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Einstweilige Anordnung im Normenkontrollverfahren; (keine) vorbeugende Normenkontrolle vor Inkrafttreten des Bebauungsplans; keine vorläufige Außervollzugsetzung eines planreifen Bebauungsplans; Rechtsschutz gegen Baugenehmigung bei Planreife; (keine) Rechtsschutzlücke


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat Entscheidungsdatum 26.09.2012
Aktenzeichen OVG 10 S 14.12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 47 Abs 6 VwGO, § 33 Abs 3 BauGB

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird verworfen.

Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird auf 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Antragstellerinnen begehren einstweiligen Rechtsschutz gegen die Erteilung oder Vollziehung einer Baugenehmigung für ein Einzelhandelsvorhaben vor der endgültigen Festsetzung des Bebauungsplans, wobei es ihnen insbesondere um die Größe eines innerhalb des Einzelhandelszentrums geplanten Lebensmittel-Supermarktes geht.

Die Antragstellerin zu 1. ist Eigentümerin des Ladengeschäfts in der C... 336. Die Antragstellerin zu 2. betreibt dort sowie auf dem Grundstück K...-L...-Straße 37 jeweils einen Lebensmittelmarkt. Der Antragsgegner führt zurzeit ein Bebauungsplanverfahren durch zu dem Bebauungsplan 6-22 (T...) für das Gelände zwischen C..., A...A..., M... und H... im Bezirk Steglitz-Zehlendorf, Ortsteil D.... Geplant ist ein Wohngebiet, das entlang der C... durch gewerblich dominierte Nutzungen ergänzt werden soll. Straßenbegleitend zur C... sollen ein Mischgebiet sowie ein Sondergebiet mit der Zweckbestimmung „Gesundheit und Nahversorgung“ festgesetzt werden, im inneren Teil des Plangebiets ist ein allgemeines Wohngebiet vorgesehen. Die Aufstellung des Bebauungsplans erfolgte im Dezember 2009, die frühzeitige Bürger- und Behördenbeteiligung wurde nach Änderung des ursprünglichen Konzepts im Frühjahr 2011 durchgeführt. Ende August 2011 beschloss die Bezirksverordnetenversammlung, das Bezirksamt zu ersuchen, zur Kenntnis zu nehmen, dass sie die Planreife hinsichtlich des im Bebauungsplan 6-22 geplanten Sondergebiets für gegeben halte. Vom 30. April bis 30. Mai 2012 fand die öffentliche Auslegung des Entwurfs gemäß § 3 Abs. 2 BauGB statt. Unter dem 10. April 2012 erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen eine Baugenehmigung für das Vorhaben Nahversorgungs- und Gesundheitszentrum „T...“.

Die Antragstellerinnen, die insbesondere die Größe des im Einzelhandelszentrum geplanten Lebensmittel-Supermarktes mit einer Verkaufsfläche von 1.700 m² beanstanden und einen schwerwiegenden Eingriff in das eigentums- und berufsfreiheitsgrundrechtlich verbürgte Bestandserhaltungsrecht geltend machen, haben am 3. Mai 2012 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO gestellt, mit dem sie sich „gegen den Vollzug des Bebauungsplans 6-22 ‘Truman Plaza’ im Teilbereich ‘Sondergebiet Nahversorgung’ durch Erteilung einer vorzeitigen Baugenehmigung nach § 33 Abs. 3 BauGB“ wenden.

Ihr Antrag,

dem Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu untersagen, das Bebauungsplanverfahren 6-22 (T...) vor Festsetzung des Plans dergestalt in Vollzug zu setzen, dass das bisher geplante Einzelhandelsvorhaben mit 2.500 m² Verkaufsfläche baugenehmigt wird, bzw. im Falle schon erfolgten Vollzugs dem Antragsgegner aufzugeben, das Planverfahren dergestalt zu sichern, dass die Vollziehung einer etwa bereits erteilten Baugenehmigung ausgesetzt wird, bzw. durch geeignete gerichtliche Maßnahmen die Umsetzung des geplanten Vorhabens bis zum Inkrafttreten des Baubauungsplans zu untersagen,

hat keinen Erfolg. Er ist bereits unzulässig.

Die Antragstellerinnen begehren den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO und suchen damit um einstweiligen Rechtsschutz im Normenkontrollverfahren nach. Dieses Verfahren setzt eine kontrollfähige Vorschrift voraus. Gegenstand eines Normenkontrollantrages kann nur eine bereits erlassene, das heißt aus Sicht des Normgebers geltende Norm sein (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 2. Juni 1992 - BVerwG 4 N 1.90 -, NVwZ 1992, 1088, juris Rn. 12 m.w.N.); eine vorbeugende Normenkontrolle gegen noch nicht in Kraft gesetzte Regelungen kennt die Verwaltungsgerichtsordnung nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Dezember 2009 - BVerwG 8 BN 1.09 -, juris Rn. 9). Dies betrifft auch Normenkontrollverfahren gegen Bebauungspläne, und zwar grundsätzlich selbst dann, wenn diese bereits Planreife im Sinne von § 33 BauGB erlangt haben und Grundlage für die Erteilung von Baugenehmigungen sein können (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 2001 - BVerwG 4 BN 48.01 -, BRS 64 Nr. 50, juris Rn. 4; BayVGH, Beschluss vom 9. August 1985 - 1 N 85 A.774 u. a. -, BayVBl. 1986, 497, 498, LS in juris; SächsOVG, Beschluss vom 22. Januar 1998 - 1 S 770/97 -, NVwZ 1998, 527, 528, LS in juris; OVG MV, Beschluss vom 4. November 1999 - 3 M 116/99 -, NordÖR 2000, 37, juris; OVG NW, Beschluss vom 30. April 2010 - 7 B 328/10.NE -, juris Rn. 9; Ziekow in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 47 Rn. 67; v.Albedyll in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/v.Albedyll, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 47 Rn. 9; Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 47 Rn. 22, 26; Redeker/v.Oertzen, VwGO, 15. Aufl. 2010, § 47 Rn. 10b).

Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob eine erweiternde oder analoge Anwendung des § 47 VwGO auch auf noch nicht erlassene, aber materiell planreife Bebauungspläne ausnahmsweise dann in Betracht kommt, wenn andernfalls hinreichender Rechtsschutz nicht gewährt werden könnte (vgl. hierzu OVG SH, Beschluss vom 29. März 1994 - 1 M 14/94 -, NVwZ 1994, 916, juris Rn. 8 und Beschluss vom 13. Mai 1996 - 1 M 17/96 -, juris Rn. 18; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 2001, a.a.O., Rn. 5; OVG NW, Beschluss vom 30. April 2010, a.a.O., Rn. 9; für eine Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei Bebauungsplänen mit Planreife, die Grundlage für eine unmittelbar bevorstehende Baugenehmigung sein können v.Albedyll, a.a.O., Rn. 143; a.A. etwa Ziekow, a.a.O., Rn. 387). Denn eine solche Rechtsschutzlücke liegt hier nicht vor.

Gegen eine auf der Grundlage von § 33 BauGB erteilte Baugenehmigung kann Widerspruch und anschließend Klage erhoben und einstweiliger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5, § 80a VwGO erlangt werden. Damit steht dem Nachbarn im Regelfall über das Institut der Nachbarklage effektiver Rechtsschutz zur Verfügung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 2001, a.a.O., Rn. 5; Ziekow, a.a.O., Rn. 67 m.w.N.). Auch im vorliegenden Fall haben die Antragstellerinnen nach ihren eigenen Angaben bereits Widerspruch gegen die Baugenehmigung vom 10. April 2012 eingelegt.

Es bedarf hier keiner näheren Prüfung, ob die Antragstellerinnen, die sich auf ihre eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebe berufen, welche jeweils ca. 2 km vom Vorhabengrundstück entfernt liegen, überhaupt die Verletzung nachbarschützender Vorschriften rügen und damit zulässig um Nachbarrechtsschutz nachsuchen können. Ebenso wenig bedarf es einer abschließenden Entscheidung, ob im Falle einer fehlenden Klage- bzw. Antragsbefugnis im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO von einer Rechtsschutzlücke auszugehen ist, die durch die Zulassung vorbeugender Normenkontrollanträge ausgeglichen werden müsste (so in der Tendenz wohl OVG SH, Beschluss vom 29. März 1994, a.a.O., Rn. 9). Dagegen könnte sprechen, dass eine fehlende Klage- bzw. Antragsbefugnis darauf beruht, dass es an der Verletzung subjektiver Rechte durch die Erteilung der Baugenehmigung fehlt, und diese mangelnde Rechtsbeeinträchtigung kaum dazu führen kann, den Betroffenen im Vergleich zu klagebefugten Nachbarn weitergehende Möglichkeiten zur Erhebung einer Normenkontrolle einzuräumen (eine Rechtsschutzlücke ablehnend etwa BayVGH, Beschluss vom 9. August 1985, a.a.O.; SächsOVG, Beschluss vom 22. Januar 1998, a.a.O.; OVG NW, Beschluss vom 30. April 2010, a.a.O.). Jedenfalls kommt der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung hier deswegen nicht in Betracht, weil die Baugenehmigung für den von den Antragstellerinnen beanstandeten Lebensmittel-Supermarkt bereits (vor Antragstellung) erteilt worden ist und die Antragstellerinnen dagegen nicht im Wege des § 47 Abs. 6 VwGO vorgehen können. Ziel eines Antrags nach § 47 Abs. 6 VwGO ist die vorläufige Außervollzugsetzung eines Bebauungsplanes. Bereits ergangene Normenvollzugsakte bleiben in ihrer Existenz davon unberührt, so dass der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung keinen Einfluss auf die rechtlichen Wirkungen der zuvor erteilten Baugenehmigung hätte (vgl. Ziekow, a.a.O., Rn. 403, 405; Redeker/von Oertzen, a.a.O., Rn. 54); dem Antrag fehlt daher das erforderliche Rechtsschutzinteresse (vgl. OVG NW, Beschluss vom 9. Dezember 1996 - 11a B 1710/96.NE -, NVwZ 1997, 1006, juris Rn. 3 f.; HambOVG, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 2 Es 1/07.N -, BRS 71 Nr. 51, juris Rn. 17, jeweils m.w.N.) bzw. der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist in diesem Falle nicht im Sinne des § 47 Abs. 6 VwGO „dringend geboten“ (vgl. OVG Bln, Beschluss vom 19. März 1999 - OVG 2 A 4.99 -, BRS 62 Nr. 59; OVG MV, Beschluss vom 4. November 1999, a.a.O., Rn. 12). Die vorläufige Außervollzugsetzung des beanstandeten planreifen Bebauungsplans würde den Antragstellerinnen mithin im Hinblick auf den von ihnen allein kritisierten Lebensmittel-Supermarkt keinen Nutzen bringen. Die bereits erteilte Baugenehmigung kann nicht zum Gegenstand eines vorbeugenden Normenkontrollverfahrens gemacht werden, sondern muss durch Widerspruch bzw. Klage und entsprechenden Eilrechtsschutz unmittelbar angegriffen werden. Die von den Antragstellerinnen in ihrem Antrag begehrte Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung ist kein statthafter Inhalt eines Antrags nach § 47 Abs. 6 VwGO und daher unzulässig (vgl. Ziekow, a.a.O., Rn. 385).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, den Antragstellerinnen auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese einen eigenen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Der Senat orientiert sich dabei an Ziff. II.9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Fassung Juli 2004, NVwZ 2004, 1327), der für die Normenkontrolle gegen einen Bebauungsplan einen Streitwert von 7.500 Euro bis 60.000 Euro vorsieht. Für einen Normenkontrollantrag gegen den hier beanstandeten Baubauungsplan erscheint dem Senat ein Streitwert von 30.000 Euro angemessen, der im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entsprechend Ziff. II.1.5 des Streitwertkatalogs zu halbieren ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).