Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 30.04.2014 | |
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Aktenzeichen | L 11 SB 67/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 48 Abs 1 S 1 SGB 10, § 69 Abs 4 SGB 9, § 33 b Abs 3 EStG, § 33 b Abs 6 EStG |
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Februar 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil bleibt hiervon unberührt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung des Merkzeichens „H“ (Hilflosigkeit).
Zugunsten des 1985 geborenen Klägers hatte der Beklagte mit Bescheid vom 17. September 1992 einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 wegen geistiger und körperlicher Entwicklungsverzögerung und Verhaltensstörungen sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „B“(Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson), „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und „H“ festgestellt. Den Feststellungen lag insbesondere ein Gutachten der Fachärztin für Kinderheilkunde S vom 7. Juli 1992 nach ambulanter Untersuchung des Klägers zugrunde.
In den folgenden Jahren wurde der Kläger auf Veranlassung des Bezirksamts im Verfahren nach dem Landespflegegeldgesetz mehrfach nachbegutachtet. In den Gutachten vom 7. September 1994, 26. März 1997, 30. März 1999, 21. März 2001, 12. Mai 2003 und 25. Juli 2005 wurde Hilflosigkeit bei dem Kläger jeweils bestätigt. In dem Gutachten der Ärztin Dr. B vom 6. Juli 2007 wurde Hilflosigkeit verneint, weil der Kläger im Vergleich zum Vorgutachten an Reife und Eigenverantwortlichkeit gewonnen habe. Er sei bei den personenbezogenen alltäglichen Verrichtungen wie zum Beispiel Kleiderwechsel und Körperpflege selbständiger geworden und bedürfe insgesamt nicht mehr einer dauerhaft vermehrten Aufsicht, Kontrolle und Impulsgabe. Der Kläger sei zweifelsfrei auch weiterhin hilfebedürftig und auf spezielle Förderung angewiesen, eine Hilflosigkeit im Sinne des Gesetzes liege jedoch nicht mehr vor.
Nach Kenntnisnahme von dem Gutachten hörte der Beklagte mit Schreiben vom 13. November 2007 den Kläger über seine Absicht an, die Merkzeichen „B“, „G“ und „H“ abzuerkennen. Die Mutter und Betreuerin des Klägers äußerte sich hierzu mit Schreiben vom 6. Dezember 2007, dem sie ein Gutachten der Ärztin und Familientherapeutin F vom 17. November 2007 für das Amtsgericht beifügte, in dem die Ärztin die Notwendigkeit einer weiteren Betreuung bejahte. Nach Eingang einer gutachtlichen Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. T vom 13. Januar 2008 hob der Beklagte mit Bescheid vom 7. Februar 2008 bei Bestätigung des GdB von 80 sinngemäß den Bescheid vom 17. September 1992 mit Wirkung für die Zukunft insoweit auf, als mit diesem Bescheid die gesundheitlichen Voraussetzungen für die genannten Merkzeichen festgestellt worden waren. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, mit dem er unter anderem ein Attest des Facharztes für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. K vom 13. Mai 2008 überreichte. Nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme von Dr. L vom 19. September 2008 wies der Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 21. November 2008 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 8. Dezember 2008 Klage erhoben.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht von Dr. K vom 2. Juni 2009 eingeholt und Unterlagen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V., insbesondere ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI der Pflegefachkraft A vom 17. November 2008, beigezogen. Der Beklagte hat hierzu eine kinder- und jugendpsychiatrische Stellungnahme vom 1. Juli 2009 übermittelt, in der eine interne kinder- und jugendpsychiatrische Begutachtung im Versorgungsamt empfohlen worden ist. Ein solches Gutachten der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Dr. R vom 2. Oktober 2009 nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 24. September 2009 hat der Beklagte dem Sozialgericht übermittelt. In diesem Gutachten hat die Gutachterin ausgeführt, bei dem Kläger liege eine deutliche Intelligenzminderung (IQ unter 60) vor, wobei es unter intensiver Förderung zu einer relativ günstigen Persönlichkeitsentwicklung und psychosozialer Anpassung gekommen sei. Er sei inzwischen in der Lage, im geschützten Rahmen einer Eingliederungshilfe einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen und habe in einigen Teilbereichen des Lebens eine gewisse Selbstständigkeit erreicht. Dennoch sei er weiterhin auf intensive Unterstützung und Betreuung durch die Mutter sowie durch einen Einzelfallhelfer angewiesen. Durch das autistoid anmutende Interesse des Klägers für den Berliner Nahverkehr sei es ihm gelungen, hier trotz eingeschränkter Orientierungsfähigkeit eine begrenzte selbstständige Bewegungsfreiheit erreicht zu haben. Dennoch sei außerhalb dieses geschützten Bereiches von Orientierungsschwierigkeiten sowie einer gewissen Eigengefährdung durch mangelnde Kenntnis der Verkehrsregeln und deren Beachtung auszugehen. Hier sei er auf Betreuung und Begleitung angewiesen. Auch wenn bei dem Kläger eine gewisse Hilfebedürftigkeit im Alltag sicher vorhanden sei, könne von Hilflosigkeit im Sinne der Sozialgesetzgebung nicht ausgegangen werden. Unter Würdigung der Gesamtsituation lasse sich ein Gesamt-GdB von 80 mit den Merkzeichen „B“ und „G“ rechtfertigen.
Mit Bescheid vom 26. Oktober 2009 hat der Beklagte festgestellt, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „B“ und „G“ weiter vorlägen und weitere gesundheitliche Merkmale nicht festgestellt werden könnten. Dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger mit Schriftsatz vom 12. November 2009 angenommen und die Klage im Übrigen aufrechterhalten.
Zu einem gerichtlichen Hinweis vom 12. Januar 2010 hat der Beklagte eine kinder- und jugendpsychiatrische Stellungnahme von Dr. R vom 27. Januar 2010 zu den Gerichtsakten gereicht. Das Sozialgericht hat daraufhin ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K vom 16. Juli 2010 eingeholt, das diese nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 21. Mai 2010 erstellt hat und in dem sie zu folgender Einschätzung gelangt ist:
Es handele sich bei dem Kläger um einen jetzt 25-jährigen Mann mit einer mittelgradigen Intelligenzminderung (aktenkundig IQ 46 im Kindesalter) als Folge einer perinatalen Hirnschädigung. Er habe in seinem gesamten Auftreten und auch im Interview eine mentale Retardierung erkennen lassen und deutlich jünger als seinem kalendarischen Alter entsprechend gewirkt. Im Kontakt sei er unsicher gewesen, was sich auch in der mangelnden Fähigkeit gezeigt habe, den Blickkontakt zur Sachverständigen zu halten. Dabei sei er auskunftsbereit, bemüht, sehr freundlich gewesen. Er habe sich gut auf das Interview einlassen können. Er habe keine subjektiven Beschwerden vorgetragen und spontan festgestellt, dass es gelegentlich Streit mit seiner Mutter gebe, insbesondere über die von ihr angeforderten Hausarbeiten. Der Kläger habe auch spontan erklärt, dass er wohl Probleme mit dem Geld habe, auch sei er manchmal heim Hantieren als Kellner ungeschickt, lasse etwas fallen. Er bedauere es auch, dass er keine Freundin habe, für den Kontakt mit seinem „Kumpel“ habe er aktuell „keine Zeit“, sein Tag sei voll ausgelastet. In der äußeren Erscheinung sei der Kläger gepflegt in Kleidung, Haartracht und Körperpflege gewesen. Er habe hier eine eingeschränkte Kritikfähigkeit hinsichtlich seiner Defizite gezeigt. Andererseits sei er in Anbetracht des diagnostizierten IQ von 46 durchaus schulisch gebildet und der Kulturtechniken im begrenzten Rahmen mächtig gewesen. Es hätten sich auch keine sprachlichen Kommunikationsprobleme und auch sonst kein Hinweis auf eine komorbide psychische Erkrankung ergeben. Bei der Erhebung der Fremdanamnese durch die Mutter habe diese kategorisch festgestellt, dass sich im Betreuungsbedarf nichts gebessert habe, obwohl sie die Fortschritte ihres Sohnes auch anerkannt habe. Die körperliche Untersuchung des Klägers habe keinen krankheitswertigen Befund ergeben. Die Angaben leichter feinmotorischer Störungen, insbesondere belastungsabhängig, seien als Folge der Hirnschädigung anzusehen. Ansonsten hätten sich ein regelrechter neurologischer Befund und keine Behinderung beim Sprechen ergeben. Bei dem Kläger liege eine knapp mittelgradige Intelligenzminderung als Folge einer perinatalen Hirnschädigung vor (nach ICD 10 leichte Intelligenzminderung IQ 50 bis 69, mittelgradige Intelligenzminderung 35 bis 49). Durch intensive, adäquate Förderung sei es offensichtlich in den letzten Jahren bei dem Kläger zu einer erfreulichen Kompensation seiner Behinderung gekommen mit einer recht günstig erscheinenden Persönlichkeitsentwicklung im Vergleich zu den früher beschriebenen Verhaltensauffälligkeiten und auch einer als günstig anzusehenden psychosozialen Anpassung. Immerhin sei er inzwischen in der Lage, im geschützten Rahmen einer Eingliederungshilfe einer beruflichen Tätigkeit als Hilfskellner nachzugehen und habe durchaus auch in einigen Teilbereichen seines Lebens eine gewisse Selbständigkeit erreicht. Die noch bestehenden Störungen in der sozialen Entwicklung würden sich offensichtlich in einer eingeschränkten Fähigkeit zeigen, mit anderen zu kommunizieren und sich an sozialen Aktivitäten zu beteiligen. Immerhin besuche er aber regelmäßig ein Fitnesscenter und gebe auch an, während eines Urlaubs der Mutter sich und die Katze zuhause allein versorgt zu haben. Zweifelsfrei lägen noch ein Bedarf an Förderung und Hilfestellung, die Notwendigkeit der Motivierung, der Strukturierung der Aufgaben, der Anleitung und in gewissen Bereichen auch Beaufsichtigung vor. Der Umfang der notwendigen Hilfen bei den häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen sei aber nicht mehr „erheblich“. Der Kläger übe offensichtlich zuverlässig und erfolgreich seine Tätigkeit als Hilfskellner aus mit gelegentlicher Mitarbeit in der Küche, was als Beweis dafür anzusehen sei, dass seine eigene Körperpflege im Wesentlichen nicht zu beanstanden sei. Der Kläger benutze auch selbständig öffentliche Verkehrsmittel, finde den Weg zur Arbeit, auch zur Freizeitgestaltung. Der Kläger bedürfe infolge der erkannten Funktionseinschränkungen aus ärztlicher Sicht
- keiner Hilfe beim Ankleiden und Auskleiden,
- keiner Hilfe bei der Nahrungszubereitung; eine gelegentliche Beaufsichtigung zum ausreichenden Trinken und regelmäßigen Essen werde angegeben; hier habe ein regelrechter, schlanker Ernährungszustand vorgelegen,
- keiner Hilfe bei der Nahrungsaufnahme,
- einer gewissen Überwachung im Rahmen der Körperpflege zum regelmäßigen Haarewaschen, zur Finger- und Fußnägelreinigung und zum Duschen,
- keiner Hilfe beim Verrichten der Notdurft und bei sonstigen regelmäßig notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens.
Dauernde fremde Hilfe sei nicht erforderlich. Insgesamt hat die Sachverständige das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „H“ verneint.
Zu dem Gutachten hat der Kläger eine Stellungnahme seiner Mutter, ein ärztliches Attest von Dr. K vom 31. August 2010 und einen Bericht der Werkstätten für Behinderte über den Beurteilungszeitraum seit dem 1. Juni 2008 bis April 2009 vorgelegt. Hierzu hat der Beklagte eine psychiatrische Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S vom 18. Oktober 2010 zu den Gerichtsakten gereicht.
Die noch gegen die Entziehung des Merkzeichens „H“ gerichtete Klage hat das Sozialgericht durch Urteil vom 24. Februar 2011 vor allem unter Bezugnahme auf die Gutachten von Dr. R und Dr. K abgewiesen und den Beklagten verpflichtet, dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten dem Grunde nach im Umfang von zwei Dritteln zu erstatten.
Gegen das ihm am 3. März 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29. März 2011 Berufung eingelegt.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. G vom 26. März 2012, das dieser nach ambulanten Untersuchungen des Klägers am 23. Februar und 6. März 2012 erstellt hat und in dem er zu folgender Einschätzung gelangt ist:
Hinsichtlich der Einstufung bei einem IQ unter 60 bei relativ günstiger Persönlichkeitsentwicklung liege ein GdB zwischen 80 und 90, bei stärkerer Einschränkung der Eingliederungsmöglichkeit mit hochgradigem Mangel an Selbständigkeit, Bildungsfähigkeit, fehlender Sprachentwicklung etc. ein GdB von 100 vor. Selbst wenn bei der mütterlichen Einflussnahme, die hier offensichtlich dauernd sei, und auch der Einflussnahme eines Einzelhelfers ein scheinbar selbständiges Wohnen bestehe und scheinbar auch eine weitgehend selbständige Wegefähigkeit etc. annehmbar sei, könne nichts darüber hinwegtäuschen, dass der Kläger nicht allein oder auch nicht nur teilweise allein in der Lage sei, seine persönliche Existenz zu sichern. Es bestehe eine schwere geistige Entwicklungsstörung mit einem IQ unter 50, wobei auch der Zahlenwert nicht für sich allein überbewertet werde. Allerdings sei auch festzustellen, dass der Kläger zum Teil für regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Ablauf eines Tages Hilfe existenziell benötige oder mindestens auch zur Sicherung der Abläufe eine dauernde Überwachung benötige. Die Tatsache, dass der Kläger allein seine Arbeitsstelle, eine Einrichtung der Behindertenwerkstatt, erreiche und den Weg zurückfinde oder aber auch, dass er nur bestimmte telefonische Hilfe im Ablauf benötige, relativiere diese Ausführungen nicht. Es sei darauf hinzuweisen, dass die Voraussetzungen für eine Hilflosigkeit auch erfüllt seien, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den genannten Verrichtungen erforderlich sei, oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden müsse, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich sei. Es möge dahingestellt sein, welche umschriebene Leistung der Kläger absolut selbst reflektierend, vollständig autark – auch bei Auftreten unvorhergesehener Störfaktoren – überhaupt verrichten könnte. Es bestünden gutachterlich erhebliche Zweifel aus der scheinbar selbständigen Wegefähigkeit Weitergehendes abzuleiten, da der Kläger außer einem ganz geringen angelernten Radius nicht in der Lage sei, wegefähige Ziele zu erreichen.
Der Kläger bedürfe aufgrund seiner schweren geistigen Störung für das An- und Auskleiden, die Nahrungsaufnahme, die Körperpflege, das Verrichten der Notdurft oder für andere häufig und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages dauernd fremder Hilfe, wobei sich diese auch teilweise als Überwachungsfunktion gestalten könne. Der Kläger benötige auch für die notwendige körperliche Bewegung, die geistige Anregung und die Möglichkeiten zur Kommunikation dauernd fremde Hilfe. Die genannte Hilfe sei in Form einer Überwachung der Anleitung zu den erwähnten Verrichtungen und auch praktisch erforderlich. Selbst bei der einfachen Tätigkeit des Ankleidens sei eine ständige Überwachung erforderlich, da es möglich sei, dass hier der erlernte Ablauf durch Störungen (z. B. Fehlen eines Kleidungsstückes) unterbrochen sei. Der Kläger benötige in diesem Zusammenhang auch eine ständige Überwachung. Selbst wenn in persona bezüglich der geleisteten Hilfe nicht ständig jemand anwesend sein müsse, sei eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich. Der Kläger bedürfe bei den genannten Verrichtungen mehr als zwei Stunden fremder Hilfe, auch zum Teil in Form von Überwachungsbereitschaft. Weitere Ausführungen hierzu seien nicht möglich. Er, der Sachverständige, weiche von den vorausgehenden Feststellungen ab, da offensichtlich subjektiv mütterliches Empfinden über die erlernten Fortschritte bei dem Kläger eingeflossen sei, wie sich dieses auch bei der hiesigen Begutachtung angedeutet habe. Darauf komme es jedoch im Grundsatz nicht an. Bei dem Kläger bestehe eine schwere geistige Entwicklungsstörung, wodurch er dauernder Hilfe bedürfe.
Nach Zuleitung einer psychiatrischen Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie B vom 16. Mai 2012 hat der Sachverständige in einer neurologisch-psychiatrischen Stellungnahme vom 4. Juli 2012 erklärt, an seiner Einschätzung festzuhalten. Nach Eingang einer weiteren psychiatrischen Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Svom 2. August 2012 hat der Senat ein psychiatrisches Gutachten bei dem Arzt für Psychiatrie Prof. Dr. Z vom 11. Juni 2013 eingeholt, das dieser nach Untersuchung des Klägers in dessen Wohnung am 23. Mai 2013 erstellt hat und in dem er zu folgender Einschätzung gelangt ist:
Bei dem Kläger liege zum einen eine leichte bis mittelgradige Intelligenzminderung mit geringer Verhaltensstörung vor. Es bestehe beim Kläger eine Intelligenzminderung, die sich nach der ICD-10 zwischen einer leichten und mittelgradigen Ausprägung einsortiere. Ätiologisch komme offensichtlich allein ein Sauerstoffmangel unter Geburt in Frage (hypoxischer Hirnschaden). Seit Jahren bestünden Verhaltensauffälligkeiten in nur noch geringem Ausmaß (Tics, leichtes autistisches Verhalten), diese seien aber in Kindheit und Jugend offensichtlich sehr ausgeprägt gewesen. Eine aktuelle Messung des IQ liege nicht vor, er dürfte, grob geschätzt, bei 50 bis 60 liegen. Durch diese Störung sei der Kläger in seinem Alltag mäßig eingeschränkt und benötige Unterstützung in vielen Alltagsdingen sowie eine besondere Förderung im sozialen und beruflichen Bereich. Er sei aber in der Lage, mit dieser Unterstützung allein zu leben, teils für sich zu sorgen, nicht aber seinen Lebensunterhalt zu verdienen und wesentliche Dinge umfassend zu übersehen und entsprechend zu entscheiden. Weiter bestünden Störungen der Fein- und Grobmotorik (Sonstige Koordinationsstörungen, ICD-10 R 27), die außer einer Einschränkung der Fein- und Grobmotorik eine Unsicherheit beim Gehen, vor allem bei Dunkelheit, bedingten. Der GdB sei für diese genannten Störungen mit 80 angemessen bewertet.
Den Hilfebedarf ohne hauswirtschaftliche Leistungen hat Prof. Dr. Z auf täglich 35,57 Minuten (Angabe von 35,75 Minuten dürfte auf einem Rechen- oder Übertragungsfehler beruhen) beziffert. Der Kläger benötige aufgrund seiner psychischen Störung und geistigen Behinderung ohne Zweifel mehrfache Hilfe in den alltäglichen Verrichtungen. Es handele sich hier um einen Bedarf im Sinne von Anleitung und Impulsgabe mit Erledigungskontrollen sowie seltener teilweiser Übernahme der Tätigkeiten (dies vor allem im Bereich der Hauswirtschaft, der nicht mitberechnet worden sei) durch eine Pflegeperson. Körperlich könne der Kläger alle Aktivitäten eigenständig durchführen, die Auswirkungen der psychischen Störung hinderten ihn aber daran (Antriebsminderung, mangelnde Durchhaltefähigkeit, mangelnde Einsicht). Hilfe und Assistenz sei vor allem in Form von Anleitung und Impulsgabe bei der Körperhygiene, der Nahrungsaufnahme und der Mobilität notwendig. Zum Verlassen der Wohnung zu Ärzten sowie zu kulturellen Aktivitäten benötige der Kläger meist eine menschliche Begleitung, dieser Bedarf bestehe sicher dauerhaft regelmäßig wöchentlich. Der Sachverständige hat detailliert die Verrichtungen aufgelistet und hierfür den jeweiligen Hilfebedarf eingeschätzt. Hilfebedarf in Form von Impulsgabe und Anleitung hat er angenommen für
- Waschen morgens und abends (je zwei Minuten täglich),
- Duschen/Baden (zwei Minuten täglich),
- Zahnpflege (zwei Mal täglich je eine halbe Minute),
- Kämmen (zwei Mal täglich je eine halbe Minute),
- Rasieren (zwei Minuten täglich).
Hilfebedarf in Form von Anleitung hat er wie folgt angenommen:
- Nahrungsaufnahme (zwei Mal täglich je zwei Minuten),
- Aufstehen/Zu-Bett-Gehen (eine Minute täglich),
- Ankleiden (zwei Minuten täglich).
Für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung hat der Sachverständige einen wöchentlichen Bedarf von einer Stunde in Form von Begleitung angenommen, woraus sich ein täglicher Hilfebedarf von 8,57 Minuten ergebe. Der Kläger benötige eine Begleitung bei einigen Wegen außerhalb der Wohnung, die er nicht kenne, insbesondere auch zu komplexer ärztlicher Behandlung und Untersuchung. Andere Aktivitäten ließen sich nur schwer operationalisieren (kulturelle und soziale Aktivitäten außer Haus) und würden geschätzt. Hilfebedarf in Form von Anleitung und Impulsen hat der Sachverständige für den Bereich körperliche Bewegung, geistige Anregung und Möglichkeiten zur Kommunikation im Umfang von zehn Minuten täglich angenommen. Eine ständige Bereitschaft zur Hilfestellung sei nicht erforderlich. Der Kläger begebe sich behinderungsbedingt nicht in gefährliche Situationen, Lebensgefahr bestehe nie.
Der Kläger hat zu dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Z Stellung genommen und eine Stellungnahme der Werkstätten für Behinderte zu den behinderungsbedingten Möglichkeiten und Grenzen des Klägers sowie eine Stellungnahme seiner Mutter zu den Gerichtsakten gereicht. Zu diesen Stellungnahmen hat der Senat eine ergänzende psychiatrisch-gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. Z vom 26. November 2013 eingeholt, der im Wesentlichen erklärt hat, an seiner Einschätzung in seinem Gutachten festzuhalten.
Der Senat hat eine ergänzende neurologisch-psychiatrische Stellungnahme von Prof. Dr. G vom 15. Oktober 2013 eingeholt. Im Wesentlichen hat dieser erklärt, der von Prof. Dr. Z ermittelte tägliche Hilfebedarf von 35,57 Minuten verzerre den tatsächlichen Hilfebedarf des Klägers und bewerte nicht den Gesamtzustand des Klägers in Bezug auf seine Hilfebedürftigkeit über 24 Stunden. Insbesondere sei eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung zu berücksichtigen. Zudem setze die Einschätzung von Prof. Dr. Z voraus, dass es zu keinen auch nur geringen Abweichungen in dem strukturierten Tagesablauf des Klägers komme, auf die dieser nicht situationsadäquat reagieren könne. Zudem sei bei dem Kläger ein IQ von 46 und nicht wie von Prof. Dr. Z angenommen von 50 bis 60 ermittelt worden.
Abschließend hat der Senat die Stellungnahme von Prof. Dr. G dem Sachverständigen Prof. Dr. Z zur ergänzenden psychiatrisch-gutachterlichen Stellungnahme übermittelt. In dieser vom 19. Dezember 2013 hat Prof. Dr. Z darauf hingewiesen, dass der IQ von 46 bei dem Kläger in dessen Kindheit ermittelt worden sei und generell Veränderungen unterliege. Er schätze den Kläger auf der Grenze zwischen leichter und mittelgradiger Intelligenzminderung ein, was sich anhand der diagnostischen Kriterien des ICD-10 auch gut belegen lasse. Im Ergebnis aber weiche er von der Einschätzung von Prof. Dr. G nicht wesentlich ab, wobei sich allerdings dessen Annahme einer schweren geistigen Störung auch aus dessen eigenen Befunden nicht herleiten lasse. Prof. Dr. G unterlasse zu Unrecht eine eigene Berechnung des Hilfebedarfs. Dessen Hinweis auf eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung vernachlässige die veränderte Lebenssituation des Klägers, der jetzt mit phasenweiser Assistenz alleine wohne. Bei dem von Prof. Dr. G angenommenen Hilfebedarf müsste der Kläger in einem intensiven Betreuungssetting wohnen. Im Übrigen sei es – nicht zuletzt auch wegen der hervorragenden Förderung durch die Mutter sowie professioneller Unterstützung – im Vergleich zu früher zu einer wesentlichen Änderung gekommen. Der Kläger habe bedeutsame Lernschritte durchlaufen und dadurch mehr Selbständigkeit erlangt.
Der Beklagte hat eine psychiatrische Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie K vom 2. Januar 2014, der Kläger ein Attest des Arztes für Psychiatrie Dr. B vom 20. Dezember 2013 zu den Gerichtsakten gereicht.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Februar 2011 abzuändern und den Bescheid des Beklagten vom 7. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2008 in der Fassung des Bescheides vom 26. Oktober 2009 aufzuheben, soweit mit ihm die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „H“ aufgehoben worden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist zutreffend.
Die der Berufung zugrunde liegende Klage ist zulässig. Richtige Klageart ist die reine Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Denn angegriffen ist der Bescheid des Beklagten vom 7. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2008. In Bezug auf die Entziehung des Merkzeichens „H“ erschöpft sich der Bescheid in der teilweisen Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung (hier des Bescheides vom 17. September 1992). Würde der angefochtene Bescheid insoweit aufgehoben, lebte der ursprüngliche Feststellungsbescheid vom 17. September 1992 wieder auf, soweit mit diesem die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „H“ festgestellt worden sind.
In Bezug auf das Merkzeichen „H“ ist der Bescheid des Beklagten vom 26. Oktober 2009 im Übrigen nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens geworden, so dass er auch nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Denn er hat den ursprünglich angefochtenen Bescheid in Bezug auf das noch streitige Merkzeichen nicht geändert oder ersetzt, sondern eine Änderung gerade abgelehnt.
Die auch im Übrigen hinsichtlich des Bescheides vom 7. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 21. November 2008 zulässige Anfechtungsklage ist indes unbegründet. Denn der Bescheid des Beklagten vom 7. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Maßgeblicher Prüfungszeitpunkt für die Begründetheit der Klage ist der Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens, hier also der Zeitpunkt, zu dem der Beklagte den Widerspruchsbescheid vom 21. November 2008 erlassen hat (vgl. nur Urteil des Senats vom 23. Juni 2011 - L 11 SB 374/09 – juris). Allerdings ist nicht auf das Bescheiddatum – hier des Widerspruchsbescheides – abzustellen. Denn „erlassen“ worden im obigen Sinne ist der Widerspruchsbescheid erst mit seiner Wirksamkeit, die gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) erst mit der Bekanntgabe eintritt. Bekannt gegeben worden ist der Widerspruchsbescheid vom 21. November 2008 nach der Bekanntgabefiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X vorliegend am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post. Zur Post aufgegeben worden ist der Widerspruchsbescheid am 24. November 2008, so dass die Bekanntgabe hier am 27. November 2008 eingetreten ist. Dass der Widerspruchsbescheid der Prozessbevollmächtigten des Klägers bereits am 25. November 2008 zugegangen ist, ist unmaßgeblich (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 6. Mai 2010 - B 14 AS 12/09 R – juris). Ist demnach hier grundsätzlich der 27. November 2008 maßgeblicher Prüfungszeitpunkt, ist die Prüfung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides aber nicht auf diesen Zeitpunkt beschränkt. Vielmehr gilt der Grundsatz, dass maßgeblicher Prüfungszeitpunkt der Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens ist, jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art mit der Maßgabe, dass die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Behördenentscheidung auch bereits ab dem Zeitpunkt zu prüfen ist, ab dem sie sich zeitlich Wirksamkeit beimisst. Denn der dargestellte Grundsatz über den maßgeblichen Prüfungszeitpunkt ist im Wesentlichen für behördliche Belastungen aufgestellt worden, deren genauer Wirksamkeitsbeginn unmaßgeblich ist. Das ist hier aber nicht der Fall. Denn der Beklagte hat die Entziehung des Merkzeichens „H“ bei verständiger Würdigung mit Wirkung ab der Bekanntgabe des Bescheides vom 7. Februar 2008 verfügt, die nach dem Absendevermerk vom 8. Februar 2008 gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X hier am 11. Februar 2008 eingetreten ist. Soll die Prüfung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts also umfassend sein, ist bereits der Zeitraum ab dem 11. Februar 2008 in den Blick zu nehmen. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verwaltungsentscheidung erstreckt sich demnach hier auf den Zeitraum vom 11. Februar 2008 bis zum 27. November 2008.
Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig, soweit die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „H“ mit Wirkung ab dem 11. Februar 2008 aufgehoben worden ist. Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid, gegen den formelle Bedenken im Übrigen nicht bestehen, ist insoweit § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein – wie hier von Anfang an rechtmäßiger – Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Wege einer gebundenen Entscheidung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Grundlage für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „H“ sind § 69 Abs. 4 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) in Verbindung mit § 33b Abs. 3 Satz 3, Abs. 6 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und § 3 Abs. 1 Nr. 2 der Schwerbehinderten-Ausweisverordnung (SchwbAwV). Gemäß § 33b Abs. 3 Satz 2 EStG in der bis zum 31. Dezember 1994 geltenden Fassung ist hilflos eine Person, „die so hilflos ist, daß sie für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedarf“. Gemäß § 33b Abs. 6 Satz 2 EStG in der seit dem 1. Januar 1995 geltenden Fassung ist eine Person hilflos, wenn sie infolge von Gesundheitsstörungen für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den in Satz 2 dieser Vorschrift genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 33b Abs. 6 Satz 3 EStG). Aus der Fassung seit dem 1. Januar 1995 ergeben sich für den Begriff der Hilflosigkeit für die Zeit vor dem 1. Januar 1995 und für die Zeit danach keine unterschiedlichen Maßstäbe (vgl. BSG, Urteil vom 8. März 1995 - 9 RVs 5/94 – juris). Die auch jetzt noch gültige Fassung des Begriffs der Hilflosigkeit geht auf Umschreibungen zurück, die von der Rechtsprechung im Schwerbehindertenrecht bezüglich der steuerlichen Vergünstigung und im Versorgungsrecht hinsichtlich der gleich lautenden Voraussetzungen für die Pflegezulage nach § 35 des Bundesversorgungsgesetzes entwickelt worden sind. Dabei hat sich der Gesetzgeber bewusst nicht an den Begriff der Pflegebedürftigkeit im Sinne der §§ 14, 15 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) angelehnt (vgl. BSG, Urteile vom 12. Februar 2003 – B 9 SB 1/02 R –, und vom 24. November 2005 – B 9 SB 1/05 R – beide bei juris).
Bei den gemäß § 33b Abs. 6 EStG zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig wiederkehren. Dazu zählen zunächst die auch von der Pflegeversicherung (vgl. § 14 Abs. 4 SGB XI) erfassten Bereiche der Körperpflege (Waschen, Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung). Diese Bereiche werden unter dem Begriff der so genannten Grundpflege zusammengefasst (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 3 SGB XI; § 37 Abs. 1 Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch). Hinzu kommen jene Verrichtungen, die in den Bereichen der notwendigen körperlichen Bewegung, psychischen Erholung, geistigen Anregung und der Kommunikation (insbesondere Sehen, Hören, Sprechen, Fähigkeit zu Interaktionen) anfallen. Bei psychisch oder geistig Behinderten liegt Hilflosigkeit auch dann vor, wenn sie bei zahlreichen Verrichtungen des täglichen Lebens zwar keiner Handreichungen bedürfen, sie diese Verrichtungen aber infolge einer Antriebsschwäche ohne ständige Überwachung nicht vornehmen. Nicht vom Begriff der Hilflosigkeit umschlossen ist der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen (zu Vorstehendem vgl. z. B. BSG, Urteile vom 12. Februar 2003 – B 9 SB 1/02 R –, vom 24. November 2005 – B 9 SB 1/05 R –, und vom 2. Juli 1997 – 9 RV 19/95 – alle bei juris).
Die tatbestandlich vorausgesetzte „Reihe von Verrichtungen“ kann regelmäßig erst dann angenommen werden, wenn es sich um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen. Die Beurteilung der Erheblichkeit orientiert sich an dem Verhältnis der dem Beschädigten nur noch mit fremder Hilfe möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe bewältigen kann. In der Regel wird dabei neben der Zahl der Verrichtungen auf den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen sein, wobei Maßstab für die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie der tägliche Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen ist. Gemessen an diesem Maßstab ist nicht hilflos, wer nur in relativ geringem Umfange, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Daraus ergibt sich jedoch nicht schon, dass bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze in jedem Fall Hilflosigkeit zu bejahen ist. Typisierend ist vielmehr Hilflosigkeit grundsätzlich erst dann anzunehmen, wenn der tägliche Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen mindestens zwei Stunden erreicht, was dem Grundpflegeerfordernis für die Pflegestufe II der Pflegeversicherung entspricht. Um den individuellen Verhältnissen Rechnung tragen zu können, ist aber nicht allein auf den zeitlichen Betreuungsaufwand abzustellen; vielmehr sind auch die weiteren Umstände der Hilfeleistung, insbesondere der wirtschaftliche Wert der Leistung oder die körperliche und psychische Belastung der Pflegeperson, zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteile vom 14. Dezember 1994 – 3 RK 14/94 –, vom 12. Februar 2003 – B 9 SB 1/02 R –, und vom 24. November 2005 – B 9 SB 1/05 R – alle bei juris).
Nun ist der Kläger unstreitig körperlich in der Lage, die Verrichtungen des Alltags im Wesentlichen – mit Ausnahme allenfalls des Schneidens der Finger- und Fußnägel je links (vgl. Seite 9 des Gutachtens von Dr. K) - selbständig vorzunehmen. Die Hilfestellungen erfolgen demnach nach den übereinstimmenden Einschätzungen aller Sachverständigen in Form der Überwachung und Anleitung. Hilfestellung in dieser Form ist als geistig-psychische Hilfeleistung der körperlichen Hilfeleistung erst dann gleichzustellen, wenn sie von der Hilfsperson zeitlich und örtlich denselben Einsatz fordert (vgl. BSG, Urteil vom 8. März 1995 - 9 RVs 5/94 – juris).In dem letztgenannten Urteil hat das BSG es nicht als ausreichend erachtet, dass der dortige Kläger zu den regelmäßigen Verrichtungen des täglichen Lebens lediglich aufgefordert werden musste, sondern ihm konkret gesagt werden musste, wann er sich an- und auszukleiden habe, und er aufgefordert werden musste, zum Essen zu kommen, weil er die Uhrzeit zwar ablesen konnte, damit aber keine Vorstellung verband. Die Überwachung und Anleitung sei – so das BSG in seinem Urteil vom 8. März 1995 - erst dann ausreichend, wenn ein Elternteil oder eine sonstige Hilfsperson bei den genannten oder anderen Verrichtungen anwesend sein müsse, um jeweils zu Einzelschritten aufzufordern und um den Vorgang und dessen Ergebnis zu kontrollieren. Eine ins Gewicht fallende Hilfeleistung liege zum Beispiel beim Anziehen erst vor, wenn nicht die bloße Aufforderung dazu ausreiche, sondern die Kleidungsstücke jeweils vorsortiert bereitgelegt werden müssten und anschließend zu kontrollieren wäre, ob und wie die Kleidung angezogen worden sei. Es genüge, so das BSG weiter, nicht, dass ein geistig behinderter Mensch einem schulpflichtigen Kind gleich allgemeiner Aufsicht bedürfe. Es genüge auch nicht, dass ein derart behinderter Mensch verwahrlosen würde, wenn er ohne Aufsicht bliebe. Demgemäß könnten auch Bereitschaftszeiten grundsätzlich nur dann berücksichtigt werden, wenn sie zeitlich und örtlich denselben Einsatz erfordern wie körperliche Hilfe. Dies setzt voraus, dass eine entsprechende einsatzbereite Anwesenheit und Aufmerksamkeit aus gesundheitlichen Gründen notwendig ist (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2003 - B 9 SB 1/02 R – juris).
Nach Maßgabe der oben dargestellten Grundsätze haben hier die genannten Voraussetzungen bei dem Kläger zwar zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Merkzeichens „H“ mit Bescheid vom 17. September 1992 vorgelegen. Das wird von niemandem bestritten und exemplarisch etwa vom Sachverständigen Prof. Dr. Z als nachvollziehbar erachtet, weil bei dem Kläger zum damaligen Zeitpunkt und auch noch danach neben der Entwicklungsverzögerung auch Verhaltensauffälligkeiten bestanden haben.
Es ist jedoch eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten, wegen der die Begünstigung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X vorliegend zu entziehen war. Die Verbesserung lässt sich dabei einerseits anhand der Aufnahme einer Beschäftigung des Klägers im Gastronomiebereich im Mai 2006 dokumentieren, wobei der Kläger auch im streitigen Zeitraum im Restaurant „C“ im Service tätig war. Andererseits ist der Kläger auch im streitigen Zeitraum auf den Auszug aus der mütterlichen Wohnung in eine eigene Wohnung vorbereitet worden (vgl. Seite 1 der Stellungnahme der Mutter des Klägers zu dem Gutachten von Dr. K), zu dem es schließlich im September 2011 auch gekommen ist, wobei der Senat insoweit einerseits nicht verkennt, dass der Auszug außerhalb des hier in den Blick zu nehmenden Prüfungszeitraumes erfolgt ist und andererseits der Kläger Haus an Haus mit seiner Mutter lebt und von ihr und einem Einzelfallhelfer betreut wird.
Im oben genannten Prüfungszeitraum lag der tägliche Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen allenfalls bei noch einer Stunde. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau der vorliegenden medizinischen Unterlagen und zwar insbesondere aus den vom Sozialgericht und dem Senat eingeholten Sachverständigengutachten und dem Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI der Pflegefachkraft A vom 17. November 2008. Letztgenanntem Gutachten lässt sich ein täglicher Pflegebedarf im hier allein maßgeblichen Bereich der Grundpflege im Umfang von nur 60 Minuten entnehmen. Die Einschätzung, dass bei dem Kläger kein eine Stunde täglich übersteigender Grundpflegebedarf bestand, wird von der Sachverständigen Dr. K, vor allem aber auch von dem Sachverständigen Prof. Dr. Z bestätigt, der als einziger gerichtlich bestellter Sachverständiger den täglichen Pflegebedarf schlüssig und nachvollziehbar differenziert nach den einzelnen Hilfestellungen nach Minuten benannt hat. Bei Abweichungen nur im Detail und bei der Bestimmung des täglichen Gesamtpflegebedarfs stimmt er mit der Pflegefachkraft A insoweit überein, als die Art der Hilfestellung nicht in Form der vollständigen oder teilweisen Übernahme der Verrichtungen besteht, sondern der Kläger zur Vornahme bestimmter Verrichtungen im weitesten Sinne aufgefordert werden muss. Diese Form der Hilfestellung – von der Pflegefachkraft A als „Bereitschaft“, vom Sachverständigen Prof. Dr. Z als „Anleitung und Impulsgabe“ bezeichnet – rechtfertigt hier aber nicht die Annahme eines täglichen Pflegebedarfs von mehr als einer Stunde. Dahinstehen lassen kann der Senat daher, ob nach Maßgabe der Rechtsprechung des BSG hier die Hilfestellung in Form von Überwachung und Anleitung überhaupt zu berücksichtigen ist, weil selbst dann, wenn dies der Fall sein sollte, der so ermittelte Hilfebedarf 60 Minuten täglich nicht übersteigen würde. Ohne dass es demnach hier darauf ankommt, bestehen vorliegend allerdings Zweifel an der Berücksichtigungsfähigkeit der Hilfestellung dem Grunde nach insoweit, als nicht erkennbar ist, dass eine entsprechende einsatzbereite Anwesenheit und Aufmerksamkeit des Hilfeleistenden aus gesundheitlichen Gründen notwendig ist. So hat die Mutter des Klägers in ihrer Stellungnahme zu dem Gutachten der Sachverständigen Dr. K erklärt, dass ihr Sohn bei ihrer einwöchigen Rundreise betreut worden sei. Diese Betreuung habe in Form der Kontrolle durch die Schwester des Klägers und durch Telefonate der Großmutter stattgefunden. Die tägliche Pflege sei von ihr, der Mutter, telefonisch abgefragt worden. Zudem habe er sich an mehreren Tagen mit seinem Einzelfallhelfer getroffen und an zwei Tagen bei seiner Großmutter gewohnt. Auch nach Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. G ist der Kläger offensichtlich telefonisch leitbar. Bei dieser Sachlage kann nicht davon ausgegangen werden, dass hier ein Fall der Hilfestellung in Form von Überwachung und Anleitung vorliegt, die von der Hilfsperson zeitlich und örtlich denselben Einsatz fordert wie körperliche Hilfeleistung. Läge eine solche Hilfestellung aber vor, beträge der tägliche Hilfebedarf nur maximal 60 Minuten.
Somit ist es für das streitige Merkzeichen gerade nicht ausreichend, dass – wie vom Sachverständigen Prof. Dr. G angenommen – der Kläger auch im streitigen Zeitraum alleine nicht in der Lage war, seine persönliche Existenz zu sichern. Denn insoweit beschreibt der Sachverständige keine andere Situation als die eines schulpflichtigen Kindes, das allgemeiner Aufsicht bedarf. Die von Prof. Dr. G als durchgreifend erachtete Bereitschaftszeit führt hier nicht dazu, dass die Voraussetzungen des Merkzeichens „H“ im streitigen Zeitraum vorgelegen haben. Denn selbst wenn man sie berücksichtigen wollte, würde der sich daraus ergebende zeitliche Hilfebedarf – wie bereits dargelegt - nicht mehr als 60 Minuten täglich betragen. Soweit Prof. Dr. G den Hilfebedarf mit möglichen Abweichungen im Tagesablauf des Klägers begründen möchte, die bei dem Kläger nicht sicher zu einer erwartbaren strukturiert-situationsadäquaten Verhaltensweise führen würden, überzeugt dies nicht. Solche denkbaren Abweichungen rechtfertigen nicht die Annahme der Notwendigkeit ständiger Bereitschaft im skizzierten Sinne. So hat das BSG die Anrechnung von Bereitschaftszeiten in Bezug auf einen nächtlichen Toilettengang des dortigen Klägers sowie wegen Asthmaanfällen und Stürzen, die bei ihm im Durchschnitt ein- bis zweimal wöchentlich auftreten, jedenfalls in Zweifel gezogen (Urteil vom 12. Februar 2003 - B 9 SB 1/02 R – juris). Dies erhellt, dass denkbare, aber nicht zwingend auftretende Schwierigkeiten und Abweichungen im Alltag nicht ausreichen, um Bereitschaftszeiten mit körperlicher Hilfe gleichzusetzen.
Aus dem Gesagten ergibt sich schließlich, dass hier auch kein Fall vorliegt, in dem der tägliche Zeitaufwand für fremde Hilfe zwischen einer und zwei Stunden liegt und der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Pflege (wegen der Zahl der Verrichtungen oder ungünstiger zeitlicher Verteilung der Hilfeleistungen) besonders hoch ist (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2003 - B 9 SB 1/02 R – juris), weil der tägliche Zeitaufwand allenfalls mit 60 Minuten täglich beziffert werden kann und zudem auch nicht erkennbar ist, dass der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Pflege besonders hoch ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits. Die erstinstanzliche Kostenentscheidung ist zutreffend und war demnach nicht zu ändern.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.