Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 7. Senat | Entscheidungsdatum | 23.02.2011 | |
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Aktenzeichen | L 7 KA 19/09 WA | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 41 MRK, § 106 SGB 5 |
Eine überlange Verfahrensdauer allein kann nicht zum Unterliegen eines Verfahrensbeteiligten führen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 04. April 2007 wird zurückgewiesen. Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin wendet sich gegen eine Regressforderung des Beklagten in Höhe von 1.366,56 € (2.672,75 DM) wegen der Verordnung des Präparates Wobe MugosUrteil: E.
Dieses Arzneimittel war seit Mitte der 1970er Jahre entsprechend den damaligen arzneimittelrechtlichen Bestimmungen – damals noch unter anderer Bezeichnung – im Verkehr (vgl. §§ 6ff Arzneimittelgesetz <AMG> vom 16. Mai 1961 mit späteren Änderungen). Der seinerzeitige pharmazeutische Hersteller teilte aus Anlass der Neuordnung des Arzneimittelrechts von 1976 in seiner Anzeige vom Juni 1978 dem damals zuständigen Bundesgesundheitsamt mit, dass dieses rektal zu verabreichende Arzneimittel bereits Mitte 1976 und auch noch Anfang 1978 auf dem deutschen Markt gewesen sei. Anwendungsgebiet war die „Unterstützung der Langzeitbehandlung bei Entzündungen und Virusinfektion (z.B. Zoster) / Langzeitbehandlung bei malignen Tumoren (prae- und postoperativ) / Zusatzbehandlung während der Strahlentherapie / Metastasenprophylaxe“.
Die spätere neue Herstellerin, die M P GmbH & Co KG, beantragte im Dezember 1989 die Verlängerung der Zulassung, wobei sie als Anwendungsform die orale Darreichung angab. Das nunmehr zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 9. Juni 1998 ab, weil wegen des Wechsels der Darreichungsform zwischen dem 1978 angezeigten und dem zur Nachzulassung anstehenden Arzneimittel keine Identität bestehe; eine Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit erfolgte nicht. Im Klageverfahren blieb die Herstellerin ohne Erfolg (Oberverwaltungsgericht Berlin, rechtskräftiges Urteil vom 7. April 2005, Az.: 5 B 8.03, veröffentlicht in Juris). Zum 1. September 2005 nahm die Herstellerin das Arzneimittel aus dem Verkehr. Derzeit wird Wobe Mugos E als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet.
Der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat mit Urteil vom 27. September 2005 (Az.: B 1 KR 6/04 R, veröffentlicht in Juris) entschieden, dass gesetzlich Versicherte die Versorgung mit Wobe Mugos E bereits nicht mehr beanspruchen konnten, nachdem der Zulassungsantrag abgelehnt worden war. In diesem Urteil ist ausgeführt, für einen Versorgungsanspruch reiche nicht aus, dass mangels Anordnung sofortiger Vollziehung noch eine Zulassungsfiktion bestanden habe (sog. Nachzulassungs-Status). Aufgrund der aufschiebenden Wirkung sei zwar die Verkehrsfähigkeit im Sinne des AMG erhalten geblieben. Dies habe aber Versorgungsansprüche der Versicherten und Leistungspflichten der Krankenkassen nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nicht begründen können, weil diese eine Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse auf der Grundlage zuverlässiger wissenschaftlich nachprüfbarer Aussagen voraussetzten. Seit der Ablehnung der Zulassungsverlängerung durch den o.g. Bescheid vom 9. Juni 1998 sei ein Versorgungsanspruch zu verneinen.
Die Klägerin, eine Fachärztin für Allgemeinmedizin mit der Zusatzbezeichnung Naturheilverfahren, behandelte seit dem 06. Oktober 1998 die 1943 geborene und zwischenzeitlich – nach Angaben der Beigeladenen zu 2) am 04. Juli 2005 – verstorbene Patientin J M, welche im Jahre 1999 bei der BKK Berlin, einer Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2), krankenversichert war (im folgenden: die Versicherte). Bei dieser waren im Juli 1992 ein invasives Karzinom der rechten Brust und ein nicht-invasives intraduktales Karzinom der linken Brust sowie im Juli 1997 erstmals Metastasen festgestellt worden. Neben dieser Karzinomerkrankung, welche nach Angaben der Klägerseite 1999 in der linken Brust im Stadium pT2N0 und in der rechten Brust im Stadium pT2N1a vorlag, litt die Versicherte darüber hinaus an massiven psychischen Störungen. Im Bestreben, einen tödlichen Ausgang der Karzinomerkrankung durch naturheilkundliche Behandlung zu vermeiden, verordnete die Klägerin der Versicherten neben den Präparaten Iscador, Lymphdiaral, Galium-Heel und Toxex von Beginn ihrer Behandlung an auch Wobe Mugos E.
Wegen der zehnmaligen Verordnung von Wobe Mugos E in der Zeit vom 04. Januar bis zum 18. Oktober 1999 beantragte die BKK Berlin beim Prüfungsausschuss am 21. September 2000 die „Feststellung eines sonstigen Schadens gemäß § 14 der Prüfvereinbarung vom 01.10.1993“. Am 13. Dezember 2000 setzte der Prüfungsausschuss „gemäß § 14 der Prüfvereinbarung […..] eine Schadensersatzverpflichtung für die Verordnung des Medikamentes Wobe Mugos E“ i.H.v. (10 x 284,50 DM, abzüglich 5 % Apothekenrabatt i.H.v. 142,25 DM und abzüglich der von der Versicherten geleisteten Eigenanteile i.H.v. 30,00 DM =) 2.672,75 DM fest. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 03. Juni 2002/Urteil des Sozialgerichts vom 04. April 2007).
Gegen das ihr am 16. Mai 2007 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 14. Juni 2007, zu deren Begründung sie vorbringt: Die Prüffrist sei nicht eingehalten worden. Eine Regressfestsetzung scheide aus Gründen fehlenden Verschuldens aus. Eine verschuldensunabhängige Haftung des Vertragsarztes sei völlig unverhältnismäßig und verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip sowie seine Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Es sei nicht zu erkennen, warum eine vorrangige Beratung nicht ausreichend gewesen wäre. Der Beklagte habe das ihm nach § 106 Abs. 5 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zustehende Ermessen nicht ausgeübt. Da die Krankenkassen zur Zeit der streitgegenständlichen Verordnungen die Auffassung vertreten hätten, der Vertragsarzt und nicht sie hätten zu entscheiden, welche Arzneimittel verordnungsfähig seien und welche nicht, seien Anträge von Ärzten oder Versicherten auf Übernahme der Kosten für Wobe Mugos E stets mit der Begründung abgelehnt worden, sie dürften keine Arzneimittelverordnungen bewilligen oder genehmigen. Es sei daher unzulässig, ihr – der Klägerin – eine Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 2006 entgegen zu halten, wenn im Jahre der streitgegenständlichen Verordnung seitens der Krankenkasse eine gegenteilige Verwaltungspraxis ausgeübt worden sei. Die Voraussetzungen der sog. Nikolaus-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) lägen vor. Die Versicherte sei operiert, radioaktiv bestrahlt und mit zytotoxischer Chemotherapie behandelt worden; es habe aber nichts geholfen. Die Versicherte, die während des gesamten Jahres 1999 auf Grund des Wachstums der Metastasen und der Rezidive lebensbedrohend erkrankt gewesen sei, habe eine naturheilkundliche Behandlung gewünscht, um vielleicht doch noch am Leben zu bleiben. Ihr – der Klägerin – sei nicht bekannt, wie die Krebserkrankung der Versicherten vor Oktober 1998 im Einzelnen behandelt worden seien. Die Versicherte sei zu ihr gekommen, weil ihr bedeutet worden sei, dass die gängigen Methoden, mit denen sie offensichtlich umfassend behandelt worden sei, nichts mehr bringen würden. Sie – die Klägerin – wisse auch nicht, wie die Versicherte nach dem 11. Januar 2000 behandelt worden sei und beantrage die Beiziehung der stationären Behandlungsunterlagen der Versicherten. Wobe Mugos E habe sie im Jahre 1999 verordnet, um eine Rückbildung der Metastasen zu erreichen, die Bildung neuer Metastasen zu verhindern, karzinom-bedingte Entzündungen zu heilen und den Allgemeinzustand der Patientin zu verbessern. Wobe Mugos E sei in der streitgegenständlichen Zeit ein für die Behandlung von zur Metastasierung neigenden Krebsen zugelassenes naturheilkundliches Arzneimittel gewesen, das über eine viele Jahrzehnte dauernde Anwendungserfahrung verfüge. Studien über Arzneimittel, die beim BSG Gnade fänden, kosteten „etwa 500.000.- Millionen €“ und könnten daher nicht gefordert werden. Die Weiterführung des bereits überlangen Verfahrens wäre ihr – der Klägerin – gegenüber eine Perpetuierung des Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Deren Verpflichtungen gälten auch für die Beklagte und die Beigeladene zu 2) als Teil der staatlichen Verwaltung.
Die Klägerin beantragt,
1. festzustellen, dass die bisherige Verfahrensdauer gegenüber der Klägerin rechtswidrig ist,
2. das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 04.04.2007 sowie den Bescheid des Beklagten vom 03.06.2002 aufzuheben,
3. hilfsweise stellt sie den Antrag aus dem Schriftsatz vom 09.02.2011 („Die streitgegenständliche Patientin wurde wegen eines Mamma-Karzinoms mit Metastasen operiert, radioaktiv bestrahlt und mit zytoxischer Chemotherapie behandelt. Während dieser Zeit verschlechterte sich jedoch der Zustand der Patientin, so dass durch die Behandlung mit Wobe-Mugos durchgeführt wurde, um zu versuchen das Leben der 53jährigen Kassenpatientin zu retten. Beweis: Sachverständigengutachten“).
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält – wie auch die Beigeladene zu 2) – das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene zu 1) hat sich in der Sache nicht geäußert.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
A)
Der Bescheid des Beklagten vom 03. Juni 2002 ist rechtmäßig.
I)
Rechtsgrundlage dieses Bescheids sind § 106 Abs. 2 und 3 SGB V in der bis zum 30. Dezember 2003 geltenden, hier maßgeblichen Fassung i.V.m. § 14 („Prüfung in besonderen Fällen / sonstiger Schaden“) der zwischen der Beigeladenen zu 1) und den (Landes-)Verbänden der Krankenkassen im Land Berlin abgeschlossenen Prüfvereinbarung (PV) vom 10. Januar 1994.
Nach § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird geprüft durch
1. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder bei Überschreitung der Richtgrößenvolumen nach § 84 SGB V (Auffälligkeitsprüfung),
2. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen auf der Grundlage von arztbezogenen und versichertenbezogenen Stichproben, die mindestens 2 vom Hundert der Ärzte je Quartal umfassen (Zufälligkeitsprüfung).
Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen können gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in Satz 1 vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren (§ 106 Abs. 2 Satz 4, 1. Halbsatz SGB V). Nach Abs. 3 Sätze 1 und 3 dieser Vorschrift vereinbaren die in Absatz 2 Satz 4 genannten Vertragspartner die Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit nach Absatz 2 gemeinsam und einheitlich. In den Verträgen ist auch festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Einzelfallprüfungen durchgeführt und pauschale Honorarkürzungen vorgenommen werden.
Hierauf gestützt vereinbarten die o.g. Vertragspartner auf Landesebene in § 14 PV folgendes:
„1. Der Prüfungsausschuss entscheidet auf Antrag einer Krankenkasse im Einzelfall über einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn der Vertragsarzt oder eine der Personen, für die er haftet, bei Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen hat. Unterschiedliche vertragliche Regelungen (Bundesmantelvertrag, Arzt-/Ersatzkassenvertrag) finden Anwendung.
2. Der Antrag ist zu begründen und muss innerhalb einer Frist von 6 Monaten seit Bekanntwerden des Sachverhalts beim Prüfungsausschuss vorliegen. Bei nicht verordnungsfähigen Präparaten beginnt die Frist mit dem Eingang der sortierten Rezepte bei der jeweiligen Krankenkasse. Die Krankenkasse muss dem Antrag alle zur Beurteilung erforderlichen Unterlagen und die Nachweise zur Schadenshöhe beifügen sowie die Höhe des Schadens benennen.
3. Hält die KV Berlin Regressansprüche gegen einen Vertragsarzt wegen der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln, die von der Versorgung ausgeschlossen sind, für berechtigt, wird sie den Vertragsarzt entsprechend informieren und den jeweiligen Schadensbetrag bei Einverständnis des Vertragsarztes einbehalten und an die Krankenkasse abführen.
4. Der Antrag kann sich nur auf den Zeitraum der letzten, dem Antrag vorausgegangenen 2 Kalenderjahre erstrecken.
5. Ein Antrag ist ausgeschlossen, wenn der vermutete Schadensbetrag DM 100,00 nicht übersteigt. Dies gilt nicht für Anträge betreffend ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel gemäß gesetzlicher oder vertraglicher Regelungen.“
II.
Diesen Anforderungen genügt der Bescheid des Beklagten vom 3. Juni 2002.
1. Ein Schaden i.S.v. § 14 PV ist der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2) dadurch entstanden, dass die Klägerin in den Quartalen I/99 bis IV/99 Wobe Mugos E für die Versicherte verordnete, obwohl hierfür keine Leistungspflicht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bestand.
a) Gemäß §§ 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der 1999 geltenden, hier maßgeblichen Fassung haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch des Versicherten unterliegt dabei allerdings den sich aus §§ 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Danach umfasst er nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Bezogen auf die Arzneimitteltherapie bedeutet dies, dass es zu Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben muss, dass der Erfolg der Arzneimitteltherapie in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Es fehlt deshalb an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Arzneimitteltherapie, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung gerade für dasjenige Indikationsgebiet, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll, nicht erteilt worden ist (BSGE 93, 1 mit Nachweisen zur st. Rspr.).
Das von der Klägerin verordnete Arzneimittel Wobe Mugos E ist ein Fertigarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 und 3 Arzneimittelgesetz (AMG) und bedarf daher der Zulassung nach § 21 Abs. 1 AMG. Als zulassungspflichtiges Arzneimittel hatte Wobe Mugos E im maßgeblichen Zeitpunkt jedoch weder in Deutschland noch EU-weit die erforderliche Zulassung (BSG, Urteil vom 27. September 2005, a.a.O.).
b) Die Versicherte konnte die Behandlung mit Wobe Mugos E zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Verordnung auch nicht nach den Grundsätzen des Off-label-use beanspruchen.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (seit dem Urteil vom 19. März 2002, BSGE 89, 184) kann ein zugelassenes Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt. Davon kann ausnahmsweise abgewichen werden, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, keine andere Therapie verfügbar ist und auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Zweifellos handelte es sich im streitgegenständlichen Behandlungsfall um eine schwerwiegende und lebensbedrohliche Erkrankung. Dahinstehen kann an dieser Stelle, ob und inwieweit in diesem Krankheitsstadium eine andere Therapie zur Verfügung stand. Jedenfalls fehlt es an dem Nachweis, dass nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse die begründete Aussicht bestand, mit der Verabreichung von Wobe Mugos E hätte ein Behandlungserfolg erzielt werden können. Hierfür müssten Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten ließen, dass das bzw. die Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden könnten. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und deshalb in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (BSG a.a.O.).
bb) Diese Voraussetzungen lagen bzgl. der Verordnung von Wobe Mugos E für die Behandlung des (metastasierten) Mammakarzinoms nicht vor. Es ist keine einzige wissenschaftliche Arbeit ersichtlich oder von der Klägerin während des Verfahrens benannt worden, die auf der Grundlage einer kontrollierten, randomisierten Doppelt-Blind-Studie einen Nachweis für einen positiven Einfluss von Wobe Mugos E auf den Krankheitsverlauf des metastasierenden Mamma-Karzinoms erbringen konnte.
c) Eine Leistungspflicht der Beigeladenen zu 2) kommt nach derzeitigem Sachstand auch nicht unter Berücksichtigung des Verfassungsrechts (vgl. BVerfGE 115, 25) in Betracht.
aa) Zwar folgt aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip regelmäßig kein verfassungsmäßiger Anspruch auf bestimmte Leistungen der Krankenbehandlung. Es bedarf jedoch dann einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts, wenn eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt, bei der die Anwendung der üblichen Standardbehandlung aus medizinischen Gründen ausscheidet und andere Behandlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen (BVerfGE 115, 25; BSG, Urteil vom 27. März 2007, Az.: B 1 KR 17/06 R, veröffentlicht in Juris). Damit hat das BVerfG strengere Voraussetzungen umschrieben, als sie im Rahmen des Off-label-use formuliert sind. Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen daher nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, bei der nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches kann für den ggf. gleichzustellenden, akut drohenden und nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten (BSG a.a.O.).
bb) Die Versicherte befand sich während des gesamten Jahres 1999 in einem lebensbedrohlichen Zustand.
cc) Der Nachweis, dass im Fall der Versicherten keine andere Behandlungsmöglichkeit bestand, ist nicht erbracht.
Im Verordnungszeitraum waren verschiedene Antiöstrogene, z.B. mit den Wirkstoffen Anastrozol (Handelsname Arimidex), Tamoxifen, Aminoglutethimid (Handelsname Orimeten), und sonstige Zytostatika, z.B. mit den Wirkstoffen Doxorubicin, Docetaxel, Paclitaxel, Vinblastin, Fluorouracil, Cyclophosphamid, zur Behandlung des metastasierten Mammakarzinoms zugelassen. Zur Behandlung des (fortgeschrittenen) Mammakarzinoms waren weitere Arzneimittel, z.B. mit den Wirkstoffen Lestrozol (Handelsname Femara), Formestan (Handelsname Lentaron) und Mitomycin, zugelassen.
Ob diese zugelassenen Behandlungsalternativen bei der Versicherten zum Einsatz gebracht wurden oder welche Umstände dem ggf. entgegenstanden, ist dem Vorbringen der Klägerin nicht zu entnehmen. Dieses Vorbringen ist bereits in sich widersprüchlich, da die Klägerin einerseits angibt, sie wisse nicht, wie die Krebserkrankung der Versicherten vor 1998 im Einzelnen behandelt worden sei, andererseits aber behauptet, dass die Versicherte „radioaktiv bestrahlt und mit zytotoxischer Chemotherapie behandelt worden“ sei. Insoweit hätte es präziser Angaben der Klägerin bedurft, in welchen Zeiträumen welche konkrete Therapieform (ggf. mit Angaben zur Dosierung) mit welchem konkreten Ergebnis bei der Versicherten angewandt wurde. Ohne solche Angaben ist es weder dem Beklagten bzw. der Beigeladenen zu 2) noch dem Senat möglich, das Fehlen bzw. den erfolglosen Einsatz anderweitiger Behandlungsmöglichkeiten positiv festzustellen.
Soweit die Klägerin beantragt hat, die Unterlagen über die stationären Behandlungen der Versicherten beizuziehen, durfte der Senat diesem Begehren nicht folgen. Denn es ist keine Rechtsvorschrift ersichtlich, die die Krankenhäuser als Leistungserbringer im Bereich des SGB V berechtigt und verpflichtet, dem Sozialgeheimnis unterliegende Daten über den Gesundheitszustand der Versicherten ohne Schweigepflichtentbindungserklärung für Zwecke eines Gerichtsverfahrens zu übermitteln, an dem die Versicherte in keiner Weise beteiligt ist.
dd) Selbst wenn keine andere Behandlungsmöglichkeit bestanden haben sollte, wäre ein Anspruch der Versicherten gegen die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2) auf Versorgung mit dem Arzneimittel Wobe Mugos E ausgeschlossen.
Zwar reichte es in solch einer Situation aus, dass das Arzneimittel eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht (BVerfGE 115, 25). Den Anforderungen, die durch das BSG (Urteil vom 04. April 2006, Az.: B 1 KR 7/05 R – „Tomudex“ –, veröffentlicht in Juris) in Umsetzung dieser verfassungsgerichtlichen Entscheidung zusätzlich zu den allgemeinen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln aufgestellt wurden, entspricht das Verhalten der Klägerin jedoch nicht.
(1) Wobe Mugos E wurde der Versicherten entsprechend § 15 Abs. 1 SGB V ärztlich verordnet und nicht im Rahmen einer Arzneimittelstudie verabreicht.
(2) Offen bleiben kann, ob die vor der Behandlung mit Wobe Mugos E regelmäßig erforderliche abstrakte und konkret auf den Versicherten bezogene Nutzen-Risiko-Analyse im vorliegenden Fall unter Beachtung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes positiv ausfallen konnte (zum hierbei zu beachtenden Prüfungsmaßstab: BSG a.a.O.).
(3) Denn die Arzneimittel-Therapie wurde im vorliegenden Fall jedenfalls nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst dokumentiert.
Die Behandlung mit einem nicht in Deutschland und EU-weit zugelassenen Arzneimittel auf Kosten der GKV muss in Fällen der streitigen Art regelmäßig durch einschlägig qualifizierte Ärzte durchgeführt werden. Bei der Anwendung von Arzneimitteln, die toxische Nebenwirkungen erwarten lassen, kann zudem erforderlich sein, dass der behandelnde Arzt im Umgang mit entsprechenden Arzneimitteln erfahren ist. Der behandelnde Arzt muss die Behandlung verantworten (vgl. § 15 Abs. 1 SGB V) und die Regeln der ärztlichen Kunst bei der Durchführung der Behandlung einhalten (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Das setzt auch eine hinreichende Dokumentation der Behandlung und die Vornahme von Kontrollen und gebotenen Sicherheitsvorkehrungen voraus (z.B. durch Überwachung geeigneter medizinischer Parameter oder Verordnung von stationärer Behandlung bei Realisierung von Gefahren), um das Risiko für den Patienten gering zu halten und bei Bedarf schnell reagieren zu können (BSG a.a.O.).
Dass die Klägerin als Allgemeinmedizinerin mit der Zusatzbezeichnung Naturheilverfahren über die demnach erforderliche einschlägige Qualifikation verfügt, kann der Senat zu ihren Gunsten unterstellen.Denn zumindest hat die Klägerseite nicht den Nachweis erbracht, dass die maßgeblichen Parameter kontinuierlich im Zusammenhang mit jedem Termin, zu dem der Versicherten Wobe Mugos E verordnet wurde, überprüft wurden. Nicht feststellbar ist außerdem, ob Wobe Mugos E entsprechend den Anweisungen des Herstellers angewandt wurde. Wie die Behandlung im Einzelnen ärztlich dokumentiert wurde, ist gleichfalls unbekannt.
ee) Den von der Klägerin hilfsweise beantragten Beweis musste der Senat nicht erheben. Der Beweisantrag ist zu unbestimmt, weil er nicht erkennen lässt, auf welchen konkreten Zeitraum sich die zu beweisenden Tatsachen beziehen. Im übrigen kann der Senat zugunsten der Klägerin die aus ihrer Sicht zu beweisenden äußeren Tatsachen, dass die Versicherte (zu irgendeinem Zeitpunkt) operiert bzw. radioaktiv bestrahlt und (in irgendeiner Form) mit zytotoxischer Chemotherapie behandelt wurde, ebenso unterstellen wie die innere Tatsache, dass die Klägerin der Versicherten Wobe Mugos E in der Absicht verordnete, deren Tod zu verhindern. An dem o.g. Ergebnis ändert sich hierdurch nichts.
2) Einem auf § 14 PV gestützten Regress steht ein u.U. fehlendes Verschulden der Klägerin ebensowenig entgegen wie die nach klägerischer Auffassung versäumte Antragsfrist bzw. die aus Klägersicht vorrangige Beratung oder ein Vertrauenstatbestand (BSG, Urteil vom 5. November 2008, Az.: B 6 KA 38/07 R, veröffentlicht in Juris, m.w.N.).
B)
Der Feststellungsantrag ist unzulässig.
1) Für den erstmals im Berufungsverfahren im Wege der Klage gestellten Feststellungsantrag fehlt es – unbeschadet der Frage, ob es sich dabei um eine zulässige Klageerweiterung i.S.v. § 99 SGG handelt – an einem allgemeinen Rechtsschutz- und Feststellungsinteresse. Ein solches Interesse ist generell zu verneinen, wenn (außerhalb von Spezialregelungen) einzelne Verfahrensakte und vermeintliche Verfahrensfehler des Gerichts isoliert neben dem Hauptbegehren des Rechtsuchenden (hier: Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils und des Bescheids des Beklagten) zur Überprüfung durch ein Rechtsmittelgericht gestellt werden sollen. Unselbstständige verfahrensbezogene gerichtliche Akte sind vielmehr im Zusammenhang mit der instanzabschließenden Entscheidung vom Rechtsmittelgericht im Rahmen der Regelungen des Prozessrechts regelmäßig ohnehin rechtlich mit zu überprüfen. Ein einzelnes Element eines Rechtsverhältnisses kann i. Ü. nur ausnahmsweise Gegenstand einer Feststellungsklage sein, wenn durch diese der zwischen den Beteiligten bestehende Streit im Ganzen bereinigt wird. Dies gilt erst recht, wenn das streitige Rechtsverhältnis in prozessualen Fragen im Rahmen eines ohnehin anhängigen Rechtsstreits besteht (BSG, Urteil vom 20. April 2010, Az.: B 1/3 KR 22/08 R, veröffentlicht in Juris).
Welches über die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen hinausgehende rechtliche Interesse die Klägerin an der Entscheidung des Senats über den Feststellungsantrag haben könnte, ist nicht ersichtlich. So könnte auch eine überlange Verfahrensdauer in keinem Falle zum Unterliegen eines Verfahrensbeteiligten führen, der die Verfahrensdauer nicht zu vertreten hat. Da nach Auffassung der Klägerseite „die Hauptursache dieser überlangen Verfahrensdauer in der überkomplizierten Rechtssetzung des Bundes und der die überlange Dauer fördernden Rechtsprechung des BSG“ liege, wäre ein allein mit der überlangen Verfahrensdauer begründetes Unterliegen des Beklagten und der – wirtschaftlich hiervon primär betroffenen – Beigeladenen zu 2) nicht zu rechtfertigen.
2) Im Übrigen kennt das nationale Recht derzeit keine Anspruchsgrundlage für einen durch eine überlange gerichtliche Verfahrensdauer eingetretenen Schaden, der schon in dem zugrunde liegenden Rechtsstreit selbst geltend gemacht werden könnte, (BSG a.a.O.; vgl. dagegen zu möglichen Ansprüchen des Betroffenen aus Amtshaftung gem. § 839 BGB sowie aus enteignungsgleichem Eingriff bei vermeidbaren Verzögerungen durch gerichtliche Entscheidungen:BGHZ 170, 260). Lediglich Art. 41 EMRK eröffnet einer verletzten Partei schon im Zuge eines noch laufenden Rechtsstreits einen Anspruch auf "eine gerechte Entschädigung", wenn der EGMR feststellt, dass die EMRK verletzt worden ist und das innerstaatliche Recht nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung gestattet; in einem solchen Fall spricht der EGMR eine solche Entschädigung zu, "wenn dies notwendig ist". Diese Vorschrift ist im vorliegenden Fall aus zweierlei Gründen nicht anwendbar: Zum einen kann Schuldner einer solchen Entschädigung nur ein Staat sein, der die EMRK unterzeichnet hat. Die Bundesrepublik Deutschland als einer der Unterzeichnerstaaten ist jedoch nicht Beklagte des hiesigen Rechtsstreits. Zum zweiten scheidet die richterrechtliche Anerkennung außerordentlicher Rechtsbehelfe im nationalen Recht zur Vorbereitung der Durchsetzung derartiger Entschädigungsansprüche nach der EMRK aus. Denn gesetzlich nicht vorgesehene, richterrechtlich geschaffene Rechtsmittel verstoßen im deutschen Recht gegen das Gebot der Rechtsmittelklarheit und sind somit nicht statthaft (BVerfGE 107, 395, 416; BSG a.a.O. m.w.N.; abweichend in Bezug auf überlange Verfahrensdauer im Rahmen einer Entscheidung über eine Nichtzulassungsbeschwerde: BSG <4. Senat> SozR 4-1500 § 160a Nr. 11).
C)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 2, § 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites.