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Familiennachzug; Kindernachzug; Antragstellung; Vorsprachetermin; Onlineregistrierung; Altersgrenze; Spracherwerb; Integrationsprognose; besondere Härte; außergewöhnliche Härte


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 12. Senat Entscheidungsdatum 25.08.2020
Aktenzeichen OVG 12 B 18.19 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2020:0825.OVG12B18.19.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 32 Abs 1 AufenthG, § 32 Abs 2 S 1 AufenthG, § 32 Abs 4 AufenthG, § 36 Abs 2 AufenthG, § 25 Abs 2 VwVfG, § 242 BGB, Art 1 Abs 1 EGV 810/2009, Art 9 Abs 2 EGV 810/2009

Leitsatz

Maßgeblich für das Überschreiten der Altersgrenze für den unbedingten Kindernachzug mit Vollendung des 16. Lebensjahres ist das Alter des Kindes im Zeitpunkt der Antragstellung für das Visum bei der deutschen Auslandsvertretung.

Eine Vorverlagerung auf den Zeitpunkt einer Onlineregistrierung für einen Termin zur Vorsprache bei der Auslandsvertretung zwecks Beantragung eines Visums zum Familiennachzug oder deren elektronischer Bestätigung durch die Botschaft ist weder rechtlich vorgesehen noch geboten.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. Oktober 2019 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen hat.

Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des Vollstreckungsbetrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der am 9. Juli 2002 geborene Kläger ist bosnisch-herzegowinischer Staatsangehörigkeit. Er begehrt ein Visum für den Familiennachzug.

Der Vater des Klägers verfügt über eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung als Berufskraftfahrer, die zuletzt bis zum 1. August 2022 verlängert wurde.

Die Mutter des Klägers nahm am 3. März 2018 eine Online-Registrierung bei der Botschaft in Sarajewo für die Beantragung von Visa zum Familiennachzug unter Angabe der Passnummern und der Geburtsdaten der Kinder für sich, den Kläger und seinen im Jahre 2005 geborenen Bruder vor. Darauf erhielt sie für den 12. Oktober 2018 einen Termin zur persönlichen Vorsprache und in der Folge Visa zum Familiennachzug für sich und den jüngeren Bruder des Klägers, mit denen beide im März 2019 in das Bundesgebiet einreisten.

Für den Kläger forderte die Botschaft die Vorlage eines Sprachzertifikats über Deutschkenntnisse auf dem Niveau C 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER). Nachdem der Kläger nur Schulzeugnisse der Jahre 2014 bis 2018 sowie die Kopie einer Bestätigung einer Sprachschule einreichte, wonach er an einem Deutschkurs auf dem Niveau A 1, A 2 teilgenommen habe und demnächst einen Kurs auf dem Niveau B 1 absolvieren werde, lehnte die Botschaft den Visumantrag ab. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger das 16. Lebensjahr vollendet habe und nicht gemeinsam mit beiden Eltern seinen Lebensmittelpunkt in das Bundesgebiet verlegen wolle. Die Voraussetzungen für den Familiennachzug lägen nicht vor, da er das erforderliche Sprachzertifikat nicht vorgelegt habe und angesichts der Sprachbarriere ein Gelingen der Eingliederung in die hiesigen Lebensverhältnisse zweifelhaft erscheine. Für eine besondere Härte sei nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich. Auf die Remonstration wurde die Ablehnung mit Bescheid vom 14. März 2019 aufrechterhalten. Die Registrierung eines Termins sei noch keine Antragstellung, bei der Antragstellung habe der Kläger das 16. Lebensjahr bereits vollendet gehabt. Die familiäre Bindung könne durch visumfreie Besuchsaufenthalte aufrechterhalten werden; auch könne der Kläger ein Visum für Ausbildungs- oder Studienzwecke beantragen.

Die darauf erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht auf die mündliche Verhandlung vom 28. Oktober 2019 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der Kläger habe keinen unbedingten Nachzugsanspruch als Kind, da er im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung bereits das 16. Lebensjahr vollendet hatte. Die bloße Buchung eines Termins zur Vorsprache in der Botschaft sei mit dem Visumantrag nicht gleichzusetzen. Zwar unterliege der Visumantrag keinen besonderen Formanforderungen. Es müsse aber das konkrete Begehren erkennbar sein. Die Terminbuchung enthalte regelmäßig keine Angaben oder Unterlagen, die Gegenstand und Ziel des Vorsprachebegehrens in ausreichendem Maße bestimmen würden. Auch die Bestätigungsmail der Botschaft spreche nicht von einem bereits registrierten Antrag. Nach dem erkennbaren Erklärungsinhalt handele es sich bei der Terminregistrierung demnach nicht um einen Antrag; sie habe auch vom Kläger und seinen Eltern nicht als solcher verstanden werden können. Es bestehe überdies kein zwingendes Bedürfnis, wegen der Überschreitung von Altersgrenzen auf den Zeitpunkt der Terminbuchung abzustellen. Der Antrag könne auch außerhalb eines Vorsprachetermins schriftlich gestellt werden. Grundsätzlich sei es Angelegenheit des Betroffenen, sich über die Erteilungsvoraussetzungen und Handlungsoptionen zu informieren. Bei Unklarheiten oder Eilbedürftigkeit seien gegebenenfalls Erkundigungen einzuholen. Die Eltern des Klägers hätten auf diesem Wege erkennen können, dass der Familiennachzug über 16-jähriger Kinder Einschränkungen unterliege. Auf dem Merkblatt der Botschaft zum Kindernachzug werde darauf hingewiesen, dass bei Kindern über 16 Jahren Schulzeugnisse der letzten beiden Jahre mit Übersetzung sowie ein Sprachzertifikat C 1 des GER vorzulegen seien.

Müsse der Kläger die zusätzlichen Integrationsanforderungen für Kinder über 16 Jahren erfüllen, stehe dies seinem Anspruch auf Erteilung des Visums entgegen. Der Kläger beherrsche die deutsche Sprache nicht. Es sei weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass er über deutsche Sprachkenntnisse auf dem dafür erforderlichen hohen Kompetenzniveau verfüge. Zuletzt habe er eine Mitte Oktober 2019 ausgestellte Teilnahmebescheinigung einer Sprachschule über einen Deutschkurs auf dem dafür nicht genügenden Niveau B 1 eingereicht. Es erscheine auch nicht gewährleistet, dass der Kläger sich aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland einfügen könne. Dafür reiche die bloße Möglichkeit einer erfolgreichen Integration nicht aus, vielmehr müsse aufgrund konkreter Anhaltspunkte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine positive Integrationsprognose gerechtfertigt sein. Solche konkreten Anhaltspunkte seien nicht vorhanden. Der in Bosnien und Herzegowina geborene und bislang aufgewachsene Kläger habe keine Erfahrungen mit der Integration in einem fremden Land und keinen erkennbaren engen Bezug zu Deutschland. Insbesondere habe er keine deutsche Schule besucht. Selbst wenn seine deutschen Sprachkenntnisse dem Niveau B 1 entsprächen, reiche das nicht aus. Seine schulischen Leistungen seien eher durchwachsen. Bei einer Übersiedlung nach Deutschland wäre der Kläger nicht nur mit den inhaltlichen Anforderungen von Schule und Arbeitsmarkt konfrontiert, sondern auch mit sprachlichen Anforderungen, die das Niveau B 1 regelmäßig übersteigen würden. Dass er diesen Anforderungen bis zum Erreichen der Volljährigkeit gewachsen wäre, sei zwar möglich, erscheine aber nicht als gewährleistet.

Eine besondere Härte im Sinne des § 32 Abs. 4 AufenthG sei nicht gegeben. Ein unvorhergesehener Wandel in den Lebensverhältnissen des Klägers sei nicht eingetreten.

Das Verwaltungsgericht hat die Berufung wegen der als grundsätzlich bedeutsam erachteten Frage zugelassen, ob hinsichtlich der Einhaltung der Altersgrenzen für den Kindernachzug nach Sinn und Zweck von § 32 AufenthG jedenfalls dann auf den Zeitpunkt der Buchung eines Termins in der zuständigen Auslandsvertretung abzustellen ist, wenn diese – wie vorliegend – die persönliche Antragstellung im Termin als notwendig darstellt und auch nicht über die Möglichkeit von Sonderterminen bei drohender Überschreitung von Altersgrenzen informiert.

Zur Begründung der eingelegten Berufung macht der Kläger geltend: Er habe schon mit der Terminbuchung die Familienzusammenführung begehrt, was seinerzeit als Kind unter 16 Jahren nur nach § 32 AufenthG möglich gewesen sei. Bei Verlängerungsanträgen lasse das Bundesverwaltungsgericht eine Online-Terminvereinbarung zur Erhaltung der Rechtsposition ausreichen. Maßgeblich sei, wie die Botschaft in Sarajewo seine Erklärung verstehen musste, nicht wie er die darauf von der Botschaft abgegebene Erklärung zu verstehen hatte. Sein Begehren sei bereits am 3. März 2018 eindeutig gewesen; es habe sich nicht um eine bloße Terminanfrage, sondern um eine Mitteilung unter Angabe des Namens und des Aufenthaltsbegehrens gehandelt. Ausreichend sei, dass die Botschaft in Kenntnis des bevorstehenden Ablaufs des 16. Lebensjahres einen Termin erst nach Überschreiten der Altersgrenze bestätigt habe und in diesem Termin der Antrag wie bei der Buchung avisiert gestellt worden sei. Nach den Bestimmungen des Visakodex wäre ein Termin innerhalb von zwei Wochen zu bestimmen gewesen. Selbst bei voller Ausschöpfung der dreimonatigen Bearbeitungsfrist hätte das Visum noch vor Vollendung seines 16. Lebensjahres bereits im Juni 2018 erteilt werden können. Auch sei eine besondere Härte anzunehmen, weil er mit der Beantragung des Visums beabsichtigt habe, seinen Lebensmittelpunkt im Familienverband mit seiner Mutter und seinem Bruder zu seinem Vater nach Deutschland zu verlegen. Der Nachweis qualifizierter Sprachkenntnisse könne auch für das Niveau C 1 in anderer Weise als durch ein Sprachzertifikat geführt werden; es gelte insoweit nichts anderes als für das Niveau A 1.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. Oktober 2019 und des Remonstrationsbescheids vom 14. März 2019 die Beklagte zu verpflichten, ihm ein Visum zum Familiennachzug zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Entgegen dem klägerischen Vorbringen sei eine Terminvereinbarung vor Vollendung des 16. Lebensjahres keine die Altersgrenze wahrende Antragstellung. Bei der Online-Registrierung für einen Termin könnten die Daten des Vaters des Klägers als der in Deutschland lebenden Referenzperson nicht eingegeben werden. Es sei daher schon nicht klar, zu wem ein Familiennachzug erfolgen sollte und welche Rechtsgrundlage einschlägig wäre. Sie könne deshalb nicht als formloser Antrag angesehen werden. Auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Wirkung der Vereinbarung eines Vorsprachetermins bei der Ausländerbehörde zur Verlängerung eines Aufenthaltstitels könne sich der Kläger nicht berufen, weil es ihm nicht um die Verlängerung, sondern um die erstmalige Ausstellung eines Aufenthaltstitels zum dauernden Aufenthalt gehe. Der Kläger müsse infolge der Terminbuchung auch nicht so gestellt werden, als sei das Visum rechtzeitig vor Vollendung des 16. Lebensjahres beantragt worden. Das Abstellen auf den Zeitpunkt der Antragstellung für die Altersgrenze solle lediglich verhindern, dass der Kläger ihm an sich zustehende Rechte während der Verfahrensdauer allein durch Zeitablauf verliere; das betreffe nur den Zeitraum nach einer rechtzeitigen Antragstellung. Für die rechtzeitige Antragstellung zu sorgen, gehöre zu den Obliegenheiten des Klägers. Der Visakodex für Schengen-Visa und damit auch die darin genannten Bearbeitungsfristen fänden auf nationale Visa keine Anwendung.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Inhaltlich schließt sie sich der Erwiderung der Beklagten vollinhaltlich an.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird neben der Gerichtsakte auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (1 Halbhefter) und der Beigeladenen (3 Heftungen), die bei der Beschlussfassung vorgelegen haben, Bezug genommen.

II.

Der Senat kann über die Berufung im Beschlusswege gemäß § 130a VwGO entscheiden, da er einstimmig der Auffassung ist, dass das Rechtmittel gegen das klageabweisende Urteil unbegründet ist. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden.

Der Kläger hat in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebenden Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder – wie vorliegend – der Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – 10 C 4.12 – BVerwGE 145, 153, juris Rn. 12 m.w.N.) keinen Anspruch auf ein nationales Visum für die Einreise für einen längerfristigen Aufenthalt nach § 6 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG, da er die Voraussetzungen für einen Familiennachzug nach § 32 AufenthG nicht erfüllt (§§ 125 Abs. 1 i.V.m. 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

1. Auf § 32 Abs. 1 AufenthG allein kann das Nachzugsbegehren des inzwischen volljährigen Klägers nicht gestützt werden. Zwar bedarf es bei aufenthaltsrechtlichen Anspruchsgrundlagen mit einer Höchstaltersgrenze – wie hier beim Kindernachzug die Vollendung des 16. Lebensjahres –, die der Betroffene im maßgeblichen Zeitpunkt überschritten hat, einer auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte bezogenen Doppelprüfung: Für die Einhaltung der Altersgrenze ist ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen, so dass die übrigen Anspruchsvoraussetzungen spätestens auch im Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze vorgelegen haben müssen. Danach eingetretene Sachverhaltsänderungen zugunsten des Betroffenen können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Das nachzugswillige Kind soll ihm an sich zustehende Rechte nicht wegen der Verfahrensdauer allein durch Zeitablauf verlieren, aber auch nicht davon profitieren, dass es Sachverhaltsänderungen zu seinen Gunsten nach Vollendung des 16. Lebensjahres geltend machen kann, die bei rechtmäßiger Bescheidung seines Antrags nie zu einem Anspruch hätten führen können (vgl. BVerwG, Urteile vom 7. April 2009 – 1 C 17.08 – BVerwGE 133, 329, juris Rn. 10 und vom 26. August 2008 – 1 C 32.07 – BVerwGE 131, 370, juris Rn. 16 f.). Der Kläger kann sich darauf aber nicht berufen, denn er hatte im Zeitpunkt der Antragstellung am 12. Oktober 2018 für das Visum bereits das 16. Lebensjahr vollendet.

Das Verwaltungsgericht hat insoweit zu Recht auf das Datum der Antragstellung und nicht auf den Zeitpunkt der Online-Terminregistrierung durch die Mutter des Klägers am 3. März 2018 oder der Registrierungs-Mail der Botschaft vom 21. März 2018 abgestellt.

Die Anfrage für einen Termin zur Vornahme einer Rechtshandlung ist nicht gleichbedeutend mit der Vornahme der Rechtshandlung. Allein dieser Grundsatz findet in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. August 2019 (1 C 23.18 - InfAuslR 2019, 432, juris Rn. 28) eine Bestätigung; im Übrigen behandelt die Entscheidung eine Online-Terminvereinbarung bei der Ausländerbehörde für die Beantragung der Verlängerung eines Aufenthaltstitels, bei der die Behörde bei verspätetem Antrag nach § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG die Fortgeltungswirkung des bisherigen Aufenthaltstitels anordnen und im Rahmen einer Online-Terminvereinbarung eine solche Anordnung im Falle der späteren Stellung eines Verlängerungsantrags auch zusagen kann. Insofern fehlt es schon an einer Übertragbarkeit der Ausführungen auf den vorliegenden Fall, denn der Kläger begehrt nicht die Verlängerung eines (befristeten) Aufenthaltstitels, sondern die erstmalige Erteilung eines (nationalen) Visums zum Familiennachzug. Dafür gibt es keine mit § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG vergleichbare rechtliche Grundlage, um der Vereinbarung eines Termins rechtserhaltende Wirkung in Bezug auf eine aufenthaltsrechtliche Höchstaltersgrenze bei späterer Antragstellung beimessen zu können. Sie ist auch nicht notwendig, da der Antrag auf Familiennachzug bei einem Kind, das das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, unbeschadet der üblichen Verfahrensweise deutscher Auslandsvertretungen mit der beschriebenen rechtserhaltenden Wirkung formlos schriftlich gestellt werden kann.

Auf die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex, ABl. Nr. L 243, S. 1 ber. ABl. 2013 Nr. L 154 S. 109) kann sich der Kläger für seine Auffassung nicht berufen. Sie legen nach Art. 1 Abs. 1 Visakodex nur Verfahren und Voraussetzungen für die Erteilung von Visa für die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder für geplante Aufenthalte in diesem Gebiet von höchstens 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen fest. Auf nationale Visa für längerfristige Aufenthalte finden sie keine Anwendung. Für eine entsprechende Anwendung der Vorschriften des Visakodex ist angesichts des abweichenden Prüfungsrahmens des nationalen Rechts für längerfristige Aufenthalte kein Raum; insoweit fehlt es sowohl an einer planwidrigen Regelungslücke als auch an einer Übertragbarkeit der Verfahrensregelungen für die Bearbeitung von Anträgen auf Schengen-Visa.

Die – wie dargestellt formlos – mögliche Antragstellung kann aus Sicht eines verständigen Empfängers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte (§§ 133, 157 BGB) auch nicht bereits in der Online-Registrierung für einen Vorsprachetermin oder deren Bestätigung gesehen werden. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass schon die im Rahmen der Registrierung abgefragten Informationen für den Mindestgehalt eines Visumantrags nicht ausreichend sind. Allenfalls kann der Registrierung entnommen werden, dass die Beantragung eines Visums zur Familienzusammenführung bei der persönlichen Vorsprache beabsichtigt wird, ohne dass aber im Einzelnen erkennbar würde, zu wem der Nachzug auf welcher Rechtsgrundlage erfolgen soll. Auch der Kläger selbst verweist insoweit, was die Familienzusammenführung angeht, auf die zusätzliche Information, dass die Botschaft seinem Vater zuvor schon ein Visum erteilt habe; er lässt dabei außer Acht, dass in dem automatisierten Verfahren der Terminregistrierung diese Information nicht abgefragt und nicht in einen Zusammenhang mit dem Begehren gebracht wird, für das die Registrierung erfolgt. Die Angabe des Geburtsdatums eines kurz vor Vollendung des 16. Lebensjahres stehenden Kindes allein lässt ebenfalls keinen zwingenden Rückschluss darauf zu, dass ein Familiennachzug nur unter Berücksichtigung der Altersgrenze nach § 32 Abs. 1 AufenthG beabsichtigt wird.

Schließlich kommt auch eine Behandlung des Klägers in der Weise, als habe er seinen Visumantrag vor Vollendung des 16. Lebensjahres gestellt, auf der Grundlage des auch im öffentlichen Recht anwendbaren allgemeinen Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht in Betracht. Im Rahmen des Registrierungsverfahrens hat die Botschaft keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, was die inhaltliche Behandlung des Nachzugsbegehrens angeht. Auf eine Verletzung von allgemeinen Beratungs- und Auskunftspflichten im Sinne des § 25 Abs. 2 VwVfG kann sich der Kläger ohnehin nicht berufen, da das Verwaltungsverfahrensgesetz für die Tätigkeit der Vertretungen des Bundes im Ausland nicht gilt (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG). Ein Vertrauenstatbestand ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass die Auslandsvertretung in Sarajewo nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts auf ihrer Webseite die Stellung eines Antrags in einem Termin zur persönlichen Vorsprache als alternativlos darstellt und auch nicht darüber informiert, dass bei drohender Überschreitung von Altersgrenzen Sondertermine vergeben werden können. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass es zu den Obliegenheiten des Nachzugswilligen bzw. seiner Sorgeberechtigten gehört, sich über die zu erfüllenden Nachzugsvoraussetzungen zu informieren und diesbezüglich gegebenenfalls Erkundigungen einzuholen, was insbesondere dann, wenn sich ein Familienmitglied bereits in Deutschland befindet, ohne Schwierigkeiten möglich sein sollte. Unter diesen Umständen hätten die Eltern des Klägers unbeschadet des Fehlens einer allgemeinen Information seitens der Botschaft in Sarajewo erkennen können, dass der Nachzug von Kindern über 16 Jahren an weitere Voraussetzungen gebunden ist und zusätzliche Nachweise im Verfahren erfordert. Auf konkrete Nachfrage hätten sie die Eilbedürftigkeit der Antragstellung bezüglich des Klägers in Erfahrung bringen können. Gegen die Beklagte kann nach den Feststellungen zum Verfahren daher nicht der Vorwurf eines arglistigen Verhaltens erhoben werden, der ihr im konkreten Zusammenhang die Berufung auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Antragstellung am 12. Oktober 2018 versagen würde. Weder hat sie die Mutter des Klägers unrichtig über die Wirkungen der Online-Registrierung informiert, noch hat sie eine erkennbar vorhandene Fehlvorstellung der Eltern des Klägers über den Kindernachzug bezüglich des Klägers unterhalten. Vielmehr durfte die Auslandsvertretung davon ausgehen, dass die Höchstaltersgrenze für den unbedingten Nachzugsanspruch von Kindern allgemein bekannt ist. Weitere Obliegenheiten über die Bestätigung der Registrierung und spätere Mitteilung eines Vorsprachetermins hinaus trafen die Beklagte nicht. Es sind auch keine Umstände im Fall des Klägers ersichtlich, die sie zu besonderer Fürsorge ihm gegenüber als Kind verpflichtet hätten. Die allgemeinen Obliegenheiten nachzugswilliger Ausländer müssen deutsche Auslandsvertretungen nicht ungefragt von sich aus wahrnehmen.

2. Die einschränkenden Voraussetzungen des § 32 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfüllt der Kläger nicht. Hat das minderjährige ledige Kind bereits das 16. Lebensjahr vollendet und verlegt es seinen Lebensmittelpunkt nicht zusammen mit seinen Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in das Bundesgebiet, besteht der Anspruch auf Familiennachzug gemäß § 32 Abs. 1 AuftenthG nur, wenn es die deutsche Sprache beherrscht oder gewährleistet erscheint, dass es sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann.

a) Der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass er die deutsche Sprache „beherrscht“. Das ist der Fall, wenn die deutschen Sprachkenntnisse des Ausländers dem Niveau C 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen entsprechen (vgl. § 2 Abs. 12 AufenthG). Einen Nachweis über die erfolgreiche Ablegung einer dem Niveau C 1 entsprechenden Sprachprüfung hat der Kläger auch im Berufungsverfahren nicht vorgelegt. Sein in der Sache zutreffender Hinweis, das Vorliegen ausreichender Sprachkenntnisse könne auch anders als durch ein entsprechendes Sprachzertifikat nachgewiesen werden (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – 10 C 11.12 – BVerwGE 145, 172, juris Rn. 30), geht ins Leere, da nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich ist, wie der Kläger den anderweitigen Nachweis zu führen gedenkt. Bescheinigungen über die Teilnahme an einem Sprachkurs eines bestimmten Niveaus sind zur hier erforderlichen Nachweisführung schon dann ungeeignet, wenn es sich nicht um einen Sprachkurs des Niveaus C 1 handelt. Auch die Teilnahme an einem solchen Sprachkurs genügt grundsätzlich nicht, wenn der Kläger keine Prüfung zum Nachweis, dass er die deutsche Sprache in dem geforderten Sinn beherrscht, erfolgreich absolviert hat.

b) Es ist auch nicht ersichtlich oder im Berufungsverfahren geltend gemacht, dass dem Kläger alternativ eine positive Integrationsprognose gestellt werden kann (zu den Anforderungen: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. September 2017 - OVG 11 B 16.16 – InfAuslR 2018, 1, juris Rn. 48 f.). Zu Recht hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte verneint, nach denen gewährleistet erscheint, der Kläger werde sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland einfügen können. Der Kläger ist in Bosnien ohne besonderen Bezug zu Deutschland aufgewachsen. Seine schulischen Leistungen im Fach „Deutsch“ als Fremdsprache – die sich allerdings entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts erst in der Abschlussklasse auf ein „genügend“ reduziert hatten und deshalb nicht wie die Leistungen in anderen Fächern als „durchwachsen“ angesehen werden können, sondern für eine Integration durchaus günstige Anhaltspunkte bieten – reichen für die geforderte positive Integrationsprognose allein nicht aus. Das folgt schon daraus, dass die gesetzliche Alternative von Sprachkenntnissen im Sinne eines Beherrschens der deutschen Sprachen damit nicht nachgewiesen ist.

3. Eine besondere Härte im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Sie setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, voraus, dass das Interesse des minderjährigen Kindes und des im Bundesgebiet lebenden Elternteils an einem Zusammenleben deswegen vorrangig ist, weil sich die Lebensumstände wesentlich geändert haben, die das Verbleiben des Kindes im Heimatland bisher ermöglichten, und weil dem Elternteil eine Rückkehr in das Heimatland gegenwärtig nicht zumutbar ist. Grundvoraussetzung für die Annahme einer besonderen Härte ist demzufolge der Eintritt eines Umstands, den der Elternteil bei seiner früheren Entscheidung, das Kind nicht nach Deutschland nachzuholen, nicht in Rechnung stellen konnten (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. August 2008, a.a.O., Rn. 31 und vom 18. November 1997 – 1 C 22.96 – InfAuslR 1998, 161, juris Rn. 32; Beschlüsse vom 24. Oktober 1996 – 1 B 180.96 –, juris Rn. 5 und vom 24. Januar 1994 – 1 B 181.93 –, juris Rn. 3). An einer solchen unvorhersehbaren Änderung in den Lebensumständen des Klägers fehlt es hier.

Allein der Umstand, dass die ältere, 1999 geborene Schwester des Klägers im September 2019 geheiratet hat und aus der gemeinsam mit dem Kläger bewohnten bisherigen Familienwohnung in B... ausgezogen ist, reicht dafür nicht aus. Abgesehen davon, dass der Kläger selbst nicht behauptet, eine solche Entwicklung sei bei der Aufenthaltsverlagerung seiner Mutter im März 2019 unvorhersehbar gewesen, ist nicht ersichtlich, dass und in welchem Umfang die Schwester familiäre Betreuungsleistungen stellvertretend für ihre Eltern gegenüber dem Kläger erbracht hat, der bereits Anfang Juli 2019 das 17. Lebensjahr vollendet hat und sich damit in einem Alter befand, in dem der Bedarf an solchen Betreuungsleistungen nicht mehr vergleichbar wie bei jüngeren Kindern besteht. Insofern kann dem Berufungsvorbringen nichts dafür entnommen werden, dass bis zum maßgebenden Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres eine Situation eingetreten sein könnte, in der ein Verbleib des Klägers in seinem Heimatland ihn vergleichbar härter träfe als im Zeitpunkt der Ausreise seiner Mutter. Allein der Umstand, dass der Kläger wegen Überschreitung der Altersgrenze nach § 32 Abs. 2 Satz 1 AufenthG und dem Mangel des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen für einen Familiennachzug seinen Aufenthalt nicht gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Bruder in das Bundesgebiet verlegen konnte, kann keine „besondere“ Härte begründen, sondern ist Folge der gesetzlichen Ausgestaltung des Familiennachzugs (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 5. August 2016 - OVG 12 N 84.15 – Beschlussabdruck S. 4 f.).

4. Hiernach ist auch für einen Anspruch auf Nachzug des Klägers als sonstiger Familienangehöriger nach § 36 Abs. 2 AufenthG kein Raum, da der Nachzug zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich sein müsste, die ohne nachteilige Veränderungen der Lebenssituation bis zum Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung oder Entscheidung begrifflich ausgeschlossen ist, wenn es schon an einer den Familiennachzug ermöglichenden besonderen Härte fehlt (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 – 1 C 15.12 – BVerwGE 147, 278. juris Rn. 13; Senatsbeschluss vom 2. April 2020 – OVG 12 N 34/20 – Beschlussabdruck S. 3 f.).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt. Die Rechtssache des Klägers löst keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf aus, sondern ist anhand des Gesetzes und dessen Auslegung nach den dafür geltenden Methoden, allgemeiner Rechtsgrundsätze und der vorliegenden Rechtsprechung eindeutig zu entscheiden.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 GKG.

Die Festsetzung des Streitwertes ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).