Gericht | OLG Brandenburg 1. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 06.01.2020 | |
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Aktenzeichen | 1 Ws 218/19 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2020:0106.1WS218.19.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam vom 30. August 2019 aufgehoben.
Der Antrag der Staatsanwaltschaft Potsdam vom 14. Juni 2019, die durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam vom 26. August 2014 (20 StVK 204/14) gewährte Strafaussetzung zur Bewährung zu widerrufen, wird abgelehnt.
Die Bewährungszeit aus dem Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam vom 26. August 2014 in Verbindung mit dem Beschluss derselben Kammer vom 11. Dezember 2017 wird um ein Jahr, mithin bis zum 02. September 2020, verlängert. Die Weisungen aus dem Bewährungsbeschluss vom 26. August 2014 bleiben aufrechterhalten.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten darin entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.
I.
Mit seiner sofortigen Beschwerde wendet sich der Verurteilte gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam vom 30. August 2019, mit dem die mit vorausgegangenem Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 26. August 2014 (20 StVK 204/14) gewährte Bewährungsaussetzung der Vollstreckung mehrerer Freiheitsstrafen zum gemeinsamen Zwei-Drittel-Termin widerrufen wurde.
Folgender Verfahrensgang liegt zugrunde:
Am 04. Dezember 2008 (2080 Js 18217/08.8 Ds) erkannte das Amtsgericht Neuwied wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 43 Fällen (§§ 21 StVG, 53 StGB) auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten gegen den Beschwerdeführer. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt, die Bewährung später widerrufen.
Mit Strafbefehl vom 11. August 2011 (2080 Js 81615/08.8 Ds) verhängte das Amtsgericht Neuwied gegen den Beschwerdeführer wegen Verletzung der Unterhaltspflicht gemäß § 170 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Auch diese Bewährungsaussetzung wurde in der Folgezeit widerrufen.
Wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen (§§ 21 StVG, 53 StGB) erkannte das Amtsgericht Potsdam am 26. Juni 2012 auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten gegen den Beschwerdeführer (89 Ds 458 Js 53983/11 [233/11]).
Mit Beschluss vom 03. Juli 2012 bildete das Amtsgericht Tiergarten ([310 Ds] 3041 PLs 8828/09 [41/09]) aus den vom Amtsgericht Neuwied am 23. Februar 2010 wegen Betruges (§ 263 Abs. 1 StGB) und vom Amtsgericht Tiergarten am 14. April 2010 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) jeweils gegen den Beschwerdeführer verhängten Freiheitsstrafen von vier Monaten eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten.
Nachdem der Beschwerdeführer in der Zeit vom 26. Juni 2012 bis zum 01. September 2014 jeweils 2/3 der Strafen verbüßt hatte, setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam mit Beschluss vom 26. August 2014 die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafen zur Bewährung aus, bestimmte eine Bewährungszeit von vier Jahren und unterstellte den Beschwerdeführer der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers.
Während der Bewährungszeit wurde der Beschwerdeführer erneut straffällig. Am 17. März 2017 verurteilte ihn das Amtsgericht Brandenburg an der Havel (25 Ds 306/15) wegen am 01. April 2015 begangenen Betruges (§ 263 Abs. 1 StGB) zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten und setzte eine Bewährungszeit von fünf Jahren fest. Daraufhin verlängerte die Strafvollstreckungskammer die im Beschluss vom 26. August 2014 bestimmte Bewährungszeit um ein Jahr, sodass sie bis zum 02. September 2019 währte (Beschluss vom 11. Dezember 2017, 20 StVK 204/14 Landgericht Potsdam).
Mit Strafbefehl vom 15. Juni 2018, rechtskräftig seit dem 04. Juli 2018, verhängte das Amtsgericht Rathenow wegen Betruges im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB eine Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 25,00 € gegen den Beschwerdeführer (2 Cs 4128 Js 24964/18 [214/18]). Die zugrunde liegende Tat hatte der Verurteilte in der Zeit vom 16. Oktober 2016 bis zum 30. November 2016 begangen.
Unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 17. März 2017 verurteilte das Amtsgericht Rathenow den Beschwerdeführer am 17. Mai 2017, rechtskräftig seit dem 29. Juni 2018, wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen (§§ 21 StVG, 53 StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten (2 Ds 54/17). Die zugrunde liegenden Taten hatte der Beschwerdeführer am 31. August 2016 und 23. Oktober 2016 begangen. Er verbüßte 2/3 der Strafe in der Zeit vom 13. September 2018 bis zum 28. Juni 2019. An diesem Tag wurde er auf der Grundlage des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam vom 26. Juni 2019 (20 StVK 212/19) entlassen. Die Kammer gewährte ihm darin entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft Potsdam Aussetzung des Vollzuges der Reststrafe zur Bewährung, setzte die Bewährungszeit auf drei Jahre fest und unterstellte den Beschwerdeführer der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers. Das Gericht hatte den Beschwerdeführer zuvor mündlich angehört. Im Rahmen dieser Anhörung hatte der Verurteilte auf den ihn erwartenden sozialen Empfangsraum verwiesen und eine Bescheinigung seines vormaligen Arbeitgebers vorgelegt, aus der hervorging, dass er im Fall seiner Entlassung vor dem 01. Juli 2019 seinen früheren Arbeitsplatz sofort wieder einnehmen könne.
Bereits am 10. September 2018, nachdem der Beschwerdeführer zum Strafantritt geladen worden war, hatte die für ihn zuständige Bewährungshelferin bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam angefragt, ob ein Widerruf der Bewährung geprüft werde. Weitere Anfragen identischen Inhalts waren gefolgt. Erst am 14. Juni 2019 beantragte die Staatsanwaltschaft Potsdam den Widerruf der mit Beschluss vom 26. August 2014 gewährten Strafaussetzung.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 30. August 2019 widerrief die Strafvollstreckungskammer nach Anhörung des Beschwerdeführers die am 26. August 2014 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung. Zu diesem Zeitpunkt war der Beschwerdeführer bereits aus der Haft entlassen worden.
Gegen diesen ihm am 04. September 2019 zugestellten Beschluss legte der Verurteilte am selben Tag sofortige Beschwerde ein, die er mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2019, der am 17. Oktober 2019 bei dem Landgericht einging, begründete. Er macht geltend, am 26. Juni 2019 zur Frage einer Zwei-Drittel-Entlassung in der Justizvollzugsanstalt angehört worden zu sein, von einem drohenden Widerruf in anderer Sache sei dabei nicht die Rede gewesen. Die Strafvollstreckungskammer habe ihm Bewährung eingeräumt, weil er eine Arbeitsstelle habe nachweisen können, die er nach seiner Entlassung auch angetreten habe. Die Termine bei seiner Bewährungshelferin halte er zuverlässig ein, habe sich darüber hinaus bei der Fahrerlaubnisbehörde nach einer MPU erkundigt und spare einen Teil seines Einkommens für die hierzu anfallenden Kosten. Der Widerruf der Strafaussetzung würde ihn aus seinem gerade aufgenommenen sozialen Leben mit seiner Ehefrau und deren drei Kindern reißen. Das Landgericht hätte während seiner Haftzeit eine Entscheidung treffen können.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt in ihrer Stellungnahme vom 19. Dezember 2019, den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam vom 30. August 2019 aufzuheben und die Reststrafen aus dem Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 03. Juli 2012, dem Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 26. Juni 2012, dem Urteil des Amtsgerichts Neuwied vom 04. Dezember 2008 und dem Strafbefehl desselben Gerichts vom 11. August 2011 zu erlassen.
II.
1. Die gemäß § 453 Abs. 2 S. 3 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist entsprechend §§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden und sonach zulässig.
2. Das Rechtsmittel hat in der Sache den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg, im Übrigen ist es unbegründet.
a) Die Voraussetzungen für den Widerruf der durch Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 26. August 2014 gewährten Strafaussetzung zur Bewährung liegen vor. Gemäß § 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass sich die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt hat. Der Beschwerdeführer ist innerhalb der durch die Strafvollstreckungskammer bis zum 02. September 2019 verlängerten Bewährungszeit erneut straffällig geworden, woraufhin ihn das Amtsgericht Rathenow am 17. Mai 2017, rechtskräftig seit dem 29. Juni 2018, unter Einbeziehung der sechsmonatigen Bewährungsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 17. März 2017 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilte. Die zugrunde liegenden Taten hatte der Beschwerdeführer am 31. August 2016 und 23. Oktober 2016 begangen. Der Beschwerdeführer ist Bewährungsversager.
b) Das Gericht sieht indessen dann von einem Widerruf der Strafaussetzung ab, wenn es ausreicht, die Bewährungszeit zu verlängern (§ 56 f Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB). Die vorliegend gegebenen Besonderheiten lassen es – unter Zurückstellung von erheblichen Bedenken – noch als ausreichend erscheinen, die Bewährungszeit um ein Jahr zu verlängern. Dadurch kann die nach § 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB enttäuschte Aussetzungsprognose wiederhergestellt werden. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht der Ahndung von Verfehlungen während der Bewährungszeit dient (Fischer, StGB, 66. Auflage, zu § 56 f, Rn. 8 m. w. N.). Die genannte Norm stellt nicht lediglich auf das Legalverhalten, sondern auf die Möglichkeit zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft ab (Fischer, a. a. O., Rn. 8 a m. w. N.). Um diese Wiedereingliederung ist der Verurteilte nach seinen Ausführungen in der Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer im Juni 2019 ernsthaft bemüht, indem er seinen vormaligen Arbeitsplatz wieder antreten und sich um seine Ehefrau und deren Kinder kümmern möchte. Im Ergebnis dieser Anhörung gewährte ihm die Kammer mit Beschluss vom 26. Juni 2019 nach Verbüßung von 2/3 der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Rathenow vom 17. Mai 2017 Aussetzung des Vollzuges der Reststrafe zur Bewährung. Hinzu tritt, dass dem Beschwerdeführer durch die zwischenzeitlich verbüßte Strafhaft eindringlich die Konsequenzen deliktischen Verhaltens vor Augen geführt wurden. Insoweit ist die zwischenzeitlich verbüßte Strafhaft geeignet, die ungünstige Prognose zu beseitigen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer am 28. Juni 2019 aus der Haft entlassen wurde und im Fall eines Widerrufs die Gefahr eines „Drehtüreffekts“ bestehen würde, der als grundsätzlich nachteilig für das zukünftige Verhalten zu werten ist (vgl. OLG Naumburg StV 2007, 197; Senat, Beschluss vom 08. August 2018, 1 Ws 123/18).
c) Die Bestimmung des § 56 a Abs. 1 StGB, nach welcher die Bewährungszeit fünf Jahre nicht überschreiten darf, steht einer Verlängerung nicht entgegen. Diese Obergrenze findet auf § 56 f Abs. 2 S. 2 StGB keine Anwendung (Fischer, a. a. O., zu § 56 a Rn. 1 und zu § 56 f Rn. 17 m. w. N.). Angesichts durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 11. Dezember 2017 erfolgter Verlängerung der ursprünglich vierjährigen Bewährungszeit um ein Jahr ist eine neuerliche Verlängerung um ein weiteres Jahr möglich, denn dadurch wird die zunächst bestimmte Bewährungszeit insgesamt um nicht mehr als die Hälfte verlängert (vgl. zu dieser Obergrenze Hanseatisches OLG, Beschluss vom 21. Oktober 1998 – 2 Ws 247-248/98, Rn. 18, Juris; Fischer, a. a. O., zu § 56 f Rn. 17 m. w. N.).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass das Rechtsmittel überwiegend Erfolg hat.