Gericht | VG Cottbus 8. Kammer | Entscheidungsdatum | 08.01.2021 | |
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Aktenzeichen | 8 L 596/20 | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2021:0108.8L596.20.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 16 Abs 8 IfSG, § 5 Abs 1 S 1 IfSG, § 8 CoronaV3EindV BB, § 80 Abs 5 S 1 Alt 1 VwGO, § 28 Abs 1 IfSG, § 28a Abs 1 IfSG |
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Der Antrag der Antragstellerin,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruches vom 28. Dezember 2020 gegen die Schließungsanordnung des Antragsgegners vom 16. Dezember 2020 sowie die Aufhebung der Vollziehung dieser Anordnung anzuordnen,
hat keinen Erfolg.
Der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 und 3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag ist unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die durch entsprechende Regelungen in einem Bundes- oder Landesgesetz – wie hier gemäß §§ 28 Abs. 1 und 3, 28a i. V. m. § 16 Abs. 8 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG -) i.d.F. des 3. Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 - gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO entfallende aufschiebende Wirkung eines Widerspruches anordnen. Dabei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung, in deren Rahmen es die Interessen der Beteiligten an der sofortigen Vollziehung der behördlichen Verfügung bzw. an der aufschiebenden Wirkung des dagegen erhobenen Rechtsbehelfes unter maßgebender Berücksichtigung der Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens gegeneinander abwägt.
Im Hinblick auf die in § 28 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 8 IfSG getroffene gesetzgeberische Entscheidung für eine sofortige Vollziehbarkeit der Maßnahmen nach §§ 28 Abs. 1, 28a Abs. 1 IfSG kommt eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruches bzw. einer Anfechtungsklage hier nur in Betracht, wenn aufgrund der im Rahmen des vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch nur gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der beanstandeten Ordnungsverfügung bestehen oder sonst Umstände vorliegen, die ein überwiegendes Interesse an der Außervollzugsetzung der Verfügung begründen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer behördlichen Anordnung bestehen, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als sein Misserfolg.
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist nach dem Erkenntnisstand des vorliegenden Eilverfahrens davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der hier in Rede stehenden Schließungsanordnung das Interesse der Antragstellerin, einstweilen von der Durchsetzung der Anordnung verschont zu bleiben bzw. deren Vollzug aufzuheben, überwiegt. Die mündliche Schließungsanordnung des Antragsgegners vom 16. Dezember 2020 erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig.
Ihre Rechtsgrundlage findet die Schließungsanordnung in §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 28a Abs. 1 Nr. 14, 32 Satz 1 IfSG i. V. m. § 8 Abs. 1 Satz 1 der Dritten Verordnung über befristete Eindämmungsmaßnahmen aufgrund des SARS-CoV-2-Virus und COVID-19 im Land Brandenburg (Dritte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung – 3.SARS-CoV-2-EindV) vom 15. Dezember 2020.
Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in § 28a Abs. 1 und in den §§ 29 bis 31 Genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Abs. 1 zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) können für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag gemäß § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG insbesondere u.a. die Schließung oder Beschränkung von Betrieben, Gewerben, Einzel- und Großhandel sein. Dementsprechend bestimmt die auf Grundlage der Verordnungsermächtigung in § 32 IfSG erlassene Dritte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung für das Land Brandenburg in § 8 Abs. 1 Satz 1 die Schließung der Verkaufsstellen des Einzelhandels für den Publikumsverkehr.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor; namentlich hat der Deutsche Bundestag am 18. November 2020 festgestellt, dass die epidemische Lage von nationaler Tragweite, die der Deutsche Bundestag am 25. März 2020 aufgrund der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 für die Bundesrepublik Deutschland festgestellt hat, fortbesteht (vgl. BT-Drs. 19/24387). Dass es sich bei COVID-19 um eine übertragbare Krankheit im Sinne von § 2 Nr. 3 IfSG handelt und insoweit von einem Ansteckungsverdacht im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 2 Nr. 7 IfSG auszugehen ist, unterliegt keinen vernünftigen Zweifeln (vgl. so bereits Verwaltungsgericht Cottbus, Beschluss vom 3. April 2020 – VG 3 L 164/20 -, juris Rn. 14) und ergibt sich nunmehr ausdrücklich aus der Regelung des § 28a IfSG.
Entscheidungen über die Notwendigkeit und Erforderlichkeit von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 nach § 28a Abs. 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG sind gemäß § 28a Abs. 3 Satz 1 IfSG insbesondere an dem Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems auszurichten, wobei die Schutzmaßnahmen unter Berücksichtigung des jeweiligen Infektionsgeschehens regional bezogen auf die Ebene der Landkreise, Bezirke oder kreisfreien Städte an den Schwellenwerten nach Maßgabe der Sätze 4 bis 12 ausgerichtet werden sollen, soweit Infektionsgeschehen innerhalb eines Landes nicht regional übergreifend oder gleichgelagert sind (Satz 3). Maßstab für die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen ist gemäß Satz 4 der Regelung insbesondere die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus je 100.000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen (sog. Inzidenz). Die Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern verpflichtet generell zu umfassenden Schutzmaßnahmen (Sätze 5, 9 und 10). Angesichts der für den Zeitpunkt des Erlasses der Schließungsanordnung festgestellten Sieben-Tages-Inzidenzen pro 100.000 Einwohner in Höhe von 187,9 für den Landkreis D... (vgl. Pressemitteilung vom 15. Dezember 2020 www.dahme-spreewald.info/de) und 215,6 für das Land Brandenburg (Pressemitteilung der Staatskanzlei vom 14. Dezember 2020 www.stk.brandenburg.de) bestehen ebenfalls keine Zweifel daran, dass hinreichender Anlass zur Schließung der Verkaufsstellen des Einzelhandels als geeignete Maßnahme gemäß §§ 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG, 8 Abs. 1 Satz 1 der 3. SARS-CoV-2-EindV bestand, wobei die Regelung des § 8 Abs. 1 Satz 1 der 3. SARS-CoV-2-EindV insoweit keinen Ermessensspielraum lässt. An dem Infektionsgeschehen hat sich bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nichts geändert, die Sieben-Tages-Inzidenzen sind vielmehr noch gestiegen.
Ohne Erfolg beruft sich die Antragstellerin auf die Ausnahmevorschrift des § 8 Abs. 2 Satz 1 der 3. SARS-CoV-2-EindV. Hiernach dürfen in Verkaufsstellen des Einzelhandels, durch die sog. Mischsortimente angeboten werden, Sortimentsteile, deren Verkauf nicht nach Abs. 1 Satz 2 der Regelung gestattet ist, verkauft werden, wenn der zugelassene Sortimentsteil überwiegt; die betreffenden Verkaufsstellen dürfen dann alle Sortimente vertreiben, die sie gewöhnlich auch verkaufen. Überwiegt dagegen bei einer Verkaufsstelle der nicht zugelassene Teil des Sortiments, gilt die Schließungsanordnung nach Absatz 1 Satz 1 bis zu einer entsprechenden Aufstockung des zugelassenen Sortiments für die gesamte Verkaufsstelle (§ 8 Abs. 2 Satz 2 der 3. SARS-CoV-2-EindV).
Zwar wird in der von der Antragstellerin in W... betriebenen Verkaufsstelle ersichtlich ein Mischsortiment im Sinne dieser Regelung angeboten, das aus nach § 8 Abs. 1 Satz 2 der 3. SARS-CoV-2-EindV zugelassenen Sortimentsteilen, und zwar Drogerieartikeln, Lebensmitteln und Tierbedarf, und nicht zugelassenen Sortimentsteilen wie Dekoration, Heimwerkerbedarf, Haushaltswaren, Textilartikeln, Party- und Papeterieartikeln sowie Spiel- und Schreibwaren besteht. Soweit die Antragstellerin geltend macht, die nach § 8 Abs. 1 Satz 2 der 3. SARS-CoV-2-EindV zugelassenen Sortimentsteile umfassten insgesamt 55,10% des Gesamtsortiments und würden damit überwiegen, vermag die Kammer dem jedoch nicht zu folgen.
Von einem „Überwiegen“ im Sinne von § 8 Abs. 2 Satz 1 der 3. SARS-CoV-2-EindV wird auszugehen sein, wenn der Anteil des erlaubten Sortiments und damit die Summe der erlaubten Sortimentsteile mehr als 50% betragen. Nach welchen Kriterien dies zu bestimmen ist, hat der Verordnungsgeber allerdings nicht ausdrücklich vorgegeben. Als denkbare Bemessungskriterien kommen etwa die Verkaufs- bzw. Regalfläche, das Produktvolumen oder die erzielten Umsätze in Betracht; maßgeblich dürfte letztlich eine mit Blick auf den Schutz von Leben und Gesundheit sowie der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems an den konkreten Verhältnissen des Einzelfalles ausgerichtete – überschlägige - Gesamtbetrachtung sein (vgl. hierzu auch Verwaltungsgericht Sigmaringen, Beschluss vom 27. April 2020 – 3 K 1422/20 -, juris Rn. 31 ff.; Verwaltungsgericht Magdeburg, Beschluss vom 9. April 2020 – 1 B 149/20 -, juris Rn. 11).
Nach dem maßgeblichen Erkenntnisstand des vorläufigen Rechtschutzverfahrens lässt sich anhand der dem Gericht vorliegenden Angaben jedoch nicht hinreichend feststellen, dass die in der Verkaufsstelle der Antragstellerin angebotenen Verkaufsartikel überwiegend zu dem nach § 8 Abs. 1 Satz 2 der 3. SARS-CoV-2-EindV zugelassenen Sortimentsteilen gehören. Zwar hat die Antragstellerin eine Übersicht zu den Anteilen der Verkaufssortimente vorgelegt, ausweislich derer die zugelassenen Sortimentsteile bezogen auf die Artikelzahl insgesamt 55,10% betragen (davon 9,95% Lebens- und Genussmittel, 41,35% Drogeriewaren und 3,80% Tierbedarf), wofür 57,25% der vorhandenen Regalmeter und 54,48% der Verkaufsfläche (Regalgrundfläche) genutzt werden. Aus der beigefügten Sortimentsliste geht jedoch hervor, dass die Antragstellerin unter dem Sortimentsteil „Drogeriewaren“ in ganz erheblichem Umfang Artikel erfasst hat, die nicht zu den nach § 8 Abs. 1 Satz 2 der 3. SARS-CoV-2-EindV zugelassenen Sortimenten gehören. Namentlich sind dies Schreibwaren, Textilien, Fahrradzubehörteile, Spielwaren, Partybedarf sowie Haushalts- und Einrichtungsgegenstände. Soweit die Antragstellerin darauf verweist, dass diese Zuordnung langjähriger Handelsüblichkeit entspreche und die genannten Waren auch in den marktführenden Drogerieketten angeboten würden, vermag dies nicht zu überzeugen. Zwar trifft es zu, dass auch Drogerien in gewissem Umfang entsprechende Sortimentsteile zum Verkauf anbieten. Allein dies macht diese jedoch – ebenso wenig wie etwa Süßwaren, alkoholische Getränke und Tierbedarfsartikel, die Drogerien heute ebenfalls regelmäßig im Sortiment haben – nicht zu Drogerieartikeln. Vielmehr halten auch klassische Drogerien insoweit ein Mischsortiment vor. Drogeriewaren stellen vielmehr typischerweise nur Produkte aus den Bereichen Heilmittel, Körperpflege und Wellness, Reform-, Vollwert- und Biokost, Artikel für die Sachpflege in Haus und Garten sowie elektronische Hilfsmittel (Batterien etc.) dar. Im Übrigen widerspricht die Antragstellerin mit dieser Zuordnung auch ihren eigenen Angaben in der von ihr vorgelegten Übersicht zu den Anteilen der Verkaufssortimente, in der sie Textilartikel, Party-/Papeterie-Artikel, Spiel- und Schreibwaren selbst dem sonstigen, also nicht zugelassenen Sortimentsteil zugeordnet hat.
Die Antragstellerin hat demnach bereits nicht hinreichend nachvollziehbar dargelegt und plausibel gemacht, dass das von ihr angebotene Sortiment überwiegend nach § 8 Abs. 1 Satz 2 der 3. SARS-CoV-2-EindV zum Verkauf zugelassen ist. Weder die vorgelegte Sortimentsliste noch der Grundriss der Verkaufsstelle mit den eingezeichneten Regalen lassen ein solches Überwiegen erkennen, wobei die Verkaufsfläche allein im Hinblick auf die unterschiedlichen (Verpackungs-)Größen der Produkte als Bewertungskriterium ohnehin nicht ausreichen dürfte (vgl. ebenso: Verwaltungsgericht Sigmaringen, Beschluss vom 27. April 2020 – 3 K 1422/20 -, juris Rn. 39). Auch ergänzende Angaben etwa zum jeweiligen Umsatzvolumen hat die Antragstellerin nicht gemacht. Auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob der zugelassene Sortimentsteil durch bloßes Abdecken der Regale mit dem nicht zugelassenen Sortiment im Sinne von § 8 Abs. 2 Satz 2 der 3. SARS-CoV-2-EindV „aufgestockt“ werden kann – was jedenfalls im Hinblick auf die Regelungen sowohl in § 8 Abs. 2 Satz 1, 2. HS als auch in § 8 Abs. 2 Satz 2 der 3. SARS-CoV-2-EindV fraglich erscheint -, kommt es demgemäß nicht an.
Da nach alledem die aufschiebende Wirkung des Widerspruches der Antragstellerin nicht anzuordnen ist, bleibt auch der auf eine Aufhebung der bereits erfolgten Vollziehung der Schließungsanordnung gerichtete Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der festgesetzte Streitwert entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert gemäß § 52 Abs. 2 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes, wobei die Kammer einerseits davon ausgeht, dass sich der lediglich der Klarstellung dienende Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO nicht streitwerterhöhend auswirkt, andererseits im Hinblick auf die von der Antragstellerin begehrte Vorwegnahme der Hauptsache von einer Halbierung des sich danach ergebenden Betrages absieht.