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Entscheidung 13 UF 170/18


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 31.05.2019
Aktenzeichen 13 UF 170/18 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2019:0531.13UF170.18.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Zossen vom 23. Oktober 2018 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller verlangt die hoheitliche Anordnung des paritätischen Wechselmodells zur Betreuung des beteiligten Kindes gegen den Willen der Antragsgegnerin.

I.

Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die nie miteinander verheiratet gewesenen, voneinander getrennt lebenden Eltern des beteiligten 2009 geborenen Kindes, das im Haushalt der Antragsgegnerin lebt. Der Antragsteller hat auf Grund eines Gerichtsbeschlusses Pflicht und Recht zum Wochenendumgang mit dem Kind im Zweichwochenturnus. Umgang an Feiertagen und zur Ferienzeit haben die Eltern durch Vergleich geregelt.

Der Antragsteller betreibt die Abänderung der Umgangsregelungen und verlangt die Anordnung, das Kind solle im wöchentlichen Wechsel durch beide Eltern betreut werden.

Er hat gemeint, auch wenn die Kommunikation mit der Antragsgegnerin auf das Notwendigste reduziert sei und sie sich gegenüber Umgangsveränderungen verschließe, müsse das Wechselmodell angeordnet werden, um so dem darauf gerichteten Wunsch des Kindes zu entsprechen und es von der psychischen Belastung zu befreien, die darauf beruhe, dass dem Wunsch allein wegen des Widerstandes der Antragsgegnerin nicht entsprochen werde.

Die Antragsgegnerin hat sich gegen den Antrag gewandt. Sie bestreitet den von dem Antragsteller behaupteten Wunsch des Kindes. Belastet werde das Kind durch die von dem Antragsteller angestrengten Gerichtsverfahren.

Der Verfahrensbeistand hat sich gegen das Wechselmodell ausgesprochen. Es entspreche weder dem geäußerten Willen des Kindes noch seinen Bedürfnissen.

Das Jugendamt hat gemeint, es entspreche dem Kindeswohl am besten, die bestehende Umgangsregelung beizubehalten.

Das Amtsgericht hat das Kind und die Eltern persönlich angehört. Auf die Protokolle vom 17. April und 23. Oktober 2018 (Bl. 65 ff., 197 f.) wird verwiesen. Es hat ein schriftliches familienpsychologisches Sachverständigengutachten eingeholt, auf das verwiesen wird (Bl. 86 ff.).

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht den Antrag abgewiesen. Es hat, gestützt auf das Gutachten, befürchtet, das Risiko einer Eskalation des Elternkonflikts werde bei Durchführung des Wechselmodells steigen und der Loyalitätskonflikt, in den das Kind verstrickt sei, werde sich verschärfen. Die Bindung des Kindes an den Antragsteller sei nicht in Gefahr, da Umgang gewährt werde.

Der Antragsteller verfolgt mit seiner Beschwerde sein Anliegen weiter, das paritätische Wechselmodell solle gegen den Willen der Antragsgegnerin angeordnet werden. Das Amtsgericht habe nicht ausreichend beachtet, dass die von dem Sachverständigen attestierte gute Beziehung zu dem Kind allein auf den Bemühungen des Antragstellers beruhe, an denen er gegen den Widerstand der Antragsgegnerin festgehalten habe. Der wirkliche Wille des Kindes richte sich auf das Wechselmodell. Der Kommunikationsbedarf der Eltern werde sich durch das Wechselmodell nicht erhöhen. Alltagsangelegenheiten werde das Kind zunehmend selbst wahrnehmen. Über erzieherische Belange müssten sich die Eltern nicht mehr verständigen als bislang. Der Loyalitätskonflikt werde sich nicht verschärfen. Die Bindung an die beim Vater lebenden Halbgeschwister spreche für das Wechselmodell, dessen Anordnung nicht davon abhängen dürfe, ob in der Familie Harmonie herrsche.

Die Antragsgegnerin verteidigt den angefochtenen Beschluss. Weder der erklärte Wille des Kindes noch die Bewertungen des Sachverständigen sprächen für das Wechselmodell.

Wegen des weiteren Vortrages der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze und auf die Anlagen verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Es ist nicht aus triftigen Gründen, die das Wohl des Kindes nachhaltig berühren, angezeigt, die geltenden und durchgeführten Regelungen zum Umgang des Kindes mit dem Antragsteller zu ändern (§§ 1696 I 1 BGB, 166 I FamFG).

Ob die Betreuung eines Kindes getrenntlebender Eltern nach dem sogenannten paritätischen Wechselmodell hoheitlich angeordnet werden darf, wenn nur ein Elternteil dieses Betreuungsmodell wünscht, der andere es aber ablehnt, ist umstritten. Der Bundesgerichtshof hält eine solche Anordnung als Gegenstand einer Umgangsregelung inzwischen für zulässig, weil dem Gesetz ein entgegenstehendes Verbot nicht zu entnehmen sei. Er knüpft die Anordnung an mehrere Anforderungen, die Eltern und Kind und deren Beziehung zueinander zu erfüllen hätten (Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 1. Februar 2017 - XII ZB 601/15 -, NJW 2017, 1815 = FamRZ 2017, 532).

Der Senat hält die Auffassung des Bundesgerichtshofes für vertretbar. Verbliebene Zweifel an der Auslegung des Gesetzes können ungeklärt bleiben. Zum einen sollen mit diesen Auseinandersetzungen nicht die Beteiligten belastet werden, die Abweichungen von den vom Bundesgerichtshof aufgestellten Anwendungsgrundsätzen in einem Rechtsbeschwerdeverfahren anzugreifen hätten. Zum anderen spricht viel dafür, die vom Bundesgerichtshof formulierten äußerst strengen, schwer zu erfüllenden Anforderungen an die Anordnung des Wechselmodells für ein geeignetes Korrektiv gegenüber den Bedenken zu halten, das im Gesetz in Tatbestand und Rechtsfolge nicht ausgeführte Betreuungsmodell dürfe aus diesem Grunde weder zur Regel noch zur gleichgewichtigen Variante hoheitlicher Anordnungen werden.

Der Senat muss auf dieser Grundlage die Beschwerde zurückweisen und damit eine Änderung der bestehenden Umgangsregelung ablehnen, weil die Voraussetzungen für die hoheitliche Anordnung des Wechselmodells nicht erfüllt sind und eine auf das Wechselmodell gerichtete Änderung der bestehenden Umgangsregelung deshalb nicht dem Kindeswohl entspricht.

Die hoheitliche Anordnung des Wechselmodells gegen den Willen eines Elternteils kommt in Betracht, wenn sämtliche der folgenden Bedingungen erfüllt sind: (1) hinreichende, ungefähr gleiche Erziehungskompentenzen beider Eltern, (2) sichere Bindungen des Kindes gegenüber beiden Eltern, (3) gleiche Beiträge beider Eltern zur Entwicklungsförderung und zur Kontinuitätssicherung, (4) autonom gebildeter, stetiger Kindeswille, (5) Kooperations- und Kommunikationsfähigkeiten beider Eltern zur Bewältigung des erhöhten Abstimmungs- und Kooperationsbedarfs, (6) keine Erwartung oder Verschärfung eines Loyalitätskonflikts durch die Konfliktbelastung der Eltern (BGH, a.a.O.).

Der Antragsteller hat den angefochtenen Beschluss nicht überzeugend erschüttern können, mit dem das Amtsgericht mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens die Anordnung des Wechselmodells wegen mangelhafter Kommunikation zwischen den Eltern und wegen des hohen Konfliktpotentials abgelehnt hat. Gerade die vom Antragsteller persönlich, nicht von seiner Verfahrensbevollmächtigten abgefasste Stellungnahme vom 25. März 2019 (Bl. 276 ff.) belegt, dass die Voraussetzungen einer hoheitlich angeordneten gleichgewichtigen Betreuung des Kindes in beiden Elternhaushalten nicht gegeben sind. Der Antragsteller lässt in seinen Ausführungen unbeachtet, dass es im Interesse des Kindes nicht darauf ankommt, ob dieser Befund eventuell mehr auf das Verhalten des einen als auf das des anderen Elternteils zurückzuführen ist. Die Anordnung des Wechselmodells setzt eine positive Feststellung über das Vorliegen der formulierten Anforderungen voraus, nicht allein die negative Feststellung, eine Verschlechterung der Lage des Kindes könne ausgeschlossen werden. Dies beruht in jeder Entscheidungskonstellation auf den benannten Voraussetzungen für die hoheitliche Anordnung des Wechselmodells und bei bestehenden, abzuändernden Umgangsregelungen zudem auf § 1696 I 1 BGB. Die Hürde zur Anordnung des Wechselmodells ist beträchtlich höher als diejenige zur Regelung oder auch zur zwangsweisen Durchsetzung einer anderen Umgangsregelung (§ 1684 II, III BGB). Wird Umgang bei überwiegender Betreuung des Kindes in einem Elternhaushalt gewährt - wie es hier auf Betreiben des Antragstellers seit Jahren geschieht -, so ist das darauf gerichtete Grundbedürfnis und Recht des Kindes (§§ 1626 III 1, 1684 I BGB) bereits erfüllt. Die Anordnung des Wechselmodells hängt von darüber hinausgehenden Anforderungen ab.

Die Anordnung muss auf der positiven Erwartung beruhen, die benannten Kriterien seien künftig erfüllt, so dass sich das Wechselmodell günstig auswirken werde. Die negative Erwartung, Gegengründe gegen das Wechselmodell würden künftig nicht festgestellt werden müssen, reicht nicht aus. Das vom Amtsgericht eingeholte Sachverständigengutachten bietet eine augenscheinlich verlässliche Grundlage tatsächlicher Feststellungen zur Beurteilung der auf diese Weise gestellten Fragen. Insbesondere die Feststellungen des Sachverständigen, die er auf die Exploration des Kindes stützt, finden Bestätigungen in den Berichten des Verfahrensbeistandes über seine Gespräche mit dem Kind und in der gründlich protokollierten Anhörung des Kindes durch das Amtsgericht.

Gründe, die für die Anordnung eines Wechselmodells sprechen, finden sich nicht mit ausreichender prognostischer Sicherheit.

Es liegt fern, annehmen zu können, die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeiten beider Eltern werde künftig zur Bewältigung des erhöhten Abstimmungs- und Kooperationsbedarfs ausreichen. Sowohl der Antragsteller als auch die Antragsgegnerin haben gegenüber dem Sachverständigen angegeben, es gebe zwischen ihnen gar keine Kommunikation (Gutachten, S. 25, 67). Der Sachverständige hat sie für „derzeit kaum zu einer elterlichen Kooperation fähig“ gehalten (GA, S. 71); sie seien „derzeit nicht in der Lage[,] über die Belange des Kindes angemessen zu kommunizieren und zu einer Kooperation im Sinne des Kindes zu finden“ (GA, S. 72). In wessen Verantwortungsbereich die Gründe für die mangelhaft kooperationsfördernde Kommunikation eher zu finden sind, ist nicht maßgeblich. Für die hoheitliche Anordnung eines Wechselmodells kommt es allein darauf an, dass die Erfüllung des erhöhten Abstimmungs- und Kooperationsbedarfs mit ausreichender Sicherheit zu erwarten ist. Ist dies nicht zu erwarten, so kommt es auf die Ursache dieses Mangels nicht an. Diese rein ergebnisorientierte Sichtweise findet eine Berechtigung im Bezugspunkt der Beurteilung: Es geht nicht darum, Erwartungen, Wünsche oder Rechte der Eltern zu regeln, sondern allein entscheidend ist, ob die Regelung oder Nichtregelung dem Wohl des Kindes dient (BGH, a.a.O., Abs. 8, 25).

Die unbedingte Konzentration der Beurteilung allein auf das Wohl des Kindes erlaubt eine Anordnung des Wechselmodells nur, wenn die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit bereits als überragend beurteilt werden kann. Die Prognose, das Verhalten der Eltern oder eines Elternteils könnte sich bessern, nachdem das Wechselmodell angeordnet worden ist, ist zu unsicher. Der Aufwand der Gewöhnung an das Wechselmodell ist für alle Beteiligten zu hoch, um einen Versuch rechtfertigen zu können, der wegen des anhaltenden Widerstandes eines Elternteils scheitern könnte. Die Anordnung des Wechselmodells ist grundsätzlich ungeeignet, die im Konflikt befangenen Eltern dadurch zu einem harmonischen Zusammenwirken in der Betreuung und Erziehung des Kindes zu veranlassen (BGH, a.a.O., Abs. 31).

Der Antragsteller erkennt keinen zusätzlichen Abstimmungsbedarf und keinen zusätzlichen Anlass für Streitigkeit bei Ausweitung des bestehenden Umgangs zum Wechselmodell. In dieser Einschätzung folgt ihm der Senat - gestützt auf die genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofes - nicht. Die gleichmäßige Betreuung des Kindes durch beide Eltern wird einen erheblich gesteigerten Abstimmungsbedarf und zugleich erheblich gesteigertes Konfliktpotential im Vergleich zur bestehenden Umgangsregelung mit sich bringen, die einen Zweiwochenturnus vorsieht. Der bezogen auf die Zeit dann gleich hohe Einfluss beider Eltern auf das Kind wird sich auswirken. Das Kind wird durch das vermehrte Alltagserleben auch mit dem Antragsteller dessen Einfluss erheblich stärker ausgesetzt sein. Seine Gewohnheiten und sein erzieherisches Einwirken werden das Kind erheblich stärker prägen. Beide Eltern werden Abweichungen von ihren eigenen Vorstellungen, die das Kind durch den Einfluss des jeweils anderen aufweist, stärker zur Kenntnis nehmen. Daraus entsteht ein gesteigerter Bedarf an Toleranz gegenüber Ansichten und Grundsätzen, die kritisch beurteilt oder abgelehnt werden.

Das zeitlich gleichgewichtige Leben in zwei Haushalten wird für den Alltag des älter werdenden Schulkindes einen gesteigerten Abstimmungsbedarf im Vergleich zu einem langen Wochenendumgang im Zweiwochenturnus mit sich bringen. Benötigte Gegenstände für den Schulunterricht und die Freizeitgestaltung müssen, wenn sie nicht in wirtschaftlich sehr auskömmlichen Verhältnissen doppelt vorgehalten werden können, stets zur richtigen Zeit in den gerade vom Kind bewohnten Haushalt mitgenommen und erforderlichenfalls nachgeholt oder nachgebracht werden. Schul- und Freizeittermine, die das Kind wahrzunehmen hat, werden vermehrt in einer Woche entstehen, aber in der anderen einzuhalten sein. Diese Terminabstimmung muss sich auf alle Alltagstermine beziehen und wird auch für das ältere Kind von den Eltern wenigstens gründlich beobachtet und überwacht werden müssen. Die vom Antragsteller formulierte Erwartung, das Kind werde diese Angelegenheiten zunehmend selbst wahrnehmen können, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit an dessen Nachlässigkeit scheitern, die sich spätestens mit dem Beginn der Pubertät einstellen wird. Das Aufsichts- und Kontrollbedürfnis der Eltern wird sich ändern, aber nicht vermindern.

Damit kann dem Sachverständigen in seiner Einschätzung gefolgt werden, für das Wechselmodell sei eine wesentliche psychologische Voraussetzung nicht gegeben (GA, S. 78). Die Bewertung stützt sich nachvollziehbar auf die erhobenen Feststellungen, und sie begründet zugleich die Beurteilung, die rechtlichen Voraussetzungen für die hoheitliche Anordnung eines Wechselmodells seien nicht erfüllt.

III.

Diese Entscheidung kann der Senat - wie angekündigt (Beschluss vom 11. Februar 2019, Bl. 261) - ohne mündliche Verhandlung treffen (§ 68 III 2 FamFG).

Einer mündlichen Erläuterung des Sachverständigengutachtens bedarf es auch im Beschwerdeverfahren nicht. Einen Erläuterungsbedarf hat der Antragsteller nicht substantiiert geltend gemacht.

Von einer persönlichen Anhörung der Beteiligten durch den Senat sind weitere, neue, entscheidungserhebliche Erkenntnisse nicht zu erwarten. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin haben ihre Standpunkte sowohl ausführlich schriftlich dargelegt als auch in den persönlichen Gesprächen mit dem Verfahrensbeistand und dem Sachverständigen. Beide haben die von ihnen geführten Gespräche gründlich referiert, ohne dass einer der Beteiligten die Vollständigkeit und Richtigkeit der Wiedergaben bezweifelt hätte.

Dem Kind kann die Belastung einer erneuten Befragung erspart werden, nachdem es sich gegenüber dem Amtsgericht und mehrmals gegenüber dem Verfahrensbeistand und dem Sachverständigen geäußert hat. Der Senat könnte in einem Gespräch mit dem Kind den sachverständig-psychologischen Befund, der in dem Gutachten ausgeführt ist, nicht überprüfen. Daher spricht Überwiegendes dafür, dem Kind eine weitere Notwendigkeit zu ersparen, den von ihm empfundenen Loyalitätskonflikt aufleben zu lassen und zur Sprache bringen zu müssen.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Wertfestsetzung auf den §§ 55 II, 45 I Nr. 2 FamGKG.

Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 70 II FamFG), besteht nicht.