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Entscheidung VG 1 L 139/10


Metadaten

Gericht VG Cottbus 1. Kammer Entscheidungsdatum 13.07.2010
Aktenzeichen VG 1 L 139/10 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 11 Abs 3 Nr 7 FeV

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 24. Juni 2010 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15. Juni 2010 wird bis zu einem Abschluss des Widerspruchsverfahrens wiederhergestellt, soweit dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen und ihm aufgegeben wurde, den Führerschein bei der Fahrerlaubnisbehörde abzugeben; im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen eine Verfügung des Antragsgegners, mit der ihm im Wesentlichen die Fahrerlaubnis unter Anordnung der sofortigen Vollziehung entzogen wurde.

Der Antragsteller, dessen Probezeit als Fahranfänger nach Verlängerung (§ 2a Abs. 2a S. 1 des Straßenverkehrsgesetzes) am 05. Oktober 2011 abläuft, wurde nach Erteilung der Fahrerlaubnis der Klasse B am 05. Oktober 2007 im Wesentlichen wie folgt strafrechtlich verurteilt:

Mit rechtskräftigem Urteil vom 24. September 2009 sprach das Amtsgericht Cottbus den Antragsteller in dem Verfahren 100 Ls 1814 Js 201/09 (51 /09) u. a. des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte für schuldig und behielt sich die Verhängung einer Jugendstrafe für die Dauer einer Bewährungszeit von 2 Jahren vor. Den Sachverhaltsfeststellungen des Urteils nach leistete der zu diesem Zeitpunkt alkoholisierte Antragsteller am 25. Juli 2008 Widerstand gegen das Verbringen eines der Trunkenheit im Verkehr Verdächtigen auf die Polizeiwache, weil er nach eigenen Angaben "nicht mehr durchgesehen" habe.

Mit einem ebenfalls seit dem 24. September 2009 rechtskräftigen Urteil vom 14. Mai 2009 sprach das Amtsgericht Cottbus den Antragsteller in dem Verfahren 100 Ls 1630 Js 16418/08 (94/08) der Beleidigung in zwei Fällen, der Sachbeschädigung, der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und der Körperverletzung schuldig und behielt sich die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe für die Dauer einer Bewährungszeit von 2 Jahren unter Einbeziehung der Entscheidung des Landgerichts Cottbus vom 16. Januar 2009 (23 jug Ns 18/08) vor. Grundlage dieser Verurteilung waren strafbare Handlungen des Antragstellers vom 15. Februar 2008, 19. März 2008, 17. Mai 2008 und 09. August 2008. Zu den Geschehnissen vom 15. Februar 2008 stellt das Amtsgericht - soweit vorliegend von Bedeutung - fest:

„... Am 15.2.2008 befand sich der Angeklagte in einer Gruppe Gleichaltriger in A-Stadt in der Straßenbahn der Linie 4 Richtung Schmellwitz. An der Haltestelle Marienstraße stieg der später Geschädigte, der Zeuge ..., gemeinsam mit seiner damaligen Freundin, der Zeugin ..., gegen 20:00 Uhr zu. Sie wurden sogleich aus der Gruppe heraus als "Scheiß Punks" beschimpft, da ihr Kleidungsstil und ihr sonstiges Äußeres in der Gruppe wohl dazu Anlass bot. Der Angeklagte streckte sodann den rechten Arm schräg nach vorn und rief die Grußformel "Heil Hitler ", zielgerichtet in Richtung der genannten Zeugen, um diese zu provozieren. Da die Zeugen darauf nicht weiter eingehen, begab sich der Angeklagte im Straßenbahnwagen nach vorn zu dem Zeugen ... und schlug ihm sogleich von der Seite kräftig mit der flachen Hand oder mit dem Handballen ins Gesicht, so dass der Zeuge ... seine Brille verlor, die dadurch zerstört wurde, und eine Platzwunde an der Augenbraue, die genäht werden musste, erlitt. Sodann kam es zu einer weitergehenden körperlichen Auseinandersetzung, in deren Rahmen der Angeklagte die Sonnenbrille des Zeugen ... mit Worten wie etwa: Deine Sonnenbrille gefällt mir, gibt sie mir!“ verlangte. Der Zeuge ... hielt seine Sonnenbrille jedoch fest. Daraufhin griff der Angeklagte nach der Hand, mit der der Zeuge ... seine Sonnenbrille schützte, und drückte zu, wodurch die Sonnenbrille zerstört wurde. Der Angeklagte brachte den Angeklagten (gemeint ist der Zeuge) schließlich zu Boden und schlug weiter, wohl mit dem Ellenbogen, auf den am Boden liegenden Zeugen ... ein. Von der Platzwunde an der Augenbraue des Zeugen... ist eine kleine Narbe geblieben. Der Zeuge ... hatte Hämatome am linken Kopf und am Rücken sowie an den Armen. Am nächsten Tag litt er noch unter Kopfschmerzen...“

In dem Berufungsurteil (23 jug Ns 18/08) vom 16. Januar 2009 hatte das Landgericht Cottbus den Antragsteller wegen Körperverletzung verwarnt und Auflagen zur Zahlung eines Geldbetrages und zum Ableisten gemeinnütziger Arbeit verhängt. Zur Sache führt dieses Urteil Folgendes aus:

„...Am 13.2.2008 war der später Geschädigte, der Zeuge ..., gemeinsam mit Mitschülern mit der Straßenbahn unterwegs in Richtung Innenstadt. Der Zeuge ... spielte an einem Werbeträger herum, der dadurch zu Boden fiel. Dies nahm der später allein zugestiegene Angeklagte zum Anlass, den Zeugen mit den Worten „Scheiß Zeckenbenehmen“ oder „Scheiß Zigeuner“ zu beschimpfen, ihn zweimal mit der flachen Hand auf den Hinterkopf zu schlagen und sodann, beim Aussteigen am Busbahnhof, mit der Faust derart ins Gesicht zu schlagen, dass der Zeuge ... mit dem Hinterkopf an die Straßenbahn stieß. Der Zeuge ... erlitt eine aufgeplatzte Lippe und Nasenbluten.“

Auf die Verfügung des Antragsgegners vom 24. Februar 2010, zur Erklärung der Frage:

"Ist trotz der aktenkundigen Straftaten, aufgrund von Anhaltspunkten für ein hohes Aggressionspotenzial zu erwarten, dass Herr A. die körperlichen und geistigen Anforderungen an das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 im Straßenverkehr erfüllt und dass er nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrs- bzw. strafrechtliche Bestimmungen verstoßen wird?“

das Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Kraftfahreignung vorzulegen, ließ der Antragsteller mitteilen, er werde der Überprüfung seiner Fahreignung nicht nachkommen, weil hierfür „kein Anlass gesehen werde“. Der Antragsgegner hörte den Antragsteller daraufhin an, entzog ihm mit Ordnungsverfügung vom 15. Juni 2010 nach § 3 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes und § 46 Abs. 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung die Fahrerlaubnis, forderte ihn – gleichfalls unter Anordnung der sofortigen Vollziehung – zur Abgabe des Führerscheins auf und drohte dem Antragsteller unmittelbaren Zwang an, um die Herausgabe des Führerscheins zu erzwingen. Über den Widerspruch des Antragstellers vom 24. Juni 2010 hat der Antragsgegner noch nicht befunden.

Der Antragsteller hat am selben Tag vorläufigen Rechtsschutz beantragt.

Er ist der Auffassung, § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 7 der Fahrerlaubnis-Verordnung rechtfertige die Anordnung der Beibringung eines Gutachtens nicht, weil keine durch Tatsachen belegten Zweifel an der Kraftfahreignung bestünden. Die Verurteilungen stünden nicht im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr. Im Übrigen lägen die Straftaten bereits mehr als 2 Jahre zurück, er habe sich gefangen und sei, was auch aus seinem Ausbildungsverhältnis – insoweit werde eine Bestätigung des Unternehmens vom 02. Juli 2010 vorgelegt - und der Bescheinigung seiner Bewährungshelferin folge, „sozial integriert“. Es sei nicht belegt, dass das öffentliche Interesse an der Entziehung der Fahrerlaubnis sein Interesse an einem Erhalt überwiege.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 21. Juni 2010 gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 15. Juni 2010 wiederherzustellen.

Der Antragsgegner verweist auf die Gründe des angefochtenen Bescheides und beantragt,

den Antrag abzulehnen

Mit Bescheid vom 01. Juli 2010 hob der Antragsgegner auf Hinweis des Gerichts die Androhung unmittelbaren Zwangs aus dem Bescheid vom 15. Juni 2010 auf und drohte dem Antragsteller ein Zwangsgeld in Höhe von 500 € an. Hierauf hat der Antragsteller in prozessualer Hinsicht nicht reagiert.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist im Wesentlichen zulässig und begründet.

Nach § 80 Abs. 5 S. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Abs. 2 Nr. 1 bis 4 ganz oder teilweise anordnen bzw. wiederherstellen. Das Gericht trifft eine eigene Ermessensentscheidung und hat in diesem Zusammenhang zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. In diesem Rahmen sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen: Ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes fehlt regelmäßig, wenn sich dieser bereits im Rahmen der im gerichtlichen Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist; demgegenüber überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das private Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des Verwaltungsaktes vorläufig verschont zu bleiben, wenn sich die Regelung als offensichtlich rechtmäßig erweist und - in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO - ein besonderes Vollzugsinteresse hinzutritt. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.

Die Interessenabwägung fällt hier zu Lasten des Antragsgegners aus, weil die Entziehung der Fahrerlaubnis – und demzufolge auch die Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins - vorliegend bereits bei kursorischer Prüfung offensichtlich rechtswidrig ist.

Nach § 3 Abs. 1 S. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBl. I. S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2507), i. V. m. § 46 Abs. 1 S. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) vom 18. August 1998 (BGBl. I S. 2214), zuletzt geändert durch Verordnung vom 05. August 2009 (BGBl. I S. 2631), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 2 Abs. 4 S. 1 StVG ist geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. Die geistige Eignung kann einem Fahrerlaubnisinhaber ebenso wie die körperliche Eignung insbesondere dann fehlen, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung vorliegt (vgl. § 11 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 FeV); demgegenüber wird die weder im Straßenverkehrsgesetz noch in der Fahrerlaubnis-Verordnung explizit angesprochene charakterliche Eignung eines Verkehrsteilnehmers in § 2 Abs. 4 StVG und § 11 Abs. 1 S. 3 FeV lediglich mittelbar negativ dahingehend definiert, dass der Bewerber nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen haben darf (vgl. Himmelreich/Halm: Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht, 3. Aufl. 2010, S. 1853, 1860; Haus: Maßnahmen bei charakterlichen Eignungsmängeln innerhalb und außerhalb des Punktsystems in: Aktuelle Probleme der Fahrerlaubnis-Verordnung, der Reform des Ordnungswidrigkeitenrechts und der Unfallflucht, Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltsverein, Heft 28, S. 29).

Die Kraftfahreignung beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Kraftfahrers nach Maßgabe seiner Gefährlichkeit für den Straßenverkehr. Dabei sind sämtliche im Einzelfall bedeutsamen Umstände heranzuziehen, die Aufschluss über die körperliche, geistige und charakterliche Eignung eines Fahrerlaubnisinhabers geben können. Insbesondere bei der charakterlichen Eignung kommt eine Vielzahl von Tatsachen und persönlichen Merkmalen in Betracht, wie Art, Umstände und Anzahl der bereits begangenen verkehrsrechtlichen oder auch nicht verkehrsrechtlichen Straftaten, das Alter, die persönlichen und familiären Verhältnisse, etwaige Alkohol- oder Drogenauffälligkeiten und anderes mehr (BVerwG, Urt. v. 20. Februar 1987 – BVerwG 7 C 87.84 – BVerwGE 77, 40, 42). Dabei muss auch aufgezeigt werden, inwieweit sich aus der Straftat Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sich der Betreffende auch im Straßenverkehr nicht ordnungsgemäß verhalten wird (Bayerischer VGH, Beschl. v. 08. Oktober 2009 – 11 CS 09.1891, 11 C 09.1888 – juris unter Rn. 23).

Zwar erfordert die Entziehung der Fahrerlaubnis eine positive Feststellung der Nichteignung, wenn allerdings Tatsachen bekannt werden, die Bedenken an der Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen eines Kraftfahrzeuges begründen, hat die Fahrerlaubnisbehörde unter den in §§ 11 bis 14 FeV genannten Voraussetzungen durch die Anordnung der Vorlage von ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachten die Eignungszweifel aufzuklären, § 3 Abs. 1 S. 3 StVG i. V. m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV. Sie darf bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung schließen, wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen oder er das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt und er im Rahmen der Anordnung nach § 11 Abs. 6 FeV hierauf hingewiesen worden ist, § 11 Abs. 8 S. 1 und 2 FeV. Der Fahrerlaubnisinhaber hat zur Klärung der Zweifel beizutragen, die an seiner Kraftfahreignung bestehen; der Schluss von der Nichtbefolgung einer derartigen behördlichen Anordnung auf die Nichteignung des Kraftfahrers begründet sich daher aus der Verletzung der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11. Juni 2008 – BVerwG 3 B 99.07 -, Buchholz 442.10 § 2 StVG Nr. 15).

Dieser Schluss ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtmäßig war, sie insbesondere anlassbezogen erfolgte und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügte (vgl. BVerwG, Urt. v. 11. Dezember 2008 – BVerwG 3 C 26.07 -, BVerwGE 132, 315, 317; BVerwG, Urt. v. 9. Juni 2005 – BVerwG 3 C 21.04 -, Buchholz 442.10 § 2 StVG Nr. 11, S. 6 ; BVerwG, Urt. v. 13. November 1997 – BVerwG 3 C 1.97 -, Buchholz 442.16 § 15b StVZO Nr. 28). Diese Voraussetzungen liegen im Ergebnis nicht vor, weil sich die Anordnung vom 24. Februar 2010 als (formell) fehlerhaft erweist.

Die Aufforderung zur Begutachtung findet allerdings in § 11 Abs. 3 Nr. 7 FeV eine materiell-rechtliche Rechtsgrundlage. Danach kann die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Gutachterstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach § 11 Abs. 1 und 2 FeV angeordnet werden bei Straftaten, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen. Anders als der Antragsteller meint, bietet § 11 Abs. 3 Nr. 7 FeV hiernach auch bei Straftaten, die zwar für die Fahreignung von Bedeutung sein können, jedoch - wie vorliegend - nicht unmittelbar mit dem Straßenverkehr in Zusammenhang stehen, eine Rechtsgrundlage, was bereits aus dem unterschiedlichen Wortlaut dieser Bestimmung und etwa § 11 Abs. 3 Nr. 5 FeV ("erhebliche Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht") folgt (soweit ersichtlich einhellige Rechtsprechung, vgl. etwa Bayerischer VGH, Beschlüsse v. 19. Januar 2010 – 11 CS 09.2898, v. 08. Oktober 2009 – 11 CS 09.1891, 11 C 09.1888 und 11 CS 09.1896, 11 C 09.1895 – jeweils juris; VG München, Urt. v. 20. August 2009 – M 6b K 08.59 – juris, Rn. 19).

Das Gericht teilt ebenfalls die Auffassung des Antragsgegners, dass schon die unter I. bezeichneten Straftaten des Antragstellers - mit Urteil des Amtsgerichts Cottbus (100 LS 1630 JS 16418/08) vom 24. September 2009 wurde der Antragsteller allerdings nicht des (versuchten) Raubes nach §§ 249 Abs. 1, 22, 23 StGB schuldig gesprochen, S. 10 des Urteils, und die Strafanzeige wegen Nötigung im Straßenverkehr vom 20. Mai 2008 ist offenbar nicht weiter verfolgt worden -, die als solche eine teilweise nicht geringfügige kriminelle Energie dokumentieren, Anhaltspunkte dafür bieten, dass der Antragsteller über ein hohes Aggressionspotential verfügt, welches er impulsiv und ohne hierzu veranlasst worden zu sein gegenüber Unbeteiligten ohne Rücksicht auf deren körperliche Integrität einsetzt. Gerade bei dieser Gruppe von Straftätern ist davon auszugehen, dass sie auch bei konflikthaften Verkehrssituationen (etwa bei Fahrfehlern anderer) emotional impulsiv handeln und dadurch das Risiko einer Verkehrssituation erhöhen, sowie eigene Bedürfnisse aggressiv durchsetzen. Aber auch bei Personen, die sich - wie vorliegend bereits die Vielzahl der Straftaten belegt - gleichgültig gegenüber sozialen Normen, Regeln und den Rechten Anderer verhalten, ist damit zu rechnen, dass sie entsprechende Verkehrsstraftaten begehen (vgl. Nr. 3.14 des Kommentars zu den Begutachtung-Leitlinien zur Kraftfahreignung, 2. Aufl.). Hiervon ausgehend ist die Auffassung des Antragsgegners, es sei zu klären, ob der Antragsteller auch in konflikthaften Verkehrssituationen emotional impulsiv handeln und dadurch das Risiko in der Verkehrssituation noch erhöhen werde, rechtlich nicht zu beanstanden. Die Aufforderung zur Vorlage eines Gutachtens dient der Klärung der charakterlichen Eignung des Antragstellers im Straßenverkehr, nämlich der Frage ob seine bislang fehlerhafte Einstellung zur Rechtsordnung allgemein auch für den Bereich des Straßenverkehrsrechts Gültigkeit besitzt.

Unerheblich ist vorliegend auch der Zeitablauf zwischen den der Verurteilung durch das Amtsgericht zu Grunde liegenden Straftaten und der Entziehung der Fahrerlaubnis. Grundsätzlich beantwortet sich die Frage, auf welchen Zeitraum die Fahrerlaubnisbehörde bei der Überprüfung der Fahreignung zurückgreifen darf, anhand der Tilgungsregelungen und Verwertungsverbote des Straßenverkehrsgesetzes (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 7. August 2008 - OVG 1 S 100.08 -, juris). Vorliegend kann dahinstehen, ob analog auf die Tilgungsfristen des § 46 des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz - BZRG) oder darauf abzustellen ist, dass Eintragungen im Erziehungsregister entfernt werden, sobald der Betroffene das 24. Lebensjahr vollendet hat, § 63 Abs. 1 BZRG. Mit Blick darauf, dass sich die seit dem 24. September 2009 rechtskräftigen Entscheidungen des Amtsgerichts Cottbus vom 14. Mai 2009 und 24. September 2009 die Verhängung einer Jugendstrafe für die Dauer der Bewährungszeit von 2 Jahren vorbehalten haben, liegt schon aus diesem Grund auf der Hand, dass die Verurteilungen wegen Körperverletzung und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte im Rahmen der Prüfung der Fahreignung des Antragstellers noch Berücksichtigung finden können.

Die Anordnung vom 24. Februar 2010 erweist sich allerdings aus formellen Gründen als rechtswidrig.

Nach § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 zur Fahrerlaubnis-Verordnung in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Die Behörde teilt dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle oder Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festgelegten Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat; sie teilt ihm außerdem mit, dass er die zu übersendenden Unterlagen einsehen kann, § 11 Abs. 6 S. 2 FeV.

In formaler Hinsicht muss die Aufforderung im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein und der Betroffene muss erkennen können, welcher konkrete Anlass besteht, ihn zu der Vorlage eines Gutachtens aufzufordern, und ob das in der Aufforderung Verlautbarte die behördlichen Zweifel an der Fahreignung zu rechtfertigen vermag. Diese formellen und materiellen Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer Aufforderung, die nicht zuletzt Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der Schutzwürdigkeit des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen nach Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes sind, in das mit einer Begutachtung eingegriffen wird (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 17. August 2007 - 11 CS 07.25 – Juris, Rn. 10), können nicht durch Überlegungen des Inhalts relativiert werden, der Betroffene werde schon wissen, worum es gehe (BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2001 - BVerwG 3 C 13.01 - Buchholz 442.16 § 15b StVZO Nr. 29; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Oktober 2009 - OVG 1 S 189. 09 - Beschlussabdruck S. 3); es sind vielmehr insoweit strenge Anforderungen angezeigt, denn nur sie ermöglichen es dem Betroffenen hinreichend beurteilen zu können, ob er das von der Behörde geforderte Gutachten vorlegt oder das Risiko einer Fahrerlaubnisentziehung durch Nichtvorlage in Kauf nimmt (vgl. Geiger in Buschbell: Münchener Handbuch Straßenverkehrsrecht, 3. Aufl. 2009 Rn. 155).

Vorliegend ist die Fragestellung, wonach die "körperlichen und geistigen Anforderungen an das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges" mit Blick auf das in den Straftaten zu Tage getretene hohe Aggressionspotenzial geklärt werden sollen, jedenfalls teilweise ungeeignet, die bestehenden Eignungszweifel zu klären; die Gutachtenanforderung, die dem Gutachter die zu klärenden Fragen nach Nr. 1 a) S. 2 der Anlage 15 zu § 11 Abs. 5 FeV verbindlich vorgibt, erweist sich damit im Ergebnis als insgesamt unverhältnismäßig.

Die Fragestellung ist jedenfalls rechtlich bedenklich, als es im Rahmen der medizinisch-psychologischen Untersuchung auf die "geistigen Anforderungen“ des Antragstellers an das Führen eines Kraftfahrzeuges ankommen soll, die hier - anders als seine charakterliche Eignung - nicht klärungsbedürftig erscheinen. Geistige Eignungsmängel liegen insbesondere bei Krankheitserscheinungen wie schweren geistigen Störungen (etwa nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV) vor. Zwar kann eine Straftat auf eine geistige Krankheit zurückzuführen sein, so dass die Fragestellung im Einzelfall durchaus geeignet sein mag, etwaige eignungsrelevante Erkrankungen aufzudecken. Dafür, dass vorliegend hiervon auszugehen sein könnte, ist jedoch nichts ersichtlich oder von Seiten des Antragsgegners vorgetragen worden. Mit Blick auf eine (mögliche) Wechselbeziehung zwischen der geistigen und der charakterlichen Eignung (vgl. Mahlberg in Himmelreich/Halm: Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht, 3. Aufl. 2010 Rn. 50, der dafür plädiert, die Kriterien der charakterlichen Eignung „kurzerhand dem im Gesetz ausdrücklich genannten Begriff der geistigen Eignung zu subsumieren“ und unter Rn. 166 bei charakterlichen Eignungsmängeln eine der Frage des Antragsgegners vergleichbare "Standard-Fragestellung" vorschlägt; so auch im Kommentar zu Ziffer 2.4 der Begutachtungsleitlinien) lässt die Kammer diese Frage im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allerdings offen (vgl. aber VG München, Beschluss vom 17. März 2009 – M 1 S 09.555 - juris, Rn. 23 ff. und Geiger in Buschbell, Münchener Handbuch Straßenverkehrsrecht, 3. Aufl. 2009 Rn. 155, es sei unzulässig bei einem möglichen charakterlichen Fahreignungsmangel danach zu fragen, ob Bedenken gegen die „körperliche oder geistige Eignung“ des Betreffenden bestehen; in diesem Sinn auch: VG München, Urt. v. 20. August 2009 – M 6b K 08.5988 – juris; offen gelassen hingegen von Bayerischer VGH, Beschl. v. 19. Januar 2010 - 11 CS 09. 2898 - juris).

Die von dem Antragsgegner formulierte Frage ist jedenfalls insoweit nicht anlassbezogen, als sie bei Verdacht charakterlicher Mängel eine - zudem umfassende - Klärung auch der „körperlichen Anforderungen“ an das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges für erforderlich erachtet (zu einem vergleichbaren Fall: Bayerischer VGH, Beschl. v. 19. Januar 2010 – 11 CS 09.2898 – juris, Rn. 34). Zwar mögen die Tatumstände von Straftaten im Einzelfall Anhaltspunkte dafür erkennen lassen, dass die körperliche Eignung eines Fahrerlaubnisinhabers der Begutachtung bedarf, etwa wenn die Umstände auf Alkoholmissbrauch oder gar Alkoholabhängigkeit nach Nr. 8.1 und 8.3 der Anlage 4 zu FeV deuten. Ungeachtet der Tatsache, dass der Antragsteller jedenfalls im Rahmen des Vorfalls vom 25. Juli 2008 ausweislich des Urteils des Amtsgerichts Cottbus vom 24. September 2009 so alkoholisiert gewesen sein soll, dass er nach eigenen Angaben "nicht mehr durchgesehen“ habe, lässt sich den Akten nicht entnehmen, dass ein Krankheitswert erreicht wäre; auch der Antragsgegner nimmt auf diesen Gesichtspunkt in der Aufforderung vom 24. Februar 2010 nicht Bezug. Es ist danach nicht ansatzweise ersichtlich, dass die „körperliche Eignung“ des Antragstellers der Klärung bedürfte. Die (mindestens) teilweise Fehlerhaftigkeit der Fragstellung führt zur Rechtswidrigkeit der Anforderung des Gutachtens insgesamt (vgl. BVerwG, Urt. v. 13. November 1997 – BVerwG 3 C 1.97 – Buchholz 442.16 § 15b StVZO Nr. 28).

Dem Antragsgegner bleibt es unbenommen, den Antragsteller erneut unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen zu einer Begutachtung aufzufordern und das Ergebnis dieser Begutachtung oder aber die Weigerung des Antragstellers, sich untersuchen zu lassen oder das Gutachten fristgerecht vorzulegen, § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV, in der Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers zu würdigen. Dem Gericht erscheint es danach hinreichend, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs abweichend von § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO lediglich bis zu einem Abschluss des Widerspruchsverfahrens - durch Rücknahme des Widerspruchs, durch eine Abhilfeentscheidung nach § 72 VwGO oder durch Zustellung des Widerspruchsbescheides, § 73 Abs. 3 Satz 1 VwGO - wiederherzustellen.

Die auf § 47 Abs. 1 FeV gestützte Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins erweist sich nach alledem ebenfalls als offensichtlich rechtswidrig.

Der Antrag, der sich gegen sämtliche Regelungen des Bescheides des Antragsgegners vom 15. Juni 2010 richtet, ist in dem maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht hingegen unzulässig, soweit weiterhin sinngemäß begehrt wird, die aufschiebende Wirkung gegen die Androhung unmittelbaren Zwangs zur Abgabe des Führerscheins aus dem vorbenannten Bescheid anzuordnen. Der Antragsgegner hat diese Androhung mit Bescheid vom 01. Juli 2010 aufgehoben und dem Antragsteller stattdessen ein Zwangsgeld in Höhe von 500 € angedroht, hierauf hat der Antragsteller indessen bis zum heutigen Tag nicht prozessual reagiert, indem er den Bescheid vom 1. Juli 2010 zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemacht hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Die Fahrerlaubnis der Klasse B ist nach Ziffer 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgdr. u. a. bei Kopp/Schenke: VwGO, 16. Aufl. 2009, Anh. § 164 Rn. 14) mit dem Auffangwert in Höhe von 5.000,00 € zu bewerten, der für das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren ist. Die Androhung des Zwangsmittels bleibt nach Ziffer 1.6.2 des Streitwertkataloges ebenso wie nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins außer Betracht.