Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 21.05.2014 | |
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Aktenzeichen | L 11 VG 25/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 2 Abs 2 OEG, § 114 Abs 2 S 2 SGG, § 41 Abs 1 Nr 2 SGB 10 |
Das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 21. Mai 2012 wird geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 30. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2010 wird geändert und der Beklagte wird verpflichtet, den Kläger hinsichtlich des Anspruchs auf Heilbehandlung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten (nur noch) darüber, ob dem Kläger ein Anspruch auf Leistungen der Heilbehandlung zusteht und hierbei insbesondere darüber, ob der Beklagte die begehrten Leistungen mit Recht nach § 2 Abs. 2 des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) versagt hat.
Der Kläger wurde am ... Dezember 1953 geboren. Er übt eine Beschäftigung als Busfahrer aus und ist bei der AOK B gesetzlich krankenversichert.
Der Kläger fuhr am 4. Oktober 2008 aus seinem Garten kommend mit dem Rad nach Hause. Er überholte zwei vor ihm laufende männliche Personen. Als er sich in Höhe der beiden Personen befand, erhielt er einen Faustschlag unterhalb des linken Auges.
Der Facharzt für Chirurgie/ Unfall- und Handchirurgie Dr. K in N behandelte den Kläger am 6. Oktober 2008 und veranlasste die Erstellung einer Computertomographie (CT) durch Dr. B des Schädels und der Nasennebenhöhlen in F. Aufgrund der Auswertung der CT-Aufnahme ergaben sich die Diagnosen: Fraktur des Orbitabodens links unter Mitausprägung der Fraktur auf Höhe der linken Oberkieferhöhle und des linken Siebbeinzellgebietes.
Am 7. Oktober 2008 wurde der Kläger in der Notfallversorgung der H Klinik in N behandelt. Es wurden u.a. die Diagnosen Orbitaboden- und Kieferhöhlenwandfraktur links ohne Dislokation gestellt. Der Kläger lehnte eine stationäre Aufnahme gegen ärztlichen Rat ab.
Der Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. S in N behandelte den Kläger am 14. Oktober 2008.
Am 14. Oktober 2008 zeigte der Kläger bei der Polizeiwache in N das Geschehen vom 4. Oktober 2008 an und stellte Strafantrag gegen unbekannt. Aus dem abschließenden Bericht des Polizeipräsidiums P vom 20. Oktober 2008 geht hervor, dass der Täter nicht ermittelt werden konnte.
Der Kläger stellte am 15. Oktober 2008 (Eingang am 16. Oktober 2008) im Rahmen einer schriftlichen Befragung durch die AOK B einen Antrag nach dem OEG. Diesen Antrag leitete die AOK B mit Schreiben vom 3. November 2008 an den Beklagten weiter.
Am 16 Oktober 2008 behandelte die Augenärztin Dr. S in N den Kläger.
Am 9. April 2009 (Eingang beim Beklagten) übersandte der Kläger direkt an den Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung.
Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens holte der Beklagte ärztliche Auskünfte ein und zog die Akten der Staatsanwaltschaft P zum Aktenzeichen bei.
Am 18. August 2009 stellte sich der Kläger in der psychiatrischen Institutsambulanz der H Klinik in N vor. Er schilderte, dass er unter wiederkehrenden, sich aufdrängenden Erinnerungen an das traumatisierende Ereignis, quälender innerer Unruhe und Angstzuständen leide. Aus dem entsprechenden Behandlungsbericht des Dipl.-Psych. K geht hervor, dass aufgrund der Schilderung die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung gestellt worden sei.
Der Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 11. September 2009 zu den Umständen an, warum er erst 10 Tage nach dem schädigenden Ereignis eine Strafanzeige bei der Polizeiwache in stellte.
Mit Bescheid vom 30. März 2010 entschied der Beklagte, dass der Antrag auf Gewährung einer Versorgung nach dem OEG aus Anlass des Vorfalls vom 4. Oktober 2008 versagt werde. Er führte in den Gründen aus, dass festzustellen gewesen sei, dass der Kläger Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG geworden sei und dabei die folgenden Gesundheitsstörungen erlitten habe: Knochennarbe nach Mittelgesichtsfraktur mit Beteiligung des Nasenbeines, des Augenhöhlenbodens links, der linken Oberkieferhöhle und des Siebbeinzellgebietes. Hierfür bestünde ein Anspruch auf Heilbehandlung. Die geltend gemachte posttraumatische Belastungsstörung sei weder belegt noch lasse sich ein kausaler Zusammenhang zum Tatvorgang herstellen. Der Beklagte führte weiterhin aus, dass die Heilbehandlung jedoch gemäß § 2 Abs. 2 OEG versagt werde, weil der Kläger es unterlassen habe, unverzüglich nach dem Tatgeschehen gegen die Täter Strafanzeige zu erstatten, und durch das zögerliche Verhalten bei der Anzeigenerstattung nicht das Mögliche zur Verfolgung der Täter beigetragen habe.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 28. April 2010 (Zugang beim Beklagten am 30. April 2010) Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass er Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz begehre und die Voraussetzungen für eine Versagung der Leistungen nicht vorliegen würden, da die Anzeigenerstattung unverzüglich erfolgt sei. Es liege eine unverzügliche Anzeigenerstattung vor, da er unter den Folgen des tätlichen Übergriffs gelitten habe und ihm nicht ohne weiteres wegen der posttraumatischen Belastungsstörung und des Angsttraumas eine zeitnahe Anzeigenerstattung möglich gewesen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 2. November 2010 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen die Ablehnung von Leistungen nach dem OEG in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zurück. Er führte zur Begründung aus, dass dem Kläger vorzuwerfen sei, nicht unverzüglich die Strafanzeige erstattet zu haben. Zwar liege ein Tatbestand nach § 1 OEG vor, die Leistungen seien jedoch nach § 2 Abs. 2 OEG zu versagen, da bei pflichtgemäßer Ermessensausübung unter Berücksichtigung der Umstände das öffentliche Interesse an einer Versagung gegenüber dem Einzelinteresse an einer Leistungsgewährung überwiege.
Mit der am 2. Dezember 2010 vor dem Sozialgericht Potsdam erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er hat zur Begründung ausgeführt, dass eine unverzügliche Anzeigenerstattung stattgefunden habe, da von einer Frist von zwei Wochen auszugehen sei. Weiterhin sei eine eventuelle Fristüberschreitung unverschuldet, da er an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, wie sich aus der Bescheinigung der H Klinik vom 18. August 2009 ergebe. Er habe an den Folgen des Angsttraumas gelitten und habe diese erst überwinden müssen, bevor ihm eine Anzeigenerstattung möglich gewesen sei.
Die auf Aufhebung des Bescheides vom 30. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2010 und Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts gerichtete Klage hat das Sozialgericht Potsdam mit Urteil vom 21. Mai 2012 abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass die von den Beklagten nach § 2 Abs. 2 OEG getroffene Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden sei, weil der Kläger die Strafanzeige vom 14. Oktober 2008 nicht mehr unverzüglich gestellt habe.
Gegen das ihm am 8. Juni 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, dem 9. Juli 2012, Berufung eingelegt. Er hat ausgeführt, dass die Strafanzeige unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls unverzüglich erfolgt sei.
In der mündlichen Verhandlung des Senats vom 21. Mai 2014 hat der Beklagte erklärt, dass er bereit sei, über den Antrag des Klägers vom 15. Oktober 2008, soweit dieser Antrag Versorgungsleistungen mit Ausnahme der Heilbehandlung betreffe, zu entscheiden. Er werde sich dabei nicht auf etwaige Bestandskraft des Bescheides vom 30. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2010 sowie auf mögliche Verjährung/Verwirkung berufen. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit mit Ausnahme des verfolgten Anspruchs auf Heilbehandlung übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Der Kläger beantragt nunmehr,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 21. Mai 2012 abzuändern und den Bescheid des Beklagten vom 30. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2010 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, den Kläger hinsichtlich des Anspruchs auf Heilbehandlung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise das Verfahren zur Nachholung weiterer Ermessenserwägungen auszusetzen.
Es hält den angefochtenen Bescheid im nur noch angegriffenen Umfang für rechtmäßig.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Die Berufung ist gemäß §§ 143 und 144 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft und wurde gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt. Die Berufungseinlegung am 9. Juli 2012 erfolgte insbesondere fristgemäß, da die Berufungsfrist von einem Monat nach ihrem Beginn mit der Zustellung des Urteils an die Klägerbevollmächtigten am 8. Juni 2012 erst am 9. Juli 2012 ablief, weil der letzte Tag der Monatsfrist nach der Zustellung, und zwar der 8. Juli 2012, ein Sonntag war. Es verlängerte sich die Frist nach § 64 Abs. 3 SGG auf den Ablauf des nächsten Werktags.
Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Der Kläger erstrebt hinsichtlich des begehrten Anspruchs auf Heilbehandlung im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage - hier in der Gestalt der Bescheidungsklage, vgl. § 131 Abs. 3 SGG - gemäß § 54 Abs. 1 SGG die Aufhebung der Versagung von Leistungen für die Heilbehandlung nach § 2 Abs. 2 OEG durch die Verwaltungsentscheidung des Beklagten und die gerichtliche Verpflichtung zur Neubescheidung hinsichtlich des Anspruchs auf Gewährung von Leistungen der Heilbehandlung unter Beachtung der Rechtsauffassung durch das Gericht. Die Verpflichtungsklage ist hier die richtige Klageart, da eine Ermessensentscheidung des Beklagten nach § 2 Abs. 2 OEG betroffen ist.
Die Berufung ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Potsdam ist unzutreffend, denn zu Unrecht hat es die Klage abgewiesen. Der Kläger hat darauf, dass die Beklagte ich hinsichtlich seines Anspruches auf Heilbehandlung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neubescheidet. Der Bescheid vom 30. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. November 2010 ist, soweit eine Versorgung nach § 2 Abs. 2 OEG hinsichtlich der Gewährung von Heilbehandlung versagt wurde, rechtswidrig und beschwert den Kläger nach § 54 Abs. 2 SGG, weil ein Ermessensfehler in der Form eines Ermessensfehlgebrauchs vorliegt.
Die Ermächtigungsgrundlage für die Versagung durch den Beklagten ist § 2 Abs. 2 OEG. Danach können Leistungen versagt werden, wenn der Geschädigte es unterlassen hat, das ihm Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung des Täters beizutragen, insbesondere unverzüglich Anzeige bei einer für die Strafverfolgung zuständigen Behörde zu erstatten.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Versagung nach der Ermächtigungsgrundlage in § 2 Abs. 2 OEG lagen vor, insoweit wird nach § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 21. Mai 2012 verwiesen und von einer erneuten Darstellung abgesehen, auch wenn im Urteil des Sozialgerichts die Voraussetzungen des Tatbestandes der Norm im Zusammenhang mit dem Ermessen geprüft wurden.
Der Beklagte übte das ihm von der Ermächtigungsgrundlage eingeräumte Ermessen fehlerhaft aus. Denn er hat hinsichtlich der Ablehnung von Leistungen der Heilbehandlung übersehen, dass der Zweck der Ermessensnorm eine Versagung in der Regel verbietet. Mit der Möglichkeit, Leistungen zu versagen, werden der Verwaltung Spielräume eröffnet, auf das Verhalten des Geschädigten einzuwirken. Sie kann flexibel auf die Bedeutung des Verhaltens des Geschädigten reagieren und hierbei die Auswirkungen seines Unterlassens berücksichtigen, insbesondere die finanziellen Einbußen, die der Verwaltung entstehen. Bei einem Geschädigten, der bei einer gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist, kommt im Regelfall die Versagung von Leistungen der Heilbehandlung nicht in Betracht (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 24. April 1991 – 9a/9 RVg 5/89 – juris). Hier würde die Versagung nicht den Geschädigten, sondern ausschließlich – über die Krankenversicherung – die Solidargemeinschaft der Krankenversicherung belasten. Der Geschädigte (Kläger) selbst hat keine Leistungseinschränkung zu befürchten, denn eine Versagung der Heilbehandlung durch die Krankenversicherung aufgrund der verzögerten Anzeigenerstattung ist nicht möglich, weil die insoweit anwendbaren Regelungen in §§ 65, 66 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) der gesetzlichen Krankenkasse keine realistische Möglichkeit eröffnen, den Geschädigten (Kläger) anzuhalten, unverzüglich eine Anzeige zu erstatten. Falls die gesetzliche Krankenkasse Leistungen versagen möchte, wäre eine vorherige schriftliche Belehrung erforderlich (vgl. § 66 Abs. 3 SGB I). Aufgrund des Zeitablaufs wäre es der Krankenkasse im Regelfall nicht möglich, eine unverzügliche Anzeigenerstattung des Geschädigten herbeizuführen, und eine Versagung oder Entziehung der Leistungen dürfte im Regelfall durch die Krankenkasse nicht möglich sein.
Die Regelungen über die pauschale Abgeltung der Erstattungsansprüche der Krankenkasse in § 20 Abs. 1 Satz 1 BVG (eingeführt mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten vom 21. Juli 1993 – BGBl. I 1993, S. 1261) können hier keine andere Bewertung des oben dargelegten Regelfalls begründen. Die Summe der pauschalen Erstattung ist zwar u.a. abhängig von der Anzahl der rentenberechtigten Beschädigten (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 3 BVG). Zwar mag aus der Sicht des Beklagten zum aktuellen Zeitpunkt ein Rentenanspruch des Klägers ausscheiden und damit auch die Höhe des Erstattungsanspruchs der Krankenkasse durch die Gewährung von Leistungen der Heilbehandlung durch den Beklagten nicht betroffen sein. Es kann aber unter diesem Gesichtspunkt eine korrekte Ermessensentscheidung nicht begründet werden, da die zukünftigen Entwicklungen des Krankheitsgeschehens nicht abzusehen sind. Falls es zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes käme, würde aufgrund der Entscheidung über die Versagung der Leistungen der Heilbehandlung eine Belastung der Solidargemeinschaft der Krankenversicherung entstehen.
Darüber hinaus ergibt sich aus der Regelung in § 18c Abs. 1 Satz 2 BVG, dass die Zuständigkeit des Beklagten für bestimmte Formen der Heilbehandlung gegeben ist, auch wenn die übrigen Leistungen von der Krankenkasse für den Beklagten erbracht werden (vgl. § 18c Abs. 1 Satz 3 BVG). Aus dem Bereich der Heilbehandlung, deren Umfang sich aus § 11 BVG ergibt, leistet der Beklagte in eigener Zuständigkeit, zum Beispiel die Versorgung mit Hilfsmitteln, Bewegungstherapien, Arbeitstherapien und Badekuren. Es kann hier offen bleiben, ob entsprechende Heilbehandlungen im konkreten Einzelfall in Betracht kommen, da die zukünftige Entwicklung des Krankheitsgeschehens nicht überblickt werden kann. Aber eine denkbare Belastung der Solidargemeinschaft der Krankenversicherung ist hinsichtlich dieser Leistungen nicht auszuschließen.
Ob im konkreten Einzelfall Gesichtspunkte vorliegen, die für eine Ausnahme von dem oben dargelegten Regelfall sprechen, dass bei einem gesetzlich krankenversicherten Geschädigten die Versagung der Heilbehandlung durch den Beklagten grundsätzlich ermessensfehlerhaft ist, wird der Beklagte im Rahmen der wiedereröffneten Ermessensentscheidung zu prüfen haben. Insoweit sowie hinsichtlich eventueller sonstiger Gesichtspunkte, die für eine Versagung sprechen könnten, wird er zu berücksichtigen haben, dass er immerhin in der Lage gewesen ist, trotz verspäteter Strafanzeige das Vorliegen einer Gesundheitsschädigung durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriff festzustellen, wie sich aus den Ausführungen im angegriffenen Bescheid vom 30. März 2010 ergibt.
Es lag kein Grund dafür vor, dem Hilfsantrag des Beklagten auf Aussetzung des Verfahrens zur Nachholung weiterer Ermessenserwägungen zu folgen. Nach § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag die Verhandlung zur Heilung von Verfahrens- und Formfehlern aussetzen, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist. Diese Voraussetzung liegen hier nicht vor, da eine Heilung eines Verfahrens- oder Formfehlers durch den Beklagten nach § 41 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht möglich ist, wenn ein materiell-rechtlicher Fehler vorliegt – wie hier ein Ermessensfehler (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. April 2002 – L 6 RA 82/00; juris und Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 114 Rn. 3d). Nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X ist eine Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften, die den Verwaltungsakt nach § 40 SGB X nicht nichtig machen, unbeachtlich, wenn die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird. Die Begründung kann bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozialgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (§ 41 Abs. 2 SGB X). Der Anwendungsbereich der Norm bezieht sich jedoch nur auf verfahrensrechtliche Fehler. Liegen materiell-rechtliche Fehler vor, die das Gericht zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes verpflichten, ist die Nachholung der Begründung ausgeschlossen. Hier liegt ein materiell-rechtlicher Fehler vor. Der Beklagte hat seinen Ermessensspielraum nicht in vollem Umfang ausgeschöpft, da er davon ausgegangen ist, dass er den Umstand der gesetzlichen Krankenversicherung des Klägers nicht zu beachten hat. Bei einem solchen Ermessensfehler liegt kein Fehler der Ermessensbegründung vor, sondern ein Mangel der Emerssensbetätigung. Ein solcher Mangel kann nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens behoben werden und eine Behebung im Klageverfahren ist unzulässig (vgl. Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 41 Rn. 11).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache. Der Senat sah im Rahmen seines Ermessens keine Anhaltspunkte für eine Kostenteilung. Insbesondere die teilweise Erledigung des Rechtsstreits in der mündlichen Verhandlung des Senats vom 21. Mai 2014 und die Konkretisierung des Klagebegehrens auf eine Neubescheidung hinsichtlich eines Anspruchs auf Heilbehandlung begründet keine Kostenteilung, da diese Erledigung auf die zum Teil unbestimmte Verfügung des Beklagten mit Bescheid vom 30. März 2010in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. November 2010 zurückzuführen ist. Aus dem Bescheid geht nicht eindeutig hervor, ob und welche konkreten weiteren Leistungen neben der Gewährung von Heilbehandlung versagt werden. Die Beteiligten einigten sich insoweit auf eine Neubescheidung. Insoweit liegt eine Veranlassung des Rechtsstreits durch den Beklagten vor, da die fehlende Bestimmtheit der Verfügung die Ursache für das gerichtliche Verfahren insoweit war.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.