Gericht | VG Frankfurt (Oder) 3. Kammer | Entscheidungsdatum | 28.06.2013 | |
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Aktenzeichen | VG 3 K 452/13.A | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 60 Abs 1 AufenthG, § 60 Abs 2 AufenthG, EGRL 83/2004 |
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. März 2013 verpflichtet festzustellen, dass der Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfüllt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der am xx.xx.1986 geborene Kläger ist xxx Staatsangehöriger mit xxx Volkszugehörigkeit und gehört der christlichen Religion an.
Eigenen Angaben zufolge verließ er sein Heimatland am 24. August 2012 und reiste am selben Tag mit dem Flugzeug in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er seine Anerkennung als politischer Flüchtling beantragte.
In seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 4. März 2013 erklärte der Kläger u.a., er habe am xx.xx. 2010 seinen Wehrdienst angetreten. Eigentlich dauere der Wehrdienst 18 Monate, wegen des Krieges habe er aber länger bleiben müssen. Am xx.xx. 2012 sei er desertiert. An diesem Tage sei seine Kaserne von einer islamischen Gruppe angegriffen worden. Er habe sich versteckt. Als die Mitglieder der Gruppe die Kaserne verlassen hätten, hätten sie gerufen, dass alle, die nicht mehr für die xxx Armee kämpfen wollten, sich ihnen anschließen sollten. Er, der Kläger, habe gerufen, er wolle mitkommen. Er sei von Mitgliedern dieser Gruppe geschlagen, durchsucht, mit der Erschießung bedroht und vernommen worden. Später habe man von ihm verlangt, Moslem zu werden. Zum Schein sei er darauf eingegangen. Er sei dann noch 20 Tage festgehalten worden, um ihm die islamischen Traditionen beizubringen. Von ihm sei auch eine Videoaufnahme angefertigt worden, in der es heiße, dass er nicht mehr für die xxx Armee kämpfe und auch kein Christ mehr sei. Diese Aufnahme sei im Internet zu sehen. Danach habe er sich frei bewegen können und diese Chance genutzt, in die Türkei zu reisen.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 20. März 2013, dem Kläger zugestellt am 26. März 2013, stellte das Bundesamt zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes hinsichtlich xxx fest, lehnte den Antrag im Übrigen aber ab.
Mit der gegen diesen Bescheid am 4. April 2013 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Begehren insoweit, als es um die Anerkennung als Flüchtling geht.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
unter Teilaufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. März 2013 die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass in seiner Person die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen,
Die Beklagte verteidigt den angegriffenen Bescheid und beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
A. Das Gericht entscheidet nach Übertragung der Sache auf den Einzelrichter mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
B. Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 20. März 2013 ist – soweit er im vorliegenden Verfahren umstritten ist - rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Dieser hat über den ihm bereits zuerkannten so genannten subsidiären Schutzstatus hinaus den allein geltend gemachten Anspruch auf Feststellung, dass in seiner Person die Voraussetzungen für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
I. Rechtsgrundlage der Flüchtlingsanerkennung ist § 3 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) i.V.m. § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes(AufenthG). Der erstgenannten Bestimmung zufolge ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach dieser Vorschrift darf in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.
Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob die damit umschriebene Verfolgung vorliegt, Art. 4 Abs. 4 und Art. 7-10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 304 vom 30. September 2004; im Folgenden: Qualifikationsrichtlinie, QRL; vgl. ergänzend die bisher jedoch noch nicht umgesetzte Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011, Amtsblatt Nr. L 337 vom 20. Dezember 2011, Seite 9) anzuwenden.
Ein Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung ist - zusammengefasst - gegeben, wenn begründete Furcht besteht, dass der Ausländer in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 QRL geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - BVerwG 10 C 23.12 -, http://www.bverwg.de Rn. 19). Das ist zu bejahen, wenn - in den Rechtsbegriffen von § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. der Qualifikationsrichtlinie - ein Verfolger (dazu nachfolgend 1.) durch eine bestimmte Voraussetzungen erfüllende Verfolgungshandlung (2.) aus (gesetzlich) bestimmten Verfolgungsgründen (3.) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Menschenrechte des Flüchtlings bedroht (5.), eine Kausalität zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund besteht (4.) und dagegen weder ein nationaler Schutz gegeben (6.) noch eine inländische Fluchtalternative vorhanden (7.) sind, wobei jedenfalls aus Anlass des vorliegenden Verfahrens nicht entschieden werden muss, in welcher Reihenfolge die verschiedenen Tatbestandsvoraussetzungen bzw. Ausschlussgründe zu prüfen sind (vgl. hierzu Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 2009, § 2 Rn. 3 ff.).
1. § 60 Abs. 1 S. 4 AufenthG benennt als für eine Flüchtlingsanerkennung tatbestandlich in Betracht kommende Verfolger den Staat (lit. a), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen (lit. b) oder nichtstaatliche Akteure, sofern die unter den Buchstaben a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (lit. c), es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.
2. Als Verfolgung im Sinne der Qualifikationsrichtlinie gelten Handlungen, die entweder aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten keine Abweichung zulässig ist
(Art. 9 Abs. 1 lit. a QRL) oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschriebenen Weise betroffen ist (lit. b derselben Bestimmung).
Als Verfolgung im Sinne von Absatz 1 können unter anderem gelten die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt (Art. 9 Abs. 2 lit. a QRL).
Unter diesen Begriff fällt auch die Anwendung der Folter als intensivste Form der Ausgrenzung aus der staatlichen Friedensordnung (BVerfG, Beschlüsse vom 3. Juli 1996 - 2 BvR 1957/94 -, Juris Rn. 19; vom 27. April 2004 - 2 BvR 1318/03 -, http://www.bundesverfassungsgericht.de Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 5. März 2009 - BVerwG 10 C 51.07 -, http://www.bverwg.de Rn. 11). Nach dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter ist diese durch vier tatbestandliche Elemente gekennzeichnet. Es muss eine dem Staat zurechenbare Handlung festgestellt werden, die Schmerzzufügung muss einen bestimmten Intensitätsgrad erreichen, die Handlung muss vorsätzlich begangen werden und einen bestimmten Zweck erfüllen (vgl. Marx, a.a.O. Seite 655; Bergmann in: Renner, Ausländerrecht, § 60 Rn. 35).
3. Zu den nach der Qualifikationsrichtlinie in Betracht kommenden Verfolgungsgründen gehört neben anderen eine politische Überzeugung. Darunter ist insbesondere zu verstehen, dass der jeweilige Schutzsuchende in einer Angelegenheit, die die in Art. 6 genannten potentiellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Schutzsuchende aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (Art. 10 Abs. 1 lit. e) QRL).
Die Gefahr einer eigenen Verfolgung für einen Ausländer, der seine Anerkennung als Asylberechtigter (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 -, BVerfGE 83, 216, 231) oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung).
Das Bundesverwaltungsgericht hat, seine bisherige Rechtsprechung zusammenfassend, ausgeführt (Urteil vom 21. April 2009 - BVerwG 10 C 11.08 -, http://www.bverwg.de Rn. 13 ff.):
Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <204>) - ferner eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. Urteil vom 18. Juli 2006 a.a.O. Rn. 20). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. Urteil vom 5. Juli 1994 a.a.O. <204 f.>). Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss.
Diese ursprünglich für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze sind prinzipiell auch auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, wie sie nunmehr durch § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG (entsprechend Art. 6 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie ) ausdrücklich als schutzbegründend geregelt ist (vgl. Urteil vom 18. Juli 2006 a.a.O. Rn. 21 f.).
Unerheblich ist auch, ob der Schutzsuchende tatsächlich die in Art. 10 Abs. 1 QRL genannten, zur Verfolgung führenden Merkmale aufweist, sofern sie ihm von seinem Verfolger zugeschrieben werden (Art. 10 Abs. 2 QRL).
4. Voraussetzung einer Flüchtlingsanerkennung ist gemäß Art. 9 Abs. 3 QRL ferner eine Kausalverknüpfung zwischen dem in Art. 10 QRL genannten Verfolgungsgrund und einer Verfolgungshandlung.
5. Aus der in Art. 2 lit. c QRL enthaltenen Begriffsbestimmung eines Flüchtlings folgt, dass eine Flüchtlingsanerkennung nur in Betracht kommt, wenn der Schutzsuchende eine begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der genannten Verfolgungsgründe hat. Bei der Entscheidung der Frage, ob die Furcht begründet ist, ist aber - anders als nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bzw. des Bundesverwaltungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 26. November 1986 – 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51; BVerwG, Urteile vom 29. November 1977 - 1 C 33.71 -, BVerwGE 55, 82 [83], und vom 23. Juli 1991 - 9 C 154.90 -, BVerwGE 88, 367 [377]) zur Asylanerkennung nach Art. 16, 16 a Grundgesetz - nicht unmittelbar maßgebend, ob der jeweilige Antragsteller vorverfolgt ausgereist ist oder nicht, mit der Folge, dass im ersten Fall ein anderer - abgesenkter - Maßstab an die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen anzulegen ist als letzterenfalls. Erforderlich für die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung ist vielmehr stets, dass dem Ausländer die in Betracht kommenden Gefahren aufgrund der in seinem Heimatland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 a.a.O.). Eine ähnliche Wirkung hat im Ergebnis aber Art. 4 Abs. 4 QRL (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 -, http://www.bverwg.de Rn. 18 ff.; vgl. auch EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - C-175/08 u.a. -, zitiert nach http://eur-lex.europa.eu), wonach die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, einen ernsthaften Hinweis darauf gibt, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.
6. Die Anerkennung eines Schutzsuchenden als Flüchtling kommt nicht in Betracht, wenn in seinem Heimatland Schutz vor Verfolgung durch innerstaatliche Akteure gewährleistet wird (Art. 7 QRL).
7. Gemäß Art. 8 QRL können die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen derartigen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden und vom Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält.
II. Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.
III. An diesen Grundsätzen gemessen hat der Kläger einen Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG.
Dass Rückkehrern, und damit auch dem Kläger, im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland die Gefahr der Folter droht, entspricht der ersichtlichen obergerichtlichen Tatsachenermittlung und befindet sich in Übereinstimmung mit der Gefährdungsprognose auch des Gerichts, bedarf aber an dieser Stelle keiner Vertiefung, weil davon auch die Beklagte ausgeht und dem Kläger schon mit dem angegriffenen Bescheid vom 20. März 2013 den subsidiären Schutzstatus des § 60 Abs. 2 AufenthG zuerkannt hat.
Umstritten ist allein, ob ihm deshalb (lediglich) dieser Schutzstatus zusteht, oder ob er darüber hinaus den im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG hat.
Diese Frage ist nach Auffassung des Gerichts in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt (Urteil vom 18. Juli 2012 - 3 L 147/12, Juris), jedoch gegen die Beklagte sowie die Entscheidungspraxis des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (vgl. etwa Urteil vom 14. Februar 2012 - 14 A 2708/10.A -; Beschluss vom 7. Mai 2013 - 14 A 1008/13.A -; jeweils: http://www.justiz.nrw.de) zu bejahen.
1. Dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Foltergefahr gerade durch Akteure des xxx Staates droht (§ 60 Abs. 1 S. 4 lit. a) AufenthG) und weder inländische Akteure hiergegen einen anspruchsausschließenden Schutz (Art. 7 Abs. 1 QRL) bieten noch sonstige Möglichkeiten der Erlangung internen Schutzes bestehen (Art. 8 QRL), wird ersichtlich auch vom Beklagten nicht bezweifelt. Auch liegt nach den oben gemachten Angaben in der drohenden Anwendung der Folter (Art. 15 b) QRL bzw. § 60 Abs. 2 AufenthG) zugleich die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt im Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. a QRL bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG und damit eine Verfolgungshandlung.
2. Nach Auffassung des Gerichts ist die drohende Folter auch durch einen Verfolgungsgrund im Sinne von Art. 10 Abs. 1 lit. e) QRL motiviert; insbesondere hierin unterscheidet sich der Anspruchstatbestand nach § 60 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit den dort in Bezug genommenen Art. 4 Abs. 4, 7 - 10 QRL von jenem nach § 60 Abs. 2 AufenthG. Denn die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus kommt auch für Personen in Betracht, für die eine Flüchtlingsanerkennung ausscheidet, weil sie zwar von ernsthaften und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen betroffen sind, jedoch keinen hierfür maßgebenden Verfolgungsgrund i.S.v. Art. 10 der Qualifikationsrichtlinie darlegen können (Marx, a.a.O., § 36 Rn. 12). Das ergibt sich aus dem bereits zitierten Wortlaut von Art. 18 QRL, wonach die Mitgliedsstaaten den subsidiären Schutzstatus (schon) dann gewähren, wenn (lediglich) die Voraussetzungen der Kapitel II und V erfüllt sind, es also auf das Vorliegen eines der in Art. 10 QRL bezeichneten Verfolgungsgründe aus Kapitel III nicht ankommt.
Maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob der Kläger über den bereits gewährten subsidiären Schutzstatus hinaus als Flüchtling anzuerkennen ist, ist danach, ob die Folter, die einem gegenwärtig nach xxx zurückkehrenden Asylbewerber nach Auffassung des Gerichts, aber gerade auch nach der Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen droht, durch einen nach Art. 10 QRL beachtlichen Verfolgungsgrund motiviert ist.
Das ist entgegen der dort vertretenen Einschätzung der Fall. Dafür bedarf es auch keiner weiteren Tatsachenermittlungen; weder sind über die in der Rechtsprechung umfangreich ausgewerteten Erkenntnisse (vgl. Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. Juli 2012, a.a.O.; VG Hannover, Urteil vom 8. Mai 2013 - 1 A 5409/12 -, http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de) hinaus weitere Erkenntnisquellen ersichtlich noch hat die Beklagte auf eine, unter anderem im Verfahren VG 3 K 384/10.A gestellte, entsprechende Frage hin tatsächlichen Aufklärungsbedarf gesehen.
a) Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen ist seinen Angaben zufolge überzeugt, dass gegenwärtig nicht nur politisch Verdächtigen, sondern auch rückkehrenden Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verhör unter Anwendung von Foltermethoden droht. Zur näheren Begründung hat es zunächst festgehalten, bis zum Ausbruch der gegenwärtigen Unruhen hätten keine Erkenntnisse vorgelegen, dass die Gefahr der Überstellung in ein geheimdienstliches Haft- oder Verhörzentrum mit der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer dortigen Folter gegeben gewesen sei (Urteil vom 14. Februar 2012 - 14 A 2708/10 -, http://www.justiz.nrw.de Rn. 32). Dem hat es eine Entwicklung gegenübergestellt, die durch die Unruhen eingeleitet worden sei. Seit deren Ausbruch seien Tausende verhaftet worden, es lägen Erkenntnisse vor, dass Verhaftete gefoltert oder sonst misshandelt würden, um "Geständnisse" zu erlangen, insbesondere dass man im Sold ausländischer Agenten stehe, oder um Namen von Teilnehmern an Protesten zu erlangen (a.a.O. Rn. 36). Das xxx Regime gehe seit Ausbruch der Unruhen mit massiver Waffengewalt gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vor und kämpfe um sein politisches Überleben (Rn. 38). Die abschiebungsrelevante Besonderheit der gegenwärtigen Unruhen ergebe sich aus der durch die ausländische Parteinahme in dem innersyrischen Konflikt beeinflussten, vom xxx Regime vertretenen Auffassung, die Unruhen seien Teil einer internationalen Verschwörung gegen xxx. Auch deshalb sei es naheliegend, dass zurückkehrende Asylbewerber unter dem Gesichtspunkt möglicher Kenntnisse von Aktivitäten der Exilszene unter Anwendung der Folter verhört würden. Denn schon vor dem Ausbruch der Unruhen habe sich das Ausmaß staatlicher Repression am Umfang der Gefährdung für die Stabilität des Regimes ausgerichtet (Rn. 43). Nach alledem bestehe bei jedem zurückkehrenden Asylbewerber die hohe Wahrscheinlichkeit, dass den bei ihm vermuteten Kenntnissen über die syrische Exilszene bis zur vollständigen Abschöpfung des Verhafteten unter der Folter nachgegangen werden würde (Rn. 52).
Von diesem tatsächlichen Befund ist auch das erkennende Gericht überzeugt. Soweit darin aber die Einschätzung zum Ausdruck kommen sollte, Rückkehrern aus dem Ausland drohe - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - zwar eine Folter, jedoch nur zur Beschaffung von Erkenntnissen über Aktivitäten der im Ausland tätigen Exilszene, nicht aber (oder nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit) zur Erlangung von Geständnissen einer eigenen regimefeindlichen Betätigung durch die Mitarbeit bei einem ausländischen Geheimdienst, während Personen, die aus dem Inland heraus in das Blickfeld der Geheimdienste geraten seien, eine Folter aus beiden Gründen drohe, folgt das Gericht dem nicht, weil es für eine solche Differenzierung an jeglichem Anhaltspunkt fehlt. Vielmehr ist das Gericht überzeugt, dass entsprechendes auch für zurückkehrende Asylbewerber aus dem Ausland gilt.
b) Die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG lehnt das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, ebenso wie im Ergebnis auch die Beklagte gleichwohl, und zwar einerseits mit der Begründung ab, es sei lebensfremd, anzunehmen der xxx Staat, dessen Machthaber gegen Aufständische um das politische und physische Überleben kämpften und dabei bereits die Kontrolle über erhebliche Landesteile verloren hätten, habe Veranlassung und Ressourcen, alle zurückgeführten unpolitischen Asylbewerber ohne erkennbaren individuellen Grund aus den in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Gründen zu verfolgen (Beschluss vom 7. Mai 2013 - 14 A 1008/13.A -, http://www.justiz.nrw.de Rn. 12) und verneint damit sinngemäß das Vorliegen eines Verfolgungsgrundes ("ohne erkennbaren individuellen Grund").
Diese Erwägung überzeugt nach Auffassung des Gerichts nicht. Der in dem zitierten Beschluss verneinte individuelle Grund für eine Verfolgung durch Anwendung der Folter liegt nach Auffassung des Gerichts gerade in der Erzwingung eines Geständnisses über eine eigene regimefeindliche Betätigung des Rückkehrers für ausländische Agenten. Darauf, ob einem zurückkehrenden Asylbewerber eine derartige oppositionelle politische Gesinnung zu Recht oder zu Unrecht zugeschrieben wird, kommt es nach den oben gemachten Ausführungen im Zusammenhang mit Art. 10 Abs. 2 QRL nicht an, ebenso wenig wie darauf, dass der Einsatz der Folter nicht der Bestrafung, sondern zunächst lediglich der Aufklärung einer eventuellen regimefeindlichen Haltung dient (BVerfG, Beschluss vom 8. November 1990 - 2 BvR 933/90 -, Juris Rn. 20; Beschluss vom 7. Juli 1993 - 2 BvR 400/93 -, Juris Rn. 15). Sieht man, wie das erkennende Gericht, darin den Verfolgungsgrund und die Verfolgungshandlung in der Anwendung der Folter selbst, ferner deren Anwendung für jeden rückkehrenden Asylbewerber als beachtlich wahrscheinlich an (wie auch das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen), so kommt es auf vermeintlich fehlende "Ressourcen" nicht an.
Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 9. Juli 2012 - 14 A 2485/11.A -, http://www.justiz.nrw.de Rn. 16) verneint einen Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung wegen einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Folterung zum Zwecke der Informationserlangung andererseits mit der Begründung, für die Annahme einer politischen Verfolgung des Verhörten reiche es nicht aus, wenn das Informationsinteresse politisch motiviert sei; bei Maßnahmen zur Aufklärung von Verdächten sei zumindest erforderlich, dass die politisch verfolgten Personen, derentwegen die Aufklärungsmaßnahme ergriffen werde, dem persönlichen Umfeld des Verhörten zugerechnet würden.
Diese Erwägungen stehen nach Auffassung des Gerichts dem Anspruch des Klägers auf Flüchtlingsanerkennung aber schon deshalb nicht entgegen, weil sie nur den zweiten der angeführten Verfolgungsgründe, also die Anwendung der Folter zur Erlangung von Informationen über die Exilszene, nicht aber zur Erlangung eines Geständnisses einer eigenen regimefeindlichen Betätigung durch Arbeit für einen ausländischen Geheimdienst betreffen.
Ob sie hiervon abgesehen überzeugen könnten, erscheint im Übrigen zweifelhaft. Zur Begründung ihrer Richtigkeit können sie sich nach dem Verständnis des Gerichts jedenfalls nicht ohne weiteres auf die in Bezug genommene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 28. Januar 1993 - 2 BvR 1803/92 -, Juris Rn. 21) berufen. Dieses hatte in einem Fall, in dem die Anerkennung einer Asylbewerberin abgelehnt worden war, der hiergegen gerichteten Verfassungsbeschwerde stattgegeben mit der Begründung, sie sei möglicherweise wegen der Mitgliedschaft ihres Bruders in einer islamischen Gruppierung in das Blickfeld der Sicherheitsbehörden geraten; werde eine Person aber dem persönlichen Umfeld eines Anderen zugerechnet, der selbst Objekt staatlicher Verfolgung sei, und dienten die ergriffenen Maßnahmen der Ausforschung der Verhältnisse des Dritten - dort des Bruders - könne ihnen die Asylerheblichkeit nicht von vornherein mit dem Argument abgesprochen werden, sie seien nicht gegen die politische oder religiöse Überzeugung der betroffenen Personen, dort: der Beschwerdeführerin, gerichtet. Dem Hinweis auf die persönliche Nähe kommt in diesem Zusammenhang mithin nicht notwendig die Bedeutung einer differenzierenden Auslegung eines der Merkmale des Asylgrundrechts, sondern eher diejenige zu, dessen Anwendung jedenfalls in einem solchen Fall zu bejahen. Für die Annahme eines Verfolgungsgrundes spricht vorliegend demgegenüber der Umstand, dass jedenfalls im Anwendungsbereich von Art. 10 Abs. 1 lit. e) QRL der Begriff der politischen Überzeugung nur im Wege eines Regelbeispiels ("insbesondere") umschrieben ist, dass ferner die nach allen jüngeren obergerichtlichen Entscheidungen beachtlich wahrscheinliche Anwendung der Folter für sich betrachtet - insoweit wohl unstreitig - dem politischen Machterhalt dient, zudem ihre Anwendung als schärfste Form der Ausgrenzung aus der staatlichen Friedensordnung regelmäßig ein Indiz für die asylerhebliche Zielrichtung darstellt (BVerfG, Beschlüsse vom 3. Juli 1996; vom 27. April 2004 - 2 BvR 1318/03 -, jeweils a.a.O.) und greifbare Anhaltspunkte dafür, dass ihre Anwendung nicht - zumindest auch - durch einen Verfolgungsgrund i.S.v. Art. 10 QRL motiviert sind, fehlen. Im Ergebnis kommt es darauf aber aus dem oben ausgeführten Grund nicht an.
3. Schließlich liegen auch die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen einer Flüchtlingsanerkennung vor. Insbesondere besteht ein Kausalzusammenhang zwischen Verfolgungsgrund - namentlich der Erzwingung eines Geständnisses einer vermeintlichen oder wirklichen regimefeindlichen Betätigung durch Tätigkeiten für ausländische Agenten - und Verfolgungshandlung, nämlich durch Ausübung der Folter.
4. Keiner Entscheidung bedarf die Frage, ob die vorstehenden Ausführungen erst recht und gerade für den Kläger gelten, weil seine Behauptung zutrifft, er sei desertiert. Träfe das zu - was vom Beklagten trotz durchaus offener Fragen in seinem Vortrag nicht bezweifelt worden ist – so drängte sich auf, dass eine Desertion des Klägers, auch wenn eine darauffolgende Bestrafung keineswegs generell als politische Verfolgung zu qualifizieren ist, unter den gegenwärtigen Verhältnissen in Syrien als eine regimefeindliche Haltung interpretiert werden würde und deshalb besonders wahrscheinliche und schwerwiegende Gefahren für Leib und Leben des Klägers zur Folge hätte.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.