Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat | Entscheidungsdatum | 21.06.2013 | |
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Aktenzeichen | OVG 10 N 72.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 10 Abs 2 S 3 BauO BE, § 58 Abs 1 BauO BE, § 64 BauO BE, § 64a BauO BE, § 15 BauNVO, Art 103 GG |
Im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 64 Satz 1 BauO Bln kann ein Baugenehmigungsantrag wegen eines fehlenden Sachbescheidungsinteresses ausnahmsweise abgelehnt werden, wenn das Bauvorhaben aus anderen als dem zum Prüfprogramm gehörenden öffentlich-rechtlicher Vorschriften offensichtlich dauerhaft nicht verwirklicht werden darf.
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das ihr am 6. Juni 2011 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt die Klägerin.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 15.000 EUR festgesetzt.
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung einer beleuchteten zweiseitigen „City-Star-Board“ Werbeanlage auf dem Grundstück H... in Berlin.
Über ihren Antrag auf Zulassung der Berufung kann der Berichterstatter anstelle des Senats entscheiden, nachdem sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 87 a Abs. 2 und 3 VwGO).
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor. Derartige Zweifel bestehen dann, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden und auch die Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung derartigen Zweifeln unterliegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2009 - 1 BvR 812/09 -, NJW 2010, 1062, juris; OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 14. März 2012 - OVG 10 N 34.10 -, juris Rn. 3).
Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Baugenehmigung als unbegründet abgewiesen. Dabei hat es offen gelassen, ob die streitgegenständliche Werbeanlage nach bauplanungsrechtlichen Vorschriften in dem Mischgebiet nach § 30 BauGB i.V.m. §§ 6,15 Abs. 1 BauNVO zulässig ist. Aufgrund von in einem Ortstermin gewonnenen Feststellungen ist es zu der Würdigung und Bewertung gelangt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung habe, weil ihr das Sachbescheidungsinteresse für den Antrag im vereinfachten Genehmigungsverfahren fehle. Das Vorhaben verstoße nämlich offensichtlich gegen § 10 Abs. 2 Satz 3 BauO Bln, weil eine unzulässige störende Häufung von Werbeanlagen vorliege.
Das Vorbringen der Klägerin, das Gericht habe fehlerhaft gehandelt, weil es rechtswidrig eine Beweisaufnahme durchgeführt habe, obwohl im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren die Übereinstimmung des Vorhabens mit § 10 BauO Bln nicht zum Prüfprogramm gehöre und die getroffenen Feststellungen daher nicht zum Fehlen eines Sachbescheidungsinteresses führen dürften, stellt keinen tragenden Rechtssatz der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage.
Zwar geht die Klägerin im Ansatz zutreffend von der Rechtslage aus, dass die Prüfpflicht der Bauaufsichtsbehörde im vereinfachten Genehmigungsverfahren in diesem - vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung der Bauordnung für Berlin vom 8. Juli 2010 (GVBl. 2010, S. 396) eingeleiteten Verfahren - nach der Übergangsregelung in Art. III auf Grund der noch maßgeblichen Fassung des § 64 Satz 1 BauO Bln in der Fassung vom 29. September 2005 (GVBl. S. 495) auch bei Werbeanlagen dahin eingeschränkt war, dass insbesondere nur die Überprüfung von Vorschriften über die Zulassung der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 des Baugesetzbuches und den Anforderungen gemäß §§ 4 bis 6 BauO Bln, nicht aber § 10 BauO Bln zu prüfen war (vgl. zur neuen Rechtslage: § 64a BauO Bln i.d.F. der Fassung vom 8. Juli 2010). In diesem vereinfachten Genehmigungsverfahren sind die Bauaufsichtsbehörde und Gerichte grundsätzlich nicht befugt, das ihr gesetzlich vorgegebene Prüfungsprogramm und damit die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für die Erteilung einer Baugenehmigung zu erweitern. In vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 64 Satz 1 BauO Bln kann aber ausnahmsweise die Baugenehmigung wegen eines fehlenden Sachbescheidungsinteresses abgelehnt werden, wenn das Bauvorhaben aus anderen als den zum Prüfprogramm gehörenden Gründen, wie hier des Bauordnungsrechts, dauerhaft nicht verwirklicht werden darf. Dies ist dann der Fall, wenn ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung erkennbar ist, dass das Vorhaben wegen entgegenstehender sonstiger öffentlich-rechtlicher Vorschriften offensichtlich nicht verwirklicht werden darf (Evidenzkontrolle) (vgl. OVG Rh.-Pf., Urteil vom 22. Oktober 2008 - 8 A 10942.08 -, juris Ls.2; Hamburgisches OVG, Urteil vom 30. März 2011 - 2 Bf 374/06 -, juris Rn 53; Knuth in: Wilke/Dageförde/Knuth/Meyer/Broy-Bülow, BOBln, 6. Aufl. 2008, § 64 Rn. 15; Otto, BbgBO, 3. Aufl. § 57 Rn. 9 jeweils m.w.N.). Denn die Bauaufsichtsbehörden haben nach § 58 BauO Bln die allgemeine Aufgabe, bei der Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung und Beseitigung sowie bei der Nutzung und Instandhaltung von Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Eine Evidenzkontrolle auf Mängel außerhalb des Prüfprogramms des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens ist der Baurechtsbehörde innerhalb ihrer Zuständigkeit nach § 58 Abs. 1 BauO Bln nicht verwehrt, denn die Beschränkung des Prüfungsumfangs bedeutet lediglich, dass die Vereinbarkeit mit sonstigen Vorschriften in einem solchen Verfahren nicht Gegenstand der sachlichen Bescheidung sein kann, schränkt aber die weitergehenden Befugnisse der Baurechtsbehörden nach § 58 Abs. 1 BauO Bln nicht ein (OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 23. Juni 2010 - OVG 2 S 99.09 -, NVwZ-RR 2010, 794, juris 13). Angesichts dessen hat der Bauherr kein schutzwürdiges Interesse an der Genehmigung eines Vorhabens im vereinfachten Verfahren, wenn ausgeschlossen ist, dass es legal verwirklicht werden kann und dessen Verwirklichung etwa mit einer Baueinstellungsverfügung (§ 78 BauO Bln) oder Beseitigungsverfügung (§ 79 Satz 1 BauO Bln) sofort unterbunden werden müsste. Die Ablehnung eines Bauantrags wegen einer Verletzung sonstiger öffentlich-rechtlicher Vorschriften kommt jedoch nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht. Anderenfalls würden das Ziel des Gesetzgebers und die gesetzliche Systematik des vereinfachten Genehmigungsverfahrens unterlaufen.
Angesichts dessen bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass für den Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren für die Werbeanlage der Klägerin das Sachentscheidungsinteresse fehlte, da das Vorhaben wegen einer störenden Häufung offensichtlich gegen § 10 Abs. 2 Satz 3 BauO Bln verstoße und damit nicht mehr legal verwirklicht werden könne. Soweit die Klägerin rügt, die Beweisaufnahme in dem Ortstermin sei rechtswidrig gewesen, verkennt sie, dass ausweislich der Niederschrift vom 26. Mai 2011 zunächst das Vorhabengrundstück H... und im Hinblick auf die bauplanungsrechtliche Vorschrift des § 15 Abs. 1 BauNVO das Straßenviertel K...Weg, D... Straße, straße in Augenschein genommen wurden. Im Hinblick auf die nach den oben dargestellten Grundsätzen zulässige Evidenzkontrolle ist es auch nicht zu beanstanden, dass daraufhin anlässlich des Termins Feststellungen dazu getroffen wurden, ob das Vorhaben offensichtlich mit § 10 Abs. 2 Satz 3 BauO Bln unvereinbar ist, weil eine unzulässige störende Häufung von Werbeanlagen vorliegen könnte. Auch der Einwand der Klägerin, das angegriffene Urteil hätte als unzulässig abgewiesen werden müssen, weil das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin fehle, hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat nämlich zu Recht die verfahrensrechtliche Anforderung des Sachbescheidungsinteresses im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren verneint, weshalb die formelle Rechtmäßigkeit des Baugenehmigungsverfahrens entscheidungserheblich war. Die Klage war daher unbegründet und nicht unzulässig.
Auch das Vorbringen der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe fälschlicherweise eine störende Häufung von Werbeanlagen am Standort angenommen, stellt die gegenteiligen aufgrund eines Ortstermins gewonnenen tatrichterlichen Feststellungen und die eingehend begründete Würdigung und Bewertung des Verwaltungsgerichts (vgl. näher Entscheidungsabdruck S. 4 ff.), wonach die mehr als 15 Werbeanlagen auf dem Vorhabengrundstück und den westlich und östlich angrenzenden Nachbargrundstücken eine offensichtlich unzulässige störende Häufung darstellten, nicht substantiiert in Frage. Auch der Einwand der Klägerin, dass die „H...allee“ eine sehr große Allee mit geschätzter Breite von 45 bis 50 m sei, legt keine ernstlichen Zweifel an der gegenteiligen Würdigung des Verwaltungsgerichts dar. Zum einen liegt das Vorhabengrundstück nicht an der „H...allee“, sondern an der H...straße. Im Übrigen ist bei der Bewertung, ob eine Störung durch die Häufung von Werbeanlagen anzunehmen ist, auf eine umgebungsbezogene Betrachtungsweise vom jeweiligen Aufstellungsort der Werbeanlage, ihrer Umgebung und den wechselseitigen Auswirkungen auf das Gesamtbild der Umgebung abzustellen, weshalb auch die Gesamtheit einer breiteren Straße maßgeblich sein kann.
2. Schließlich greift auch die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) nicht durch.
Die Klägerin meint, das Verwaltungsgericht habe ihr das rechtliche Gehör versagt, weil es in der angegriffenen Entscheidung den Inhalt einer ihr völlig unbekannten Akte VG 13 A 108.07 verwertet habe, die nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sei.
Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil zu der Frage, ob eine störende Häufung von Werbeanlagen im Sinne von § 10 Abs. 2 Satz 3 BauO Bln vorliegt, ausgeführt, dass bereits seit Jahren am Standort eine Häufung von Werbeanlagen bestünde, und sich dabei auch auf das Terminsprotokoll des beigezogenen Verfahrens VG 13 A 108.02 gestützt. Gegenstand dieses Verfahrens war eine Beseitigungsanordnung einer Werbeanlage auf dem Nachbargrundstück H....
Die Klägerin hat mit ihrem Vorbringen nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend substantiiert dargelegt, dass eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vorliegt.
Ein Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten (§ 108 Abs. 2 VwGO). Art. 103 Abs. 1 GG verlangt, dass einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, die von einem Verfahrensbeteiligten oder dem Gericht im Einzelnen bezeichnet, zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden und zu denen die Parteien sich äußern konnten (BVerfG, Beschluss vom 13. August 1991 - 1 BvR 128.87 -, juris Rn. 10). Da Art. 103 Abs. 1 GG nur die Äußerungsmöglichkeit garantiert, ist die Wahrnehmung des Gehörsrechts auch eine Obliegenheit der Beteiligten. Der Rechtsuchende muss die nach Lage der Sache gegebenen prozessualen Möglichkeiten ausschöpfen, um sich das rechtliche Gehör zu verschaffen, wenn er dessen Verletzung mit Erfolg rügen will (BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 1987 - 2 BvR 314/86 -, BVerfGE 74, 220, juris Rn. 14).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Klägerin nicht hinreichend dargelegt, dass hier eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vorliegt. Soweit sie behauptet, die Akten des Gerichtsverfahrens VG 13 A 108.07 seien ihr völlig unbekannt, übersieht sie bereits, dass der Beklagte mit Schriftsatz vom 20. Mai 2010 und damit vor der mündlichen Verhandlung zur Frage der störenden Häufung der Werbeanlagen auf das Ergebnis des gerichtlichen Ortstermins im Verfahren VG 13 A 108.07 aufmerksam gemacht hat und dabei die Verfahrensakte im Einzelnen genau bezeichnet hat. Daher wurde die Akte von einem Verfahrensbeteiligten zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, so dass die Klägerin nach einem Antrag auf Akteneinsicht schon damals eine Äußerungsmöglichkeit zum Akteninhalt gehabt hätte. Zudem sind die von der Klägerin nach der des Ausgangsverfahrens gegebenen und zumutbaren Anstrengungen zur Wahrung ihres Gehörs nicht ausgeschöpft worden. Ausweislich des Tatbestands des angegriffenen Urteils (EA S. 3) war die Gerichtsakte VG 13 A 108.07 Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 26. Mai 2011, zu der seitens der Klägerin niemand erschienen ist. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat das Gericht vielmehr am Vortag darüber informiert, dass er wegen eines gestrichenen Fluges - wegen der Aschewolke eines isländischen Vulkans sind an diesem Tag Flüge in Europa teilweise ausgefallen - nicht erscheinen könne. Er hat mitgeteilt, der „Termin könne aus seiner Sicht aber gleichwohl stattfinden“. Trotz der Rüge der Klägerin in der Verhandlungsniederschrift vom 26. Mai 2011 sei nicht (ausdrücklich) aufgeführt worden, dass die beigezogenen Gerichtsakten Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen seien, hat sie nicht hinreichend dargetan, dass sie die nach Lage der Sache gegebenen prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zum Protokoll im Verfahren VG 13 A 108.07 im Rahmen der Verhandlung zu verschaffen. Es wäre ihr vor dem Hintergrund, dass bereits der Beklagte die später beigezogenen Akten schriftsätzlich angeführt hat, zumutbar, eine Terminsänderung zu beantragen, um so rechtliches Gehör in einer mündlichen Verhandlung zu verschaffen. Diese prozessuale Möglichkeit hat die Klägerin aber nicht ergriffen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 9.1.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./ 8. Juli 2004 (DVBl. 2004, S. 1525), wobei der Senat der erstinstanzlichen Wertfestsetzung folgt. Dabei wurde im Hinblick auf die besondere technische Ausstattung der beleuchteten großflächigen Werbeanlage ein Zuschlag gemacht (vgl. dazu näher OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 23. Februar 2007 - OVG 2 N 228.05 - LKV 2007, 478, juris Rn. 2).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).