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Türkin; Aufenthaltserlaubnis zum ehelichen Zusammenleben; Kurzehe; Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis; inzidente Prüfung eines anderweitigen Aufenthaltsrechts; Notwendigkeit der Geltendmachung eines anderweitigen Aufenthaltsrechts; eigenständiges Aufenthaltsrecht wegen besonderer Härte; angebliche häusliche Gewalt; Relevanz der Auflösung der ehelichen Gemeinschaft durch den Ehegatten


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat Entscheidungsdatum 02.11.2012
Aktenzeichen OVG 11 S 66.12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 7 Abs 2 S 2 AufenthG, § 31 Abs 1 AufenthG, § 31 Abs 2 AufenthG, § 80 Abs 5 VwGO, § 146 Abs 4 S 3 VwGO, § 146 Abs 4 S 6 VwGO

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. September 2012 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die türkische Antragstellerin reiste nach Eheschließung mit einem mit Niederlassungserlaubnis in Kassel lebenden türkischen Staatsangehörigen im November 2010 erstmals Mitte September 2011 nach Deutschland ein, wo ihr am 25. November 2011 durch die Ausländerbehörde der Stadt Kassel eine bis zum 25. Oktober 2013 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG zum Ehegattennachzug erteilt wurde. Während eines Aufenthalts in der Türkei beantragte die Antragstellerin am 12. April 2012 unter Hinweis auf den Verlust ihres Passes, ihre Ehe in Deutschland und den vorgesehenen Aufenthalt in der ehelichen Wohnung in Kassel beim deutschen Generalkonsulat in Istanbul ein Visum zur Wiedereinreise. Nach dessen Erhalt und Wiedereinreise wenige Tage später wurde die Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug seitens des Antragsgegners am 14. Mai 2012 in ihren neuen Pass übertragen.

Auf die Mitteilung der Stadt Kassel, dass sie nach Berlin verzogen sei, hörte der Antragsgegner sie mit Schreiben vom 22. Mai 2012 zur beabsichtigten nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer ihrer Aufenthaltserlaubnis wegen Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft an. Nachdem diesbezüglich keine Stellungnahme der Antragstellerin erfolgt war - abgegeben wurde Mitte Juni lediglich ein befristeter Arbeitsvertrag über die nunmehrige Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung in Berlin -, verkürzte der Antragsgegner die Geltungsdauer ihrer Aufenthaltserlaubnis unter Anordnung sofortiger Vollziehung durch Bescheid vom 13. Juli 2012 auf den Tag der Zustellung des Bescheides und drohte ihr die Abschiebung an.

Hiergegen hat die Antragstellerin am 13. August 2012 Klage erhoben (VG 11 K 388.12), mit der sie die Aufhebung dieses Bescheides sowie die Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß §§ 31, 25 und 18 AufenthG begehrt. Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage hat das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 20. September 2012 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Bescheid sei offensichtlich rechtmäßig. Rechtsgrundlage der nachträglichen Verkürzung der Aufenthaltserlaubnis sei § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Dessen tatbestandliche Voraussetzung, d.h. die Fortdauer der ehelichen Lebensgemeinschaft, sei unstreitig entfallen. Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG habe die Antragstellerin angesichts der höchstens sechs Monate bestehenden ehelichen Lebensgemeinschaft nicht erworben. Das Vorliegen einer besonderen Härte im Sinne des § 31 Abs. 2 AufenthG sei hinsichtlich der 2. Alternative angesichts der Auflösung der Ehegemeinschaft durch den Ehegatten nicht gegeben und hinsichtlich der 1. Alternative mangels ehebezogener Rückkehrgefahren bzw. Glaubhaftmachung nicht ersichtlich. Ansprüche nach § 25 AufenthG bestünden nicht oder seien nicht glaubhaft gemacht. Die Voraussetzungen der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 18 AufenthG lägen nicht vor. Ermessensfehler seien auch angesichts ihres bisher nicht verfestigten Aufenthalts in Deutschland nicht ersichtlich.

II.

Die am 8. Oktober 2012 erhobene und gleichzeitig auch begründete Beschwerde gegen den am 25. September 2012 zugestellten verwaltungsgerichtlichen Beschluss hat auf der Grundlage des nach § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO allein maßgeblichen Beschwerdevorbringens keinen Erfolg.

Die Antragstellerin macht insoweit im Wesentlichen geltend, ihr stehe zur Vermeidung einer besonderen Härte ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 2 AufenthG zu. Das Verwaltungsgericht verkenne, dass die Voraussetzungen der 2. Alternative des Satzes 2 dieser Regelung ausweislich eines Beschlusses des 2. Senates des OVG Berlin-Brandenburg vom 7. Juli 2011 zu OVG 2 S 63.11/OVG 2 M 38.11 nicht davon abhingen, wer die Trennung herbeigeführt habe, sondern bereits dann vorlägen, wenn das Festhalten an der Ehe objektiv nicht mehr zumutbar sei. Diesbezüglich werde auf ihre eidesstattliche Versicherung im erstinstanzlichen Verfahren verwiesen, wonach sie Opfer häuslicher Gewalt sei. Zudem sei aber entgegen verwaltungsgerichtlicher Auffassung auch die 1. Alternative des § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG einschlägig, da sie bei einer Rückkehr Misshandlungen ihres Bruders befürchten müsse und als alleinstehende Frau auch keine Arbeit zur Sicherung des Existenzminimums finden würde. Schließlich ergebe sich ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aber auch aus § 25 Abs. 3 AufenthG. Insoweit werde auf ein - erstinstanzlich vorgelegtes - ärztliches Attest und die ihr in der Türkei nicht mögliche Existenzsicherung verwiesen.

Dieses Vorbringen rechtfertigt jedenfalls im Ergebnis keine Änderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.

Mit den Ausführungen im verwaltungsgerichtlichen Beschluss (S. 2 Mitte des Beschlussabdrucks) zum Vorliegen der Voraussetzungen der Verkürzung der Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, d.h. dem Wegfall des Erteilungszwecks nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft, und zur Ermessensfehlerfreiheit der Entscheidung des Antragsgegners über die Verkürzung der Aufenthaltserlaubnis (S. 6 oben des Beschlussabdrucks) setzt sich die Beschwerde entgegen § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO schon nicht auseinander.

Soweit sich die Antragstellerin gegen die Ausführungen im verwaltungsgerichtlichen Beschluss zum Nichtbestehen eines eigenständigen Aufenthaltsrechts nach § 31 Abs. 2 AufenthG bzw. eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 AufenthG wendet, kommt es hierauf im vorliegenden Verfahren nicht an. Denn der Verkürzung der - ausweislich des Tenors des streitgegenständlichen Bescheides vorliegend allein verfügten - Geltungsdauer einer zum Zweck des Ehegattennachzugs erteilten Aufenthaltserlaubnis steht es nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 1. Januar 2005 nicht entgegen, dass ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis zu einem anderen Zweck besteht. Dementsprechend ist ein solcher Anspruch auch nicht inzident im Rahmen der Entscheidung über die Verkürzung der bisherigen Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu prüfen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2009 - 1 C 11/08 -, juris Rz. 13 f. und Beschluss vom 15. Oktober 2009 - 1 B 3/09 -, juris Rz. 6). Das liegt darin begründet, dass dieses Gesetz die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur für einen bestimmten Aufenthaltszweck und hierbei unterschiedliche Rechtsfolgen, etwa hinsichtlich der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder der Verfestigung des Aufenthalts, vorsieht (sogen. Trennungsprinzip). Dementsprechend handelt es sich bei den unterschiedlichen Arten von Aufenthaltserlaubnissen um jeweils eigenständige Regelungsgegenstände. Das gilt auch im Verhältnis der „eigenständigen Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten nach § 31 AufenthG im Verhältnis zur akzessorischen Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 oder § 30 AufenthG, weil auch insoweit z.B. unterschiedliche Verlängerungsbedingungen gelten“ (BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2009, a.a.O., Rz. 13).

Zwar ist nach dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zugleich mit der Verkürzungsverfügung über die Erteilung einer anderen Aufenthaltserlaubnis zu entscheiden. Das setzt allerdings voraus, dass ein solches Begehren zumindest hilfsweise bei der hierüber entscheidungsbefugten Behörde geltend gemacht worden ist, wobei der entsprechende Antrag regelmäßig in dem Vorbringen im Rahmen der Anhörung zu der beabsichtigten Fristverkürzung nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gesehen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2009, a.a.O., Rz. 14). Vorliegend hat die Antragstellerin ein solches Begehren gegenüber dem Antragsgegner jedoch überhaupt nicht, auch nicht hilfsweise etwa im Rahmen der Anhörung zum streitgegenständlichen Bescheid, geltend gemacht. Denn sie hat im Anhörungsverfahren keinerlei Stellungnahme abgegeben oder gar ein anderweitiges Aufenthaltsbegehren vorgebracht, sondern Mitte Juni - ohne jegliches Begleitschreiben oder Darlegung des Vorlagezwecks - lediglich einen befristeten Arbeitsvertrag vom 5. Juni 2012 über die nunmehrige Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung in Berlin abgegeben. Mithin kann diese Vorlage nur als Reaktion auf den Hinweis im Anhörungsschreiben verstanden werden, „durch entsprechende Nachweise (Arbeitsbescheinigungen, Lohnabrechnungen etc.) zu belegen“, ob sie in den Genuss der Vergünstigungen für türkische Arbeitnehmer gemäß dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 (ARB 1/80) kommen könne. Einen Anspruch nach dem ARB 1/80, für den auch nichts ersichtlich ist, hat die Antragstellerin jedoch jedenfalls weder im Klage- noch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren geltend gemacht. Ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG oder § 25 Abs. 3 AufenthG ergibt sich daraus nicht.

Dass der Antragsgegner im angegriffenen Bescheid im Rahmen seiner Ermessenserwägungen auch Ausführungen dazu gemacht hat, dass ein eigenständiges Aufenthaltsrecht gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im Hinblick auf die nur ca. siebenmonatige eheliche Lebensgemeinschaft nicht bestehen könne, für das Vorliegen einer besonderen Härte gemäß § 31 Abs. 2 AufenthG weder etwas vorgetragen noch ersichtlich sei und sie einen Anspruch nach dem ARB 1/80 wegen ihres nur sehr kurzen Aufenthalts nicht erworben haben könne, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn ausweislich des Tenors des Bescheids hat der Antragsgegner lediglich die nachträgliche Verkürzung der - zum Ehegattennachzug erteilten - Aufenthaltserlaubnis verfügt und nicht etwa ein anderweitiges Aufenthaltsbegehren abgelehnt. Hierzu bestand mangels entsprechender Antragstellung oder jedenfalls eines entsprechenden hilfsweise geltend gemachten Begehrens auf Erteilung einer anderen Aufenthaltserlaubnis auch keinerlei Veranlassung.

Nach alledem kommt es im vorliegenden Verfahren nicht darauf an und kann deshalb offenbleiben, ob der Antragstellerin entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ein anderweitiges Aufenthaltsrecht zusteht und insbesondere ihr Vorbringen, ihr stehe als Opfer häuslicher Gewalt ein Anspruch auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG zu, angesichts fehlenden Vortrags insoweit im Visums- und im Anhörungsverfahren sowie fehlender Strafanzeigen bzw. sonstiger Belege allein durch die eidesstattliche Versicherung vom 11. August 2012 hinreichend glaubhaft gemacht ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).