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(Gesetzliche Unfallversicherung - Berufskrankheit - haftungsbegründende Kausalität - Brückensymptome - Konkurrenzursache - Enzephalopathie - Polyneuropathie - hirnorganisches Psychosyndrom - Alkohol - chronische Schwefelkohlenstoffintoxikation)


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 31. Senat Entscheidungsdatum 25.02.2010
Aktenzeichen L 31 U 455/08 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen Anl 1 Nr 1305 BKV

Leitsatz

Besteht eine Latenzperiode zwischen Expositionsende und Auftreten der ersten Krankheitssymptome von 25 Jahren, ohne dass in dieser Zeit Brückensymptome festzustellen waren, kann ein Ursachenzusammenhang zwischen Exposition und Erkrankung nicht bejaht werden, wenn es darüber hinaus auch noch an wissenschaftlichen Erfahrungen über Langzeitfolgen und Latenzintervalle bei chronischen Schwefelkohlenstoffintoxikationen fehlt.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 15. Juni 2004 wird zurückgewiesen.

Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines Polyneuropathiesyndroms sowie eines hirnorganischen Psychosyndroms als Berufskrankheit nach Nr. 1305 (Erkrankungen durch Schwefelkohlenstoff) der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV; im weiteren Text: BK Nr. 1305), beziehungsweise der BK Nr. 17 der Berufskrankheiten-Verordnung der ehemaligen DDR (BKVO/DDR).

Die 1938 geborene Klägerin hat unter anderem von 1959 bis 1974 als HKZ-(Halb Kontinuierliche Zentrifugalspinnmaschine) Fahrerin im VEB Chemiefaserwerk F in P gearbeitet. Von 1974 bis 1979 war sie in diesem Betrieb als Gartenarbeiterin, Werkzeugausgeberin, Küchenhilfe beziehungsweise Hausmeister/-verwalter tätig. Von 1979 bis 1982 hat sie als Melkerin und von 1982 bis 1994 als Gärtnerin gearbeitet. Danach war sie arbeitslos.

Am 1. März 1999 zeigte die Fachärztin für Arbeitsmedizin Dr. B der Beklagten den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit an und führte unter anderem aus, die Klägerin leide unter einem Taubheitsgefühl in Armen und Beinen beidseits, einem Kribbeln in den Armen sowie Schmerzen und kalten Füßen. Es liege eine Erkrankung durch Schwefelkohlenstoff vor. Sie führe diese auf ihre Tätigkeit in einem Spinnsaal für Kunstseide zurück. Die Klägerin leide unter den Vorerkrankungen Magendurchbruch mit zwei Drittel Magenresektion, Gallenoperation und Alkoholentziehung.

Die Beklagte holte eine Auskunft des Nachfolgebetriebes des VEB Chemiefaserwerk F der M AG, P, zur Tätigkeit der Klägerin von 1959 bis 1974 als Maschinenfahrerin ein, aus der sich ergab, dass die Klägerin während dieser Zeit den Spinnkuchen aus den Spinnzentrifugen abnehmen, Einstrumpfen und für den Transport auf speziellen Wagen fertig machen musste. Zu ihren Aufgaben gehörte die ständige Kontrolle an den Spinnmaschinen. Beim Spinnprozess wurde Schwefelkohlenstoff freigesetzt, der sich ständig in der Raumluft der Spinnerei befand. In der Spinnerei standen 237 Spinnenmaschinen. Die Klimahaltung erfolgte über Be- und Entlüftungsanlagen. Die Zuführung von Frischluft und Absaugung der Abluft erfolgte auch innerhalb der Maschinen. Ein Maschinenfahrer hatte circa acht Maschinen zu bedienen. Konzentrationsmessungen hinsichtlich der Beladung der Raumluft mit entstehenden Schadstoffen wurden durchgeführt. Die Be- und Entlüftungsanlagen in der Spinnerei und in den Spinnmaschinen wurden mit dem Anfahren der Anlage in Betrieb genommen. Es gab entsprechende Arbeits- und Bedienungsanweisungen. Belehrungen wurden durchgeführt. Die vorgeschriebene Schutzausrüstung für die Spinnereiarbeiter bestand aus einem säurefesten Schutzanzug sowie Gummischuhen (Igelitschuhen). Beides wurde von den Arbeitern auch getragen. Es gab besondere Wasch- und Duschzeiten für die Spinnereiarbeiter.

Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten führte unter dem 21. Mai 1999 unter anderem aus, die Klägerin sei von 1959 bis 1974 in der Reganspinnerei als Maschinenfahrerin tätig gewesen. Bei der Reganspinnerei handle es sich um eine Halle mit den Abmaßen von circa 40 m mal 70 m mal 20 m, in welcher sich 238 Spinnmaschinen befinden. Die Spinnmaschinen seien die Hauptemissionsquellen für die Schadstoffe CS 2 (Schwefelkohlenstoff)und H 2 S (Kohlenwasserstoff). Bei der Fadenherstellung würden hier 83 % des eingesetzten Schwefelkohlenstoffs als Luftschadstoffe CS 2 und H 2 S frei. Die Spinnmaschinen seien nicht gekapselt und entsprächen damit nicht dem Stand der Technik. Dadurch gelange ein großer Teil der Schadstoffe aus den Maschinen in den Spinnsaal. Der hohe Schadstoffausstoß an den Spinnmaschinen werde durch eine Besonderheit des Verfahrens bewirkt - den Waschprozess des Einzelfadens an der Maschine. Dazu werde die obere Entsäuerungswalze mit Wasser berieselt. Hier werde der Großteil des eingesetzten CS 2 frei und das im oberen Maschinenbereich, also in der Hauptarbeitshöhe des Personals. Ein bedeutender Teil gelange durch die Zentrifugalkräfte zur Koagulations- und Entsäuerungwalze in den Spinnsaal und werde durch die Maschinenabsaugung nicht direkt erfasst. Das bedeute eine hohe Raumluftbeladung. In den Jahren ab 1967 hätten sich die Messwerte zwischen 45 bis 70 mg/m 3 bewegt. Der MAK-Wert von 30 mg/m 3 sei also teilweise um mehr als das zweifache überschritten gewesen. Dies ergebe sich aus den auch in der Anlage übersandten Messprotokollen. Zusammenfassend müsse eingeschätzt werden, dass die Klägerin über einen Zeitraum von 15 Jahren erhöhten CS 2 -Expositionen ausgesetzt gewesen sei. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung einer Berufskrankheit nach der BK Nr. 1305 seien somit gegeben.

Die Klinische Psychologin Dr. Sch (Z) diagnostizierte in ihrem Psychodiagnostischen Befund vom 16. September 1999 ein Psychoorganisches Syndrom.

Der mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K führte in seinem Gutachten vom 13. Januar 2000 unter anderem aus, die Klägerin habe anlässlich der Untersuchung über eine Vielzahl von Beschwerden, vorwiegend Taubheitsgefühle in den Beinen, geklagt und betont, dass sie keine Reflexe mehr habe und nunmehr auch eine Ausweitung der Gefühlsstörungen auf den gesamten Rücken verspüre. Sie könne nicht mehr richtig schlafen, habe Gangstörungen sowie Ohrgeräusche und Störungen des Kurzzeitgedächtnisses. Es fänden sich Hinweise auf eine Übergewichtigkeit, eine subjektiv empfundene Hörminderung mit Tinnitus sowie Zeichen einer Hypertonie. Es deute sich eine Hepatopathie an und es bestehe ein Diabetes mellitus. Für eine Polyneuropathie als neurologischer Spätschaden einer Schwefelkohlenstoffexposition ergebe sich kein Anhalt, zumal auch keine Reflexauffälligkeiten nachweisbar seien. Die Sensibilitätsstörungen seien stark wechselnd und keinem organisch begründbaren Verteilungsmuster zuzuordnen. Insgesamt biete die Klägerin aus der Sicht des Fachgebietes der Psychiatrie und Neurologie das Bild einer dissoziativen Störung mit gemischter Symptomatik. Aus der privaten Lebensführung müsse auf einen Alkoholismus verwiesen werden, der zumindest schon 1979 zu einer klinischen Behandlung geführt habe. Risiken im Hinblick auf ein zunehmendes Gefäßleiden seien durch Übergewichtigkeit, Bluthochdruck und einen Diabetes mellitus Typ II gegeben. Von den bei der Klägerin vorliegenden Erkrankungen und Beschwerden könne die Hörstörung gegebenenfalls auf eine Schwefelkohlenstoffexposition bezogen werden. Er empfehle insoweit eine fachärztliche Stellungnahme, da bei vorliegender Hypertonie, einem Diabetes mellitus und dem Alkoholismus auch andere Genesen zu diskutieren seien. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht ergäben sich keine Hinweise auf Krankheitsfolgen, die auf eine Schwefelkohlenstoffexposition zurück zu führen seien. Für eine Polyneuropathie als Hauptschädigungssyndrom ergebe sich klinisch und neurophysiologisch kein Anhalt. Die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen seien wie folgt zu bezeichnen: Hypertonie, chronischer Alkoholismus, Diabetes mellitus, Adipositas, Hepatopathie bei Alkoholismus, Hörminderung mit Tinnitus und dissoziative Störung. Es bestehe keine Erwerbsminderung als Folge einer Berufskrankheit, eine MdE sei daher nicht festzustellen.

Mit Bescheid vom 27. Januar 2000 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 17 - Erkrankungen durch Schwefelkohlenstoff - der BKVO/DDR ab.

Im Widerspruchsverfahren übersandte die Klägerin ein von ihr veranlasstes Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G vom 25. Juni 2000. Diese führte unter anderem aus, die Klägerin leide unter einem schweren hirnorganischen Syndrom bei hochgradigem Verdacht auf eine chronische Schwefelkohlenstoffintoxikation, einem klinisch bestehenden Polyneuropathiesyndrom bei Verdacht auf exogen-toxische Schädigung durch Schwefelkohlenstoff und einer chronischen Schwefelkohlenstoffintoxikation. Die Erstmanifestation eines Polyneuropathiesyndroms lasse sich bis an den Anfang der Sechzigerjahre zurückverfolgen. Durch die subjektiven Beschwerden, bei denen brennende Schmerzen in Händen und Füßen, Kribbelparästhesien und Taubheitsgefühl sowie schmerzhafte Verkrampfungen der Muskulatur und zeitweilige Schwäche derselben im Vordergrund gestanden hätten, habe sich die Klägerin in ihrer physischen Leistungsfähigkeit eingeschränkt gefühlt. Das klinisch bestehende Polyneuropathiesyndrom habe sich in der EMG/ENG-Untersuchung in der Landesklinik B vom Mai 2000 allerdings nicht bestätigen lassen; die Nervenleitgeschwindigkeiten hätten durchweg noch im Normbereich gelegen, so dass paraklinisch ein ausgeprägtes Neuropathiesyndrom nicht angenommen worden sei. Anamnestisch sei der Zusammenhang zwischen der zwanzigjährigen Schwefelkohlenstoffexposition und der Polyneuropathiesymptomatik nicht von der Hand zu weisen, so dass von einer blanden chronisch-toxischen Polyneuropathie auszugehen sei. Da die Beschwerden schon seit der Schwefelkohlenstoffexposition bestehen würden, sei ein Zusammenhang mit dem 1998 entdeckten Diabetes mellitus wenig wahrscheinlich, zumal die Blutzuckerwerte zwischen 5 und 6 mmol/l liegen würden und eine medikamentöse Behandlung zurzeit noch nicht erforderlich sei. Gravierender seien die Ausfälle im psychischen Leistungsbereich einzuschätzen. Im Rahmen der Begutachtung habe sich, wie auch schon bei der psychodiagnostischen Untersuchung am 16. September 1999 durch Dr. Schneider im Zentrum für Arbeits- und Umwelt-Medizin, ein schweres hirnorganisches Psychosyndrom mit erheblichen Einschränkungen der optischen Merkfähigkeit und einer erworbenen Intelligenzminderung, die aus nervenärztlicher Sicht hochgradig wahrscheinlich auf die langjährige Schwefelkohlenstoffexposition zu beziehen sei, gefunden. Von einer vorbestehenden Intelligenzminderung und hirnorganischen Leistungsschwäche sei nicht auszugehen, da die Klägerin noch bis 1974 Qualifizierungsmaßnahmen wahrgenommen habe. Daneben schränke auch die hochgradige Verlangsamung die Leistungsfähigkeit erheblich ein. Andere hirnorganische Ursachen, die außerhalb der Schwefelkohlenstoffintoxikation für das hirnorganische Psychosyndrom verantwortlich zu machen seien, hätten sich nicht eruieren lassen. Das kraniale Computertomogramm habe keinen Anhalt für eine intrakranielle Raumforderung, Blutungen oder einen Hirninfarkt gezeigt. Die leichtgradige supratentoriell betonte Hirnvolumenminderung werde noch als altersgerecht eingeschätzt, sie sei zudem ein unspezifischer Befund. Aus nervenärztlicher Sicht sei der Grad der MdE mit 60 v. H. zu beziffern. Aufgrund der zwanzigjährigen Schwefelkohlenstoffexposition mit überschrittenen MAK-Werten am Arbeitsplatz und den bestehenden klinischen Beschwerden eines Polyneuropathiesyndroms sowie eines schweren hirnorganischen Psychosyndroms, die beide als Folge einer chronischen Schwefelkohlenstoffintoxikation möglich seien, sei das Vorliegen einer BK Nr. 1305 wahrscheinlich. Retrospektiv gesehen sei natürlich die 100-prozentige Beweisführung des Kausalzusammenhanges unter der chronischen Intoxikation mit Schwefelkohlenstoff und den daraus resultierenden Folgen schwierig, da frühere neurologische und psychiatrische Befunde aus der Zeit der Schwefelkohlenstoffbelastung nicht zur Verfügung gestanden hätten. Andererseits würden sich gegenwärtig keine weiteren Ursachen oder Noxen ausmachen lassen, die für das jetzige Polyneuropathiesyndrom und für das hirnorganische Psychosyndrom verantwortlich sein könnten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2000 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung unter anderem aus, es liege keine Berufskrankheit nach Nr. 17 der BKVO/DDR vor. Die berufliche Exposition gegenüber Schwefelkohlenstoff von 1959 bis 1974 sei unumstritten. Seit 1. Mai 1974 sei die Klägerin jedoch keinen Schwefelkohlenstoffexpositionen mehr ausgesetzt gewesen. Dr. K habe in seinem Gutachten ausführlich und schlüssig dargelegt, dass kein Hinweis auf Krankheitsfolgen bestehe, die auf eine Schwefelkohlenstoffexposition zurückzuführen seien. Dies hätten ebenfalls die Untersuchungen der Landesklinik B vom 9. Mai 2000 (EMG, ENG) ergeben. Für eine Polyneuropathie liege klinisch und neurophysiologisch kein Anhalt vor. Dr. G habe in ihrem Gutachten vom 25. Juni 2000 nur aus der Tatsache der stattgehabten Exposition und den geschilderten Symptomen (Kribbeln, Kältegefühl etc.) einen Zusammenhang gesehen, der klinisch jedoch durch Befunde nicht belegt werden könne.

Der im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Potsdam als Sachverständiger bestellte Chefarzt der Klinik für Neurologie des Klinikums E Prof. Dr. Ch hat in seinem Gutachten vom 3. Mai 2002 unter Einbeziehung des psychologischen Zusatzgutachten des Dipl.-Psych. R vom 20. Februar 2002 unter anderem ausgeführt, die Klägerin leide an einer Somatisierungsstörung. Eine Polyneuropathie liege nicht vor. Weder der klinische Befund noch die Elektromyographie gäben einen entsprechenden Hinweis. Unter Würdigung des psychologischen Zusatzgutachtens des Dipl.-Psych. R und des eigenen Untersuchungsbefundes sowie des EEG´s fände sich auch kein Anhalt für ein hirnorganisches Psychosyndrom. Die erfassten Leistungsminderungen seien vor dem Hintergrund der deutlichen Aggravationstendenzen nicht als ein ausreichender Beleg für das Vorliegen eines hirnorganischen Psychosyndroms zu werten. Möglicherweise liege bei der Klägerin nach wie vor ein chronischer Alkoholabusus vor. Detaillierte Aussagen zu ihrem Alkoholkonsum seien von ihr nicht zu erhalten. Sie betone immer wieder, wie verärgert sie darüber sei, dass alles auf den Alkohol geschoben werde. Aktenkundig dokumentiert sei ein weiterer Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik der Landesklinik B vom 25. Dezember 1998 bis zum 13. Januar 1999. Der Epikrise sei zu entnehmen, dass es zu einem ausgeprägten vegetativen Entzugssyndrom gekommen, die Klägerin sehr fixiert auf ihre körperlichen Beschwerden gewesen sei und ihr Alkoholproblem bagatellisiert habe. Keine der bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen sei wahrscheinlich auf die in der Zeit von 1959 bis 1974 ausgeübte Tätigkeit als Maschinenfahrerin in der Garnspinnerei zurückzuführen. Es liege keine Berufskrankheit vor, eine MdE sei nicht festzustellen.

Die Klägerin übersandte zu diesem Gutachten eine gutachterliche Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Dr. B vom 16. November 2002. Dieser führte unter anderem aus, nach eigener Untersuchung und kritischer Beurteilung der Vorbefunde bleibe eine hirnorganische Schädigung festzustellen. Wegen der komplizierten Zusammenhänge gebe es niemanden, der eindeutig eine Kausalität belegen könne. Bei einer 20-jährigen, nachweislich übermäßigen Exposition, könne der Zusammenhang zu einer CS 2 -Intoxikation nicht widerlegt werden. Messe man dem Alkohol eine Rolle zu, dürfe man dessen besondere Auswirkung in Verbindung mit der Noxe nicht außer Acht lassen. In der kritischen Zeit der Krankengeschichte kulminiere das Geschehen durch eine Oberbaucherkrankung, deren Symptomatik sehr wahrscheinlich einen Zusammenhang mit der Berufstätigkeit habe. Die vorliegenden Informationen würden gegen einen permanenten Alkoholmissbrauch sprechen, sondern für dessen passageren Einsatz. Das lasse sich durch die Behandlungszeiträume sichern. Gegenwärtig gebe es keine Anhaltspunkte für Alkoholmissbrauch. Jetzt gefundene neurologische Störungen seien geringfügig und würden selbst bei einem Zusammenhang zur toxischen Substanz nicht ins Gewicht fallen. Eine Erwerbsminderung sei aus klinischer Sicht in der Höhe von 60 v.H. zu beziffern.

Das Sozialgericht Potsdam hat die Klage mit Urteil vom 15. Juni 2004 abgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt, der mit der Klage geltend gemachte Anspruch setze voraus, dass die vor dem 1. Januar 1992 eingetretene und nach dem 31. Dezember 1993 der Beklagten gemeldete Erkrankung als Berufskrankheit sowohl nach § 221 Arbeitsgesetzbuch der DDR in Verbindung mit der Nr. 17 der BK-Liste (DDR) als auch nach § 551 RVO in Verbindung mit Nr. 1305 der Liste zur BK-Verordnung zu entschädigen sei. Das von den Sachverständigen auch schon im Verwaltungsverfahren festgestellte Krankheitsbild entspreche der Berufskrankheit Nr. 17 der DDR-Liste (unter anderem Polyneuropathie und ausgeprägte psychische Störungen, die im Allgemeinen auf die Einwirkung von Schwefelkohlenstoff zurückgeführt werden könnten). Das Tatbestandsmerkmal der Erkrankung im Sinne dieser Definition sei somit zu bejahen. Auch die für die Nr. 17 der DDR-Liste vorauszusetzende Exposition in den Jahren 1959 bis 1974 in der P Kunstfaserproduktion liege zur Überzeugung der Kammer vor; sie sei von der Beklagten auch nicht im Verwaltungsverfahren bestritten worden. Problematisch sei vorliegend allein der auch nach dem Berufskrankheitenrecht der DDR zu fordernde ursächliche Zusammenhang zwischen beruflicher Exposition und Erkrankung. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht ergäben sich, wie der Gerichtssachverständige in seinem schriftlichen Gutachten vom 3. Mai 2002 überzeugend ausgeführt habe, keine Hinweise auf Krankheitsfolgen, die auf eine Schwefelkohlenstoffexposition zurückzuführen seien. Selbst wenn hirnorganische Schädigungen als Folge toxischer Einwirkungen vorliegen würden, wie Dr. Dr. B in seiner ausführlichen, von der Klägerin veranlassten, Stellungnahme vom 16. November 2002 zum Gutachten des Gerichtssachverständigen annehme, so sei es doch wegen der vielen Jahre nach Beendigung der Exposition heute und auch schon zum Zeitpunkt der Meldung eines BK-Verdachtes nicht mehr möglich, die Kausalität zwischen Exposition und derzeitiger Erkrankung eindeutig zu belegen. Allein auf den (positiven) Beweis der Kausalität komme es an, nicht darauf, dass ein Zusammenhang nicht widerlegt werden könne. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Schwefelkohlenstoffexposition und der Erkrankung der Klägerin sei zur vollen Überzeugung der erkennenden Kammer auch in Würdigung der sachverständigen Äußerungen im Verwaltungsverfahren nach dem Ergebnis der gerichtlichen Beweisaufnahme nicht erwiesen. Lägen schon die Voraussetzungen für eine Anerkennung der Erkrankung als Berufskrankheit nach DDR-Recht nicht vor, so komme es nicht darauf an, ob die Erkrankung auch als Berufskrankheit nach bundesdeutschem Recht zu entschädigen sei. Die Beweiserleichterung nach § 9 Abs. 3 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) gelte somit vorliegend nicht.

Gegen das ihr am 6. August 2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 6. September 2004 Berufung vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Sie ist weiterhin der Ansicht, sie leide unter einer Berufskrankheit nach Nr. 17 der Liste der Berufskrankheiten (DDR) beziehungsweise nach Nr. 1305 BKV. Dies ergebe sich bereits aus dem Gutachten des Dr. Dr. B, welches das Sozialgericht falsch ausgelegt habe. Des Weiteren stütze sie sich auf das von ihr überreichte arbeitsmedizinische Gutachten (nach Aktenlage) des Doz. Dr. K vom 30. September 2004 sowie der ergänzenden Stellungnahme hierzu vom 2. Mai 2007. Dieser führt unter anderem aus, an den Arbeitsplätzen der Klägerin habe eine schichtbegleitende, langjährige, erhebliche MAK-Wert-überschreitende Exposition gegen Schwefelkohlenstoff mit der Gefahr des Entstehens einer chronischen CS 2 -Vergiftung bestanden. Eine größere Zahl einschlägiger Berufskrankheiten sei im Kunstfaserwerk Premnitz sowie weiteren vergleichbaren Betrieben in der DDR vorgekommen. Die bei der Klägerin beschriebenen unterschiedlichen Gesundheitsstörungen auf neuro-psychischem Gebiet entsprächen weitestgehend denen einer toxischen Enzephalopathie beziehungsweise dem psychoorganischen Syndrom, wie es aus der Literatur gut bekannt sei. Nach Durchsicht der bereits vorliegenden vier neurologischen Gutachten sei festzustellen, dass zwei davon diese Diagnose auch bestätigt hätten, ein weiteres allerdings nur in „verschlüsselter Form“ und mit anderer Interpretation durch den Gutachter. Der anamnestisch eruierte und durch ärztliche Behandlungsberichte bestätigte Alkoholabusus stelle einen konkurrierenden Faktor bei der Kausaldiskussion dar, der in seiner Bedeutung aber nicht überbewertet werden dürfe. Aus seiner Sicht seien die Voraussetzungen für die Anerkennung der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankung des zentralen Nervensystems als BK Nr. 1305 (BKV) beziehungsweise BK Nr. 17 (BKVO/DDR) erfüllt, und zwar im Sinne der wesentlichen Teilursache. Der Beginn der Berufskrankheit lasse sich aufgrund der Aktenlage und der konkurrierenden Einflüsse objektiv nicht mehr rückwirkend feststellen. Er schlage unter pragmatischen Gesichtspunkten vor, gegebenenfalls den Zeitpunkt der Berufskrankheitverdachtsmeldung (1. März 1999) als Beginn der Berufskrankheit anzunehmen. Die MdE betrage 30 v.H. Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Arbeitstätigkeit der Klägerin und ihrer Erkrankung auf neurologischem Gebiet sprächen die zu keiner Zeit bestrittene, mindestens 11-jährige Exposition gegen Schwefelkohlenstoff als Spinnerin in der M Kunstfaserfabrik zwischen 1959 und 1974 unter erheblicher und kontinuierlicher Überschreitung des damals (und erst recht des heutigen) geltenden Grenzwertes für CS 2 , die von der Mehrheit der im Laufe dieses Berufskrankheitenfeststellungsverfahrens mit den Untersuchungsergebnissen befassten Ärzte/Arbeitspsychologin bestätigte Diagnose eines toxischen hirnorganischen Psychosyndroms, das zumindest durch eine einschlägige Querschnittsuntersuchung erwiesene Persistieren von diversen psychischen Abnormitäten vier Jahre nach zweifelsfreier Expositionsabkehr und die additive Wirkung der schädigenden Faktoren Schwefelkohlenstoff und Alkohol auf das Nervensystem. Gegen den Kausalzusammenhang seien die lange Latenzperiode zwischen Expositionsende (1974) und der ersten, durch Untersuchungsergebnisse dokumentierten Befunderhebung am Zentralenervensystem (1999), der nicht zu erbringende Nachweis von krankhaften Befunden oder Beschwerden in diesem Zeitabschnitt, die als Brückensymptome für die Folgen der stattgehabten Schwefelkohlenstoffexposition zu werten gewesen wären, sowie die weit gehend mangelnde wissenschaftliche Erfahrung über Langzeitfolgen und Latenzintervalle bei chronischen Schwefelkohlenstoffintoxikationen in der Fachliteratur anzuführen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 15. Juni 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 1305 - Erkrankung wegen Schwefelkohlenstoff - der Berufskrankheitenverordnung eine Verletztenrente nach einer MdE von 55 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf das von ihr veranlasste und übersandte arbeitsmedizinische Zusammenhangsgutachten des Prof. Dr. Sch vom 22. Februar 2005 sowie eine ergänzende Stellungnahme hierzu vom 20. April 2004. Dieser führte unter anderem aus, die Klägerin leide unter einem pseudoneurasthenischen Syndrom, einem rezidivierenden Alkoholismus, einem Diabetes mellitus Typ II, einem Bluthochdruck und einem Lumbalsyndrom. Das pseudoneurasthenische Syndrom stehe in keinem wahrscheinlichen Zusammenhang mit der beruflichen Exposition gegenüber Schwefelkohlenstoff im Zeitraum von 1959 bis 1974. Das Krankheitsbild der CS 2 -Vergiftung sei vielgestaltig und überwiegend durch zerebrale, polyneuritische und hormonale Störungen gekennzeichnet. Ein Zusammenhang der von der Klägerin seit 1999 geklagten unspezifischen psychiatrischen Beschwerden mit der bereits 1974 beendeten beruflichen Exposition gegenüber Schwefelkohlenstoff sei vor allem deswegen nicht wahrscheinlich zu machen, weil notwendige „Brückensymptome“ im Sinne einer chronischen Schwefelkohlenstoffvergiftung nicht vorgelegen hätten. Auf diese Problematik habe bereits Dr. K zutreffend hingewiesen, aber gemeint, sie dadurch erklären zu können, dass die Frage einer CS 2 -Intoxikation bis 1999 nicht zielgerichtet verfolgt beziehungsweise durch die Diskussion um Alkoholismus überlagert worden sei. Diese Feststellung treffe nicht zu. Im Zeitraum zwischen dem Expositionsende 1974 beziehungsweise zumindest den stationären Aufenthalten von 1977 und 1979 und der erst wieder ab 1999 (nach der Akutbehandlung wegen eines akuten Alkoholexzesses Ende 1998/Anfang 1999) dokumentierten Beschwerde- und Befundlage seien keine krankhaften Veränderungen dokumentiert, die auf eine chronische CS 2 -Vergiftung hinweisen würden. Dies mache einen ursächlichen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit nicht nur höchst unwahrscheinlich, sondern schließe ihn praktisch aus. Diesbezüglich sei auch besonders darauf hinzuweisen, dass die Klägerin noch von 1974 bis ins Rentenalter 1994 in der Kantine, in der Landwirtschaft beziehungsweise in der Gärtnerei gearbeitet habe. Sie sei anschließend bis zum Eintritt in die Altersrente im August 1998 arbeitslos und nicht etwa arbeitsunfähig gewesen. Hinweise auf ein chronisches Krankheitsgeschehen, wie es im Falle einer chronischen CS 2 -Schädigung zu erwarten gewesen wäre, habe es in diesem Zeitraum von fast 25 Jahren offensichtlich nicht gegeben. Die Annahme eines ursächlichen Zusammenhanges der erstmals 1999 dokumentierten Symptomatik mit der CS 2 -Exposition würde voraussetzen, dass dieser Stoff ohne entsprechende vorherige Erscheinungen Latenzschäden beziehungsweise Spätschäden verursache, die noch nach Jahren - im Falle der Klägerin sogar noch 20 bis 25 Jahre nach Expositionsende (April 1974) - zum Ausbruch kommen könnten. Für diese Annahme gebe es aber keine wissenschaftlichen Belege. CS 2 begünstige zwar die Entwicklung einer Arteriosklerose, die relativ frühzeitig vor allem auch das Zentralnervensystem betreffen könne. Dies hätte bei der Klägerin aber schon wesentlich früher zu Symptomen führen müssen. Bei ihr sei bisher aber auch nicht einmal ein typischer arteriosklerotischer Zustand festgestellt worden. Als berufsunabhängige Risikofaktoren für eventuelle spätere Schäden dieser Art lägen bei der Klägerin aber ein Diabetes mellitus und ein Bluthochdruck vor. Die sachlichen Voraussetzungen für die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit im Sinne der BK-Nrn. 16 oder 17 der BKVO/DDR beziehungsweise der Nrn. 1202 oder 1305 der aktuellen BKV lägen nicht vor. Auch aus dem in den Sozialversicherungsausweisen dokumentierten Krankheitsverlauf ergäben sich im Hinblick auf fehlende Brückensymptome und berufsunabhängige Krankheitsursachen keine Hinweise auf einen wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen der inzwischen über 30 Jahre zurückliegenden beruflichen Exposition gegenüber Schwefelkohlenstoff und dem aktuellen seit März 1999 bekannten neurologisch-psychiatrischen Zustand der Klägerin.

Der gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Sachverständiger bestellte Facharzt für Neurologie/Psychiatrie und Arbeits-/Umweltmedizin Dr. Z hat in seinem Gutachten vom 15. September 2009 unter anderem ausgeführt, die Klägerin leide unter einer toxischen Enzephalopathie unter dem Bilde eines speziellen psychoorganische Syndroms mit pseudohysterischer Verhaltenstörung, einem toxischen Sniffing-Syndrom mit den Folgen eines episodischen Alkoholismus sowie dem Verdacht auf eine toxische vegetative sensible Polyneuropathie mit den Folgen einer peripheren Gefäßschädigung. Sowohl die Gutachter, die bei der Klägerin ein toxisches psychoorganisches Syndrom gefunden hätten, als auch die Gutachter, die als Hauptstörung eine neurotische Fehlhaltung hätten erkennen wollen, hätten bis zu einem gewissen Grade recht. Beide Gutachtergruppen hätten aber nicht berücksichtigt, dass die psychometrischen Tests auf ein spezielles psychoorganisches Syndrom hinweisen würden und die neurotischen Fehlhaltungen organisch bedingte pseudoneurotische Affektstörungen sein könnten. Sowohl Frau Dr. Sch als auch der Dipl.-Psych. R hätten eigentlich den Widerspruch zwischen psychischer Verlangsamung und hoher sensomotorischer Genauigkeit in ihren psychodiagnostischen Befunden dargestellt, aber keine Schlussfolgerungen daraus gezogen. Alle im vorliegenden Fall tätig gewordenen ärztlichen und psychologischen Gutachter seien von dem üblicherweise mit der Diagnose psychoorganisches Syndrom assoziierten Krankheitsbild ausgegangen, nämlich einer im Vordergrund stehenden Merk- und Konzentrationsschwäche bei einer allgemeinen gleichmäßigen Minderung der psychischen Leistungsgrößen, wie man es etwa beim psychoorganischen Syndrom durch zerebrovaskuläre Insuffizienz finde. Sicher finde man dieses Bild auch häufig unter toxischen Enzephalopathien durch CS 2 . Die toxische Enzephalopathie werde ja vielfach als Folge einer toxischen zerebralen Gefäßschädigung angesehen. Es gebe aber auch eine direkte zelluläre Schädigung der Nervenzellen im Gehirn durch CS 2 . Dabei sei in der Regel nicht das ganze Gehirn betroffen, sondern individuell besonders empfindliche Nervenzellbereiche. Diese Schäden seien also nicht durch eine allgemeine gleichmäßige Minderung der psychischen Leistungen ausgezeichnet. Aufgrund der bei der Klägerin erhobenen leistungspsychologischen Befunde müsse von einer derartigen direkten zentralen Nervenzellschädigung ausgegangen werden. Der Psychiater Karl Bonhoeffer habe bereits 1930 die Vielfalt der psychoorganischen Schäden durch Schwefelkohlenstoff dargestellt, vor allem die Häufigkeit von organisch bedingten affektiven und Verhaltensstörungen, die er aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit hysterischen Störungen als pseudoneurotische und pseudohysterische Störungen bezeichnet habe. Es sei unschwer erkennbar, dass bei der Klägerin sowohl ein spezielles Enzephalopathiesyndrom mit Störung der Sensomotorik als auch ein organisches pseudohysterisches Syndrom vorliege. Dieses Syndrom sei durch die durchgeführten Tests weitestgehend gesichert. Es ergebe sich damit die Frage, ob diese beiden Syndrome durch Alkohol oder den Diabetes verursacht sein könnten. Dies sei nicht der Fall. Sowohl die diabetische als auch die ethylische Enzephalopathie würden bevorzugt mit Störungen des Kurzzeitgedächtnisses und allgemeinen diffusen psychischen Leistungsminderungen einhergehen, wie sie bei der Klägerin nicht vorliegen würden. Auch die Frage, ob bei der Klägerin eine prämorbide Debilität mit entsprechenden Leistungsminderungen vorgelegen habe, sei zu verneinen. Die Klägerin habe ganz am Anfang ihrer CS 2 -Expositionen die 9. und 10. Klasse mit erfolgreichem Abschluss nachgeholt. Das sei mit einem Intelligenzquotienten von 65 (Dr. G) oder 70 (Dipl.-Psych. R) völlig ausgeschlossen. Diese niedrigen IQ-Werte müssten daher später erworben worden sein, nämlich durch die CS 2 -Expositionen. Ausgehend von einer pseudoneurotischen Enzephalopathie seien die von 1972 bis 1976 im Ausweis eingetragenen Diagnosen „Nervosität“, „Nervensystem-Symptome“, „Neurosen“ mit hoher Wahrscheinlichkeit als Brückensymptome in diesem Sinne zu betrachten. Der Einwand Prof. Sch, dass hier Diagnosen umgedeutet würden, sei richtig. Wenn erforderliche differenzialdiagnostische Abwägungen bezüglich einer Diagnosenstellung von Diagnosestellern nicht erfolgen würden, dann müsse das natürlich nachträglich geschehen, und das umso mehr, wenn es sich um Diagnosen handle, die häufig als Verlegenheitsdiagnosen benutzt würden. In der Diskussion um die mögliche CS 2 -Vergiftung der Klägerin stünde das soeben behandelte psychoorganische Syndrom ganz im Vordergrund. Dennoch müsse den schon in den sechziger Jahren aufgetretenen Sensibilitätsstörungen Bedeutung eingeräumt werden. Die Angaben zu diesen Beschwerden seien glaubwürdig, gerade weil sie konstant vorgetragen würden und kein psychogener Ausbau der Beschwerden erfolgt sei. Bereits Bonhoeffer habe das Auftreten von Sensibilitätsstörungen betont. Zu Bonhoeffer´s Zeiten habe es keinen ENG- und EMG-Nachweis gegeben. Die Diagnose sei rein klinisch gestellt worden. Es sei aber heute bekannt, dass Schäden an den vegetativen Nerven durch CS 2 und andere Lösungsmittel sehr häufig seien und zu vegetativen Sensibilitätsstörungen führen könnten. Diese seien im ENG/EMG nicht nachweisbar. Die Hauterscheinungen an den Unterschenkeln könnten auf vegetativ bedingte vaskuläre Ursachen der Sensibilitätsstörungen hinweisen. Die medizinische Abklärung vegetativer und peripherer-vaskulärer Störungen sei bei der Klägerin bisher vernachlässigt worden. Die erforderliche Diagnostik sei aufwändig, und ihre Ergebnisse seien differenzialdiagnostisch beim jetzigen Gesundheitszustand der Klägerin kaum eindeutig einzuordnen. Da die Enzephalopathie eindeutig im Vordergrund stehe, sei auf die weitere Verfolgung dieser Diagnostik verzichtet worden. Die Ergebnisse würden keinen erhöhenden Einfluss auf die MdE haben, die durch die Enzephalopathie bestimmt werde. Im Zusammenhang mit dem psychischen Befund sei jedoch festzustellen, dass die Sensibilitätserscheinungen der Klägerin nicht simuliert seien, sondern reale und erlebte Gesundheitsstörungen, die mit der CS 2 -Exposition zusammenhängen würden. Das Auftreten dieser Symptome in den sechziger Jahren sei daher auf die Exposition zurückzuführen. Es sei also nicht so, dass während der Exposition keine toxischen Symptome bei der Klägerin aufgetreten seien. Auch die subjektiven psychischen Beschwerden, die von der Klägerin in den sechziger Jahren als Ermüdung wahrgenommen worden seien, seien als Frühzeichen der sich entwickelnden Enzephalopathie zu bewerten. Da die Klägerin von Natur aus nicht klagsam sei, habe sie diese Erscheinungen bei ihrem ersten Auftreten nicht in den Vordergrund gestellt. Die neurotisch klassifizierten Arbeitsunfähigkeiten ab 1972 seien als Ausdruck der toxischen Enzephalopathie zu betrachten. Die haftungsbegründende Kausalität für eine BK durch CS 2 sei voll gegeben. Der passagere und episodische Alkoholmissbrauch der Klägerin sei durch CS 2 -Sniffing vermittelt und keine typische chronische Alkoholabhängigkeit. Insofern habe potenziell die stattgehabte CS 2 -Exposition unmittelbar zu dem Alkoholmissbrauch beigetragen. Die MdE durch die toxische Enzephalopathie betrage 55 v. H., denn es könnten höhere thematische Integrationsleistungen vom Gehirn nicht mehr bewältigt werden. Soweit Dr. K eine MdE von 30 v. H. vorgeschlagen habe, beziehe sich dies auf neuere Expositionsszenarien mit nur geringen und gelegentlichen MAK-Überschreitungen. Er habe selbst am Zentralinstitut für Arbeitsmedizin langjährig Hochexponierte aus dem Zellwollwerk W untersucht. Minderungen der Erwerbsfähigkeit bis 60 oder gar 70 v. H. seien keine Seltenheit gewesen. Die CS 2 -Konzentrationen seien denen in P vergleichbar gewesen. Auch aus der Tschechoslowakei seien ähnlich hohe Entschädigungen berichtet worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat, ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer Berufskrankheit und dementsprechend keinen Anspruch auf Gewährung entsprechender Leistungen.

Anders als vom Sozialgericht angenommen ist vorliegend einzig und allein das ab dem 01. Januar 1997 geltende Siebente Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) anzuwenden, denn es lässt sich nicht feststellen, dass ein möglicher Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten des SGB VII eingetreten wäre (§ 212 SGB VII). Keiner der im Laufe des Verfahrens gehörten Sachverständigen oder Gutachter konnte einen Versicherungsfall vor dem 01. Januar 1997 feststellen. Der Gutachter Dr. K hat als Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles mangels eines anderen plausiblen Zeitpunktes den Tag der Berufskrankheitenverdachtsanzeige vorgeschlagen, dem schließt sich der Senat an. Ein anderer nachvollziehbarer Zeitpunkt für den Beginn der bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen lässt sich nicht feststellen.

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII, Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören nach Nr. 1305 der Anlage zur BKV Erkrankungen durch Schwefelkohlenstoff.

Voraussetzung für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die vorliegende Erkrankung konkret individuell durch entsprechende Einwirkungen des Stoffes wesentlich verursacht bzw. verschlimmert worden ist und dass die Einwirkungen wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sind. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung für die Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit – nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG Urteil vom 02. Mai 2001, Az. B 2 U 16/00 R SozR 3-2200 § 551 RVO Nr. 16 m.w.N.). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Faktoren ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass die richterliche Überzeugung hierauf gestützt werden kann (BSG, Urteil vom 06. April 1989, Az. 2 RU 69/87, zitiert nach Juris; Urteil vom 02. Februar 1978, Az. 8 RU 66/77, BSGE 45, 285, 286).

Unter Beachtung dieser Vorgaben hat die Klägerin zur Überzeugung des Senats keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen der BK Nr. 1305 vorliegen, denn es lässt sich zwischen den seit März 1999 diagnostizierten Erkrankungen und den bis zur Aufgabe der Tätigkeit 1974 auf die Klägerin einwirkenden schädlichen Expositionen kein ursächlicher Zusammenhang herstellen.

Unstreitig war die Klägerin von 1959 bis 1974 bei Berücksichtigung sämtlicher krankheits- und schwangerschaftsbedingter Ausfälle in einem Zeitraum von ca. 11,5 Jahren Schwefelkohlenstoffen in gefährdender Höhe ausgesetzt, wie sich auch aus der Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten vom 21. Mai 1999 ergibt. Hier schätzte der Technische Aufsichtsbeamte Dipl.-Chem. S ein, dass die Klägerin erhöhten CS 2 -Expositionen ausgesetzt gewesen sei, so dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung einer Berufskrankheit nach der BK Nr. 1305 gegeben seien.

Es erscheint jedoch schon fraglich, ob bei der Klägerin ein Krankheitsbild gefunden werden kann, welches (überhaupt) durch eine CS 2 -Exposition hervorgerufen werden kann. Die Klägerin klagt seit 1999 eine Vielzahl unspezifischer psychiatrischer Beschwerden, die dazu geführt haben, dass die im vorliegenden Fall bisher tätigen Sachverständigen und Gutachter unterschiedliche Diagnosen gestellt haben. So hat der im erstinstanzlichen Verfahren zum Sachverständigen bestellte Prof. Dr. Ch eine Somatisierungsstörung diagnostiziert, eine Polyneuropathie konnte er bei der Klägerin nicht feststellen. Die von der Klägerin beauftragten Dr. G und Dr. Dr. B fanden ein schweres hirnorganisches Psychosyndrom; Dr. G bestätigte zusätzlich eine Polyneuropathie. Der ebenfalls von der Klägerin beauftragte Dr. K führte aus, die bei der Klägerin beschriebenen unterschiedlichen Gesundheitsstörungen auf neuro-psychischem Gebiet würden weitestgehend denen einer toxischen Enzephalopathie bzw. einem psychoorganischen Syndrom entsprechen; er verneinte eine Polyneuropathie ausdrücklich. Der gemäß § 109 SGG als Sachverständiger bestellte Dr. Z diagnostizierte eine toxische Enzephalopathie unter dem Bilde eines speziellen psychoorganischen Syndroms mit pseudohysterischer Verhaltenstörung, ein toxisches Sniffing-Syndrom mit den Folgen eines episodischen Alkoholismus sowie den Verdacht auf eine Polyneuropathie. Der von der Beklagten beauftragte Gutachter Prof. Dr. Sch stellte bei der Klägerin ein pseudoneurasthenisches Syndrom fest. Der im Verwaltungsverfahren tätige Gutachter Dr. K fand eine dissoziative Störung.

Nach Auswertung dieser medizinischen Sachverständigengutachten und Stellungnahmen steht für den Senat fest, dass eine Polyneuropathie bei der Klägerin nicht mit der erforderlichen Sicherheit, d. h. im Vollbeweis, festgestellt werden kann. Einzig die Gutachterin Dr. G bejaht eine solche Polyneuropathie, legt ihrer Diagnosestellung aber überwiegend die Symptombeschreibungen der Klägerin zugrunde. Demgegenüber stellt u. a. auch der Gutachter Dr. K für den Senat überzeugend und nachvollziehbar fest, dass wiederholte klinische und elektroneurographische Untersuchungen eine Polyneuropathie nicht haben bestätigen können. Dem steht auch nicht die Verdachtsdiagnose des Sachverständigen Dr. Z entgegen, denn auch dieser konnte die Polyneuropathie nicht nachweisen, sondern äußert lediglich den Verdacht auf das Vorliegen einer solchen.

Auch ein schweres hirnorganisches Psychosyndrom bzw. eine toxische Enzephalopathie lassen sich zur Überzeugung des Senates nicht mit der notwendigen Sicherheit diagnostizieren. Überzeugend hat der Sachverständige Dipl.-Psych. R ausgeführt, dass eine hirnorganische Genese der bei der Klägerin vorliegenden Leistungsminderung zwar nicht ausgeschlossen, aber aufgrund der deutlichen Aggravationstendenz auch nicht verifiziert werden könne. Allein die Möglichkeit einer Erkrankung reicht jedoch nicht aus, die Krankheit muss vielmehr im Vollbeweis nachgewiesen sein. Auch der Sachverständige Dr. Z führt aus, dass die von ihm gestellte Diagnose eines organischen pseudohysterischen Syndroms lediglich durch die von ihm durchgeführten Tests weitestgehend gesichert sei. Soweit er im Übrigen ausführt, dass es unschwer erkennbar sei, dass bei der Klägerin sowohl ein spezielles enzephalopathisches Syndrom mit Störung der Sensomotorik als auch ein organisches pseudohysterisches Syndrom vorliegen, kann sich der Senat dem nicht anschließen. Dagegen, dass diese Erkrankung „unschwer erkennbar“ sei, sprechen die doch sehr unterschiedlichen Diagnosen, die bereits oben dargestellt wurden.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass die bei der Klägerin beschriebenen unterschiedlichen Gesundheitsstörungen auf neuro-psychischem Gebiet weitestgehend denen einer toxischen Enzephalopathie bzw. dem psychoorganischen Syndrom entsprechen, wie dies die Gutachter Dr. K, Dr. Z und im Ergebnis ähnlich Dr. G und Dr. Dr. B getan haben, fehlt es zur Überzeugung des Senates an dem hinreichend wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen Erkrankung und schädigenden Einwirkungen. Denn allein das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen reicht zur Bejahung einer Berufskrankheit nicht aus, es muss vielmehr auch der kausale Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und den bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen hinreichend wahrscheinlich sein.

Bereits Dr. G hatte in ihrem Gutachten vom 25. Juni 2000 ausgeführt, das das Vorliegen einer BK Nr. 1305 wahrscheinlich sei, retrospektiv jedoch eine 100-prozentige Beweisführung hinsichtlich des Kausalzusammenhanges schwierig sei. Ähnliches hat Dr. Dr. B in seinem Gutachten vom 16. November 2002 ausgeführt: „wegen der komplizierten Zusammenhänge gibt es niemanden, der eindeutig eine Kausalität belegen könne. Andererseits führte er aus, die toxische Substanz mache im Bereich der Psyche ausgesprochen diffuse Beschwerden. Ähnlich verhalte sich aber auch der Alkohol als toxische Substanz. Dr. K weist in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 02. Mai 2007 selbst daraufhin, dass insbesondere der nicht zu erbringende Nachweis von krankhaften Befunden oder Beschwerden in dem Zeitabschnitt von 1974 bis 1999, die als Brückensymptomatik für die Folgen der stattgehabten Schwefelkohlenstoffexposition zu werten gewesen wären, gegen einen Kausalzusammenhang sprechen würden. Sehr ausführlich befasst sich mit diesem Problem auch der Gutachter Prof. Dr. Sch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. April 2006 unter Auswertung der SV-Ausweise und der in ihnen enthaltenen Diagnosen. Soweit der Sachverständige Dr. Z die 1972 bis 1976 im Versicherungsausweis eingetragenen Diagnosen „Nervosität“, „Nervensystem-Symptome“ und „Neurosen“ mit hoher Wahrscheinlichkeit für Brückensymptome hält, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen, denn um hierin Brückensymptome für die von ihm diagnostizierten pseudoneurotischen Enzephalopathien zu sehen, muss er die eigentlich niedergelegten Diagnosen zunächst umdeuten.

Soweit der Sachverständige Dr. Z ausführt, eine prämorbide Debilität der Klägerin liege nicht vor, da sie am Anfang der CS 2 -Exposition die 9. und 10. Klasse (1970 bis 1972) nachgeholt habe, schließt sich der Senat dieser Einschätzung an. Auch zum Ende der CS 2 -Exposition hin waren jedoch nach Aussagen der Klägerin noch Qualifizierungsmaßnahmen zur Meisterin geplant. 1984, also 10 Jahre nach Ende der Exposition, hat sie eine weitere Qualifizierungsmaßnahme erfolgreich abgeschlossen. Auch zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin offensichtlich ausreichend geistig belastbar. Soweit der Sachverständige Dr. Z hieraus schließt, dass die von Dr. Ge und Dipl.-Psych. R gefundenen niedrigen IQ-Werte später erworben worden sein müssen, ist dies für den Senat nachvollziehbar, nicht nachvollziehbar ist jedoch der Schluss, dass dies durch die 1974 beendete CS 2 -Exposition erfolgt sein müsse. Differenzialdiagnostisch dürfte hier ebenso der spätestens 1979 beginnende Alkoholabusus in Betracht kommen. Im Übrigen enden auch die von Dr. Z angenommenen Brückensymptome spätestens 1976.

Es würde sich auch nichts anderes ergeben, wenn man die Voraussetzungen der Anerkennung einer Berufskrankheit - wie vom Sozialgericht vorgenommen - unter der Annahme des Eintritts eines Versicherungsfalles vor dem 01. Januar 1992 prüft. Gemäß § 215 Abs. 1 S. 1 SGB VII ist für die Übernahme der vor dem 01. Januar 1992 im Beitrittsgebiet eingetretenen Unfälle und Krankheiten als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung § 1150 Abs. 2 und 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Fassung weiter anzuwenden. Gemäß § 1150 Abs. 2 RVO gelten als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne des Dritten Buches (der RVO) Unfälle und Krankheiten, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren. Dies gilt nicht für Unfälle und Krankheiten, die einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch (der RVO) nicht zu entschädigen wären. Sind Versicherungsfälle somit vor dem 01. Januar 1992 eingetreten und wie hier dem Versicherungsträger erst nach dem 01. Dezember 1993 gemeldet worden, müssen sowohl die Voraussetzungen der Anerkennung einer Berufskrankheit nach dem Dritten Buch der RVO als auch nach dem Recht des Beitrittsgebietes vorliegen. Da die Voraussetzungen nach dem Dritten Buch der RVO, die denen des SGB VII entsprechen, wie oben dargestellt, nicht vorliegen, kommt es auf die Prüfung des Rechts des Beitrittsgebietes nicht mehr an.

Nach alledem ist die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.