Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Beschwerde; Nutzungsuntersagung; formelle Illegalität; Nutzungsänderung;...

Beschwerde; Nutzungsuntersagung; formelle Illegalität; Nutzungsänderung; Umnutzung einer Lagerhalle in eine Produktionshalle eines metallverarbeitenden Betriebes; intendiertes Ermessen


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat Entscheidungsdatum 26.10.2012
Aktenzeichen OVG 10 S 35.12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 54 BauO BB, § 55 Abs 12 Nr 1 BauO BB, § 73 Abs 3 BauO BB, § 34 Abs 1 S 1 BauGB

Leitsatz

Eine Nutzungsänderung baulicher Anlagen i.S. von § 54 BbgBO liegt vor, wenn sich die neue Nutzung von der bisherigen (legalen), durch die Baugenehmigung dokumentierten Nutzung dergestalt unterscheidet, dass sie anderen oder weitergehenden bauordnungs- oder bauplanungsrechtlichen Anforderungen unterworfen ist oder unterworfen sein kann, also die der bisherigen Nutzung eigene, gewisse Variationsbreite verlassen wird und durch die Veränderung bodenrechtliche Belange neu berührt werden können.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 8. August 2012 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes und der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren werden unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller betreibt auf einem Grundstück in der Stadt F... ein metallverarbeitendes Gewerbe zur Herstellung von Edelstahlprodukten für die Industrie, Handwerk und private Kunden. Auf dem Betriebsgrundstück befindet sich neben einem Büro und Werkstattgebäuden auch eine Lagerhalle. Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen einen Bescheid vom 5. Juli 2012 des Antragsgegners, mit dem unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Nutzung der Lagerhalle als Produktionshalle untersagt und die Entfernung der zur Produktion genutzten Plasmastanzanlage, einer Hubschere und zweier Ständerstanzen angeordnet wurde. Ein Nachbar, dessen Gebäude dem Wohnen dient, hatte sich zuvor über den von der Produktion ausgehenden Lärm beschwert. Die Errichtung der Halle wurde mit Baugenehmigung vom 11. September 2007 als „Lagerhalle/Materiallager“ genehmigt mit der Regelung, dass die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens „ausschließlich für die beantragte Nutzung zu reinen Lagerzwecken“ gilt. Durch eine Auflage in der Baugenehmigung wurde die Einhaltung bestimmter Immissionsrichtwerte beim Betrieb der Gesamtanlage geregelt. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die oben genannte Verfügung wiederherzustellen, abgelehnt. Hiergegen wendet er sich mit seiner Beschwerde.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.

Der Senat kann dabei offen lassen, ob seine wenig strukturierte und sich nur teilweise mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzende Beschwerdebegründung noch den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügt.

Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet. Die angefochtene Entscheidung ist nicht aus den von dem Antragsteller dargelegten Gründen, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, zu beanstanden.

1. Das Vorbringen des Antragstellers, die vorgenommene Nutzungsänderung sei nicht genehmigungsbedürftig, sondern nach § 55 Abs. 12 BbgBO genehmigungsfrei, weil der „Produktionsbetrieb“ schon seit mehreren Jahrzehnten bestehe und der gesamte Wirtschaftsbereich „Schlosserei“ als räumliche, produktionsbedingte „bauliche Einheit“ aus der Lagerhalle als Anbau an die „Produktionshalle“ anzusehen sei, rechtfertigt keine Änderung der angefochtenen Entscheidung.

Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die mit Baugenehmigung vom 11. September 2007 als selbständige bauliche Anlage neu errichtete Lagerhalle durch ihre Nutzung als Produktionshalle im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Sinne des § 73 Abs. 3 Satz 1 BbgBO genutzt wird.

Im Hinblick auf die die Rechtmäßigkeit der baulichen Entwicklung sichernde Ordnungsfunktion des formellen Baurechts rechtfertigt - tatbestandlich - bereits die formelle Illegalität einer baulichen Anlage oder deren Nutzung, also der Umstand, dass die neue Nutzung als solche nicht genehmigt wurde, eine Nutzungsuntersagung auf der Grundlage von § 73 Abs. 3 BbgBO (OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 10. Mai 2012 - OVG 10 S 42.11 -, juris Rn. 6 m.w.N.). Die Nutzungsänderung baulicher Anlagen bedarf nach § 54 BbgBO einer Baugenehmigung, soweit in §§ 55, 58, 60, 61, 71 und 72 BbgBO nichts anderes bestimmt ist. Eine Nutzungsänderung liegt vor, wenn sich die neue Nutzung von der bisherigen (legalen), durch die Baugenehmigung dokumentierten Nutzung dergestalt unterscheidet, dass sie anderen oder weitergehenden bauordnungs- oder bauplanungsrechtlichen Anforderungen unterworfen ist oder unterworfen sein kann, also die der bisherigen Nutzung eigene, gewisse Variationsbreite verlassen wird und durch die Veränderung bodenrechtliche Belange neu berührt werden können (OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 21. März 2006 - OVG 10 S 3.06 -; OVG Bbg, Beschluss vom 4. September 1995 - 3 B 52/95 -; OVG NRW, Urteil vom 24. Juni 2004 - 7 A 4529/02 -; NVwZ-RR 2005, 695, juris Rn. 33; Reimus/Semtner/Langer, BbgBO, 3. Aufl. 2009, § 3 Rn. 8 und § 73 Rn. 13).

Gemessen daran liegt hier eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung vor. Nach den von der Beschwerde nicht in Abrede gestellten Feststellungen des Verwaltungsgerichts wird die Lagerhalle nunmehr im Rahmen des metallverarbeitenden Betriebes als Produktionshalle genutzt. Sie ist u. a. mit einer Plasmastanzanlage, einer Hubschere und zwei Ständerstanzen bestückt. Der Antragsteller spricht in der Beschwerdebegründungsschrift selbst davon, dass er die Lagerhalle mit den in Rede stehenden Maschinen „besetzt“ habe und die Produktion betreibe. Nach dem Inhalt der Baugenehmigung vom 11. September 2007 wurde die bauliche Anlage aber zum Nutzungszweck „Lagerhalle/Materiallager“ genehmigt, was auch aus der klarstellenden Regelung in der Baugenehmigung zum Ausdruck kommt, wonach die Zulässigkeit des Vorhabens „ausschließlich für die beantragte Nutzung zu reinen Lagerzwecken“ gelte. Die neue Nutzung als Produktionshalle unterscheidet sich von der genehmigten Nutzung als bloße Lagerhalle, weil sie anderen Anforderungen vor allem bauplanungsrechtlicher Art unterworfen ist. Die neue Nutzung der baulichen Anlage wirft die Genehmigungsfrage deshalb neu auf, weil insbesondere zu überprüfen ist, ob die Art der baulichen Nutzung durch den Betrieb mit relativ störungsintensiven Maschinen und den damit einhergehenden Produktionsabläufen zur Metallverarbeitung sich in die Eigenart der näheren Umgebung unter Berücksichtigung des Rücksichtnahmegebots einfügt (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB).

Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist das Erfordernis einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung der baulichen Anlage nach § 54 BbgBO nicht durch die Bestimmung des § 55 Abs. 12 Nr. 1 BbgBO entbehrlich, der zufolge die Nutzungsänderung einer baulichen Anlage keiner Baugenehmigung bedarf, wenn für die neue Nutzung keine anderen öffentlich-rechtlichen Anforderungen gelten als für die bisherige Nutzung. Die Vorschrift greift hier nicht zu Gunsten des Antragstellers ein, denn für die immissionsintensive neue Nutzung gelten im Rahmen des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB andere öffentlich-rechtliche Anforderungen als für die bisher genehmigte Nutzung als Lagerhalle. Auch der sinngemäße Einwand des Antragstellers, es liege hier eine „bauliche Einheit“ der Lagerhalle als Anbau an eine „Produktionshalle“ vor, weshalb die erfolgte teilweise Umnutzung der Lagerhalle zur Produktion genehmigungsfrei sei, geht fehl. Die neu errichtete Lagerhalle war mit Baugenehmigung vom 11. September 2007 als selbständige bauliche Anlage und nicht als zur Produktion dienender Teil der Gesamtanlage eines metallverarbeitenden Betriebes genehmigt worden. Im Übrigen hat der insoweit darlegungspflichtige Antragsteller mit der Beschwerde nicht dargetan, dass eine Baugenehmigung vorliegt, wonach die baulichen Anlagen des metallverarbeitenden Betriebes als Ganzes und damit auch die Nutzung der Lagerhalle zu Produktionszwecken legal wäre. Eine solche ist nach Aktenlage auch sonst nicht ersichtlich.

2. Mit seinem Einwand, er habe mit den im Beschwerdeverfahren vorgelegten Lärmpegelmessungen eines Ingenieurbüros nachgewiesen, dass von der Nutzung der baulichen Anlage als Produktionshalle keine nachbarrechtswidrigen Beeinträchtigungen in lärm- oder schwingungstechnischer Hinsicht einhergingen, hat der Antragsteller keine für die Rechtswidrigkeit der Nutzungsuntersagung sprechenden Anhaltspunkte dargelegt. Das Vorbringen zielt nämlich auf die materiell-rechtliche Genehmigungsfähigkeit der Nutzung der baulichen Anlage als Produktionshalle. Hierauf kommt es aber nicht an. Wie bereits ausgeführt, rechtfertigt bereits die formelle Illegalität der baulichen Nutzung eine Nutzungsuntersagung. Zwar kann im Rahmen der Ermessensentscheidung ein Absehen von der Nutzungsuntersagung unter anderem dann geboten sein, wenn das Vorhaben offensichtlich genehmigungsfähig ist (OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 10. Mai 2012, a.a.O., juris Rn.9 m.w.N.). Dass dies in Bezug auf die hier ausgeübte Nutzung der Fall ist, insbesondere sie sich in die Eigenart der näheren Umgebung unter Berücksichtigung des Rücksichtnahmegebots einfügt, legt der Antragsteller nicht substantiiert dar. Mit den Einwänden des Verwaltungsgerichts gegen die Lärmpegelmessungen setzt er sich nicht auseinander. Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit, die jegliche Prüfung von vornherein entbehrlich machen würde, drängt sich danach auch nicht auf.

Ohne Erfolg bleibt auch das Vorbringen des Antragstellers, dass „Rücksichtnahmegebot nach § 34 Abs. 1 BbgBO“ sei erfüllt. Die Kubatur des Gebäudes werde nicht verändert, weshalb das Ortsbild nicht beeinträchtigt werde. Dieser Einwand geht bereits daran vorbei, dass das Verwaltungsgericht die Durchführung eines Genehmigungsverfahrens für die Nutzungsänderung im Hinblick auf die Art der baulichen Nutzung nach § 34 Abs. 1 BauGB für erforderlich gehalten und insoweit eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit zu Recht verneint hat.

3. Die Rüge des Antragstellers, der Antragsgegner habe das „ihm zukommende Ermessen im Sinne von § 60 BbgBO“ nicht abgewogen, vermag seiner Beschwerde gleichfalls nicht zum Erfolg zu verhelfen. Die in § 60 BbgBO geregelte Zulassung von Abweichungen ist schon nicht Streitgegenstand dieses Verfahrens, bei dem es um eine Nutzungsuntersagung geht. Der Antragsteller hat auch der Sache nach nicht substantiiert dargelegt, dass der Antragsgegner das ihm bei der Nutzungsuntersagung nach § 73 Abs. 3 Satz 1 BbgBO zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt hätte. Vielmehr ist nach der ständigen Rechtsprechung davon auszugehen, dass in den Fällen einer ungenehmigten Nutzung baulicher Anlagen -wie hier - in der Regel lediglich der Erlass einer Nutzungsuntersagung ermessensgerecht ist, denn die Auslegung der gesetzlichen Vorschriften ergibt, dass der Bauaufsichtsbehörde insoweit ein intendiertes Ermessen eingeräumt ist (OVG Bln-Bbg, Beschlüsse vom 18. Mai 2011 - OVG 10 N 32.09 - und vom 6. Mai 2011 - OVG 2 S 102.10 -, juris Rn. 5).

4. Soweit der Antragsteller erstmals mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2012 vorgetragen hat, die - zur Effektuierung der Nutzungsuntersagung erlassene - Anordnung, die Plasmastanzanlage, Hubschere und zwei Ständerstanzen aus der Lagerhalle zu entfernen, verletze ihn in dem durch Art. 14 Abs. 1 GG garantierten Eigentumsrecht, ist das Vorbringen für das Beschwerdeverfahren schon deshalb unbeachtlich, weil dieser Vortrag nicht innerhalb der einmonatigen Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO erfolgt ist. Da die angefochtene Entscheidung dem Antragsteller am 13. August 2012 bekannt gegeben wurde, war die Frist bereits abgelaufen. Zudem ist ein Eingriff in die Eigentumsgewährleistung und dessen fehlende verfassungsrechtliche Rechtfertigung nicht entsprechend § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO substantiiert dargetan.

5. Bereits im Hinblick auf die Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO unzureichend ist schließlich der pauschale Hinweis des Antragstellers auf seine erstinstanzlichen Ausführungen im Schriftsatz vom 23. Juli 2012.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 1.5., 9.4. des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (DVBl 2004, S. 1525), wobei der Senat in der Regel den Streitwert für eine Nutzungsuntersagung mit dem Auffangstreitwert in Höhe von 5.000 EUR festsetzt, sofern der Sach- und Streitstand - wie hier - keine genügenden Anhaltspunkte für den aus der Nutzungsuntersagung drohenden Schaden gibt (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 10. Mai 2012, a.a.O., juris Rn. 13). Der vorgenannte Betrag war im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren. Der Senat macht von der in § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG eingeräumten Befugnis zur Änderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung von Amts wegen Gebrauch und ändert diese dementsprechend ab.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).