung.
2. Auch die weitere Voraussetzung des Lebens „im Geltungsbereich dieses Gesetzes“ ist vorliegend erfüllt.
Der Senat hat hinsichtlich dieses Begriffs auf die Vorschrift des § 30 Abs. 1 SGB I abgestellt. Sie findet sich im Dritten Teil des Sozialgesetzbuches I, der gemeinsame Vorschriften für alle Sozialleistungsbereiche dieses Gesetzbuches enthält. Gemäß § 68 Nr. 14 SGB I gilt das Unterhaltsvorschussgesetz als besonderer Teil des Sozialgesetzbuches (Senatsurteil vom 17. Juni 2009 - OVG 6 B 7.07 -, Rn. 33 bei juris).
Nach § 30 Abs. 1 SGB I gelten die Vorschriften dieses Gesetzbuchs für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. Gemäß Absatz 3 Satz 1 der Vorschrift hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts steht eine vorübergehende räumliche Trennung vom Wohnort der Beibehaltung eines Wohnsitzes nicht entgegen. Dementsprechend beeinträchtige der Aufenthalt eines Kindes im Ausland zum Zwecke der Schul- oder Berufsausbildung den Anspruch des weiterhin in Deutschland lebenden Elternteils auf Gewährung von Kindergeld, für den ebenfalls auf § 30 SGB I abzustellen sei, nicht, wenn der Aufenthalt zeitlich begrenzt und die Rückkehrmöglichkeit gegeben sei (BSG, Urteil vom 28. Mai 1997 - 14/10 RKg 14/94 -, FEVS 48, S. 236 ff., Rn. 14 bei juris). Bei Auslandsaufenthalten, die auf eine Dauer von nicht mehr als einem Jahr angelegt seien, könne im Regelfall davon ausgegangen werden, dass ein Schwerpunkt der Lebensverhältnisse weiterhin am bisherigen Wohnort liege, sofern Vorsorge dafür getroffen sei, dass eine dauerhafte Rückkehr in die Wohnung jederzeit möglich sei. Eine zwischenzeitliche Anwesenheit des Betroffenen in der Wohnung, etwa im Urlaub und in den Ferien, sei insoweit nicht erforderlich (a.a.O., Rn. 15 bei juris).
Dass der Sohn der Klägerin bei Anwendung dieser Maßstäbe seinen Wohnsitz im Haushalt der Klägerin im Geltungsbereich des Gesetzes auch während seines Auslandsschulaufenthaltes beibehalten hat, ergibt sich aus den bereits dargelegten Gründen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.