Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat | Entscheidungsdatum | 24.11.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 10 B 14.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 109 VwGO |
§ 109 VwGO gilt nur für Zwischenurteile, die die Zulässigkeit der Klage bejahen.
Das Zwischenurteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. August 2011 wird aufgehoben.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin, die im Bundesgebiet mehrere Kinos betreibt, begehrt die Gewährung von Filmfördermitteln.
Im Januar 2010 beantragte sie bei der Beklagten Projektfilmförderung zur Einführung eines neuen Kassensystems in Verbindung mit einer Änderung der Kinosoftware. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 16. Juni 2010 ab und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 2010, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 9. Dezember 2010, zurück.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz von Montag, dem 10. Januar 2011, beim Verwaltungsgericht auf dem Postweg eingegangen am Dienstag, dem 11. Januar 2011, Klage erhoben. Am 21. Januar 2011 hat sie unter Vorlage eines Fax-Protokolls vom 10. Januar 2011 und zweier eidesstattlicher Versicherungen wegen Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen geltend gemacht, die ausgebildete, zuverlässige, seit Jahren beanstandungsfrei arbeitende und im Wege von Stichproben kontrollierte Rechtsanwaltsfachangestellte habe die Klageschrift am 10. Januar 2011 weisungswidrig statt an das Verwaltungsgericht Berlin an die Beklagte gefaxt.
Nach überwiegender Klaglosstellung der Klägerin durch Bescheide der Beklagten vom 29. Juni und 12. August 2011 hat sie die Klage teilweise - im Umfang der (nachträglichen) Bewilligung - zurückgenommen.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 16. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 2010 zu verpflichten, ihr Projektförderung in Höhe von 36.472,- Euro zu bewilligen und ihr wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Mit im Wege schriftlicher Entscheidung ergangenem Zwischenurteil vom 23. August 2011 hat das Verwaltungsgericht vorab über die Zulässigkeit der Klage entschieden und diese verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei wegen Versäumung der einmonatigen Klagefrist unzulässig. Der Klägerin sei keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil die Fristversäumnis auf einem Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruhe, das sie sich zurechnen lassen müsse. Zugleich hat das Verwaltungsgericht zur obergerichtlichen Klärung, welche Anforderungen an die allgemeine Anweisung eines Rechtsanwalts an seine Bürofachangestellten zu stellen sind, die Berufung zugelassen.
Zur Begründung der am 15. September 2011 eingelegten Berufung trägt die Klägerin vor, die Versäumung der Klagefrist beruhe nicht auf einer mangelhaften Büroorganisation ihres Prozessbevollmächtigten, sondern auf einer individuellen Fehlentscheidung der ausführenden Sekretärin, die eine konkrete Einzelweisung, bei deren Befolgung die Klagefrist gewahrt worden wäre, missachtet habe.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage für zulässig zu erklären.
Die Beklagte stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte, die vorgelegen hat und - soweit erheblich - Gegenstand der Entscheidung gewesen ist, Bezug genommen.
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§§ 101 Abs. 2, 125 Abs. 1 VwGO).
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung führt zur Aufhebung des angefochtenen Zwischenurteils wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels. Das Verwaltungsgericht hätte über die von ihm als unzulässig angesehene Klage nicht durch Zwischenurteil entscheiden dürfen, sondern hätte ein abweisendes (Prozess-)Endurteil erlassen müssen.
Nach § 109 VwGO kann über die Zulässigkeit der Klage durch Zwischenurteil entschieden werden. Unter die Vorschrift fallen allerdings nur Urteile, die die Klage für zulässig halten. Wird die Klage demgegenüber vom Gericht als unzulässig angesehen, so erfolgt Klageabweisung durch Prozessurteil. Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut, jedoch aus dem Sinn und Zweck des § 109 VwGO, der - worauf das Verwaltungsgericht zutreffend abgestellt hat - darin besteht, die entscheidungsreife Zulässigkeitsfrage zu klären, bevor sich das Gericht und die Verfahrensbeteiligten mit dem - möglicherweise schwierigen und umfangreichen - Prozessstoff abschließend in der Sache selbst befassen. Denn im Falle der Unzulässigkeit der Klage bedarf es keiner Behandlung der Begründetheit der Klage (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Dezember 1978 - BVerwG IV C 11.76 -, Buchholz 442.40 § 6 LuftVG Nr. 9, juris, Rz. 58, und vom 4. Februar 1982 - BVerwG 4 C 58/81 -, BVerwGE 65, 27, juris, Rz. 6; OVG Münster, Urteile vom 14. Februar 1962 - IV A 1169/61 -, MDR 1962, 852, und vom 2. September 1971 - X A 1236/69 -, OVGE 27, 96, 98; Wolff in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 109 Rz. 11 und Clausing in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Juni 2011, § 109 Rz. 5, jeweils m.w.N.).
Angesichts des Umstands, dass das Verwaltungsgericht das Zwischenurteil ausdrücklich auf § 109 VwGO gestützt und mit einer dementsprechenden Rechtsmittelbelehrung versehen hat, kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein - nur gemeinsam mit dem Endurteil angreifbares - (unselbständiges) Zwischenurteil gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 303 ZPO vorliegt. Auch eine Umdeutung der angefochtenen Entscheidung in ein (klageabweisendes) Endurteil kommt wegen der eindeutigen Urteilsformel und der auf die Behandlung des Wiedereinsetzungsbegehrens beschränkten Entscheidungsgründe nicht in Betracht (vgl. OVG Münster, Urteil vom 2. September 1971, a.a.O., S. 97 f.).
Mit der Aufhebung des angefochtenen Urteils wird die Streitsache, die bis auf den Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Klage weiter beim Verwaltungsgericht anhängig geblieben ist, dort nun (wieder) insgesamt anhängig. Bei der erneuten Entscheidung wird das Verwaltungsgericht ggfs. zu berücksichtigen haben, dass der Senat mit Beschlüssen vom 30. September und vom 31. Oktober 2011 (Az.: OVG 10 S 8.11, OVG 10 N 96.11 und OVG 10 N 97.11) über die Anforderungen, die an die Büroorganisation von Prozessbevollmächtigten bei der Übermittlung von fristwahrenden Schriftsätzen per Fax zu stellen sind, entschieden hat.
Im Hinblick auf die Einheitlichkeit der Kostenentscheidung bleibt diese der (End-) Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorbehalten.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.