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Einkommensteuer 2008


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 14. Senat Entscheidungsdatum 14.09.2011
Aktenzeichen 14 K 8290/09 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften im Sinne des § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Einkommensteuergesetz – EStG – bei der Prüfung der sog. Opfergrenze für Unterhaltszahlungen im Rahmen des § 33a EStG einzubeziehen sind mit dem Ergebnis, dass sich daraus ein negatives Nettoeinkommen ergibt, welches die Abzugsfähigkeit der Unterhaltsaufwendungen der Kläger an ihre volljährigen Kinder ausschließt – während ohne Berücksichtigung dieser Verluste andere Einkünfte und Bezüge zu einem positiven Nettoeinkommen führten und dann die Unterhaltsleistungen in einem angemessenen Verhältnis zu ihrem verfügbaren Nettoeinkommen stünden.

Die zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger sind die Eltern des im Jahre 1980 geborenen Sohnes... und der 1983 geborenen Tochter.... Die beiden Kinder studierten im Streitjahr (2008). Der Sohn bezog im Kalenderjahr – nach Abzug der Kosten – Bezüge in Höhe von 480 €, die Tochter erhielt Bezüge in Höhe von 1.451 € wovon ein Betrag von 121 € auf den Monat Januar 2008 entfiel, für den den Klägern noch ein Kinderfreibetrag für die Tochter zustand. Die übrigen Bezüge der Tochter (1.330 €) entfielen auf die Monate Februar bis Dezember. Daneben erhielten die Tochter 8.250 € und der Sohn 8.550 € an Unterstützungszahlungen seitens der Kläger. Die Kläger erzielten im Streitjahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus nichtselbständiger Arbeit sowie – in geringem Umfang – Einkünfte aus Kapitalvermögen. Darüber hinaus entstanden der Klägerin erhebliche Veräußerungsverluste aus dem privaten Erwerb und der Veräußerung von Wertpapieren. Diese hatte die Wertpapiere – beginnend ab Oktober 2007 – größtenteils im Jahre 2008 erworben und im Laufe des Jahres 2008 wieder veräußert. In dieser Zeitspanne verloren diese erheblich an Wert, so dass der Klägerin unter Berücksichtigung der Veräußerungskosten und nach Abzug eines steuerfreien Anteils von 31.020 € ein Verlust von 120.321 € entstand. Weil Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 23 Abs. 3 Satz 7 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung bei der Veranlagung für 2008 nur mit Gewinnen aus anderen privaten Veräußerungsgeschäften desselben Kalenderjahres hätten ausgeglichen werden können, derartige Gewinne aber nicht erzielt wurden, blieben die Veräußerungsverluste laut Einkommensteuerbescheid für 2008 vom 29. Mai 2009 ohne steuerliche Auswirkung bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte (Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften abzüglich nicht verrechenbarer Verluste in Höhe von jeweils 120.321 €, entsprechend 0 € als Saldo daraus). Obwohl der Gesamtbetrag der Einkünfte deshalb mit 76.465 € positiv war, fanden die vorgenannten Unterhaltszahlungen an die Kinder keine Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung, weil der Beklagte nach einer Berechnung der sog. Opfergrenze zu der Auffassung gelangte, dass die Kläger nach steuerlichen Maßstäben zu den Unterhaltszahlungen nicht verpflichtet gewesen seien. Dabei zog der Beklagte bei der Berechnung des verfügbaren Nettoeinkommens als Minderungsposten den steuerfreien wie den steuerpflichtigen Anteil des Veräußerungsverlustes von insgesamt 151.341 € ab, so dass sich unter Berücksichtigung der übrigen Einkünfte aus anderen Einkunftsarten und nach Abzug der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung, der Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer und der gezahlten Vorauszahlungen ein negatives Nettoeinkommen von 81.549 € ergab.

Gegen die Versagung des Abzugs der Unterhaltszahlungen als außergewöhnliche Belastung legten die Kläger Einspruch mit der Begründung ein, dass fälschlicherweise die privaten Veräußerungsverluste berücksichtigt worden seien, das verfügbare Nettoeinkommen dagegen tatsächlich positiv gewesen sei. Während des Einspruchsverfahrens änderte der Beklagte mit Bescheid vom 08. Juli 2009 die Einkommensteuer hinsichtlich eines hier nicht entscheidungsrelevanten Punktes ohne Auswirkung auf den Ansatz der streitigen Unterhaltsaufwendungen. Den Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 25. August 2009 als unbegründet zurück. Da alle Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 und 2 EStG in die Berechnung der Opfergrenze einzubeziehen seien, gelte dies auch für die Spekulationsverluste. Entsprechend sei das verfügbare Nettoeinkommen negativ, werde die Opfergrenze überschritten.

Hiergegen richtet sich die Klage, mit der die Berücksichtigung der Unterhaltszahlungen als außergewöhnliche Belastung begehrt wird. Da, so die Kläger, einmalige Vermögensverluste das Einkommen für die zivilrechtliche Unterhaltsverpflichtung nicht minderten, müsse dies auch für das Steuerrecht gelten. Gemäß einem Urteil des Bundesfinanzhofs aus dem Jahre 1986 führten Vermögensumschichtungen nicht zu einer Veränderung des Nettoeinkommens (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 04. April 1986 III R 19/85, Bundessteuerblatt – BStBl – II 1987, 127 und Entscheidungssammlung des BFH – BFHE – 148, 132). Auch im Streitfall sei durch den entstandenen Veräußerungsverlust nicht die Einkunfts-, sondern nur die Vermögensebene betroffen. Nur durch die Anordnung des Gesetzgebers in §§ 22 Nr. 2, 23 EStG würden unter bestimmten (zeitlichen) Voraussetzungen die Vorgänge auf der privaten Vermögensebene zu einkommensteuerrechtlich relevanten Vorgängen. Erst dadurch, dass die Verluste innerhalb der für Wertpapiere gesetzlich bestimmten Spekulationsfrist von einem Jahr zwischen Erwerb und Veräußerung eingetreten seien, seien diese von einkommensteuerrechtlicher Bedeutung. Hätte sie, die Klägerin, den genannten Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung hingegen überschritten, wären überhaupt keine Einkünfte zu erfassen gewesen. Schließlich sei es auch deshalb widersinnig, private Veräußerungsverluste in die Ermittlung der Opfergrenze einzubeziehen, weil durch die Veräußerung selbst Einnahmen zuflössen, die sich insoweit positiv auf die Leistungsfähigkeit der Unterhaltsverpflichteten auswirkten. Schließlich widerspreche die Einbeziehung von Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften in die Berechnung der Opfergrenze der im EStG geltenden Systematik der Abschnittsbesteuerung, indem – zum Teil – Sachverhalte berücksichtigt würden, die sich mit dem Ankauf im Jahre 2007 und dem Verkauf im Jahre 2008 über mehrere Veranlagungszeiträume erstreckten.

Während des Klageverfahrens hat der Beklagte am 02. September 2011 einen Änderungsbescheid erlassen, der nach § 68 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO – zum Gegenstand dieses Verfahrens geworden ist, ohne dass sich die Versagung des Ansatzes der Unterhaltsleistungen änderte.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid für 2008 vom 29. Mai 2009 – in der Fassung des Änderungsbescheides vom 08. Juli 2009 – in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. August 2009 –, zuletzt geändert mit Bescheid vom 02. September 2011, in der Weise zu ändern, dass Unterhaltsaufwendungen in Höhe von 8.550,00 € für den Sohn ... und 8.250,00 € für die Tochter ... als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden,

hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zum Bundesfinanzhof zuzulassen,

die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist im Wesentlichen auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.

Dem Senat hat bei seiner Entscheidung ein Band Einkommensteuerakten vorgelegen, die von dem Beklagten für die Kläger zur Steuernummer 25/516/60380 geführt werden.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Zu Recht hat der Beklagte die Unterhaltszahlungen der Kläger nicht als außergewöhnliche Belastung zum Abzug zugelassen. Ein entsprechender Anspruch der Kläger ergibt sich schon dem Grunde nach nicht, so dass es ohne Auswirkung bleibt, dass die Klage schon insoweit keinen Erfolg haben kann, als mit 8.550,00 € und 8.250,00 € Unterhaltsbeträge geltend gemacht werden, die über dem jeweiligen Höchstbetrag von 7.680,00 € nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung liegen. Ebenso wenig kommt es für das Ergebnis darauf an, dass die Unterhaltsaufwendungen für die Tochter um ihre über 624 € hinausgehenden Bezüge zu kürzen wären (§ 33a Abs. 1 Satz 4 EStG).

Die Verluste aus den privaten Veräußerungsgeschäften sind in die Prüfung eines angemessenen Verhältnisses zwischen den Unterhaltsleistungen und dem verfügbaren Nettoeinkommen der Kläger einzubeziehen.

Aufwendungen für den Unterhalt einer gegenüber dem Steuerpflichtigen gesetzlich unterhaltsberechtigten Person – wie hier der Kinder nach § 1601 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – können nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG bis zu dem oben bestimmten Betrag auf Antrag vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. Über den Gesetzeswortlaut hinaus ist ein Abzug von Unterhaltsaufwendungen jedoch nur insoweit möglich, als dem unterhaltspflichtigen Steuerpflichtigen nach dem verfügbaren Nettoeinkommen genügend Mittel zum Bestreiten des eigenen Lebensbedarfs (einschließlich seiner Familie) verbleiben (sog. Opfergrenze; ständige Rechtsprechung seit dem Urteil des BFH vom 04. April 1986 III R 245/83, BStBl II 1986, 852; Urteil des BFH vom 27. September 1991 III B 42/91, BStBl II 1992, 35; Urteil des BFH vom 18. Mai 2005 III R 26/05, BStBl II 2007, 108; Schmidt/Loschelder 30. Aufl. EStG § 33a Rz 16 m.w.N.). Es muss entsprechend ein angemessenes Verhältnis der Unterhaltsleistungen zum Nettoeinkommen des Leistenden bestehen (Urteil des BFH vom 18. Mai 2006 III R 26/05, a.a.O.). Die Berechtigung, eine sog. Opfergrenze zu ziehen, ist aus § 1603 Abs. 1 BGB herzuleiten, wonach nicht unterhaltspflichtig ist, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, Unterhalt ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts zu gewähren (Urteil des BFH vom 29. September 1991 III B 42/91, a.a.O.). Die vorg. Opfergrenze gilt nur nicht für Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Ehegatten und minderjährigen unverheirateten Kindern, weil insoweit nach §§ 1360 f. Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – für Ehegatten und nach § 1603 Abs. 2 BGB ausdrücklich für minderjährige unverheiratete Kinder alle (ggf. spärlichen) Mittel zu teilen sind (Urteil des BFH vom 27. September 1991 III B 42/91, a.a.O.). Gleiches gilt für Unterhaltsleistungen an eine in einer Haushaltsgemeinschaft lebende, mittellose Lebenspartnerin (Urteil des BFH vom 29. Mai 2008 III R 23/07, BStBl II 2009, 363). Dagegen ist die Opfergrenze bei volljährigen unverheirateten Kindern zu beachten, wie im Falle der Kinder der Kläger, so dass derartige Unterhaltsleistungen ggf. nicht oder nicht in vollem Umfang abzugsfähig sind.

Die Opfergrenze ermittelt sich nach einem bestimmten Vom-Hundert-Satz des (verfügbaren) Nettoeinkommens im Unterstützungszeitraum; sie beträgt 1 % je volle 500 € Nettoeinkommen, höchstens 50 % (Schmidt/Loschelder a.a.O.). Diese Höchstgrenze ist ggf. um 5 % für den Ehegatten sowie für Kinder, für die Kindergeld bezogen oder ein Kinderfreibetrag gewährt wird, zu kürzen, maximal um 25 % (Schmidt/Loschelder a.a.O.). Bei der Ermittlung des maßgeblichen verfügbaren Nettoeinkommens sind alle steuerpflichtigen Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 EStG, alle steuerfreien Einnahmen (also z.B. auch solche nach dem Sozialgesetzbuch –SGB – II und III) sowie etwaige Steuererstattungen anzusetzen (Schmidt/Loschelder a.a.O.). Davon abzuziehen sind die gesetzlichen Lohnabzüge (Lohnsteuer und Sozialabgaben) und Steuervorauszahlungen (Schmidt/Loschelder a. a. O., § 33a EStG Rz 16). Diese Grundsätze gelten auch für den Fall, dass beide Ehegatten Einkünfte bezogen haben und nicht dauernd getrennt leben (Schmidt/Loschelder a.a.O., § 33a EStG Rz 16), wie hier die Kläger.

Unter Beachtung der Opfergrenze ist die Berücksichtigung der streitigen Unterhaltsleistungen hier ausgeschlossen. Denn das nach den vorstehenden Grundsätzen zu ermittelnde verfügbare Nettoeinkommen ist – auch nach Erlass der Änderungsbescheide vom 08. Juli 2009 und 02. September 2011 – mit (nunmehr) 74.684 € (weiterhin) negativ; eine Anwendung eines Prozentsatzes darauf kommt folglich nicht in Betracht. Dem liegen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von 60.299 und 15.485 €, Lohnersatzleistungen der Klägerin von 394 € und des Klägers von 19.494 €, negative Einkünfte aus Kapitalvermögen von 211 €, (positive) gewerbliche Beteiligungseinkünfte des Klägers von 7.206 € und der Klägerin von 551 €, vor allem aber der Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften von insgesamt 151.341 €, ferner Abzüge wegen der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung, Lohnsteuer und Einkommensteuer-Vorauszahlungen zugrunde. Zu Recht hat der Beklagte den Verlust aus den privaten Veräußerungsgeschäften in die Ermittlung des Nettoeinkommens einbezogen. Denn zu den Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 1 EStG rechnen die Gewinneinkünfte im Sinne der §§ 13 bis 18 EStG – unter Berücksichtigung auch erhöhter Absetzungen – und die Überschusseinkünfte im Sinne der §§ 19 bis 23 EStG, wobei zu letzteren auch die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften gehören. Der Senat folgt insoweit dem Schreiben des Bundesfinanzministeriums – BMF – vom 07. Juni 2010 IV C 4 2285/07/0006 (BStBl I 2010, 582), wonach im Rahmen der Ermittlung des verfügbaren Nettoeinkommens private Veräußerungsgeschäfte bei den Überschusseinkünften nach § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 EStG zu berücksichtigen sind (Ziffer 3.1 bzw. Rz 10 und Beispiel 2 zu Ziffer 3.3 bzw. Rz 12 mit der Einbeziehung eines Verlustes aus privaten Veräußerungsgeschäften von 5.000 €). Abgesehen davon, dass Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften durch § 22 Nr. 2 und § 23 EStG systematisch den Einkünften zugeordnet werden – mit Regelungen zum begrenzten Verlustausgleich nach 23 Abs. 3 Satz 7 EStG – spricht auch der Sinn und Zweck der Opfergrenze dafür, diese in die Berechnung des verfügbaren Nettoeinkommens einzubeziehen. Denn durch die Opfergrenze soll im Ergebnis eine Unterhaltszahlung nur dann als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, wenn die Leistungsfähigkeit über die Sicherstellung des eigenen Lebensbedarfs hinausgeht. Die notwendige Leistungsfähigkeit wird aber nicht etwa nur durch rückläufige laufende Einkünfte (z.B. Erträge aus Wertpapieren) berührt, sondern auch dann, wenn – wie hier innerhalb eines Zeitraums von rund neun Monaten vom Ankauf bis zur Veräußerung – durch massive Wertverluste erhebliche Veräußerungsverluste realisiert werden. Jedenfalls bei innerhalb der gesetzlichen Spekulationsfrist von einem Jahr gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG eingetretenen Veräußerungsverlusten ist im zeitlichen Zusammenhang mit Unterhaltszahlungen eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Unterhaltsverpflichteten (hier der Kläger) eingetreten. Insofern kann – entgegen der Auffassung der Kläger – aus der gesetzlich bestimmten Spekulationsfrist kein Argument gegen die Berücksichtigung von Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften hergeleitet werden. Dass erst durch die gesetzliche Bestimmung einer Spekulationsfrist ein das Privatvermögen betreffender Vorgang einkommensteuerrechtliche Bedeutung erlangt, spricht unter dem Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit folglich nicht gegen die Berücksichtigung privater Veräußerungsverluste bei der Ermittlung der Opfergrenze. Ähnlich wäre im Übrigen für die Bestimmung der Opfergrenze ein (ebenfalls das Privatvermögen betreffender) Vorgang nach § 17 EStG relevant. Für eine Berücksichtigung von Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften spricht ferner, dass umgekehrt Spekulationsgewinne innerhalb der Spekulationsfrist das für die Opfergrenze heranzuziehende Nettoeinkommen erhöhen. Damit aber wäre es systematisch nicht in Einklang zu bringen, Spekulationsverluste dagegen unberücksichtigt zu lassen.

Die von den Klägern vorgebrachten weiteren Argumente gegen die Berücksichtigung der Veräußerungsverluste vermögen den Senat nicht zu überzeugen. Es gibt keine Regel, dass (einmalige) Vermögensverluste keine Bedeutung für die zivilrechtliche Unterhaltsverpflichtung haben. Denn diese knüpft nach § 1603 BGB gerade an die Leistungsfähigkeit an, die durch Vermögensverluste beeinträchtigt sein kann. Ebenso wenig einsichtig ist, dass einmalige Vermögensvorgänge die zivilrechtliche Unterhaltspflicht nicht berühren sollen, wenn man z.B. an Zuflüsse durch Erbschaft oder Schenkung beim Unterhaltsverpflichteten denkt. Deshalb gehören z. B. auch Spielgewinne und Abfindungen für den Verlust des Arbeitsplatzes zum unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen (Palandt/Diederichsen, Bürgerliches Gesetzbuch, 70. Aufl. 2011, § 1603 Rzn. 5 und 12). Ebenso gehören im Unterhaltsrecht Spekulationsgewinne zu den anzusetzenden Einnahmen des Unterhaltsverpflichteten (Palandt/Diederichsen, a.a.O. Rz 12). Entsprechend sind einmalige Vermögensverluste zu berücksichtigen. Die Kläger können sich ferner zur Begründung ihrer Rechtsansicht nicht mit Erfolg auf das Urteil des BFH vom 04. April 1986 III R 19/85 (a.a.O.) berufen. Abgesehen davon, dass sich die Aussage, der Saldo aus Sparbuchabhebungen und Sparbucheinzahlungen führe nicht zur Erhöhung des Nettoeinkommens bei der Berechnung der Opfergrenze, ausdrücklich nur auf ein geringfügiges Sparguthaben bezog, von daher die Aussage nicht verallgemeinerungsfähig ist, handelt es sich im Streitfall nicht um bloße Vermögensumschichtungen, sondern um eine Vermögensvernichtung größeren Ausmaßes durch spekulative Geschäfte. Dass dabei auch Einnahmen bei der Veräußerung der Wertpapiere zugeflossen sind, ändert nichts an der Minderung der finanziellen Ressourcen und damit der maßgeblichen Leistungsfähigkeit innerhalb der kurzen Zeitspanne zwischen An- und Verkauf.

Ferner ist der Verlust aus den privaten Veräußerungsgeschäften bei der Berechnung der Opfergrenze auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Abschnittsbesteuerung (§ 2 Abs. 7, § 36 Abs. 1 EStG) außer Ansatz zu lassen. Denn auch für den Teil der Wertpapiere, die bereits im Jahre 2007 angeschafft worden sind, ist erst mit den Verkäufen im Jahre 2008 der vom Beklagten bei der Opfergrenze berücksichtigte Verlust realisiert worden, der in der Gesamtschau die Leistungsfähigkeit beeinflusst hat. Zuvor handelte es sich um bloße „buchmäßige“ Verluste.

Da der Abzug der Unterhaltsaufwendungen schon dem Grunde nach an der Opfergrenze scheitert, wirkt sich schließlich nicht aus, dass wegen der Gewährung des Kinderfreibetrages für die Tochter für den Monat Januar für diesen Monat auch nach § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG eine gleichzeitige Berücksichtigung ausgeschlossen ist.

Der Senat lässt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO die Revision zu, um durch eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs Gelegenheit für die Fortbildung des Rechts hinsichtlich der Frage zu geben, ob die Opfergrenze – über die bereits in der Rechtsprechung anerkannten Fälle hinaus (Ehegatten, minderjährige unverheiratete Kinder, mittelloser, in Haushaltsgemeinschaft lebender Lebenspartner) – auch in anderen Konstellationen nicht anwendbar ist – möglicherweise dann nicht gilt, wenn das verfügbare Nettoeinkommen durch eine einzige Einkunftsquelle negativ wird, bei Betrachtung nur der übrigen Einkunftsquellen dagegen ein positives Nettoeinkommen vorläge.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Im Hinblick auf die getroffene Kostenentscheidung unterbleibt eine Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO, weil es hierfür kein Bedürfnis gibt.