Gericht | VG Cottbus 3. Kammer | Entscheidungsdatum | 30.01.2015 | |
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Aktenzeichen | 3 K 565/13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 18 Abs 1 SGB8AG BB 1, § 43 SGB 8 |
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Klägerin begehrt die Änderung einer ihr erteilten Erlaubnis zur Tagesbetreuung familienfremder Kinder.
Der Beklagte erteilte der Klägerin unter dem 1. September 2009 erstmals die Erlaubnis, eine selbstständige Tätigkeit als Kindertagespflegeperson auszuüben. Die Erlaubnis gestattete die Betreuung von bis zu drei familienfremden Kindern und galt ab dem 1. September 2009 bis zum 31. August 2014. Mit Bescheid vom 25. März 2010 wurde der Klägerin vom Beklagten die Erlaubnis zur Tagespflege für bis zu fünf Kinder mit Wirkung vom 1. April 2010 bis zum 31. August 2011 erteilt. Der Beklagte erließ am 6. Dezember 2011 einen weiteren Bescheid über die Erlaubnis zur Kindertagespflege, nach der die Klägerin ab dem 1. Januar 2012 befristet bis zum 31. Dezember 2016 bis zu vier Kinder betreuen darf.
Nachdem der Beklagte am 13. April 2013 (einem Sonnabend) anlässlich einer Weiterbildungsveranstaltung seitens der Klägerin Kenntnis davon erlangt hatte, dass sie aktuell fünf Kinder betreute, erfolgte am 17. April 2013 ein unangemeldeter Besuch von Mitarbeitern des Jugendamtes in der Kindertagespflegestelle. In diesem Rahmen gab die Klägerin an, dass eines der von ihr betreuten Kinder ursprünglich zum März 2013 in eine andere Kindertagespflegestelle habe wechseln sollen, was jedoch wegen deren Auslastung nicht möglich gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt habe sie den Platz bereits anderen Eltern zugesagt gehabt. Das fünfte Kind sei am 18. März 2013 aufgenommen worden.
Unter dem 18. April 2013 erging an die Klägerin eine Erlaubnisverfügung zur Kindertagespflege, die - wie der Bescheid vom 6. Dezember 2011 - die Erlaubnis für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2016 und für die Betreuung von bis zu vier Kindern aussprach. Weiter umfasste der Bescheid eine "Ergänzung": "Vom 15.04.2013 bis zum 30.08.2013 erhält Frau M. die zeitlich befristete Erlaubnis zur Betreuung von bis zu fünf familienfremden Kindern. Mit der Auflage, dass die Betreuung bei fünf gleichzeitig anwesenden Kindern in der unteren Etage des Einfamilienhauses stattfindet."
Die Klägerin wandte sich mit Schreiben vom 25. April 2013 an den Beklagten und führte aus, dass sie im Zeitraum vom 18. März 2013 bis 14. April 2013 zu keiner Zeit mehr als vier Kinder betreut habe. Erforderlich seien fünf gleichzeitig betreute Kinder. Zwischen Anmeldung und Betreuung bestehe ein Unterschied. Weiter bat sie um nachvollziehbare Begründung der Begrenzung der Erweiterung auf fünf Kinder bis 30. August 2013 und die Verpflichtung zur Betreuung in der unteren Etage. Insoweit erhob sie Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. April 2013.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2013 als unbegründet zurück. Die Frage, ob einer Kindertagespflegeperson die volle Anzahl der theoretisch denkbaren Betreuungsplätze nach § 43 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zugestanden werde oder ob die Höchstzahl niedriger bemessen werden müsse, könne wegen der Vielfalt der Lebensverhältnisse nicht pauschal beantwortet werden. Dies hänge von den Erfordernissen des Kindeswohls der zu betreuenden Kinder ab und von der individuellen Qualifikation, Eignung und Leistungsfähigkeit der Kindertagespflegeperson sowie von den zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten, wobei nicht nur deren Größe, sondern auch deren Lage, Ausstattung, mögliche Gefahrenquellen und andere Gesichtspunkte eine Rolle spielten. Die Erlaubnis sei zuletzt auf vier Kinder begrenzt worden, da zu berücksichtigende Brandschutzbestimmungen in der oberen Etage für die Betreuung von fünf Kindern nur unzureichend erfüllt seien. Im Brandfall werde als nicht gesichert angesehen, dass die Klägerin in der Lage sei, fünf Kinder gleichzeitig zu retten. Fluchtwege, wie ein zweiter Rettungsweg oder ein Balkon, seien in der oberen Etage des Wohnhauses nicht vorhanden. Um einen Betreuungsabbruch nach gerade erfolgter Eingewöhnung des fünften Kindes zu vermeiden, und auch im Interesse aller Tagespflegekinder sei die zeitlich befristete Erlaubnis zur Betreuung von bis zu fünf Kindern ab dem 15. April 2013 erteilt worden. Dies sei mit der Auflage zur Betreuung im Erdgeschoss verbunden worden, um die Sicherheit aller Tagespflegekinder im Brandfall gewährleisten zu können.
Die Klägerin hat am 26. Juni 2013 Klage erhoben. Sie führt aus, dass sie einen Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung für die Betreuung von bis zu fünf gleichzeitig anwesenden fremden Kindern habe. Zwar könne nach § 43 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII im Einzelfall auch eine Erlaubnis für eine geringere Zahl von Kindern erteilt werden. Dies sei jedoch besonders begründungsbedürftig. Dem habe der Beklagte nicht genügt. Es sei nicht nachvollziehbar, dass ihr eine Erlaubnis für die Betreuung von fünf Kindern versagt werde, habe sie doch in der Vergangenheit bereits eine solche erhalten, ohne dass insoweit Brandschutzprobleme angeführt worden seien oder sich an den baulichen Gegebenheiten Änderungen ergeben hätten. Es liege eine Ungleichbehandlung vor, da bei anderen Tagesmüttern für ein erstes Obergeschoss keine Einschränkungen bestünden. Auch solle sich der genehmigte Zeitraum nur um einen Monat verschieben. Zudem habe sie zu keinem Zeitpunkt fünf Kinder gleichzeitig betreut. Zu berücksichtigen sei ferner, dass die Eltern des als fünftes aufgenommenen Kindes für den Monat März 2013 Kita-Gebühren gezahlt hätten, sie ihre Betreuungsleistung jedoch umsonst erbringen solle.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 18. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2013 zu verpflichten, ihr für die Zeit vom 18. März 2013 bis 31. Juli 2013 die zeitlich befristete Erlaubnis zur Betreuung von bis zu fünf familienfremden Kindern zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er tritt der Klage unter Wiederholung und Vertiefung seiner Ausführungen im Widerspruchsbescheid entgegen.
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 4. November 2014 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen, wird auf die Gerichtsakte und den vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung.
Das Gericht konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend oder vertreten war, denn sie wurde unter Hinweis auf diese Möglichkeit ordnungsgemäß geladen (§ 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]).
Die Klage hat insgesamt keinen Erfolg.
Soweit die Klage auf die Erteilung einer Erlaubnis zur Betreuung von bis zu fünf familienfremden Kindern für den Zeitraum vom 15. April 2013 bis 31. Juli 2013 gerichtet ist, ist sie bereits unzulässig. Der Klägerin fehlt insoweit im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung das für jedes gerichtliche Rechtsschutzverfahren erforderliche Rechtsschutzinteresse (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, Vorb § 40 Rn. 30, 38). Das Rechtsschutzbedürfnis ist unter anderem dann zu verneinen, wenn der angestrebte Rechtsschutz die Rechtsstellung des Rechtsschutzsuchenden nicht verbessert, d.h. selbst bei Erfolg keinen Vorteil bringt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. August 1987 - BVerwG 4 N 3.86 -, BVerwGE 78, 85, juris Rn. 19; Ehlers in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Oktober 2014, vor § 40 Rn. 94). Dies ist hier der Fall. Für die Zeitspanne vom 15. April 2013 bis 31. Juli 2013 hat der Beklagte der Klägerin eine solche Genehmigung mit dem angefochtenen Bescheid vom 18. April 2013 bereits erteilt. Sofern sich die Klägerin gegen die über den 31. Juli 2013 hinaus ausgesprochene Erlaubnis wenden und in der Sache eine Verkürzung deren Geltungsdauer anstreben sollte, ist ein Rechtsschutzinteresse ebenfalls zu verneinen. Denn ein irgend gearteter rechtlicher Vorteil, der sich für die Klägerin hiermit verbinden würde, ist nicht zu erkennen oder vorgetragen worden. Sofern die Klägerin über den 31. Juli 2013 hinaus keinen Bedarf für eine solche Genehmigung gesehen haben sollte, stand es ihr frei, von der Erlaubnis schlicht keinen Gebrauch mehr zu machen.
Die Klage im Übrigen, d.h. soweit sie die Erteilung einer Betreuungserlaubnis für bis zu fünf familienfremde Kinder für den Zeitraum vom 18. März 2013 bis 14. April 2013 betrifft, ist zulässig. Insbesondere ist insoweit ein Rechtsschutzbedürfnis trotz des Umstandes, dass es sich um einen vollständig in der Vergangenheit liegenden Zeitraum handelt, angesichts der für die Klägerin daran anknüpfenden Vergütungsfragen nicht zu verneinen. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten für den Zeitraum vor dem 15. April 2013 keinen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis zur Kindertagespflege für die Betreuung von mehr als vier Kindern. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 18. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2013 ist daher rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Erteilung der hier in Rede stehenden Erlaubnis zur Kindertagespflege sind für den streitigen Zeitraum § 43 des Achten Buches Sozialgesetzbuch - Kinder und Jugendhilfe - (SGB VIII) in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I S. 2022) und § 18 des Ersten Gesetzes zur Ausführung des Achten Buches Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe (AGKJHG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 1997 (GVBl. I S. 87), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. September 2008 (GVBl. I S. 202). Nach § 43 Abs. 1 SGB VIII bedarf eine Person, die ein Kind oder mehrere Kinder außerhalb des Haushalts des Erziehungsberechtigten während eines Teils des Tages und mehr als 15 Stunden wöchentlich gegen Entgelt länger als drei Monate betreuen will, der Erlaubnis. Diese Erlaubnis wird gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 AGKJHG auf Antrag der Tagespflegeperson, die wöchentlich mehr als 15 Stunden Kindertagespflege gegen Entgelt anbieten will, vom Jugendamt des örtlichen Trägers der Jugendhilfe für bis zu fünf Betreuungsplätze erteilt, in der die Höchstzahl der Tagespflegeplätze anzugeben ist (§ 18 Abs. 1 Satz 2 AGKJHG).
§ 43 SGB VIII regelt - ähnlich wie bei der Vollzeitpflege nach § 44 SGB VIII und der Betriebserlaubnis für Einrichtungen gemäß § 45 SGB VIII - zwecks Mindeststandardsicherung einen präventiven Erlaubnisvorbehalt für die öffentlich oder privat finanzierte Tagespflege des Kindes außerhalb seines elterlichen Haushalts (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25. Februar 2013 - 12 A 56/13 -, juris Rn. 3; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. September 2008 - 12 B 1224/08 -, juris Rn. 2; Lakies in FK-SGB VIII, 7. Aufl. 2013, Vor § 43-49 Rn. 5, § 43 Rn. 3; Mann in Schellhorn/Fischer/Mann/Kern, SGB VIII, 4. Aufl. 2012, § 43 Rn. 1, 4; Nonninger in LPK-SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 43 Rn. 1 und 2, § 43 Rn. 3). Dieser Erlaubnisvorbehalt soll gewährleisten, dass die betroffenen Kinder nur bei geeigneten Tagespflegepersonen betreut werden. Die Regelung beruht - wie auch die §§ 44 und 45 SGB VIII - auf dem Grundgedanken, dass es besonderer Schutzvorkehrungen bedarf, wenn Kinder über längere Zeit außerhalb des Elternhauses untergebracht und betreut werden (vgl. Mörsberger in Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 45 Rn. 1). Der präventive Charakter wird auch schon im Wortlaut der Norm deutlich. Aus der Formulierung des § 43 Abs. 1 SGB VIII "wer … betreuen will" wird die Vorgabe des Gesetzgebers erkennbar, dass die Pflegeerlaubnis vor dem Beginn der Tagespflege einzuholen ist (vgl. Lakies in FK-SGB VIII, § 43 Rn. 11). Flankiert wird dies durch § 104 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII, der die Betreuung eines Kindes ohne Erlaubnis nach § 43 Abs. 1 SGB VIII als bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit normiert. Diese ausgeprägte präventive Zielrichtung der Vorschrift schließt es aus, dass für Zeiträume, die vor der Antragstellung beim örtlichen Jugendhilfeträger als frühest möglichem Moment einer effektiven Kontrolle der Eignung der Tagespflegeperson und der für die Betreuung vorgesehenen Räumlichkeiten liegen, rückwirkend eine Tagespflegeerlaubnis erteilt werden kann. Es würde den Schutzzwecken der Vorschrift prinzipiell zu wider laufen, wenn eine eigenmächtige, verbotswidrige Aufnahme der Betreuung oder Ausweitung der Betreuungskapazität über einen mit früherer bestandskräftiger Erlaubnis vorgegebenen Umfang hinaus nachträglich durch den Jugendhilfeträger zu billigen wäre.
Vorliegend hat die Klägerin, die über das Erfordernis einer vorangegangenen Erlaubnis zweifelsfrei in Kenntnis war, wie ihre verschiedenen Anträge aus früheren Jahren erkennen lassen, ab dem 18. März 2015 (jedenfalls tageweise) ein weiteres, fünftes Kind aufgrund eines Betreuungsvertrages in ihre Betreuung genommen (die Anwesenheit der Eltern in der Eingewöhnungsphase rechtfertigt es nicht, das betreffende Kind unberücksichtigt zu lassen), obwohl dies die bestandskräftigen Festlegung im Bescheid vom 6. Dezember 2011 überstieg und ohne eine Änderung dieser Verfügung vor Beginn des weiteren Betreuungsverhältnisses beim Beklagten entsprechend § 18 Abs. 1 Satz 1 AGKJHG beantragt zu haben. Da nicht ansatzweise erkennbar ist, dass der Klägerin eine frühere Antragstellung nicht möglich gewesen wäre, besteht kein Anlass der Frage nachzugehen, ob dies eine Ausnahmekonstellationen begründen könnte, die eine rückwirkende Erlaubniserteilung für Zeiträume vor einer Antragstellung eröffnete.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.