Gericht | AG Neuruppin | Entscheidungsdatum | 31.03.2010 | |
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Aktenzeichen | 42 C 376/08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die Erinnerung des Kostenschuldners xxx vom 20. April 2009 gegen den gegen ihn gerichteten Kostenansatz vom 04. März 2009 (Kassenzeichen 3509310037186) wird zurückgewiesen.
2. Die Zulassungsbeschwerde wird zugelassen.
3. Die aufschiebende Wirkung der Kostenbeschwerde wird bis zum 30. Juni 2010 angeordnet.
4. Kosten des Erinnerungsverfahrens werden nicht erstattet.
A.
I.
Die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens erwirkte gegen den Antragsgegner eine einstweilige Verfügung, die das Gericht, bei teilweiser Zurückweisung des Antrags, am 26.November 2008 im Beschlusswege – ohne Anhörung des Antragsgegners – erließ. Nach dem Kostenausspruch dieser Entscheidung hatte der Antragsgegner ¾ der Kosten des Verfahrens zu tragen. Eine Zustellung der Beschlussverfügung durch die Antragstellerin an den Antragsgegner erfolgte nicht.
Die Justizkasse nahm den Antragsgegner mit Kostenrechnung vom 04. März 2009 auf Zahlung der anteiligen Gerichtskosten in Anspruch. Dagegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner schriftlichen Eingabe vom 20. April 2009, bei der Landeshauptkasse am 29. April 2009 eingegangen, mit folgendem Wortlaut:
..laut ihres Schreibens soll ich einen Rechtstreit mit xxx geführt haben und nun die Kosten tragen. Jedoch ist mir davon nichts Bekannt. Mir ist weder eine Ladung noch ein Kostenbescheid, noch Sonstiges zugestellt worden. Ich bitte sie die Angelegenheit zu überprüfen„.
II.
Die Kostenbeamtin hat dem Rechtsbehelf nicht abgeholfen, da die Kostenrechnung nach dem Inhalt der Kostengrundentscheidung richtig erstellt sei. Der Bezirksrevisor ist, unter Aufgabe seiner bisherigen gegenteiligen Rechtsansicht, zur Auffassung gelangt, dass die Kostenhaftung des Antragsgegners erst geltend gemacht werden könne, wenn die Zustellung des die Kostengrundentscheidung aussprechenden Beschlusses erfolgt und dem Kostenbeamten nachgewiesen sei.
B.
I.
Der Rechtsbehelf des Antragsgegners ist als Erinnerung gegen den gegen ihn gerichteten Kostenansatz zu verstehen. Dieser Rechtsbehelf ist unbefristet und ohne Beachtung einer bestimmten Form zulässig (§ 66 Abs. 1 S.1 des Gerichtskostengesetzes – GKG - ; Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl. § 66 GKG Rz. 15,18; weiteres unten unter Tz.II 4).
II. Der Rechtsbehelf der Erinnerung ist im Ergebnis jedoch erfolglos, unbegründet:
1.
Die Gerichtskosten schuldet, wem durch gerichtliche Entscheidung die Kosten des Verfahrens auferlegt sind (§ 29 Nr.1 GKG). Das Gericht hat in seinem Beschluss vom 26.November 2008 ausgesprochen, dass der Antragsgegner ¾ der Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
2.
Der Antragsgegner hat diese gerichtliche Kostenentscheidung mangels Zustellung niemals zur Kenntnis erhalten. Die wohl überwiegende Rechtsmeinung in Praxis und Literatur geht davon aus, dass der gegen ihn gerichtete Kostenausspruch erst nach einer Zustellung der Hauptsacheentscheidung von der Justizkasse vollziehbar werde (BFH in BFH/NV 2003,1201; Kammergericht NJW-RR 2000,1239; OLG Bremen KostRspr § 54 GKG Nr. 13 m. zust. Anm. Schneider; OLG Hamburg MDR 1999,60; OLG Jena OLGR Jena 2005,964; OLG Koblenz NJW-RR 2000,732; AG Grevenbroich MDR 1999,767; Hartmann, Kostengesetze, 39. Aufl. § 29 GKG Rz. 5; Oestreich/Winter/Hellstab, GKG, Stand Dez. 2008, Kommentar zum KV Nrn. 1410-1425, Abschn. 5.0 Rz. 17; Schröder JurBüro 1997, 151).
Demgegenüber vertritt eine Mindermeinung die Auffassung, der Kostenausspruch des gerichtlichen Beschlusses sei auch vor Zustellung an den Antragsgegner vollziehbar (so OLG Hamm JurBüro 1997,151; LG Bremen, zitiert in Anmerkung zu KostRspr § 54 GKG Nr. 13; LG Essen zitiert von Schröder in JurBüro 1997, 151; LG Neuruppin, 6 O 41/08, Beschl. vom 01. September 2008, n.v.; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. § 929 Rz. 4).
3.
Das zur Entscheidung berufene Gericht schließt sich der Mindermeinung an. Paragraph 29 des Gerichtskostengesetzes spricht ausdrücklich aus, dass die Gerichtskosten schuldet, wem durch gerichtliche Entscheidung die Kosten des Verfahrens auferlegt sind.
a. Ein Teil der herrschenden Rechtsmeinung zieht in Zweifel, dass die Beschlussverfügung gegenüber dem Antragsgegner, dem sie nie zur Kenntnis gebracht worden ist, wirksam geworden sei. Es entspricht jedoch gefestigter Rechtsmeinung, dass im vorläufigen Rechtsschutz ohne Anhörung der Gegenseite erwirkte Entscheidungen auch schon vor Kundgabe an die Gegenseite wirksam werden. Schon der Eingang des Antrags auf Erlass einer Beschlussverfügung bei Gericht begründet zwischen den Parteien die Rechtshängigkeit, ein Prozessrechtsverhältnis (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 68. Aufl. § 329 Rz. 26 a.E.; 66. Aufl. § 920 Rz. 8; vgl. auch BVerfG NJW 2004, 2443). Ob der Antragsgegner seine Parteistellung bereits zum Zeitpunkt der vorgezogenen Rechtshängigkeit erlangt oder erst mit seiner tatsächlichen Beteiligung ist bisher nicht abschließend geklärt (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. vor § 916 Rz. 5b m.w.N). Für ein unterschiedliches Verständnis der Wirksamkeit von Hauptsache- und Kostenausspruch gibt es keinen rechtlichen Anhaltspunkt (vgl. OLG Jena a.a.O; zweifelnd Kammergericht a.a.O).
Das Gesetz geht davon aus, dass die vom Gläubiger erwirkte Beschlussverfügung auch nach ungenutztem Ablauf der Vollziehungsfrist wirksam bleibt, allein der Antragsaufhebung (auf Antrag des Antragsgegners) unterliegt (§ 929 Abs. 2 ZPO; vgl. auch § 30 S.1 GKG).
Darauf wird es aber nicht ankommen: Die Vollstreckbarkeit des Kostenanspruchs der Justizkasse wegen der Gerichtskosten richtet sich ausschließlich nach der Justizbeitreibungsordnung (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 JBeitrO). Gem. § 4 S.1 JBeitrO kann die Vollstreckung gegen jeden durchgeführt werden, der nach den für den beizutreibenden Anspruch geltenden besonderen Vorschriften zur Leistung verpflichtet ist. Der Antragsgegner ist nach § 29 Nr. 1 GKG als Entscheidungsschuldner zur Leistung verpflichtet. Die Vollstreckung darf erst beginnen, wenn der beizutreibende Anspruch fällig ist (§ 5 Abs. 1 S.1 JBeitrO). Fällig sind Gebühren und Auslagen wenn eine unbedingte Entscheidung über die Kosten ergangen ist (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 GKG). Dies ist mit dem Beschluss vom 26. November 2008 erfolgt. In der Regel soll der Vollstreckungsschuldner vor Beginn der Vollstreckung zur Leistung innerhalb von zwei Wochen aufgefordert und bei Bedarf gemahnt werden (§ 5 Abs. 2 JBeitrO). Von der Zustellung vollstreckbarerer Entscheidungen ist die Vollstreckbarkeit der Gerichtskosten jedoch unabhängig (§ 5 Abs. 1 S.2 JBeitrO).
b. Die Mehrzahl der die herrschende Rechtsansicht stützenden Stimmen beruht auf der Erwägung, dem Antragsgegner sei bei einer Inanspruchnahme in die Kosten das ihm zustehende rechtliche Gehör nicht gewährt worden. Deswegen sei der fortbestehende Kostenausspruch vor einer Zustellung der Hauptsacheentscheidung an den Antragsgegner nicht vollziehbar. Es sei dem Antragsgegner nicht zumutbar, ihn auf ein Aufhebungsverfahren zur Hauptsache zu verweisen.
Diese Rechtsansicht ist jedenfalls ab dem 01. Januar 2005 nicht mehr haltbar. Mit Wirkung ab diesem Datum hat der Gesetzgeber den § 69a in das Gerichtskostengesetz eingefügt, der die Rechtsfolgen einer entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs eines Beteiligten auf rechtliches Gehör regelt. Soweit das Gericht eine solche Verletzung annimmt, hat es auf die Rüge des beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist (§ 69a Abs. 5 GKG). Diese besondere Gehörsrüge ist nach dem Gesetz aber nur zulässig, soweit nicht ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die angefochtene Entscheidung gegeben ist (§ 69a Abs. 1 Nr. 1 GKG). Im Falle des nicht gewährten rechtlichen Gehörs hat also die beschwerte Partei nach dem Willen des Gesetzgebers jedenfalls erst einmal die ihm offen stehenden ordentlichen Rechtsbehelfe auszuschöpfen. Die Aufhebung der gerichtlichen Beschlussverfügung kann aber der Antragsgegner, insbesondere nach dem ungenutzten Verstreichen der Vollziehungsfrist, im Wege des Widerspruchs, des Aufhebungsverfahrens gem. § 927 ZPO oder auch, bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen, im Wege der Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO) erwirken. Einen dieser Wege wird der Antragsgegner nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers zur Abwendung seiner Kostenlast zu gehen haben (so auch OLG Hamm a.a.O), wenn nicht, zur Vermeidung weiterer Kosten, die Antragstellerin ihren Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung auf Anregung des Antragsgegners zuvor zurücknimmt.
4.
Der Rechtsbehelf des – nicht anwaltlich vertretenen – Erinnerungsführers ist als Kostenerinnerung gem. § 66 GKG zu verstehen, nicht aber als Gehörsrüge nach § 69a GKG.
Er richtet er sich in seiner laienhaften Formulierung gegen die Inanspruchnahme aus einer ihm nicht bekanntgegebenen Entscheidung. Dies kann einerseits die Wirksamkeit dieser Entscheidung in Frage stellen (oben 3a), für deren Beurteilung die Kostenerinnerung gem. § 66 GKG gegeben sein dürfte, andererseits aber auch die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (oben 3b; § 69a GKG). Aufgrund der Subsidiarität der Gehörsrüge (§ 69a Abs. 1 Nr. 1 GKG) ist aber insoweit der Kostenerinnerung der Vorzug zu geben (ähnlich BFH IX E 2/08, Beschl. vom 14.4.2008, Rz. 4, bei juris). Außerdem würde die Annahme einer Gehörsrüge nach § 69a GKG eine erneute verfassungsrechtliche Gefahrenlage begründen (rechtliches Gehör; fairer Zugang zum Gericht): Die Gehörsrüge ist nur zulässig, wenn der Rügeführer seine Rüge innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs in der von § 69a Abs. 2 S.5 geforderten Form bei dem Gericht anbringt, dessen Entscheidung angegriffen wird (§ 69a Abs.2 GKG). Der Eingang des Rechtsbehelfs bei einem anderen Gericht oder einer anderen Behörde wirkt nicht fristwahrend (§ 69a Abs. 2 S.4 Hs. 2; § 66 Abs. 5 S.1 Hs. 2 GKG; 129a Abs. 2 S.2 ZPO). Der schriftliche Rechtsbehelf des Antragsgegners datiert auf den 20. April 2009, ist ausweislich des Eingangsstempels am 29. April 2009 bei der Landeshauptkasse eingegangen und, von dort aus weitergeleitet, am 07. Mai 2009 bei dem Amtsgericht eingegangen. Wann der Antragsgegner von der Kostenrechnung der Justizkasse Kenntnis erhalten hat ist unbekannt. Eine Rechtsbehelfsbelehrung wird dem Antragsgegner mit der ihm von der Justizverwaltung übersandten Kostenrechnung nicht erteilt worden sein.
Bei der Rügefrist handelt es sich auch nicht um eine Notfrist, so dass dem Rügeführer bei unverschuldeter Fristversäumung keine Wiedereinsetzung in en vorigen Stand gewährt werden kann (§§ 233; 224 Abs. 1 S.2 ZPO).
5.
Die angefochtene Kostenrechnung ist daher derzeit, solange nicht die ihr zugrundeliegende Kostengrundentscheidung im Beschluss vom 26. November 2008 aufgehoben ist, nicht zu beanstanden.
6.
Die Beschwerde gegen diese Entscheidung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 66 Abs. 2 S. 2 GKG). Grundsätzlichkeit ist gegeben, wenn eine Rechtssache eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und die deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, wobei insbesondere erforderlich ist, dass die betreffende Rechtsfrage in einem gewissen Umfang umstritten ist (so BGH NZG 2010,61). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die kostenmäßige Behandlung der nicht zugestellten Beschlussverfügung beschäftigt seit Jahrzehnten Rechtsprechung und Literatur, die dazu unterschiedliche Antworten geben (s. oben 3). Der Einfluss des mit dem Jahr 2005 eingefügten § 69a GKG ist auch bei den neueren Entscheidungen nicht erkennbar geworden.
7.
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des eingelegten Rechtsbehelfs beruht auf § 66 Abs. 7 GKG. Der Ausspruch zu den Kosten folgt aus § 66 Abs. 8 GKG.