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Asylrecht Eilverfahren


Metadaten

Gericht VG Frankfurt (Oder) 1. Kammer Entscheidungsdatum 24.07.2013
Aktenzeichen VG 1 L 213/13.A ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage (VG 1 K 841/13.A) gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Juli 2013 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der sinngemäß dem Tenor entsprechende Antrag des pakistanischen Antragsstellers, der sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen seine Überstellung nach Ungarn wendet, hat Erfolg.

Der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes steht die Rechtsvorschrift des § 34 a AsylVfG nicht entgegen. Nach ihrem Wortlaut schließt die Vorschrift die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 VwGO oder § 123 VwGO für die Fälle aus, in denen ein Ausländer unter anderem in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG) abgeschoben werden soll. Dieser Ausschluss gilt bei europarechts- und verfassungskonformer Auslegung des § 34 a AsylVfG nicht ausnahmslos. Unionsrecht steht der unwiderleglichen Vermutung entgegen, wonach jeder nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin-II-Verordnung), für das Asylverfahren zuständige Staat die Unionsgrundrechte beachtet. So ist Artikel 4 der Europäischen Grundrechtscharta dahin auszulegen, dass die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union einschließlich der nationalen Gerichte dafür Sorge tragen müssen, dass ein Asylbewerber nicht an den nach der Dublin-II-Verordnung an sich zuständigen Mitgliedsstaat überstellt wird, wenn dort systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bestehen, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragssteller tatsächlich Gefahr läuft, in diesem Mitgliedsstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne der Charta ausgesetzt zu werden. Nur dadurch können die Mitgliedsstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Grundrechtsschutz der Asylbewerber nachkommen (vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofs –Große Kammer - vom 21. Dezember 2011, InfAuslR 2012, 108). Darüber hinaus ist § 34 a AsylVfG im Lichte der grundrechtlich geschützten Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) verfassungskonform und in Übereinstimmung mit den Bestimmungen zum vorläufigen Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 2 Satz 3 der Dublin-II-Verordnung dahin auszulegen, dass die Überprüfung des Abschiebungsvorhabens, etwa nach § 80 Abs. 5 VwGO, entgegen dem Wortlaut des § 34 a AsylVfG dann zulässig ist, wenn der Ausländer von einem der durch das sogenannte normative Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 14. Mai 1996, BVerfGE 94, 49).

Vorliegend bestehen nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn systemische Mängel aufweisen und für den Antragsteller die europaweiten Mindeststandards nicht gewährleistet sind.

Dies ist für Ungarn jedenfalls für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzunehmen. Das Verwaltungsgericht Magdeburg hat im Beschluss vom 11. April 2013 (9 B 140/13 MD) hierzu ausgeführt:

„Das Gericht ist davon überzeugt, dass – zumindest derzeitig – ein rechtsstaatliches Asylverfahren in Ungarn nicht gewährleistet ist. Das Schutzniveau, welches die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004) insbesondere in Art. 28 (Sozialleistungen) und in Art. 31 (Zugang zu Wohnraum) festlegt, kann dort ebenso wenig gewährleistet werden wie ein richtlinienkonformes Asylverfahren nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003. Ferner wird gegen die Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.01.2011) zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern verstoßen. Weiter bestehen erhebliche Bedenken, ob ein Zurückschicken des Antragstellers nicht einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellt. Dabei sind die derzeitigen augenblicklichen und tatsächlichen Verhältnisse des Mitgliedsstaates Ungarn zu bewerten.

Diese Bedenken des Gerichts werden von der überwiegenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geteilt (vgl. nur: VG Ansbach, Beschluss vom 07.01.2013, AN 11 EE 13.30006; VG Stuttgart, Beschluss vom 14.08.2012, A 7 K 2589/12, jeweils m. w. Nachw.; alle juris). Insbesondere aus dem UNHCR Positionspapier vom April 2012 und dem Bericht von Pro Asyl vom 15.03.2012 ergibt sich, dass die Unterbringungsmöglichkeiten insbesondere bei Minderjährigen in Ungarn europäischen Standards nicht entsprechen. Misshandlungen in der Haft und Ruhigstellung renitenter Flüchtlinge mittels Medikamenten sei regelmäßig zu beobachten. Gerade nach der Dublin-II-Verordnung an Ungarn überstellter Asylbewerber müssten mit ihrer Inhaftierung und Abschiebung rechnen (vgl. VG Trier, Urteil v. 30.05.2012, 5 K 967/11.Tr; juris; mit Verweis auf Stellungnahme des österreichischen Büros des UNHCR und Auskunft des AA vom 09.11.2011 an VG Regensburg sowie Bericht des ungarischen Helsinki-Komitees). Weitere derartige Auskünfte ergeben sich aus den im Internet zugänglichen Berichten der genannten Organisationen, wonach UNHCR Menschenrechtsverletzungen im ungarischen Asylsystem belegt und über dramatische Situationen von Flüchtlingen in Ungarn berichtet.

An dieser Einschätzung ändert zur Überzeugung des Gerichts nichts, dass der ungarische Staat wohl seit Ende 2012/Anfang 2013 bemüht ist, durch gesetzliche Vorhaben diesen Missständen zu begegnen. Nach dem update (Dezember 2012) des UNHCR-Berichts vom Oktober und April 2012 (einzusehen über: Informationsverbund Asyl & Migration: www.asyl.net/) sollen nunmehr die Asylgründe von Asylsuchenden auch inhaltlich geprüft werden und die Praxis, Asylsuchende in Haft zu nehmen sei stark rückläufig und werde staatlich wie richterlich kontrolliert. Demnach haben sich erkennbar aktuell das Verwaltungsgericht Potsdam (Beschluss v. 26.02.2013, 6 L 50/13.A; juris) und das Verwaltungsgericht Trier (Beschluss vom 15.01.2013, 5 L 51/23.Tr.; juris) der Rechtsauffassung angeschlossen, dass - nunmehr – keine unionswidrige Asylpraxis in Ungarn mehr zu befürchten sei und daher die Voraussetzungen für das Selbsteintrittsrecht der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr vorlägen.“

Ebenso wenig wie das Verwaltungsgericht Magdeburg ist das beschließende Gericht davon überzeugt, dass tatsächlich eine Änderung der Praxis des Asylverfahrens in Ungarn eingetreten ist. Diese Einschätzung wird ferner geteilt von anderen Verwaltungsgerichten in vergleichsweise aktuellen Entscheidungen (vgl. Bayerisches Verwaltungsgericht München, Beschluss vom 3. Juli 2013, M 10.S 13.3061.13; Verwaltungsgericht Hamburg, Beschluss vom 13. Juni 2013, 19 AE 1608/13; Verwaltungsgericht Hannover, Beschluss vom 18 März 2013, 1 B 2448/13; alle „eu-bordermonitoring“). Dass sich keine nachhaltige Änderung der Praxis im ungarischen Asylsystem abzeichnet, ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass zum 1. Juli 2013 eine Gesetzesänderung in Kraft getreten sein soll, die wiederum erweiterte Möglichkeiten zu einer Inhaftierung rückgeführter Asylantragsteller vorsieht (vgl. Bayerisches Verwaltungsgericht München, a. a. O. unter Bezugnahme auf eine Auskunft des Jesuiten Flüchtlingsdienstes Deutschland vom 15. Juni 2013 und des Koordinators des Flüchtlingsprogramms des Ungarn-Helsinki-Komitees). Die gegenteilige Beurteilung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 31. Mai 2013 – 4 L 169/12) überzeugt nicht, weil es – jedenfalls nach summarischer Prüfung - zu hohe Anforderungen an die Annahme systemischer Mängel des Asylverfahrens stellt.

Für das vorliegende vorläufige Rechtsschutzverfahren ist somit anzunehmen, dass zum derzeitigen Zeitpunkt weiterhin von nicht unionskonformen Verhältnissen bezüglich des Umgangs mit Asylbewerbern in Ungarn auszugehen ist. Danach bedarf die Frage der Reisefähigkeit des Antragsstellers ebenso wie die Frage, ob dessen Gesundheitszustand eine Abschiebung verbieten würde (vgl. zur rechtlichen Bedeutung inlandbezogener Vollstreckungshindernisse für die Abschiebungsanordnung VG Regensburg, Beschluss vom 12. April 2013, RO 9 S 13.30112; juris,) keiner Entscheidung.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b Abs. 1 AsylVfG.

Das Prozesskostenhilfegesuch ist damit gegenstandslos.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).