Gericht | FG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 17.12.2014 | |
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Aktenzeichen | 3 K 3138/14 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 181 Abs 3 S 1 AO, § 181 Abs 3 S 2 AO, § 181 Abs 3 S 3 AO, § 169 Abs 2 AO, § 22 Abs 2 BewG, § 22 Abs 3 BewG, § 22 Abs 4 BewG, § 28 Abs 1 BewG |
1. Eine 1968 und damit verspätet abgegebene Hauptfeststellungserklärung verschiebt auch noch 2006 die Feststellungsfrist für eine Fortschreibung um drei Jahre (sog. Billardeffekt).
2. Der Wegfall der Mietpreisbindung für ein konkretes Haus ist eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse.
3. Das Unterlassen einer bereits früher gebotenen Änderung (Wertfortschreibung) führt nicht zur nachträglichen Entstehung eines Fehlers. Die Nachholung einer Fortschreibung wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ist keine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.
Die Beteiligten streiten darum, wie weit rückwirkend ein Einheitswert geändert werden kann, und vor diesem Hintergrund um das Vorliegen einer fehlerbeseitigenden Wertfortschreibung.
I.
Das im Westteil Berlins belegene Grundstück unterlag zunächst der Beschlagnahme durch die Britische Besatzungsmacht, später war die Vermietung an Bundesbedienstete vorbestimmt mit einer Mietpreisbeschränkung auf 2,37 DM/m². Die Mietspiegelwerte 1964 lagen bei 3,75 DM/m² für Einfamilienhäuser und Doppelhaushälften (EW-A Bl. 33).
Die Erklärung eines Rechtsvorgängers der Kläger zur Hauptfeststellung des Einheitswerts auf den 01.01.1964 ging am 07.03.1968 beim seinerzeitigen Finanzamt C… ein (EW-A Bl. 1). Die darin geschätzte Jahresrohmiete geht von 2,57 DM/m² aus. Im Einheitswertbescheid auf den 01.01.1964 wurde ein Abschlag von 20 % aufgrund der Berlin-Ermäßigung vorgenommen und ein Einheitswert von 38.000 DM festgestellt.
Mit Einheitswertbescheid – Wertfortschreibung – auf den 01.01.1994 an einen Rechtsvorgänger der Kläger vom 04.02.1994 wurde ein Einheitswert von 47.500 DM festgestellt (EW-A Bl. 11). Die Erhöhung ergab sich aufgrund des Wegfalls der Berlin-Ermäßigung bei gleichbleibender Jahresrohmiete.
Nach anderweitiger Zurechnungsfortschreibung erwarben die Kläger je zu ½ mit notariellem Vertrag vom 29.10.2001 das Einfamilienhaus. Durch Einheitswertbescheid - Zurechnungsfortschreibung - auf den 01.01.2002 vom 22.03.2002 wurde ihnen die wirtschaftliche Einheit entsprechend zu je ½ zugerechnet; dabei wurde mitgeteilt, der Einheitswert betrage wie bisher 47.500 DM = 24.286,36 € (EW-A Bl. 22).
Mit notariellem Vertrag vom 02.06.2010 übertrug der Kläger seine Hälfte schenkweise auf die Klägerin. Mit Einheitswertbescheid – Zurechnungsfortschreibung – auf den 01.01.2011 vom 19.10.2010 wurde die wirtschaftliche Einheit nunmehr der Klägerin zu 1/1 zugerechnet. Dabei wurde wieder die vorgenannte Mitteilung zum fortbestehenden Einheitswert gemacht (EW-A Bl. 28).
II.
Das beklagte Finanzamt – FA – teilte der Klägerin mit Schreiben vom 06.03.2013 mit, das Grundstück habe bisher einer Nutzungs- und Ertragseinschränkung unterlegen, die nunmehr weggefallen sei, was eine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse darstelle, weswegen eine Fortschreibung des Einheitswerts zu prüfen sei. Ferner sei vermutlich das Dachgeschoss ausgebaut worden, was ebenfalls zu einer Fortschreibung führen könne. Es bat um bestimmte Angaben. Mit Schreiben vom 21.06.2013 forderte das FA die Klägerin zur Abgabe einer Feststellungserklärung auf den 01.01.2006 auf, die nicht abgegeben wurde. Mit Schreiben vom 01.10.2013 teilte das FA mit, soweit der Wegfall der Mietpreisbeschränkung bereits früher erfolgt sei, könne eine Fortschreibung gleichwohl nur auf den 01.01.2006 erfolgen, weil für frühere Zeitpunkte Verjährung eingetreten sei.
Mit Einheitswertbescheid – Wertfortschreibung – auf den 01.01.2006 vom 19.12.2013 an die Kläger wurde der Einheitswert auf 208.900 DM = 106.808 € festgestellt (EW-A Bl. 46, FG-A 3 K 3139/14 Bl. 23). Der Wert wurde schätzweise im Sachwertverfahren ermittelt. Die Feststellung ist vorläufig (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Abgabenordnung – AO –) hinsichtlich der Frage, ob die Vorschriften über die Einheitsbewertung des Grundvermögens verfassungsgemäß sind.
III.
Der Einspruch der Kläger vom 02.01.2014 wurde trotz Aufforderung des FA vom 08.01.2014 nicht begründet und mit Einspruchsentscheidung vom 16.05.2014 als unbegründet zurückgewiesen (FG-A Bl. 5).
IV.
Hiergegen richtet sich die Klage vom 16.06.2014.
Auch im Klageverfahren haben die Kläger keine Feststellungserklärung vorgelegt und keine Angaben zum Grundstück oder zur Ausstattung des Hauses gemacht. Zur Berechtigung zur Schätzung und zum Schätzungsergebnis nehmen sie nicht Stellung. Sie tragen vor, die Voraussetzungen des § 22 BewG (Fortschreibungen) lägen nicht vor, außerdem sei Verjährung eingetreten. Bereits seit 1998, aufgrund der Anzeige eines Eigentumswechsels und darauf erfolgter Zurechnungsfortschreibung, wisse das FA, dass die Mietpreisbindung entfallen sei. Daher sei bereits zu diesem Zeitpunkt der Einheitswert fehlerhaft geworden. Es liege somit eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung vor, die mithin allenfalls auf den 01.01.2013 hätte vorgenommen werden dürfen. Die Fortschreibung auf den 01.01.2006 greife zu weit zurück.
Die Kläger beantragen,
den Einheitswertbescheid – Wertfortschreibung – auf den 01.01.2006 vom 19.12.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.05.2014 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA verweist gegen die Verjährung auf § 181 Abs. 3 Satz 3 AO. Es liege eine Fortschreibung wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, keine fehlerbeseitigende Fortschreibung vor.
V.
Die Einheitswert- und Grundsteuerakte sowie die Finanzgerichtsakten der erledigten Verfahren 3 K 3139/14 und 3 K 3155/14 lagen vor.
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der angefochtene Bescheid verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –).
I.
Bei Erlass des angefochtenen Bescheides war noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten.
Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre (§ 169 Abs. 2 AO) und beginnt in der Regel mit Ablauf des Feststellungsjahres (§ 181 Abs. 3 Satz 1 AO), dies wäre hier aufgrund des Stichtags 01.01.2006 am 31.12.2006 und damit Fristablauf am 31.12.2010. Allerdings ist § 181 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 AO zu beachten. Gemäß § 28 Abs. 1 BewG bestand zum Hauptfeststellungszeitpunkt 01.01.1964 eine Erklärungspflicht von Gesetzes wegen ohne besondere Aufforderung. Aufgrund der Abgabe der Erklärung durch den Rechtsvorgänger (erst) am 07.03.1968 begann die Feststellungsfrist für die Hauptfeststellung gemäß § 181 Abs. 3 Satz 2 AO nicht am 31.12.1964, sondern am 31.12.1967. Gemäß § 181 Abs. 3 Satz 3 AO verschiebt sich der Beginn der Festsetzungsfrist damit für die hier verfahrensgegenständlich Fortschreibung vom 31.12.2006 auf den 31.12.2009 und das Fristende somit auf den 31.12.2013, so dass bei Erlass des Bescheides am 19.12.2013 noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten war.
Diese in der Literatur bisweilen als Billardeffekt bezeichnete Verschiebung hatte ursprünglich den Zweck zu verhindern, dass für etwaige Fortschreibungen die Feststellungsfrist früher abläuft als die Hauptfeststellungsfrist selbst. Aufgrund des mittlerweile infolge Hinausschiebens der erneuten Hauptfeststellung langdauernden Hauptfeststellungszeitraums ist diese Vorschrift in gewisser Weise sinnentleert. Es besteht jedoch gleichwohl kein Anlass für eine einschränkende Auslegung im Sinne einer teleologischen Reduktion, denn der Gesetzgeber hat die Regelung in Kenntnis ihrer Wirkung belassen. Außerdem wäre unklar, ab welchem Jahr sie in Bezug auf die Erklärung zum Hauptfeststellungszeitpunkt nicht mehr gelten sollte. Überdies gilt die Regelung auch für später abzugebende Erklärungen, etwa bei Fortschreibungen oder Nachfeststellungen, auch wenn solche Erklärungen nur auf rechtzeitige Aufforderung des FA abzugeben sind, und macht daher im Prinzip auch weiterhin in anderen Fällen noch Sinn.
II.
Die Fortschreibung erfolgte auch auf den richtigen Stichtag, weil keine fehlerbeseitigende Fortschreibung, sondern eine Fortschreibung wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse vorlag.
1.
Der Wegfall der Mietpreisbindung für das konkrete Haus ist eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse (vgl. Halaczinsky in Rössler/Troll, BewG, § 22 Rz. 74 und zur vergleichbaren Eigenschaft „öffentlich gefördert“ als zu den tatsächlichen Verhältnissen gehörig FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.06.2014 3 K 3312/10, EFG 2014, 1708, Juris Rn. 35).
2.
Der Einheitswertbescheid vom 17.12.1998 an die Rechtsvorgänger war ein reiner Zu-rechnungsfortschreibungsbescheid, ohne Wertfortschreibung. Es lag daher nie eine falsche Wertfeststellung vor, daher ist der angefochtene Bescheid kein fehlerbeseitigender.
Das Unterlassen einer bereits früher gebotenen Änderung (Wertfortschreibung, hier zum 01.01. nach dem Wegfall der Mietpreisbindung, jedenfalls vor dem 01.01.2006) führt nicht zur nachträglichen Entstehung eines Fehlers des unveränderten Einheitswerts (hierzu ausführlich FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.06.2014 3 K 3312/10, EFG 2014, 1708, Juris Rn. 32 ff, zwar ergangen zum Grundsteuermessbetrag, aber hergeleitet aus den Vorschriften für die Einheitsbewertung). Eine Änderung der für die Einheitsbewertung relevanten tatsächlichen Verhältnisse macht einen in früherer Zeit auf einen vor dem Zeitpunkt der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ergangenen Einheitswert nicht fehlerhaft.
Die zuvor unterlassene Fortschreibung wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ist vielmehr auf den frühesten noch nicht verjährten Zeitpunkt nachzuholen.
III.
Bedenken gegen die Schätzungsbefugnis (§ 162 AO) aufgrund der nicht abgegebene Feststellungserklärung, gegen die Anwendung des Sachwertverfahrens (§ 76 Abs. 3 Nr. 1 BewG) und die schätzweise Berechnung (§§ 83-90 BewG) sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
IV.1.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
2.
Die Revision wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO. Die Frage, ob bei zunächst unterlassener und später nachgeholter Berücksichtigung einer Änderung tatsächlicher Verhältnisse eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung vorliegt, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Da die Berliner Finanzämter, wie dem Senat bekannt, in letzter Zeit häufiger länger zurückliegende Veränderungen aufarbeiten, stellt sich die Frage in einer Vielzahl von Fällen.
3.
Der Senat entscheidet durch Gerichtsbescheid gemäß § 90a Abs. 1 FGO.