Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 25.03.2013 | |
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Aktenzeichen | OVG 1 S 104.12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 162 Abs 2 S 2 VwGO, § 10 Abs 2 S 1 VereinsG, § 4 VereinsGDV |
1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten es in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben (Asservatenliste Nr. 1 bis 6, 8 bis 88 und 90 zum Durchsuchungs-/Sicherstellungsprotokoll vom 19. Juni 2012); insoweit ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Juli 2012 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung wirkungslos geworden.
2. Hinsichtlich der einseitig gebliebenen Erledigungserklärung des Antragstellers vom 24. Februar 2013 (Asservatenliste Nr. 91) wird festgestellt, dass Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist; auch insoweit ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Juli 2012 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung wirkungslos geworden.
3. Im Übrigen (Asservatenliste Nr. 7 und 89) wird der vorgenannte Beschluss geändert und die aufschiebende Wirkung der vor dem Verwaltungsgericht Potsdam am 20. Juni 2012 erhobenen Klage - VG 3 K 1341/12 - gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 19. Juni 2012 angeordnet.
4. Dem Antragsgegner wird aufgegeben, die beiden Laptops der Marken „... und „... (Asservatenliste Nr. 7 und 89) bis zur Entscheidung über die vorgenannte Klage an den Antragsteller herauszugeben.
5. Die Kosten des Verfahrens beider Rechtsstufen trägt der Antragsgegner.
6. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird jeweils auf 2.500 Euro festgesetzt; die erstinstanzliche Wertfestsetzung wird geändert.
1. Das Beschwerdeverfahren ist durch die übereinstimmenden Erklärungen der Beteiligten in der Hauptsache teilweise - in dem im Tenor zu 1. genannten Umfang - erledigt und insoweit entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
2. Die das zwischenzeitlich ebenfalls herausgegebene Mobiltelefon (Asservat Nr. 91) betreffende Erledigungserklärung des Antragstellers vom 24. Februar 2013 hat der Antragsgegner unbeantwortet gelassen, so dass festzustellen war, dass sich das Verfahren auch insoweit erledigt hat.
Im vorstehenden Umfang ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung jeweils wirkungslos geworden (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog).
3. Hinsichtlich der noch sichergestellten Laptops (Asservatenliste Nr. 7 und 89) hat die Beschwerde des Antragstellers Erfolg. Insoweit bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Sicherstellungsbescheids vom 19. Juni 2012, weshalb die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene Interessenabwägung zu Gunsten des privaten Anordnungsinteresses ausfällt; daher war der angegriffene Beschluss insoweit zu ändern.
a) Das Verwaltungsgericht hat sich bei seiner Entscheidung, die gemäß § 6 Abs. 2 VereinsG ausgeschlossene aufschiebende Wirkung (vgl. dazu auch Bayerischer VGH, Beschluss vom 24. September 2002 - 4 C 02.41 -, juris Rn. 13) der im Ausspruch bezeichneten Klage nicht wie beantragt anzuordnen, darauf gestützt, dass die Klage mangels vorheriger Erhebung eines Widerspruchs unzulässig sei. Diese Begründung teilt der Senat nicht.
Der Antragsteller hat anlässlich der Durchsuchung seiner Räumlichkeiten am 19. Juni 2012 einen Widerspruch erhoben. Der protokollführende Polizeibeamte hat auf Seite 2 des Durchsuchungs-/Sicherstellungsprotokolls das Kästchen hinter dem Wort „Widerspruch“ angekreuzt. Im Verwaltungsvorgang ist zudem mehrfach vermerkt, u.a. im Durchsuchungsbericht vom 20. Juni 2012 (S. 4), dass der die Unterzeichnung des Protokolls verweigernde Antragsteller den Maßnahmen mündlich widersprochen habe. Davon, dass dieser Widerspruch nicht nur gegen die Durchsuchung und Beschlagnahme, sondern auch gegen die Sicherstellung der beschlagnahmten Gegenstände und somit gegen den ihm ausgehändigten Sicherstellungsbescheid gerichtet war, ist bei lebensnaher Betrachtung auszugehen. Hinzu kommt, dass der Antragsgegner, der gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO für die Entscheidung über den Widerspruch zuständig ist, sich in seinem Schriftsatz an das Verwaltungsgericht vom 3. Juli 2012 sachlich auf das Vorbringen des Antragstellers eingelassen hat, ohne das Fehlen eines Widerspruchs zu rügen. Im Übrigen weist die dem Sicherstellungsbescheid vom 19. Juni 2012 angefügte Rechtsmittelbelehrung lediglich auf die Möglichkeit der Klageerhebung und nicht auf die Notwendigkeit einer vorherigen Widerspruchseinlegung hin. Schließlich ist aus Gründen der Prozessökonomie über die gesetzlich ausdrücklich geregelten Fälle hinaus ein Vorverfahren ausnahmsweise auch dann entbehrlich, wenn sich der Beklagte auf die Klage sachlich eingelassen und deren Abweisung beantragt hat. Entscheidend ist, ob dem Zweck des Vorverfahrens bereits Rechnung getragen ist oder dieser ohnehin nicht mehr erreicht werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. April 1994 - 11 C 2.93 -, juris Rn. 18 m.w.N., und - soweit ersichtlich zuletzt - ausführlich Urteil vom 15. September 2010 - 8 C 21.09 -, BVerwGE 138, 1 ff. und juris Rn. 24 ff., 26 ff.). So verhält es sich auch hier. All dies zusammengenommen führt dazu, dass die unterbliebene Durchführung des durch § 68 VwGO grundsätzlich vorgeschriebenen Vorverfahrens der Zulässigkeit der Klage und dem Antrag, deren aufschiebende Wirkung anzuordnen, nicht entgegensteht.
b) In der Sache bestehen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des auf § 10 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz - Ver-einsG) in Verbindung mit § 4 der Verordnung zur Durchführung des Vereinsgesetzes (VereinsGDV) gestützten Sicherstellungsbescheids vom 19. Juni 2012.
Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 VereinsG können beschlagnahmte Sachen im Gewahrsam des Vereins oder auf Grund besonderer Anordnung Sachen im Gewahrsam Dritter sichergestellt werden. Die Vorschrift unterscheidet - anders als etwa § 4 Abs. 4 Satz 2 und 3 VereinsG - nicht zwischen dem Verein und seinen Organen, Hintermännern, Mitgliedern und Dritten, sondern lediglich zwischen Sachen im Gewahrsam des Vereins und solchen im Gewahrsam Dritter. Während Sachen im Gewahrsam des Vereins nach § 3 VereinsGDV dadurch sichergestellt werden, dass die Vollzugsbehörde sie in Gewahrsam nimmt oder die Sicherstellung auf geeignete Weise kenntlich macht, sieht § 4 VereinsGDV bei Sachen, die sich im Gewahrsam Dritter befinden, den Erlass eines besonderen, schriftlich abzufassenden und dem Gewahrsamsinhaber zuzustellenden Sicherstellungsbescheides vor. In dessen schriftlicher Begründung ist auf das Vereinsverbot und auf die Beschlagnahme des Vereinsvermögens hinzuweisen sowie darzulegen, dass die sichergestellte Sache zum Vereinsvermögen gehört. Diese gegenüber der Sicherstellung von Sachen im Gewahrsam des Vereins gesteigerten Anforderungen rechtfertigen sich daraus, dass bei einem Dritten nicht ohne Weiteres die Vermutung naheliegt, er könne zum Vereinsvermögens gehörende Gegenstände in Gewahrsam haben; dafür müssen vielmehr konkrete Anhaltspunkte vorliegen, um den erheblichen Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung rechtfertigen zu können (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - 1 S 1864/11 -, juris Rn. 10, und OVG für das Land Schleswig-Holstein, Beschluss vom 3. März 1994 - 4 M 142/93 -, juris Rn. 6 f.). Diesen Vorgaben wird der angefochtene Sicherstellungsbescheid nicht gerecht.
Der Bescheid (S. 3) ist darauf gestützt, dass der Antragsteller Mitglied des mit Verfügung des Ministeriums des Innern des Landes Brandenburg vom 11. Juni 2012 verbotenen Vereins „Widerstandsbewegung in Südbrandenburg“ sei. Deshalb sei davon auszugehen, dass sich in seinem Besitz Sachen befänden, die zum Vereinsvermögen im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 2 VereinsG gehörten. Die Sicherstellung sei erforderlich, um die Einziehung des Vereinsvermögens gewährleisten zu können.
Diese Begründung trifft schon im Ansatz nicht zu. Der Senat hat im Beschwerdeverfahren gegen die hier zugrundeliegende vereinsrechtliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung mit Beschluss vom 21. Januar 2013 - OVG 1 L 74.12 - (S. 3 ff.) entschieden, dass der Antragsteller zwar als Hintermann im Sinne von § 4 Abs. 4 Satz 2 VereinsGangesehen werden kann, das vom Antragsgegner vorgelegte Erkenntnismaterial hingegen nicht ausreicht, um eine Vereinsmitgliedschaft zu belegen, für die ein Mindestmaß an Integration in die Vereinsorganisation erforderlich ist. Für eine Vereinsmitgliedschaft des Antragstellers hat der Antragsgegner auch im vorliegenden Verfahren keine hinreichenden Anhaltspunkte dargelegt. Da der Antragsteller als Dritter im Sinne von § 4 VereinsGDV anzusehen ist, wäre im Sicherstellungsbescheid im Einzelnen darzulegen gewesen, dass die bei ihm sichergestellten Gegenstände zum Vermögen des verbotenen Vereins gehören (vgl. § 4 Satz 3 VereinsGDV). An einer solchen Darlegung fehlt es, so dass sich der Sicherstellungsbescheid bereits als formell fehlerhaft darstellt. Die Verfügung ist auch materiell rechtswidrig, denn es spricht nichts dafür, dass die beiden Laptops zum Vermögen der verbotenen Vereinigung gehören. Selbst aus einer - hier schon nicht anzunehmenden - Vereinsmitgliedschaft ließe sich eine solche Zuordnung nicht ohne weiteres ableiten (vgl. VGH Baden-Württemberg, a.a.O.). Auch die sichergestellten Gegenstände bieten keinen Anhalt für die Annahme, es handele sich dabei um Vereinsvermögen. Dies gilt auch in Bezug auf die Laptops, denn auch insoweit liegen keine Erkenntnisse vor, die geeignet wären, die zu Gunsten des Antragstellers als Besitzer streitende Eigentumsvermutung nach § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB zu widerlegen. Die angefochtene Sicherstellungsverfügung hätte nach alledem nicht ergehen dürfen.
4. Der Ausspruch über die sinngemäß begehrte Herausgabe der Laptops beruht auf § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO. Nach den hier entsprechend anwendbaren Regelungen des Polizeirechts über die Herausgabe sichergestellter Sachen (vgl. § 50 Abs. 1 Satz 1 Bundespolizeigesetz und § 28 Abs. 1 Satz 1 Brandenburgisches Polizeigesetz) sind die Sachen herauszugeben, sobald die Voraussetzungen für die Sicherstellung weggefallen sind; dies gilt erst recht, wenn sich die Sicherstellung - wie vorliegend - als rechtswidrig darstellt.
Der Beschlagnahmebeschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 13. Juni 2012 steht der Herausgabe nicht entgegen, denn dieser hat in Bezug auf die damit bezweckte Vorbereitung der Sicherstellung insoweit seine Erledigung gefunden. Die Herausgabe der sichergestellten Gegenstände, deren Verstrickung hier auf der (rechtswidrigen) Sicherstellungsverfügung des Antragstellers vom 19. Juni 2012 beruht, hängt nicht von der Aufhebung der zugrunde liegenden (erledigten) Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung ab (vgl. VGH Baden-Württem-berg, a.a.O., Rn. 1). Soweit der vorgenannte Beschluss ausdrücklich auch das Auffinden und die Beschlagnahme von Gegenständen ermöglichen sollte, die als Beweismittel im Vereinsverbotsverfahren von Bedeutung sein können (vgl. § 4 Abs. 4 Satz 1 und 2 VereinsG), gilt im Ergebnis nichts anderes. Der Antragsgegner hat erklärt, wegen der Verschlüsselung der Datenspeicher ohne die Mitwirkung des Antragstellers auch nicht klären zu können, ob es sich um im Vereinsverbotsverfahren möglicherweise relevante Beweismittel handelt. Vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller zu einer solchen Mitwirkung - wie der Antragsgegner selbst einräumt - nicht verpflichtet ist, ihm sein mutmaßliches Privatvermögen nunmehr seit fast neun Monaten vorenthalten wird und auch im Nachgang der Beschlagnahme keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass den Laptops eine Beweisfunktion zukommen kann, hat sich auch dieser weitere Beschlagnahmezweck erledigt. Schließlich ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gültigkeit richterlicher Durchsuchungsanordnungen (vgl. Beschluss vom 27. Mai 1997 - 2 BvR 1992/92 -, BVerfGE 96, 44 ff., juris Rn. 25 ff., 30) davon auszugehen, dass auch eine richterliche Beschlagnahmeanordnung spätestens nach Ablauf eines halben Jahres unverhältnismäßig wird, außer Kraft tritt und nicht länger vollzogen werden darf (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 98 Rn. 30a m. w. Nachw.). Für die Ansicht des Antragsgegners, dass es bei der Beschlagnahme der Laptops (quasi ad infinitum) verbleiben müsse, solange der Antragsteller nicht „freiwillig“ an der Entschlüsselung der Computer mitwirke, ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich.
5. Über die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen war hinsichtlich des durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen beendeten Teils gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es, diese Kosten dem Antragsgegner aufzuerlegen, denn dieser hat den ganz überwiegenden Teil der bei dem Antragsteller mit dem angegriffenen Beschluss sichergestellten Gegenstände wieder herausgegeben und damit das erledigende Ereignis herbeigeführt. Abgesehen davon wäre die Beschwerde des Antragstellers ohne die unstreitige Erledigung auch insoweit erfolgreich gewesen. Für die streitig gebliebenen Teile ergibt sich die Kostenfolge jeweils aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die vom Antragsteller begehrte Feststellung, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren notwendig war, kann im vorliegenden Eilverfahren nicht getroffen werden. Das Tatbestandsmerkmal des Vorverfahrens in § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO bezieht sich begrifflich auf ein nachfolgendes Hauptsacheverfahren, in dem ggf. auch über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zu entscheiden ist. Die Vorschrift ist daher im gerichtlichen Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, das einen anderen Streitgegenstand als das Klageverfahren betrifft, nicht anwendbar (vgl. Senatsbeschluss vom 21. September 2009 - OVG 1 S 174.09 -, S. 4 m. w. Nachw.).
6. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts geht der Senat nicht von einer Vorwegnahme der Hauptsache aus; daher war der Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG wegen der Vorläufigkeit des Verfahrens zu halbieren und die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung von Amts wegen entsprechend zu ändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).