Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 7. Senat | Entscheidungsdatum | 05.12.2013 | |
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Aktenzeichen | OVG 7 S 106.13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 30 Abs 3 AufenthG, Art 6 GG, Art 8 MRK, § 146 Abs 4 VwGO |
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsgegner.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Die rechtzeitig erhobene und begründete Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. Oktober 2013, mit dem die aufschiebende Wirkung der Klage VG 16 K 310.13 gegen den die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin gemäß § 30 Abs. 3 AufenthG ablehnenden Bescheid vom 21. August 2013 wegen fehlerhafter Ermessensausübung angeordnet worden ist, hat auf der Grundlage des nach § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO allein maßgeblichen Beschwerdevorbringens keinen Erfolg.
Zwar beanstandet der Antragsgegner im Ansatz zu Recht, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, er habe im Bescheid nur die familiären Bindungen der Antragstellerin zu ihrer hier lebenden Tochter K... berücksichtigt und die zu ihrem Ehemann bei der Ermessensentscheidung „nicht vollständig außer Betracht lassen dürfen“, übersieht, dass dort - allerdings ohne dies zu begründen - ausgeführt wird, besondere familiäre Bindungen stünden ihrer Aufenthaltsbeendigung nicht entgegen, so sei es ihrem Ehemann zumutbar, ihr in die Türkei zu folgen.
In der Sache hat das Verwaltungsgericht allerdings maßgeblich darauf abgestellt, dass mit dem Erlöschen der Flüchtlingsstellung des Ehemannes nicht zugleich auch der Verlust der ihm nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilten Niederlassungserlaubnis verbunden sei, diese vielmehr nur gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG widerrufen werden könne und ein entsprechendes Verfahren noch nicht einmal eingeleitet sei. Das wird mit dem Beschwerdevorbringen, das Bestehen eines Aufenthaltsrechts des Ehemannes „aus seiner Niederlassungserlaubnis“ im Rahmen der Verlängerungsentscheidung nicht verkannt zu haben, da das bereits tatbestandliche Voraussetzung des § 30 Abs. 3 AufenthG sei und er diese nicht verneint habe, schon nicht hinreichend in Frage gestellt. Denn ein derart durch eine Niederlassungserlaubnis verfestigter Aufenthaltsstatus ist nicht einmal zwingende Voraussetzung für die (Erst-)Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG (vgl. insbesondere Nr. 3 d) bis f). Im Übrigen wird das sich hieraus ergebende fortbestehende unbefristete Aufenthaltsrecht des Ehemannes im Bundesgebiet im Bescheid des Antragsgegners vom 21. August 2013 mit keinem Wort erwähnt und schon gar nicht, wie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK erforderlich, erkennbar in die Abwägung der privaten Belange der Antragstellerin mit den entgegenstehenden öffentlichen Belangen eingestellt und abgewogen.
Das Vorliegen einer ermessensfehlerfreien Entscheidung des Antragsgegners gemäß § 30 Abs. 3 AufenthG erscheint darüber hinaus jedenfalls auch deshalb zweifelhaft, weil der Bescheid nicht einmal im Ansatz begründet, welche Erwägungen die dortige (unsubstantiierte) Behauptung tragen und rechtfertigen, auch dem Ehemann der Antragstellerin sei eine Ausreise in die Türkei trotz seiner fortbestehenden Niederlassungserlaubnis zumutbar, zumal dessen Pflegebedürftigkeit aufgrund der Vorlage des Bescheids der Pflegekasse bei der AOK Nordost vom 28. Mai 2013 bereits vor Bescheiderlass bekannt war.
Auch im Rahmen der Beschwerdebegründung hat der Antragsgegner diesbezüglich Substanzielles nicht dargelegt, obwohl der Ehemann der Antragstellerin ausweislich des erstinstanzlich vorgelegten fachärztlichen Attestes vom 19. September 2013 chronisch schwer krank ist und zudem aufgrund seines stark eingeschränkten Gesundheitszustandes von der Pflege und Hilfe der Antragstellerin abhängig sein soll. Zum Umfang des Pflegebedarfs und deren Erbringung durch die im Haushalt lebende Antragstellerin ist dabei auch auf das seinerzeit ebenfalls vorgelegte Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI der MDK Berlin-Brandenburg e.V. für den Ehemann der Antragstellerin (Ausdruck vom 24. Mai 2013) zu verweisen.
Inwieweit der Ehemann der Antragstellerin, wie im Bescheid vorliegend pauschal angenommen, auf die Pflege durch die hier - allerdings nicht im elterlichen Haushalt - lebenden weiteren vier Kinder bzw. „notfalls“ auch durch eine professionelle Pflegekraft verwiesen werden kann (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 10 C 10.12 -, juris Rz. 38 f.: danach kann unter Umständen sogar ein Anspruch auf Erteilung eines Zuzugsvisums für sonstige Familienangehörige bestehen bzw. ist jedenfalls eine umfassende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles geboten), und inwieweit der bereits 2006 eingereisten, im elterlichen Haushalt lebenden und hier die Schule besuchenden sechzehnjährigen Tochter K... eine Rückkehr in die Türkei gemeinsam mit der Antragstellerin zumutbar ist, wie der Antragsgegner meint, bedarf darüber hinaus ebenso näherer und im vorliegenden Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht zu leistender umfassender Prüfung wie die im Bescheid bejahte Frage, ob es der Antragstellerin alternativ zumutbar ist, neben der Pflege ihres Ehemannes angesichts ihres fortgeschrittenen Lebensalters noch eine - weitergehende (vgl. die erstinstanzlich vorgelegte Einstellungszusage vom 18. September 2013) - Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Dabei wird auch zu prüfen sein, ob sie im Hinblick auf die langjährige, zuletzt bis zum 4. Juli 2013 erfolgte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug trotz Bezugs von Leistungen nach dem SGB II nicht zunächst hätte auf die Notwendigkeit entsprechender Bemühungen um Aufnahme einer Erwerbstätigkeit hingewiesen und ihr hierzu - auch in zeitlicher Hinsicht - hätte Gelegenheit eingeräumt werden müssen. Insoweit ist allerdings vorsorglich darauf hinzuweisen, dass sich ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vorliegend keineswegs bereits im Hinblick auf den Passus des in der erstinstanzlichen Antragsbegründung zitierten Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - (juris Rz. 23) ergibt, da ein vergleichbarer Fall hier ersichtlich nicht vorliegt.
Eine abschließende Gewichtung der widerstreitenden Belange im Rahmen der Ermessensausübung des § 30 Abs. 3 AufenthG muss bei dieser Sachlage dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Für die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung ist dem Interesse der Antragstellerin, die eheliche und familiäre Lebensgemeinschaft vorläufig fortzuführen, gegenüber dem vom Antragsgegner geltend gemachten Interesse an einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung der Vorrang einzuräumen.
Nach alledem mag letztlich dahinstehen, ob, wie der Antragsgegner dies annimmt, die Beantragung eines türkischen Reisepasses durch den Ehemann der Antragstellerin und dessen Entgegennahme im April 2013 vorliegend tatsächlich zum Erlöschen seines Asylstatus gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG geführt hat. Soweit dies bzw. eine hierdurch erfolgte „Unterschutzstellung“ erstinstanzlich unter Hinweis auf die beabsichtigte Erfüllung einer sittlichen Pflicht im Hinblick auf den Gesundheitszustand der 90-jährigen Mutter des Ehemannes in Frage gestellt wurde, fehlt es allerdings bisher an der notwendigen Glaubhaftmachung dieses Vorbringens.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).