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Kosten der Unterkunft und Heizung; Zusicherung zum Umzug; Bindungswirkung einer Zusicherung; objektive Rechtswidrigkeit


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 18. Senat Entscheidungsdatum 22.12.2010
Aktenzeichen L 18 AS 2041/09 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 22 Abs 1 S 1 SGB 2, § 22 Abs 2 SGB 2, § 22 Abs 2a SGB 2, § 34 SGB 10

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 2. November 2009 geändert.

Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 21. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2007 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 20. August 2007 bis 30. September 2008 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 292,59 € zu gewähren.

Der Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesamten Verfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist noch die Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung iHv 292,59 € monatlich für die Zeit vom 20. August 2007 bis 30. September 2008.

Die 1985 geborene Klägerin begann am 1. August 2007 eine Ausbildung zur Friseurin in Berlin, nachdem sie zuvor von August 2005 bis Juli 2007 eine Ausbildung zur Kosmetikerin absolviert hatte. Am 15. August 2007 bezog die zuvor in T (Brandenburg) wohnhafte Klägerin die Wohnung Astraße in B, in der sie bis 30. September 2008 lebte. Der Mietzins dieser von weiteren drei Mietern genutzten Unterkunft belief sich auf monatlich 899,76 € nettokalt zzgl. kalter Betriebskosten iHv monatlich 158,70 € und Warmwasser– und Heizungskosten iHv monatlich 138,- € (Gesamtmiete = 1.196,46 € monatlich).

Die Klägerin hatte von dem vor ihrem Umzug nach Berlin zuständigen Träger, dem Landkreis Oder-Spree (im Folgenden: LOS), in dessen Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) sie gestanden hatte, unter dem 28. August 2007 eine schriftliche „Zustimmung zum Umzug“ von T nach B „gemäß § 22 SGB II“ erhalten. Der Beklagte hatte der Klägerin bereits mit Schreiben vom 16. August 2007 mitgeteilt, dass die - bezifferten - Kosten der Wohnung Astraße in B in Höhe des Anteils der Klägerin für eine Person „angemessen“ iSv § 22 SGB II seien und übernommen werden würden, und zwar vorbehaltlich der Zustimmung zum Umzug, über die allein der bisher zuständige Träger entscheide.

Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 21. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2007 den am 13. August 2008 gestellten Antrag der Klägerin auf SGB II-Leistungen ab mit der Begründung, dass die Klägerin dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II unterliege. Auch ein Zuschuss zu den ungedeckten Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) nach § 22 Abs. 7 SGB II komme nicht in Betracht, da die Klägerin keine Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) bzw. keine Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) beziehe.

Das Sozialgericht (SG) Cottbus hat die zuletzt auf Gewährung von KdU-Leistungen für die Zeit ab 20. August 2007, hilfsweise auf Bewilligung eines Zuschusses nach § 22 Abs. 7 SGB II, gerichtete Klage mit Gerichtsbescheid vom 2. November 2009 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: die Klage sei nicht begründet. KdU-Leistungen nach dem SGB II seien der Klägerin nicht zu gewähren, da der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II zum Tragen komme. Die betriebliche Zweitausbildung sei nur wegen individueller Versagungsgründe nicht nach dem BAföG förderungsfähig. Ein Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II komme mangels BAB-Bezugs nicht in Betracht. An die Zusicherung des LOS sei der Beklagte nicht gebunden, weil die Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen nicht gegeben seien.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren noch insofern weiter, als sie KdU-Leistungen iHv 292,59 € monatlich für die Zeit vom 20. August 2007 bis 30. September 2008 (Auszug aus der Wohnung Astraße in B) geltend macht (vgl Schriftsatz vom 17. Dezember 2010 auf das gerichtliche Schreiben vom 21. September 2010). Sie trägt vor: sie habe einen Anspruch auf die genannten KdU-Leistungen schon aufgrund der entsprechenden Zusicherung des LOS. Die KdU seien auch angemessen. Selbst wenn die Zusicherung des LOS entgegen der objektiven Rechtslage erteilt worden wäre, würde sie den Beklagten binden. Sie habe auf die Zusicherung auch vertraut und die entsprechende Wohnung in Berlin angemietet.

Die Klägerin beantragt noch,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 2. November 2009 zu ändern und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 21. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2007 zu verurteilen, ihr Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe eines monatlichen Betrages von 292,59 € für die Zeit vom 20. August 2007 bis 30. September 2008 zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Leistungsakte des LOS, die Arbeitslosengeld II-Akte des Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin, mit der diese zuletzt noch ihre auf Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von KdU-Leistungen iHv 292,59 € für die Zeit vom 20. August 2007 bis 30. September 2008 gerichtete und statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl § 54 Abs. 4 SGG) weiter verfolgt hat, ist begründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf KdU-Leistungen gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II iHv 292,59 € für den streitigen Zeitraum, und zwar auf der Grundlage der Schreibens des LOS vom 28. August 2007 und des Beklagten vom 16. August 2007. Die entsprechenden Schreiben stellen eine förmliche Zusicherung iS des § 34 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) dar. Nach der genannten Vorschrift ist eine Zusicherung die von der zuständigen Behörde erteilte – schriftliche - Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen. Die Zusicherung hat die Aufgabe, dem Adressaten über das künftige Verhalten der Verwaltungsbehörde bei Erlass des Verwaltungsakts Gewissheit zu verschaffen (vgl BSG SozR 3-1300 § 34 Nr 2). Auch eine Zusicherung ist Verwaltungsakt nach § 31 SGB X (vgl BSG, Urteil vom 11. September 2001 – B 2 U 39/00 R – juris – mwN).

Der LOS war in entsprechender Anwendung von § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II der „zuständige“ Träger für die hier nach § 22 Abs. 2a SGB II abgegebene Zusicherung, obwohl zuständige Behörde für den späteren Verwaltungsakt der Beklagte war. § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X wird insoweit spezialgesetzlich modifiziert (vgl hierzu Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 22 Rn 69a, 80f). Die vom LOS erteilte schriftliche Zusicherung stellt einen Verwaltungsakt des Inhalts dar, dass der zukünftig zuständige kommunale Träger, hier der Beklagte, die KdU-Aufwendungen, die durch den Umzug ausgelöst wurden, übernimmt (vgl Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 22 Rn 80i). Die Zusicherung bildet – anders als im Rahmen von § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II (vgl BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 2) - eine Anspruchsvoraussetzung für die Übernahme der KdU. Ausweislich des objektiven Regelungsgehalts des Schreibens des Beklagten vom 16. August 2007 hatte dieser der Klägerin zudem zugesichert, die als angemessen eingestuften und sogar bezifferten KdU für die Wohnung in B bei Erteilung einer Zustimmungserklärung des bisherigen Trägers zu übernehmen („würde vom JobCenter…. übernommen werden“). Auch aus den unmissverständlichen Hinweisen des Beklagten, dass die Klägerin bei Erteilung der Zustimmung des bisherigen Trägers darauf achten solle, keinen Mietvertrag mit einer höheren Miete bzw keinen Staffelmietvertrag abzuschließen, durfte die Klägerin ohne weiteres entnehmen, dass die Übernahme der KdU - nur - noch von der Zusicherung des LOS nach § 22 Abs. 2a SGB II abhängt. Ob die Zusicherungen der Beklagten und des LOS objektiv rechtswidrig waren, ändert nichts an ihrer Bindungswirkung. Nichtigkeitsgründe iSv § 40 SGB X liegen ersichtlich nicht vor. Insbesondere ist die Zusicherung des LOS nicht schon deshalb als nichtig anzusehen, weil der LOS – wie vom Beklagten behauptet – den Beklagten nicht nach § 22 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 SGB II beteiligt hätte (vgl § 40 Abs. 3 Nr. 4 SGB X). Auch ein Entfallen der Bindungswirkung nach Maßgabe von § 34 Abs. 3 SGB X scheidet vorliegend aus. Denn eine nachträgliche, dh nach Abgabe der Zusicherungen eingetretene Änderung der Sach- und Rechtslage dergestalt, dass der LOS bzw der Beklagte in Kenntnis dieser Umstände die Zusicherung nicht abgegeben hätten oder aus rechtlichen Gründen nicht hätten abgeben dürfen, ist nicht ersichtlich. Vielmehr hatte die Klägerin ihre – nach Auffassung des Beklagten zum Leistungsausschluss führende – Berufsausbildung zur Friseurin bereits am 1. August 2007 begonnen. Auch stand die Klägerin von Anfang ihrer Ausbildung an nicht im Bezug von BAB. Eine irrtümlich abgegebene Zusicherung wird aber nicht allein wegen des Irrtums von § 34 Abs. 3 SGB X erfasst, wenn keine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage eingetreten ist (vgl Krasney, KassKomm, SGB X, § 34 SGB X, 65. EL 2010, Rn 8; Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 34 Rn 15). Der LOS und der Beklagte haben ihre Zusicherungen auch nicht förmlich zurückgenommen oder widerrufen oder unter den Vorbehalt gestellt, dass die Leistungsvoraussetzungen nach dem SGB II auch im Übrigen vorliegen müssen (vgl für einen derartigen Fall: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. April 2007 – L 5 B 425/07 AS ER – juris).

Die Zusicherung des Beklagten vom 16. August 2007, die letztlich als „Mietübernahmegarantie“ vorbehaltlich der Zustimmung des bisherigen Trägers zum Umzug anzusehen ist, umfasst auch (anteilig) die von der Klägerin zuletzt geltend gemachten KdU iHv 292,59 € (299,12 € abzüglich Warmwasserpauschale iHv 6,53 €; vgl auch Berechnung des Beklagten Bl. 38 der Verwaltungsakte), die im Übrigen auch als angemessen iSv § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzusehen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger sein Begehren im Lauf des Klage- und Berufungsverfahrens begrenzt hat.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.