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VersMedV - GdB - Bemessung


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat Entscheidungsdatum 06.09.2012
Aktenzeichen L 13 SB 91/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 69 SGB 9

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. April 2012 aufgehoben.

Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 9. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2009 verpflichtet, ab dem 23. April 2008 zugunsten des Klägers einen GdB von 50 festzustellen.

Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens in vollem Umfang zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Zuerkennung eines höheren Grades der Behinderung (GdB).

Der im Jahre 1958 geborene Kläger erhielt durch bestandskräftigen Bescheid des Beklagten vom 18. Oktober 2006 zunächst einen GdB von 20 zuerkannt. Am 23. April 2008 beantragte er bei dem Beklagten die Neufeststellung seines GdB. Nach Durchführung medizinischer Ermittlungen erteilte der Beklagte dem Kläger am 9. Februar 2009 einen Bescheid, in dem er den GdB auf 30 erhöhte. Hierbei stellte der Beklagte eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule; Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule (intern mit einem GdB von 30 bewertet), eine Herzleistungsminderung; coronare Herzkrankheit (Durchblutungsstörung des Herzens); Coronardilatation/Stent; Bluthochdruck (intern mit einem GdB von 20 bewertet), eine chronische Magenschleimhautentzündung, eine Depression und eine Funktionsbehinderung des Hüftgelenkes beiderseits fest, wobei die letztgenannten drei Funktionsbeeinträchtigungen jeweils mit einem GdB von 10 intern bewertet wurden. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2009 mit der Begründung zurück, der festgestellte GdB sei zutreffend.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin hat das Sozialgericht unter anderem ein Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H vom 8. Februar 2011 nebst ergänzender Stellungnahme vom 27. Mai 2011 eingeholt. Darin gelangte die Sachverständige zu der Einschätzung, bei dem Kläger lägen eine Funktionsbehinderung der Hals- und Lendenwirbelsäule mit Nervenwurzelreizung, eine coronare Herzkrankheit, ein Bluthochdruck, eine Dysthymie, eine Funktionsbehinderung des Hüftgelenks beidseits und eine chronische Gastritis vor. Die Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule sei mit einem Einzel-GdB von 30 und die Coronare Herzkrankheit mit einem Einzel-GdB von 20, die übrigen Funktionsbeeinträchtigungen jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Insgesamt belaufe sich der GdB auf den Wert von 30. Es bestehe keine besonders schwere Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule und/ oder kein außergewöhnliches Schmerzsyndrom.

Der Kläger hat demgegenüber ein Attest seines behandelnden Hausarztes Dr. M zu den Akten gereicht. Darin rügt der behandelnde Arzt, die Sachverständige Dr. H habe zwar zutreffende Befunde erhoben, diese jedoch im Hinblick auf den GdB unzutreffend bewertet. Dem Widerspruch zwischen den einzelnen Abschnitten des Gutachtens entspreche dann eine sehr geringe Wertung der Schmerzstörung mit einem GdB von 30. Der Kläger sei auch wegen der Schmerzstörung bei dem behandelnden Arzt in Behandlung.

Mit Gerichtsbescheid vom 16. April 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Der GdB von 30 sei zutreffend bemessen, die Zuerkennung eines höheren GdB kommen nicht in Betracht.

Mit seiner Berufung zum Landessozialgericht verfolgt der Kläger sein Ziel weiter. Darin macht er geltend, der Kläger habe aktuell einen schweren Leistenbruch und eine Lungenentzündung erlitten, es sei zu einer wesentlichen Verschlimmerung seiner Beeinträchtigungen gekommen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. April 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 9. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2009 zu verpflichten, bei ihm ab dem 23. April 2008 einen GdB von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten, welche im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sie ist auch begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. April 2012 war aufzuheben, denn das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Beklagte war vielmehr zu verpflichten, für den Kläger ab Antragstellung am 23. April 2008 einen GdB von 50 festzustellen.

Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch/ Neuntes Buch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Grad der Behinderung (GdB) nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.

Diese Grundsätze führen vorliegend dazu, dass der GdB des Klägers ab Antragstellung bereits mit einem Wert von 50 zu bemessen ist. Bei dem Kläger sind zwei Komplexe von Funktionsbeeinträchtigungen festzustellen, die jeweils zunächst festzustellen und einzeln zu bewerten sind. So leidet er zunächst an mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten, die mit einem für sich genommenen GdB von 40 zu bewerten sind. Die Tatsache, dass der Kläger an solchen mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten leidet, ergibt sich aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens, § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, insbesondere auch aus dem Sachverständigengutachten der Dr. H, die diese funktionellen Beeinträchtigungen zweifelsfrei bestätigt hat. Zur Überzeugung des Senats ist hierbei auch eine Bewertung mit einem GdB von 40 anzusetzen. Nach B 18.9 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) sind Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen Beschweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten. Zur Überzeugung des Senats bewegen sich vorliegend die funktionellen Auswirkungen in dessen bereits am oberen Rand dieser Einschätzung, auch wenn die Sachverständige Dr. H diesen Schluss im Ergebnis nicht gezogen hat. Aus den tatsächlichen Feststellungen der Sachverständigen ergeben sich jedoch mit zwingender Deutlichkeit die Grundlagen, aus denen zur Überzeugung des Senats die Schlussfolgerung gezogen werden muss, dass sich die Funktionsbeeinträchtigungen bereits am oben Rand des nach B 18.9 gezogenen Bewertungsrahmens der VersMedV bewegen. Dies hat insbesondere auch der behandelnde Arzt Dr. M in seinem Attest überzeugend verdeutlicht, in dem er auch darauf hingewiesen hat, dass der Kläger in einer laufenden Schmerzbehandlung durch diesen behandelnden Arzt steht. Auch die Sachverständige Dr. Hhat das Vorliegen von erheblichen Schmerzen bei dem Kläger bestätigt, wodurch sich zwingend die Einschätzung von Funktionsbeeinträchtigungen am oberen Rande des vorgegebenen Bewertungsrahmens ergeben.

Darüber hinaus leidet der Kläger, was nach den medizinischen Feststellungen, dem Gesamtergebnis des Verfahrens nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG und auch der Einschätzung des Beklagten selbst fest steht, an einer coronaren Herzkrankheit, die mit einem GdB von 20 zu bewerten ist. Aus diesen beiden einzelnen Behinderungen, die für sich genommen jeweils mit einem GdB von 40 bzw. von 20 zu bewerten wären, war vorliegend insgesamt der GdB von 50 zu bilden. Die Einzelheiten für die Bildung des Gesamt-GdB werden in A 3. VersMedV umschrieben. Nach A 3 c ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.

Vorliegend war von der Funktionsbeeinträchtigung im Bereich der Wirbelsäule auszugehen, weil diese den höchsten Einzel-GdB – nämlich einen GdB von 40, bedingt. Im Hinblick auf die weitere bestehende Funktionsbeeinträchtigung, nämlich die coronare Herzkrankheit, war zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wurde, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigung der coronaren Herzkrankheit dem GdB von 40 ein Wert von 10 oder mehr Punkten hinzuzufügen waren.

Diese Grundsätze ergaben, dass vorliegend unter besonderer Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles dem Ausgangswert von 40 ein weiterer Wert von 10 zuzugeben war. Diese Prüfung hat vorliegend ergeben, dass sich durch die coronare Herzkrankheit ausgelöste Funktionsbeeinträchtigung erhöhend auf den GdB auswirkt, weil sich beide Funktionsbeeinträchtigungen wechselseitig verstärken. Die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule und die Funktionsbeeinträchtigungen, die durch das Herzleiden ausgelöst werden, wirken sich in verschiedenen Bereichen der Teilhabe verstärkend aus. Zwar ist nach A 3. d) ee) letzter Satz VersMedV auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Dem steht aber vorliegend entgegen, dass in diesem Einzelfall sehr wohl eine erhebliche Verstärkung der beiden Funktionsbeeinträchtigungskomplexe wechselseitig festzustellen war. Dies gilbt insbesondere auch im Hinblick auf die Mobilität des Klägers und seine sonstige aktive Teilnahmemöglichkeit am sozialen Leben, die durch das sehr schmerzhafte Wirbelsäulenleiden und das Herzleiden gleichermaßen steigernd beeinträchtigt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nicht ersichtlich sind.