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Umweltinformation; Beliehener; informationspflichtige Stelle; Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V.; Chrom VI-Verbindungen; Luft; Atmosphäre; Arbeitsplatz; Innenraumluft


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 12. Senat Entscheidungsdatum 09.02.2015
Aktenzeichen OVG 12 N 11.14 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Art 2 EGRL 1/2008, Art 2 Nr 3 UmwAÜbk, § 2 Abs 1 UIG, § 2 Abs 3 UIG, § 8 Abs 2 Nr 1 UIG, § 14 SGB 7, § 87 Abs 3 SGB 4

Tenor

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. Januar 2014 wird abgelehnt.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Beklagte.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5 000 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die vom Beklagten angeführten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

Das Verwaltungsgericht hat der auf die Verpflichtung zur Informationsgewährung gerichteten Klage entsprochen. Der Kläger habe gegen den Beklagten einen Anspruch auf Übermittlung der streitgegenständlichen Informationen nach dem Umweltinformationsgesetz, weil es sich bei ihnen um Umweltinformationen handele, der Beklagte eine informationspflichtige Stelle im Sinne dieses Gesetzes sei und Ablehnungsgründe nicht bestünden.

1. Unter Zugrundelegung des nach § 124 a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO allein maßgeblichen Zulassungsvorbringens bestehen die dagegen vorgebrachten ernstlichen Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht.

a) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht die streitgegenständlichen Daten als Umweltinformationen im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 6 UIG eingeordnet. Danach sind Umweltinformationen u. a. alle Daten über den Zustand der menschlichen Gesundheit und Sicherheit sowie die Lebensbedingungen des Menschen, soweit sie jeweils vom Zustand der Umweltbestandteile im Sinne der Nummer 1 oder von Faktoren, Maßnahmen oder Tätigkeiten im Sinne der Nummern 2 und 3 der Regelung betroffen sind oder sein können. Hierzu zählen nach einhelliger und zutreffender Auffassung auch Daten über die Bedingungen am Arbeitsplatz (vgl. etwa Reidt/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. I, § 2 UIG Rn. 50; Fluck/Theuer, Informationsfreiheitsrecht, Bd. I, § 2 UIG Rn. 388 sowie Rn. 280 mit Fn. 132; UN-ECE, The Aarhus Convention: An Implementation Guide, Second Edition, 2013, S. 45 – im Folgenden: Implementation Guide 2013). Entgegen der Behauptung des Beklagten fehlt es insoweit auch nicht an dem in § 2 Abs. 3 Nr. 6 UIG verlangten Umweltbezug. Zu den Faktoren im Sinne der Nummer 2 des § 2 Abs. 3 UIG zählen auch Daten über Stoffe, mithin auch über Chemikalien (vgl. nur Fluck/Theuer, a.a.O., Rn. 298; Reidt/Schiller, a.a.O. Rn. 39). Die hier streitgegenständlichen Daten wurden gerade zum Zwecke des Arbeitsschutzes und somit zum Schutz der menschlichen Gesundheit vor Schädigungen durch Chemikalien erhoben, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Sie fallen damit unter die Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 3 Nr. 6 UIG.

Unabhängig davon ist dem Beklagten auch nicht darin beizupflichten, dass von dem in § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG genannten Umweltmedium „Luft“ die Innenraumluft einer Arbeitsstätte nicht umfasst ist (zweifelnd insoweit aber Fluck/Theuer, a.a.O. Rn. 388). Ohne Erfolg beruft er sich für seine gegenteilige Auffassung auf den Implementation Guide 2013, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und die Richtlinie 2008/50/EG vom 21. Mai 2003 (ABl. L 152/1). Ausweislich des vom Beklagten selbst zitierten Auszugs aus dem Implementation Guide 2013 erlaubt Art. 2 Nr. 3 Buchstabe (a) der Aarhus-Konvention mit dem Passus „Luft und Atmosphäre“ gerade die Einbeziehung auch der Innenraumluft, insbesondere auch derjenigen am Arbeitsplatz. Dem wurde sowohl bei der Verabschiedung der Richtlinie 2003/4/EG vom 28. Januar 2003 (ABl. L 41/26) als auch bei der Verabschiedung des UIG Rechnung getragen, die beide die Begriffe „Luft und Atmosphäre“ nebeneinander gestellt haben. Weshalb sich daraus ergeben soll, dass der Gesetzgeber damit lediglich die „Außenluft“ habe regeln wollen, bleibt unerfindlich. Der diesbezügliche Hinweis auf § 1 BImSchG liegt neben der Sache, denn dessen Absatz 1 bestimmt als Schutzgut ausdrücklich allein die „Atmosphäre“, nicht auch die „Luft“.

Ebenso neben der Sache liegt der Hinweis auf die Definition von „Luft“ in der Richtlinie 2008/50/EG. Deren Anwendungsbereich beschränkt sich auf ‚ambient air‘ und definiert diese in ihrem Artikel 2 Nr. 1 dementsprechend als „outdoor air in the troposphere, excluding workplaces …“. Bereits in der vom Beklagten – allerdings unvollständig – zitierten Passage des Implementation Guide 2013 (a.a.O. S. 41) wird demgegenüber in Abgrenzung zu eben dieser Richtlinie darauf hingewiesen, dass Art. 2 Nr. 3 Buchstabe a) der Aarhus-Konvention eine solche Beschränkung auf die Außenluft gerade nicht vornimmt.

Zwar ist dem Beklagten darin beizupflichten, dass das Bundesverwaltungsgericht den Begriff der „Umweltinformationen über Emissionen“ i. S. d. § 9 Abs. 1 Satz 2 UIG in Übereinstimmung mit dem Gesetzgeber in Anlehnung an die Definition in Art. 2 Nr. 5 der IVU-Richtlinie dahingehend ausgelegt hat, dass darunter nur Informationen über Stoffe zu verstehen sind, die eine Anlage verlassen und in diesem Sinne in die Umwelt freigesetzt werden (BVerwG, Urteil vom 24. September 2009 – BVerwG 7 C 2.09 – BVerwGE 135, 34 Rn. 39 ff.). Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht keinen Zweifel daran gelassen, dass es sich auch bei den Angaben über die Vorgänge in der Anlage selbst um Umweltinformationen handelt (a.a.O. Rn. 45). Dass es sich bei dem Medium „Luft“ im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG lediglich um die von einer Anlage nach außen hin abgegebene Luft handelt, lässt sich mithin entgegen dem Beklagten auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht entnehmen.

Würde es sich dagegen bei den streitgegenständlichen Informationen nicht um Umweltinformationen i. S. d. § 2 Abs. 3 UIG handeln, hätte der Kläger, worauf er zutreffend hingewiesen hat, einen Informationsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG). Er hat seinen Antrag vom 11. April 2012 vorsorglich auch auf dieses Gesetz gestützt. Als Beliehener wäre der Beklagte nach § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG informationspflichtig (vgl. Schoch, IFG, § 1 Rn. 82). Ein Ausschlussgrund nach §§ 3 bis 6 IFG läge nicht vor. Dies bedarf indes keiner Vertiefung, weil, wie ausgeführt, Umweltinformationen im Streit stehen.

b) Nicht zu folgen ist dem Beklagten auch darin, dass es sich bei ihm nicht um eine informationspflichtige Stelle i. S. d. § 2 Abs. 1 UIG handelt. Dass der Beklagte bei der Erhebung der streitgegenständlichen Informationen als Beliehener gehandelt hat, hat das Verwaltungsgericht zutreffend im Einzelnen dargelegt und wird auch vom Beklagten nicht in Abrede gestellt.

Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 2 Abs. 1 UIG (die entgegen der Behauptung des Beklagten diese Frage keineswegs offen lässt) zählen zu den informationspflichtigen Stellen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UIG auch Beliehene, soweit sie in dieser Funktion handeln (BT-Drs. 15/3406 S. 14). Diese Einschätzung ist auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht in Zweifel gezogen worden (vgl. BT-Drs. 15/3680 S. 2 und BT-Drs. 15/4243 S. 17). Zutreffend hat das Verwaltungsgericht daher den Beklagten als informationspflichtige Stelle i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UIG angesehen (vgl. etwa auch BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 2005 – BVerwG 7 C 5.04 – juris Rn. 22; Reidt/Schiller, a.a.O. § 2 Rn. 6 m.w.N.).

Er wäre ungeachtet dessen auch dann als informationspflichtige Stelle anzusehen, wenn man, anders als der Senat, Beliehene dem Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG unterordnen wollte (so Fluck/Theuer, a.a.O. Rn. 230 ff.; unklar VGH Kassel, Urteil vom 31. Oktober 2013 – VGH 6 A 1734/13.Z – juris Rn. 10, der den dortigen Beliehenen zwar nach „§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG“ für auskunftspflichtig hält, jedoch nicht darauf eingeht, dass die Ausgangsinstanz dieses Verfahrens ihn bereits nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UIG als auskunftspflichtig angesehen hat). Der Beliehene unterliegt als solcher bei der Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe der Kontrolle einer Behörde i. S. d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 UIG (so auch Fluck/Theuer a.a.O. Rn. 231); der Beklagte unterliegt vorliegend der Rechtsaufsicht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, § 87 Abs. 3 SGB IV. Er nimmt in seiner Funktion als Beliehener auch Aufgaben wahr, die im Zusammenhang mit der Umwelt stehen, wie oben bereits ausgeführt wurde.

c) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht den Ablehnungsgrund des § 8 Abs. 2 Nr. 1 UIG nicht für einschlägig befunden.

Dass das Informationsbegehren des Klägers offensichtlich missbräuchlich wäre, lässt sich aus dem Zulassungsantrag nicht folgern. Ob die streitgegenständlichen Daten tatsächlich geeignet sind, die Aufnahme der Chrom VI-Verbindungen in die REACH-Verordnung in Zweifel zu ziehen, ist keine Frage der missbräuchlichen Antragstellung und wird vom Europäischen Gericht zu beantworten sein, dem der Kläger diese Daten in dem gegen die Verordnung angestrengten Klageverfahren vorlegen will. Dass der Kläger mit diesem Verfahren auch wirtschaftliche Interessen verfolgt, lässt den Umweltbezug seines Informationsbegehrens nicht entfallen. Der Beklagte geht fehl in der Annahme, ein Informationsbegehren sei bereits dann missbräuchlich, wenn es dazu diene, eine nach Auffassung des Antragstellers zu strenge umweltschutzrechtliche Regelung in Frage zu stellen. Hinzu kommt vorliegend, dass bei einem Verbot der Chrom VI-Verbindungen auch die dann alternativ zu verwendenden Produktionsverfahren Umweltrisiken bergen können, wie das Fraunhofer-Institut in seiner Stellungnahme vom 2. September 2011 dargelegt hat. Dass die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ihrerseits diese Stellungnahme in Zweifel gezogen hat, mag den Schluss erlauben, dass eine wissenschaftliche Diskussion über die streitgegenständlichen Daten notwendig ist, lässt aber nicht auf die offensichtliche Missbräuchlichkeit des Informationsbegehrens des Klägers schließen.

2. Der Beklagte hat auch besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht aufgezeigt. Die Rechtssache verursacht nach dem Gesagten keine überdurchschnittlichen, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten; insbesondere ist der Ausgang eines Berufungsverfahrens nicht offen.

Fragen zum „Verhältnis der Begriffe des UIG (z. B. „Luft“, „Emissionen“) zu den entsprechenden Definitionen im übrigen Umweltrecht z. B. im BImSchG oder in der Luftqualitätsrichtlinie...)“ stellen sich nicht und ließen sich aus den genannten Gründen auch ohne die Durchführung eines Berufungsverfahrens beantworten. Entsprechendes gilt zum „Verständnis des Sozialrechts“. Dass die Leitlinien zur Aarhus-Konvention „keine weiteren Vorgaben“ zur Frage enthalten, ob auch „Innenraumluft“ als „Luft“ im Sinne der Konvention bzw. der Umweltinformationsrichtlinie zu verstehen ist, trifft, wie dargelegt, nicht zu.

Dass der Beklagte als Beliehener dem Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UIG zuzuordnen ist, lässt sich anhand der Genese des Gesetzes und der vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne die Durchführung eines Berufungsverfahrens bejahen. Im Übrigen kommt es, wie ausgeführt, darauf nicht an, weil der Beklagte jedenfalls nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG informationspflichtig wäre.

3. Die vom Beklagten als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO aufgeworfenen Frage stellen sich nicht oder lassen sich beantworten, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedürfte.

Die Frage:

„Kann Zugang zu einer als „Umweltinformation“ i. S. v. § 2 Abs. 3 Nr. 6 UIG bezeichneten Information begehrt werden, um in einem anderen Zusammenhang (einem anderen Gerichtsverfahren) belegen zu können, dass keine Umweltrelevanz vorliegt?“

betrifft der Sache nach die Frage, ob eine missbräuchliche Antragstellung vorliegt und ist aus den genannten Gründen zu verneinen. Davon abgesehen trifft nicht zu, dass der Kläger den streitigen Informationen die Umweltrelevanz abspricht. Er benötigt die Daten vielmehr, um überprüfen zu können, ob die vom Verordnungsgeber der REACH-Verordnung angenommene Gesundheitsschädlichkeit der Chrom VI-Verbindungen tatsächlich durch diese Daten belegt werden kann.

Die Frage:

„Kann das Umweltinformationsgesetz Ansprüche auf Zugang zu Daten gewähren, für die das Sozialrecht keinen Anspruch von jedermann (sondern nur von nach den im SGB vorgesehenen Stellen) auf Zugang vorsieht?“

stellt sich in dieser Allgemeinheit nicht bzw. ist ohne weiteres zu bejahen. Das Umweltinformationsgesetz enthält keine Bereichsausnahme für Daten, die „nach dem SGB“ erhoben wurden, sondern regelt Ablehnungsgründe abschließend in seinem Abschnitt 3.

Die Frage:

„Sind Beliehene informationspflichtige Stellen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 UIG?

ist entgegen der Auffassung des Beklagten bereits höchstrichterlich geklärt (BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 2005, a.a.O.), kann dessen ungeachtet vorliegend dahin stehen, weil es nicht streitentscheidend ist, ob der Beklagte nach Nr. 1 oder Nr. 2 der Norm informationspflichtig ist.

Auch die Frage:

„Ist ein Zugangsbegehren, das offensichtlich nicht dem Umweltschutz dient, offensichtlich rechtsmissbräuchlich i. S. v. § 8 Abs. 2 UIG?

rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht. Wie bereits ausgeführt wurde, lässt sich bereits nicht feststellen, dass das Zugangsbegehren des Klägers dem Umweltschutz nicht dient. Die Klärung der wissenschaftlich umstrittenen Frage, ob und ab welcher Konzentration ein Stoff, der über die Atemluft oder in sonstiger Weise aufgenommen wird, die menschliche Gesundheit gefährdet, dient – ungeachtet des nicht vorwegzunehmenden Ergebnisses dieser Untersuchung – dem Umweltschutz.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).