Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 7. Kammer | Entscheidungsdatum | 25.03.2014 | |
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Aktenzeichen | 7 Sa 2161/13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 1 KSchG |
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14.11.2013 - 1 Ca 6464/13 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung nach Interessenausgleich und Namensliste.
Der am …..1960 geborene und verheiratete Kläger ist seit dem 08.09.2003 bei der Beklagten, die als Träger für Berufsausbildungs- und Berufsausbildungsvorbereitungsmaßnahmen Qualifizierungen für Jugendliche und junge Erwachsene durchführt, als Ausbilder im Fachbereich Farbtechnik/Raumgestaltung mit einem Bruttomonatsverdienst von zuletzt 2.520,00 Euro beschäftigt. Seine Ehefrau ist arbeitslos. Seine Mutter lebt seit dem 10.04.2012 in einem Pflegeheim. Der Kläger ist als ihr Betreuer benannt und beantragte für sie Sozialhilfe zur Deckung der Pflegekosten. Mit Schreiben vom 02.10.2013 (Bl. 91 f.) zeigte das Bezirksamt N. gemäß § 94 SGB XII den Übergang von Unterhaltsansprüchen der Mutter gegenüber ihrem Sohn an. Zu tatsächlichen Unterhaltszahlungen wurde der Kläger bisher nicht herangezogen.
Nachdem das Land Berlin beschlossen hatte, ein für die Beklagte wesentliches Ausbildungsprojekt nicht mehr fortzusetzen, trat die Beklagte mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat in Verhandlungen über erforderliche Personalanpassungsmaßnahmen. Die Betriebsparteien vereinbarten mit Datum vom 09.04.2013 Auswahlrichtlinien, die u.a. neben den für Kinder zu vergebenden Punkte weitere fünf Punkte für jede „andere unterhaltsberechtigte Person“ vorsehen. Weiterhin ist dort geregelt, dass bei gleicher Punktzahl der Mitarbeiter mit der kürzeren Betriebszugehörigkeit weniger schutzwürdig ist. Außerdem schlossen die Betriebsparteien unter dem 15.04.2013 einen Interessenausgleich mit Namensliste und einen Sozialplan. Der Kläger ist in der Namensliste aufgeführt. Bei der Punkteverteilung für Unterhaltsverpflichtungen bewertete die Beklagte den Status „verheiratet“ mit fünf Punkten, unabhängig davon, ob ein Doppelverdienst vorlag. Der Kläger erhielt insgesamt 76 Punkte, wobei die Mutter des Klägers nicht als Unterhaltsverpflichtung bewertet wurde. Ein mit dem Kläger vergleichbarer Mitarbeiter, dessen Ehefrau berufstätig ist, erhielt bei gleichem Alter wie der Kläger und einer Betriebszugehörigkeit seit dem 01.09.2003 ebenfalls 76 Punkte und wurde gegenüber dem Kläger aufgrund der etwas längeren Betriebszugehörigkeit als sozial schutzbedürftiger eingestuft.
Zuvor hatte die Beklagte den Kläger, wie auch andere Mitarbeiter mit Schreiben vom 19.03.2013 unter Fristsetzung bis zum 02.04.2013 aufgefordert, Veränderungen seiner persönlichen Unterhaltspflichten („Ehe-/Lebenspartner; Kinder“) mitzuteilen. Auf dieses Schreiben reagierte der Kläger nicht. In einem Gespräch am 22.04.2013, an dem ein Betriebsratsmitglied teilnahm, bestätigte der Kläger die Aktualität der sich aus der Lohnsteuerkarte und seinen Personalunterlagen ergebenden Sozialdaten und verneinte die Frage nach Unterhaltszahlungen an seine Mutter.
Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 29. April 2013, dem Kläger zugegangen am selben Tag, zum 31.August 2013. Der Kläger hält insbesondere die Sozialauswahl für fehlerhaft, da die Ehefrau des im Betrieb verbliebenen Kollegen berufstätig und damit nicht als unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen sei und die Beklagte zudem seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner Mutter, die sich schon zum Zeitpunkt der Kündigung hinreichend abgezeichnet habe, nicht berücksichtigt habe.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 14. November 2013, auf dessen Tatbestand wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, die Kündigungsschutzklage und Klage auf vorläufige Weiterbeschäftigung abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung entgegengestanden hätten, bedingt. Der Kläger habe die Vermutungswirkung des Interessenausgleichs mit Namensliste nicht widerlegt. Die Sozialauswahl erweise sich nicht als grob fehlerhaft. Die Beklagte habe in zulässiger Weise die bloße Möglichkeit einer Inanspruchnahme des Klägers zu Unterhaltszahlungen für seine Mutter nicht berücksichtigt, da der Kläger weder zum Zeitpunkt der Kündigung Unterhaltszahlungen geleistet habe, noch zum damaligen Zeitpunkt absehbar gewesen sei, dass und ggf. inwiefern er in Anspruch genommen werde. Auch seien diese Unterhaltspflichten der Beklagten nicht bekannt gewesen. Doppelverdienst von Ehepartnern habe die Beklagte nicht gesondert bewerten müssen.
Gegen dieses dem Kläger am 03.12.2013 zugestellte Urteil richtet sich seine Berufung, die er mit einem beim Landesarbeitsgericht am 17.12.2013 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und mit einem beim Landesarbeitsgericht am 30.01.214 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Der Kläger vertritt im Berufungsverfahren wie bereits erstinstanzlich die Auffassung, die Sozialauswahl sei grob fehlerhaft, weil die Beklagte bei dem mit ihm vergleichbaren Meister für Unterhaltspflichten fünf Punkte gegeben habe, obwohl dessen Ehefrau aufgrund ihrer Berufstätigkeit keinen Unterhaltsanspruch habe. Auch hätte die Beklagte seine Unterhaltspflicht gegenüber seiner Mutter mit fünf Punkten bewerten müssen. Diese Unterhaltspflicht verwirkliche sich, wie schon das Überleitungsschreiben des Sozialamts zeige.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14.11.2013, Az. 1 Ca 6464/13 abzuändern und
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29. April 2013, ihm zugegangen am gleichen Tag, nicht zum 31. August 2013 aufgelöst beendet wurde.
2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen als Ausbilder vorläufig weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil. Die Sozialauswahl entspreche der Auswahlrichtlinie und sei nicht grob fehlerhaft. Maßgeblich seien allein die bestehenden Unterhaltspflichten zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Die Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seiner Mutter habe sich nicht realisiert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Vorbringen in dem mündlichen Verhandlungstermin Bezug genommen.
1. Die gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist von ihm fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 S. 1 und 2 ArbGG).
Die Berufung des Klägers ist daher zulässig.
2. Die Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage – soweit für das Berufungsverfahren relevant – zu Recht abgewiesen. Die streitgegenständliche Kündigung ist rechtswirksam. Entgegen der Auffassung des Klägers erweist sich die Kündigung auch nicht wegen fehlerhafter Sozialauswahl als sozial ungerechtfertigt, wobei nach § 1 Abs. 5 KSchG wegen des Interessenausgleichs mit Namensliste der Prüfungsmaßstab ohnehin auf eine grobe Fehlerhaftigkeit begrenzt ist. Das Berufungsgericht nimmt auf die zutreffende Begründung des Arbeitsgerichts Bezug und sieht von einer eigenen Darstellung ab (§ 69 Abs.2 ArbGG). Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers in der Berufungsinstanz ist noch folgendes auszuführen:
2.1 Die Sozialauswahl erweist sich nicht bereits deshalb als grob fehlerhaft, weil die Beklagte dem Kollegen des Klägers zu Unrecht fünf Punkte für seine berufstätige Ehefrau vergeben hätte. Dies entsprach den Regelungen der Auswahlrichtlinie, wonach andere unterhaltsberechtigte Personen mit fünf Punkten zu berücksichtigen sind. Die Regelung ist nicht aus sonstigen Gründen fehlerhaft.
2.1.1 Die Beklagte hat die Unterhaltspflicht des Kollegen gegenüber seiner Ehefrau zu Recht mit fünf Punkten bewertet. Nach der Auswahlrichtlinie sind „andere unterhaltsberechtigte Personen“ als Kinder mit fünf Punkten zu bewerten. Ungeachtet ihrer Berufstätigkeit ist die Ehefrau des Kollegen diesem gegenüber unterhaltsberechtigt. Denn die Unterhaltspflicht der in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehepartner untereinander gemäß § 1360 BGB besteht unabhängig davon, ob der jeweilige Ehepartner tatsächlich unterhaltsbedürftig ist (BAG v. 28.06.2012 – 6 AZR 682/10 – NZA 2012, 1090-1097).
2.1.2 | Die Auswahlrichtlinie erweist sich insoweit nicht als unwirksam. Nach § 95 Abs. 1 BetrVG können die Betriebsparteien Auswahlrichtlinien über die personelle Auswahl auch bei Kündigungen aufstellen. Wird in einer solchen Betriebsvereinbarung festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, kann die von den Betriebsparteien getroffene Bewertung der sozialen Kriterien im Verhältnis zueinander nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden (§ 1 Abs. 4 KSchG). Bei der Aufstellung der Auswahlrichtlinien sind die Betriebsparteien an die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes gebunden. Sie können die gesetzlichen Anforderungen an die Sozialauswahl nicht abweichend von § 1 Abs. 3 KSchG festlegen (BAG v. 12. August 2010 – 2 AZR 945/08 –, juris). |
Diesen gesetzlichen Vorgaben in § 1 Abs. 3 KSchG entsprach es, wenn die Betriebsparteien bei der Aufstellung der Auswahlrichtlinie für „andere unterhaltsberechtigte Personen“ fünf Punkte vorgesehen haben und dabei keine Differenzierung danach vorgenommen haben, ob die Ehepartner berufstätig sind oder nicht. Nach § 1 Abs. 3 KSchG sind bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Zu diesen Unterhaltsverpflichtungen zählt die Verpflichtung zur Gewährung von Familienunterhalt an den in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten gemäß § 1360 BGB. Diese darf nicht gänzlich außer Betracht gelassen werden (BAG v. 28.06.2012 – 6 AZR 682/10 – a.a.O.) Demgegenüber mussten die Betriebsparteien keine Regelung dazu treffen, dass Doppelverdienst des Ehegatten zu einer Verminderung der zu vergebenden Punkte führt. § 1 Abs. 3 KSchG sieht eine solche Differenzierung der Unterhaltspflichten nicht zwingend vor. Einer solchen Verpflichtung steht auch die Wertentscheidung des Grundgesetzes (Art. 6 Abs. 1 GG) entgegen, mit der es unvereinbar wäre, § 1 Abs. 3 KSchG dahingehend auszulegen, dass der Arbeitgeber im Ergebnis verpflichtet würde, einem verheirateten Arbeitnehmer nur wegen seiner familiären Bindung zu kündigen (BAG, Urteil vom 05. Dezember 2002 – 2 AZR 549/01 –, juris). Gegen eine solche Verpflichtung spricht zudem, dass die Berücksichtigung von Doppelverdienst eine mittelbare Diskriminierung von Frauen darstellen und weiterhin den Verheirateten gegenüber den nichtehelichen Lebensgemeinschaften benachteiligen kann (Kiel in A/P/S Kündigungsrecht, 12. Aufl. § 1 Rz. 724). Dass im vorliegenden Fall beide von der Sozialauswahl betroffenen Arbeitnehmer verheiratet sind, führt zu keiner anderen Beurteilung. Auswahlrichtlinien - wie hier - stellen generelle Grundsätze zur Punktevergabe auf, die nicht bezogen auf den jeweiligen Einzelfall die Sozialkriterien bewerten sollen. Jedenfalls erweist sich eine Auswahlrichtlinie, die eine solche Differenzierung nicht trifft, nicht als rechtsunwirksam, die sich daraus ergebende Sozialauswahl nicht als grob fehlerhaft.
2.2 | Die Sozialauswahl erweist sich auch nicht deshalb als grob fehlerhaft, weil die pflegebedürftige Mutter des Klägers bei der Punktevergabe nicht berücksichtigt wurde. Dabei kann dahinstehen, ob für die Bewertung der Unterhaltspflichten allein auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigung abzustellen ist (so Kiel in A/P/S Kündigungsrecht a.a.O, Rz 723) oder ob auch konkret abzusehende zukünftige Unterhaltsverpflichtungen einzubeziehen sind (KR/Griebeling, 10. Aufl. 2013 § 1 KSchG Rn. 677 c). Nach beiden Maßstäben war die Mutter des Klägers nicht als unterhaltsberechtigte Person im Sinne der Auswahlrichtlinien anzusehen. Weder hat der Kläger im Zeitpunkt der Kündigung Unterhalt geleistet, noch war er dazu verpflichtet. |
Die nach §§ 1601, 1602 BGB grundsätzlich bestehende Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seiner Mutter ist gemäß § 1603 BGB davon abhängig, ob der Kläger ohne Gefährdung eines angemessenen Lebensunterhalts auch leistungsfähig ist. Nur soweit die Kinder leistungsfähig sind, sind sie ihren Eltern gegenüber unterhaltsverpflichtet.
Nach diesen Regelungen ist der Kläger nicht verpflichtet, seiner Mutter Unterhalt zu gewähren. Das Bruttomonatseinkommen des Klägers bei der Beklagten betrug 2.520 Euro. Nach dem Vortrag des Klägers ergab sich daraus ein Nettobetrag in Höhe von etwa 1.900 Euro. Der angemessene Selbstbehalt gegenüber dem Unterhaltsanspruch der Eltern beträgt mindestens 1.500 Euro (vgl. Düsseldorfer Tabelle, Stand 2011, veröffentlicht in juris). Hinzu kommt der angemessene Unterhalt seiner Ehefrau in Höhe von mindestens 1.200,00 Euro, die seiner Mutter beim Unterhalt vorgeht (§ 1600 BGB Nr. 2 und 6). Diese Freibeträge übersteigen das Einkommen des Klägers, so dass eine gesetzliche Verpflichtung des Klägers zur Zahlung von Unterhalt an seine Mutter nicht eintreten konnte. Dem entspricht es, dass der Kläger weder zum Zeitpunkt der Kündigung tatsächlich Unterhalt gezahlt noch zu einem späteren Zeitpunkt auch tatsächlich in Anspruch genommen wurde. Soweit der Kläger auf die Überleitungsanzeige abstellt, die erst nach der Kündigung erfolgte, führte diese nicht konstitutiv zur Unterhaltsverpflichtung. Die Überleitung von Ansprüchen setzt zunächst voraus, dass ein solcher Anspruch auch besteht.
Bei dieser Sachlage stellt es sich nicht als grob fehlerhaft dar, die Mutter des Klägers nicht zu seinen Gunsten als unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen. Zahlt der Kläger keinen Unterhalt und kann er auch nicht zu einem solchen herangezogen werden, bedarf es nach dem Sinn und Zweck der Sozialauswahl keiner besonderen Berücksichtigung einer solchen noch nicht einmal potentiell bestehenden Unterhaltspflicht. Die Sozialauswahl ohne diese erweist sich nicht als grob fehlerhaft.
3. Dass die Kündigung aus anderen Gründen unwirksam wäre, macht der Kläger im Berufungsverfahren nicht mehr geltend. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts voll umfänglich Bezug genommen.
4. Die Berufung des Klägers war zurückzuweisen, mit der Folge, dass der Kläger gemäß § 97 ZPO die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen hat. Die Zulassung der Revision kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen.