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Abfallberatung der öffentlichen Hand als Hoheitsbetrieb


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 12. Senat Entscheidungsdatum 16.02.2011
Aktenzeichen 12 K 8281/06 B ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 1 Abs 1 Nr 6 KStG 1977, § 4 Abs 5 KStG, § 6 VerpackV

Leitsatz

Die gegen Entgelt geleistete Abfallberatung gemäß § 6 Abs. 4 Satz 8 VerpackV stellt keinen Betrieb gewerblicher Art, sondern einen Hoheitsbetrieb dar.

Tenor

Der Körperschaftsteuerbescheid 2004 vom 26. Oktober 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. August 2006 wird aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden zu 45 % dem Kläger und zu 55 % dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob Abfallberatung gemäß § 6 der Verpackungsverordnung eine hoheitliche oder gewerbliche Tätigkeit darstellt.

Entscheidungsgründe

1. Die Klage hat nur teilweise Erfolg.

a) (…)

b) Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet. Der Körperschaftsteuerbescheid 2004 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Kläger unterfällt mit der Abfallberatung (…) nicht der Körperschaftsteuer.

aa) Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG sind Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig (sogenannte partielle Steuerpflicht der öffentlichen Hand). Betriebe gewerblicher Art sind nach § 4 Abs. 1 KStG Einrichtungen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben. Die Absicht, Gewinn zu erzielen, und die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sind nicht erforderlich. Nicht zu den Betrieben gewerblicher Art gehören nach § 4 Abs. 5 KStG Betriebe, die der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe).

bb) Die von dem Kläger betriebene Abfallberatung stellt einen Hoheitsbetrieb dar. Sie dient der Ausübung öffentlicher Gewalt i.S.d. § 4 Abs. 5 KStG.

Unter Ausübung öffentlicher Gewalt sind Tätigkeiten zu verstehen, die der juristischen Person des öffentlichen Rechts eigentümlich und vorbehalten sind. Kennzeichnend dafür ist die Erfüllung spezifisch öffentlich-rechtlicher Aufgaben, die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind, staatlichen Zwecken dienen und zu deren Annahme der Leistungsempfänger aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung verpflichtet ist. Eine Ausübung öffentlicher Gewalt ist allerdings insoweit ausgeschlossen, als sich die Körperschaft durch ihre Einrichtungen in den allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr einschaltet und eine Tätigkeit ausübt, die sich ihrem Inhalt nach von der Tätigkeit eines privaten gewerblichen Unternehmens nicht wesentlich unterscheidet. Dann bewegt sich auch die juristische Person des öffentlichen Rechts in Bereichen der unternehmerischen Berufs- und Gewerbeausübung, in denen private Unternehmen durch den Wettbewerb mit (grundsätzlich nicht steuerpflichtigen) Körperschaften des öffentlichen Rechts ihrerseits nicht benachteiligt werden dürfen(Beschluss des Bundesfinanzhofes – BFH – vom 03. Februar 2010 – I R 8/09, Bundessteuerblatt – BStBl. – II 2010, 502, unter II.2.c)aa) der Gründe; BFH-Urteile vom 29. Oktober 2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009, 1022, unter II.1. der Gründe m.w.N.; vom 07. November 2007 – I R 52/06, BStBl. II 2009, 248, unter II.2.b)aa) der Gründe; vgl. auch Baldauf, Deutsche Steuer-Zeitung – DStZ – 2011, 35, 36). Maßgeblich ist danach stets, ob zwischen dem Hoheitsträger und Privatunternehmen im selben Tätigkeitsfeld Wettbewerb herrscht (BFH-Urteile vom 29. Oktober 2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009, 1022, unter II.2.b)aa) der Gründe; vom 23. Oktober 1996 – I R 1-2/94, BStBl. II 1997, 139, unter II.A)1. der Gründe; vgl. auch Baldauf DStZ 2011, 35, 38; Heger, Finanz-Rundschau – FR – 2009, 301, 305; Hüttemann, FR 2009, 308, 310; Küffner, Deutsches Steuerrecht – DStR – 2003, 1606, 1608; Schiffers, DStZ 2010, 122, 124; Seer/Klemke, Betriebs-Berater – BB – 2010, 2015, 2016; Seer/Wendt, DStR 2001, 825, 827 f.), oder anders ausgedrückt, ob der Leistungsempfänger zwischen der Inanspruchnahme des Hoheitsträgers und der Inanspruchnahme eines Privatunternehmens wählen kann (vgl. BFH in BStBl. II 2009, 1022 aaO.; Küffner, DStR 2003, 1606, 1607). Ist aufgrund öffentlichen Rechts, also durch Gesetz, Rechtsverordnung oder Satzung, eine Tätigkeit ihrer Natur nach juristischen Personen des öffentlichen Rechts vorbehalten, liegt eine hoheitliche Tätigkeit vor (Küffner, DStR 2003, 1606, 1607).

Der Begriff des – steuerfreien – Hoheitsbetriebs wird in diesem Zusammenhang gegenüber dem Begriff des – steuerpflichtigen – Betriebs gewerblicher Art eng ausgelegt, gerade weil mit der Annahme eines Hoheitsbetriebes eine steuerliche Privilegierung der öffentlichen Hand einhergeht (Baldauf DStZ 2011, 35, 38; vgl. auch Hüttemann, FR 2009, 310).

Nach diesen Grundsätzen stellt die Tätigkeit des Klägers im Bereich der Abfallberatung einen Hoheitsbetrieb dar. Die Abfallberatung in der Form, wie der Kläger sie ausübt, ist einer juristischen Person des öffentlichen Rechts als Träger öffentlicher Gewalt eigentümlich und vorbehalten. Es besteht insoweit keine Wettbewerbssituation zu Privatunternehmen.

Die Abfallentsorgung aus privaten Haushalten wurde zunächst ausnahmslos als hoheitliche Tätigkeit angesehen (BFH-Beschluss vom 06. November 2007 – I R 72/06, BStBl. II 2009, 246, unter II.1. der Gründe; in BStBl. II 1997, 139, unter II.A)2. der Gründe; Baldauf, DStZ 2011, 35, 37; grundsätzlich krit. zur Zuordnung der entsorgenden Tätigkeit zum Hoheitsbereich allerdings Seer/Klemke, BB 2010, 2015, 2022 f.; Kurth, FR 2009, 321). Dies gilt für die Hausmüllentsorgung nach wie vor (FG München, Urteil vom 23. Juli 2008 – 3 K 4255/04, EFG 2009, 1252, 1256; Schiffers, DStZ 2010, 122, 123), nicht hingegen für Abfälle, die unter die Verpackungsverordnung fallen (Baldauf, DStZ 2011, 35, 37 mit Fn. 6). Durch diese Verordnung ist insoweit eine Rechtsänderung eingetreten, als sie die Pflicht zur Verwertung von Verpackungen deren Herstellern und Vertreibern außerhalb der öffentlichen Abfallentsorgung auferlegt. Die Verantwortung für Systeme nach § 6 Abs. 3 VerpackV ist damit auf die Privatwirtschaft übergegangen, so dass die Erfüllung von Aufgaben nach der VerpackV nicht in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt (BFH in BStBl. II 2009, 246, aaO.; FG Münster, Urteil vom 16. März 2001 – 9 K 7607/98 K, G, EFG 2001, 849). Soweit ein Hoheitsträger sich im Bereich des Sammelns, Sortierens oder Verwertens von Wertstoffen betätigt, ist er demzufolge wirtschaftlich und nicht hoheitlich tätig (FG Münster aaO.).

Hier steht jedoch nicht die Tätigkeit des Klägers im Bereich des Sammelns, Sortierens oder Verwertens von Wertstoffen in Rede, sondern die in § 6 Abs. 4 Satz 8 VerpackV vorgeschriebene Abfallberatung. Die Regelung besagt, dass die Systembetreiber verpflichtet sind, sich anteilig an den Kosten der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zu beteiligen, die diesen durch Abfallberatung für ihr jeweiliges System und durch die Errichtung, Bereitstellung, Unterhaltung sowie Sauberhaltung von Flächen entstehen. Die von dem Kläger vorgenommene Abfallberatung ist demnach allein juristischen Personen des öffentlichen Rechts, nämlich dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger, vorbehalten. Eine Wettbewerbssituation besteht insoweit nicht, denn die Möglichkeit der Abfallberatung durch Privatunternehmen ist nicht vorgesehen. Die Systembetreiber i.S.d. § 6 VerpackV sind vielmehr verpflichtet, die Beratung durch die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger in Anspruch zu nehmen. Insoweit ist die Situation mit dem Bestehen eines Anschluss- und Benutzungszwanges zu vergleichen.

Die entsprechende Regelung, die die Abfallberatung den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern zuweist, stellt auch keine Wettbewerbsbeschränkung dadurch dar, dass eine Aufgabe, die ebensogut von Privatunternehmen durchgeführt werden könnte, der öffentlichen Hand vorbehalten wird. Es handelt sich vielmehr um die Erfüllung spezifisch öffentlich-rechtlicher Aufgaben, die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind und staatlichen Zwecken dienen. Dies hat seinen Grund darin, dass die Gesamtverantwortung für die Abfallentsorgung nach wie eine hoheitliche Aufgabe darstellt. Die Ausgliederung einzelner Teilbereiche, wie sie durch die VerpackV geschehen ist, ändert an diesem Befund nichts, wie sich daran zeigt, dass die Entsorgung sonstigen Abfalls, insbesondere des Hausmülls, nach wie vor allgemein dem hoheitlichen Bereich zugeordnet wird. Soweit die Abfallentsorgung, wie geschehen, aus dem hoheitlichen Bereich ausgegliedert worden ist, ist es naheliegend, dass der insoweit Gesamtverantwortliche, nämlich der Staat, gleichwohl darüber wacht, dass die Entsorgung in dem Umfang und in der Weise stattfindet, wie sie ihm notwendig erscheint. Zu diesem Zweck hat er die hier im Streit stehende Abfallberatung zwingend vorgeschrieben. Dass die als „Beratung“ bezeichnete Dienstleistung tatsächlich eher ein Instrument zur Kontrolle und Lenkung darstellt, zeigt sich gerade daran, dass sie nicht freiwillig in Anspruch genommen wird. Handelte es sich um eine Beratung in dem Sinne, dass dem Adressaten der Leistung eine Hilfe bei anstehenden Entscheidungen geboten werden sollte, wäre die Anordnung eines Zwanges nicht erforderlich. Die Inanspruchnahme einer Beratung trägt ein freiwilliges Element in sich; sie wendet sich an einen Adressatenkreis, der entscheiden kann, ob er über eigenen Sachverstand in hinreichendem Umfang verfügt oder ob er der Hilfe eines Außenstehenden bedarf. Die Beratung i.S.d. § 6 Abs. 4 Satz 8 VerpackV stellt aber keine freiwillig in Anspruch zu nehmende Hilfestellung für die Systembetreiber dar, sondern sie dient dazu, sicherzustellen, dass die Betreiber die ihnen übertragene Aufgabe in der Weise erfüllen, wie der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger sie erfüllt wissen möchte, insbesondere also dass Abfallbehälter in ausreichendem Umfang aufgestellt und hinreichend häufig geleert werden, dass die dafür genutzten Flächen sauber gehalten werden und die Gesetze in der Weise, wie der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger sie verstanden wissen will, zur Kenntnis genommen und angewendet werden. Die Einschaltung Privater in diesem Bereich erscheint ausgeschlossen. Es wäre aus der Sicht des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers wenig sinnvoll, die Abfallentsorgung, für deren Funktionieren er letztlich verantwortlich ist, teilweise aus seinem Hoheitsbereich zu entlassen und dann die Überwachung gleichermaßen auf Private zu übertragen, die er als der für die Abfallentsorgung insgesamt letztlich Verantwortliche seinerseits wiederum überwachen müsste.

2. Die Revision zum Bundesfinanzhof war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen, weil trotz Vorliegens einer Vielzahl von Entscheidungen in diesem Bereich die Abgrenzung zwischen hoheitlicher und gewerblicher Tätigkeit nach wie vor mit Unsicherheiten behaftet ist (so bereits Seer/Wendt, DStR 2001, 825, 826) und sich aufgrund politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen im Fluss befindet (vgl. Schiffers, DStZ 2010, 122 f.; Seer/Klemke, BB 2010, 2015, 2024), so dass die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesfinanzhofes erfordert.

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO). Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO.