Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 16. Kammer | Entscheidungsdatum | 12.06.2012 | |
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Aktenzeichen | 16 Sa 297/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 611 Abs 1 BGB, Art 3 Abs 1 GG |
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12.01.2012 - 38 Ca 4536/11 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Die Parteien streiten über die Auslegung und Wirksamkeit einer tariflichen Regelung zum Zuschlag für Nachtarbeit.
Der Kläger war zunächst ab 1. September 2001 bei der T-LOG T. Logistik- und Dienstleistungsgesellschaft mbH beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis ging mit Wirkung zum 1. Januar 2008 auf die Beklagte über. Wegen der Einzelheiten der Betriebsübergänge wird auf das Informationsschreiben an den Kläger, Bl. 38 ff. d. A., Bezug genommen.
In dem Arbeitsvertrag des Klägers mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten wurde vereinbart, dass für das Arbeitsverhältnis, soweit im Rahmen des Arbeitsvertrages nichts anderes vereinbart wurde, die Bestimmungen des örtlich maßgeblichen Tarifvertrages für den Einzelhandel einschließlich der entsprechenden Zusatzabkommen gelten. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Ablichtung des Vertrages (Bl. 23 f. d. A.).
Der Manteltarifvertrag für den Berliner Einzelhandel vom 6. Juli 1984 in der Fassung der 7. Änderungsvereinbarung vom 4. September 2008, gültig ab 1. Januar 2007 (im Folgenden: MTV Einzelhandel), enthält u. a. folgende Regelungen:
§ 8 Nacht-, Sonn-, Feiertags- und Spätöffnungsarbeit
1. Nachtarbeit ist die in der Nachtzeit zwischen 20.00 und 06.00 Uhr geleistete Arbeit. …
2. …
5. Für die Arbeit nach Ziff. 1. - 4. sind zum Entgelt folgende Zuschläge zu gewähren:
a) Nachtarbeit
50 %
jedoch im Rahmen von Schichtarbeit
20 %
b) Sonntagsarbeit
120 %
c) Feiertagsarbeit
150 %
d) Spätöffnung
20 % Zeitgutschrift (Ziffer 6. ist zu beachten)
6. …
7. Für berufsübliche Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit (z. b. Nachtwächter/innen, Pförtner/innen und Monteure/innen in Notdienstbetrieben) ist kein Zuschlag zu zahlen. …
9. Beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge wird nur der jeweils höhere Zuschlag gewährt.
Die Tarifvertragsparteien haben am 20. Juli 2011 einen Ergänzungstarifvertrag zum Manteltarifvertrag vereinbart, § 8 blieb unverändert.
Bei der Beklagten besteht ein Wechselschichtsystem (Frühschicht 06:00 Uhr bis 14.45 Uhr, Spätschicht 14.45 Uhr - 23.30 Uhr), in dem auch der Kläger im wöchentlichen Wechsel arbeitet. Bisweilen gibt es von dem Schichtsystem partielle Abweichungen hinsichtlich des Beginns und des Endes der Arbeitszeit. Wegen der Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten Dienstpläne verwiesen (Bl. 93 - 134 d. A.).
Der Kläger hat mit gewerkschaftlichem Schreiben vom 15. Februar 2010 für den Zeitraum November 2009 bis Januar 2010 die Differenz in Höhe von 30 % zwischen dem gezahlten Zuschlag in Höhe von 20 % und dem von ihm begehrten Zuschlag von 50 % für 55,22 Stunden geltend gemacht. Mit Schreiben vom 19. April 2010 und 12. Januar 2011, gerichtet an die Firma N. M.-Discount AG und Co. KG, nachrichtlich an die Beklagte, hat der Kläger auch für weitere Monate die Differenzzahlung von Nachtarbeitszuschlägen begehrt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ablichtungen Bl. 66 ff. und 76 ff. d. A. verwiesen.
Mit seiner am 25. März 2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen und mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2011 erweiterten Klage hat der Kläger sein Begehren für die Monate November 2009 bis Februar 2010 und November 2010 bis Oktober 2011 weiterverfolgt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die tarifliche Regelung sei so zu verstehen, die Nachtarbeit sei immer mit einem Zuschlag von 50 %, die dazwischen liegenden Tagschichten mit einem Zuschlag von 20 % zu vergüten. Es stelle einen Verstoß gegen Art. 3 GG dar, Nachtarbeit in Schichtarbeit anders zu bewerten als außerhalb von Schichten.
Das Arbeitsgericht hat mit Versäumnisurteil vom 11. August 2011 die Klage abgewiesen. Der Kläger hat gegen das ihm am 24. August 2011 zugestellte Versäumnisurteil mit beim Arbeitsgericht am 25. August 2011 eingegangenem Schriftsatz Einspruch eingelegt.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
das Versäumnisurteil vom 18. August 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 319,89 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit und weitere 816,02 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie weitere 82,44 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
das Versäumnisurteil vom 18. August 2011 aufrecht zu erhalten und die weitergehenden Klageanträge abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Tarifnorm sei wirksam und werde von ihr auch zutreffend angewandt. Der Kläger habe mit den an die N. M.-Discount gerichteten Schreiben die tariflichen Ausschlussfristen nicht gewahrt.
Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 12. Januar 2012 das Versäumnisurteil vom 18. August 2011 aufrechterhalten und die weitergehende Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen folgendes ausgeführt: Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 50 % nicht zu. Da der Kläger Nachtarbeit in Schichtarbeit geleistet habe, betrage der tarifliche Zuschlag 20 %, wie von der Beklagten geleistet. Hier liege mit der Früh- und Spätschicht ein Schichtsystem vor. Es bestehe eine gewisse Regelmäßigkeit. Nachtarbeit falle nur stundenweise an, vor allem in der Spätschicht, in der Frühschicht nur ausnahmsweise. Eine Nachtschicht im engeren Sinne bestehe nicht. Die tarifliche Regelung in § 8 Nr. 5 a) MTV Einzelhandel bringe deutlich zum Ausdruck, dass für im Rahmen von Schichtarbeit erbrachte Nachtarbeit ein geringerer Zuschlag zu zahlen sei. Unterscheidungsmerkmal sei gerade die Regelmäßigkeit statt Planwidrigkeit. Danach würden zahlreiche Tarifverträge unterscheiden. Für die planwidrige Nachtarbeit außerhalb der normalen geschuldeten Arbeitszeit solle ein erhöhter Zuschlag gezahlt werden. § 8 MTV sehe die Zahlung eines Nachtschichtzuschlages nicht vor. Entgegen der Argumentation des Klägers sei für die „Tagschicht“ ein Zuschlag nicht geregelt. Die tarifliche Regelung sei auch wirksam. Art. 33 Abs. 1 GG sei nicht verletzt. Der Differenzierungsgrund liege nach der tariflichen Regelung gerade darin, dass derjenige, der regelmäßig Nachtstunden in Schichtarbeit leiste einen geringeren Zuschlag erhalten solle als der Arbeitnehmer, der ausnahmsweise planwidrig Nachtarbeit leiste. Die Tarifvertragsparteien müssten nicht in dieser Weise differenzieren, dürften es aber. Durch den unveränderten Neuabschluss des Manteltarifvertrages mit Wirkung ab dem 1. Juli 2011 hätten die Tarifvertragsparteien zu verstehen gegeben, dass sie an dieser Wertung festhalten wollen. Das dürften sie im Rahmen der durch das Grundgesetz garantierten Tarifautonomie. Die Wertung, ob und in welcher Weise oder in welchem Umfang belastende Arbeitszeiten durch Geld kompensiert werden sollten, obliege den Tarifvertragsparteien. Dabei haben sie einen weiten Wertungs- und Gestaltungsspielraum, der hier nicht überschritten worden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Gegen dieses dem Kläger am 17. Januar 2012 zugestellte Urteil richtet sich seine Berufung, die er mit einem beim Landesarbeitsgericht am 13. Februar 2012 eingegangenem Schriftsatz eingelegt und mit einem beim Landesarbeitsgericht am 19. März 2012, einem Montag, eingegangenem Schriftsatz begründet hat.
Der Kläger und Berufungskläger tritt dem angefochtenen Urteil unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens entgegen. Der Kläger nimmt Bezug auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22. Oktober 2003 (Az. 10 AZR 3/03). Dort weise das Bundesarbeitsgericht zu einer nicht wortgleichen Tarifnorm darauf hin, dass eine tarifliche Regelung, die eine deutliche Benachteiligung der Arbeitnehmer, die neben der Erschwernis der regelmäßigen oder nur gelegentlichen Nachtarbeit zusätzlich dem Erschwernis der Wechselschicht ausgesetzt seien, gem. § 3 Abs. 1 GG bedenklich sei, weil wohl kein sachlicher Grund sich für diese Differenzierung finden ließe. In der einschlägigen tariflichen Regelung finde sich kein Anhaltspunkt dafür, dass der Nachtarbeitszuschlag nur dann zu zahlen sei, wenn ausnahmsweise planwidrig Nachtarbeit geleistet werde. Nach der tariflichen Regelung sei auch regelmäßig zu leistende Nachtarbeit mit einem Zuschlag von 50 % zu vergüten. Insbesondere nach dem Verständnis der tarifschließenden Gewerkschaft ver.di solle in der Regelung des § 8 Ziff. 5 MTV Einzelhandel das anfallende Erschwernis von Schichtarbeit mit einem 20-prozentigen Zuschlag und das Anfallen der weiteren Erschwernis durch Nachtarbeit mit einem 50-prozentigen Zuschlag entlohnt werden. Diese Absicht findet zwar nur unzureichend im Wortlaut der tariflichen Regelung ihren Niederschlag, bei der Auslegung von Tarifverträgen sei jedoch wesentlich von dem von den Tarifvertragsparteien verfolgten Zweck der tariflichen Regelung auszugehen, auch wenn dieser im Wortlaut nur einen unvollkommenen Niederschlag gefunden habe. Keineswegs könne davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien eine Regelung schaffen wollten, welche den allgemeinen Gleichheitssatz verletze und das Vorliegen von zwei unabhängigen Erschwernissen mit einem geringeren Zuschlag belege als das Vorliegen nur eines dieser Erschwernisse.
Die tarifliche Ausschlussfrist sei gewahrt. Dem Schreiben vom 14. Oktober 2010 könne trotz des sich auf einen anderen Arbeitnehmer beziehenden Einleitungssatzes entnommen werden, dass Ansprüche des Klägers geltend gemacht würden. Mit Schreiben vom 15. Februar 2009 seien die hier begehrten Differenzzahlungen ab November 2009 bereits dem Grunde nach geltend gemacht worden.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12. Januar 2012 - Az. 38 Ca 4536/11 - abzuändern und unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 18. August 2011 die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 319,89 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. April 2011 und weitere 816,02 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. Dezember 2011 sowie weitere 82,44 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. Dezember 2011 zu zahlen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. § 8 MTV Einzelhandel sehe keinen Zuschlag für Schichtarbeit vor. Die Aufzählung in § 8 Nr. 5 a) - d) MTV Einzelhandel sei abschließend und sehe eine solche Zahlung nicht vor. Wenn Nachtarbeit in Schichtarbeit erbracht werde, werde diese mit einem geringeren Zuschlag vergütet. Da zur Schichtarbeit auch die zumindest teilweise Nachtarbeit gehöre, solle der Zuschlag für Nachtarbeit geringer ausfallen, wenn diese im Rahmen von Schichtarbeit geleistet werde. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG sei darin nicht zu sehen. Den Tarifvertragsparteien stünden ebenso wie dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum und eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die sachlichen Gegebenheiten zu. Vorliegend durften die Tarifvertragsparteien im Sinne einer typisierenden Betrachtungsweise davon ausgehen, dass die übergroße Mehrheit derjenigen Beschäftigten im Einzelhandel, welche in Schicht arbeiten, eine reine Nachtschicht nicht abzuleisten haben. Die Filialen des Einzelhandels seien nicht über Nacht geöffnet. Ferner dürften die Tarifvertragsparteien in typisierender Betrachtungsweise davon ausgehen, dass die im Einzelhandel vorherrschenden Früh- und Spätschichten für den einzelnen Mitarbeiter in medizinischer Hinsicht weniger belastend seien und zu erheblich weniger sozialen Einschränkungen führen würden als die reine Nachtschicht. Die Frühschicht führe zwar dazu, dass der betreffende Arbeitnehmer erheblich früher aufstehen müsse als der gewöhnliche Arbeitnehmer. Die damit einhergehenden Belastungen und Einschränkungen seien jedoch bei weitem nicht zu vergleichen mit denjenigen bei reiner Nachtschicht. Das gleiche gelte hinsichtlich der Spätschicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Schriftsatz des Klägers und BerufungsKlägers vom 19. März 2012, Bl. 169 ff. d. A., und auf den Schriftsatz der Beklagten und Berufungsbeklagten vom 23. April 2012, Bl. 177 ff. d. A., Bezug genommen.
I.
Die gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist von diesem form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG). Die Berufung ist daher zulässig.
II.
Die Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht das klageabweisende Versäumnisurteil vom 18. August 2011 aufrechterhalten und auch die weitergehende Klage abgewiesen.
A. Der statthafte Einspruch des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt worden.
B. Die zulässige Klage des Klägers ist jedoch nicht begründet.
1. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten kein Anspruch auf Zahlung von insgesamt 1.218,35 € brutto gem. § 8 Nr. 5 MTV Einzelhandel als weiterer Zuschlag für Nachtarbeit im streitgegenständlichen Zeitraum zu.
a. Gem. § 8 Nr. 5 MTV Einzelhandel wird für Nachtarbeit ein Zuschlag von 50 %, jedoch im Rahmen von Schichtarbeit von 20 % gewährt.
b. Der MTV Einzelhandel findet kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.
c. Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeitraum Arbeit zwischen 20.00 Uhr und 06.00 Uhr und somit Nachtarbeit im Sinne von § 8 Nr. 1 MTV geleistet.
d. Der Kläger hat seine Arbeit im streitgegenständlichen Zeitraum in Schichtarbeit erbracht.
Die Tarifvertragsparteien haben im Tarifvertrag, insbesondere in § 8, Schichtarbeit nicht definiert. In § 6 Nr. 6 MTV Einzelhandel wird im Zusammenhang mit der Arbeitszeit von Arbeitnehmern im Rahmen der Spätöffnung eine systematische Arbeitszeiteinteilung durch mehrere Schichten auch im wöchentlichen Wechsel aufgeführt. Schichtarbeit ist auch nicht gesetzlich definiert. § 6 ArbZG enthält Regelungen zur Nacht- und Schichtarbeit, definiert die Schichtarbeit jedoch nicht.
Damit ist der Begriff der Schichtarbeit in seiner allgemeinen arbeitsrechtlichen Bedeutung heranzuziehen. Danach ist wesentlich, dass eine bestimmte Arbeitsaufgabe über einen erheblich längeren Zeitraum als die tatsächliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmers hinaus erfüllt und daher von mehreren Arbeitnehmern (oder Arbeitnehmergruppen) in einer geregelten zeitlichen Reihenfolge erbracht wird (vgl. BAG, Urteil vom 24. Januar 2001 - 10 AZR 106/00 - zitiert nach juris, dort Rz. 22). Bei der Schichtarbeit arbeiten nicht sämtliche Beschäftigte eines Betriebes zur selben Zeit, sondern ein Teil arbeitet, während der andere Teil arbeitsfreie Zeit hat, wobei beide Teile sich regelmäßig nach einem feststehenden und überschaubaren Schichtplan ablösen. Dabei muss eine übereinstimmende Arbeitsaufgabe von untereinander austauschbaren Arbeitnehmern erfüllt werden. Schichtarbeit kann dabei in den Erscheinungsformen als Wechselschichtarbeit oder als ständige Schichtarbeit auftreten. Bei ersterer wechseln die Arbeitnehmer in einem bestimmten Rhythmus von einem betrieblichen Zeitabschnitt in einen anderen, bei letzterer - zum Teil auch Dauerschicht genannt - werden Arbeitsplätze nacheinander von mehreren Arbeitnehmern und Arbeitnehmern besetzt, jedoch tritt kein Wechsel ein. Dabei können sich die einzelnen Schichten überschneiden oder durch Pausen getrennt sein. Der Begriff der Schichtarbeit setzt nicht notwendig die Ablösung des Arbeitnehmers am selben Arbeitsplatz voraus. Schichtarbeit liegt nicht nur dann vor, wenn ein Arbeitnehmer das begonnene Arbeitsergebnis des anderen mit denselben Mitteln oder mit der gleichen Intensität und Belastung vervollständigt, sondern auch dann, wenn ein gewisses Maß an Arbeitsteilung für ein und denselben Arbeitserfolg erforderlich ist, die verschiedenen Arbeitsergebnisse also aufeinander aufbauen. Dabei ist der Begriff des Arbeitsinhaltes eng zu fassen; maßgeblich ist, dass der gesamte Arbeitsinhalt der sich gegenseitigen ablösenden Arbeitnehmer übereinstimmen muss. Schichtarbeit liegt nicht vor, wenn Arbeitnehmer mit völlig verschiedenen Aufgaben und unterschiedlichen Qualifikationen einander ablösen (BAG, a. a. O., Rz. 24).
Ausgehend von den vorgelegten Schichtplänen liegt hier mit Früh- und Spätschicht ein Schichtsystem in diesem Sinne vor.
e. Der Kläger hat seine Arbeitsleistung im streitgegenständlichen Zeitraum nicht in Nachtschichten, d. h. in ausschließlicher Nachtarbeit, erbracht.
Da der Kläger die Nachtarbeit vorliegend im Rahmen von Schichtarbeit geleistet hat, kann er nach der tariflichen Regelung einen Zuschlag von 20 %, jedoch nicht von 50 % beanspruchen.
Die Auslegung des normativen Teils von Tarifverträgen folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil vom 22. Oktober 2003 - 10 AZR /03 - zitiert nach juris, dort Rz. 29) den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Ausgehend ist vom Wortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Wortlaut zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, könne weitere Kriterien, die Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Auslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG, a. a. O.).
Bei Anwendung dieser Grundsätze kann der Auffassung des Klägers, Nachtarbeit sei immer mit einem Zuschlag von 50 % und die dazwischen liegenden Tagesschichten mit einem Zuschlag von 20 % zu vergüten, nicht gefolgt werden.
Ausgehend vom Wortlaut der Norm wird für Schichtarbeit kein Zuschlag gewährt. § 8 MTV Einzelhandel enthält keine Regelung über einen Schichtarbeitszuschlag. Die Aufzählung in § 8 MTV Einzelhandel ist abschließend. Die Differenzierung in § 8 Nr. 5 a) MTV Einzelhandel kann auch nicht so verstanden werden, dass für Nachtarbeit immer ein Zuschlag von 50 % gewährt wird. Zwar sieht die Tarifnorm grundsätzlich einen Zuschlag von 50 % vor. Die Norm enthält jedoch eine Ausnahme und zwar für Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit. die Regelung ist auch eindeutig und unmissverständlich. Für das Erschwernis der Schichtarbeit allein sieht der Tarifvertrag keinen Zuschlag vor, deshalb ist das Verständnis des Klägers von der Tarifnorm mit dem Wortlaut der Norm nicht vereinbar.
Auch aus Sinn und Zweck der Tarifnorm folgt kein anderes Ergebnis. Die in § 8 Nr. 5 vorgesehenen Zuschläge knüpfen jeweils an die Lage der Arbeitszeit an. Mit den in § 8 MZV Einzelhandel geregelten Zuschlägen soll ein finanzieller Ausgleich gewährt werden für besondere aus der Lage der Arbeitszeit resultierende Erschwernisse. Diese sind von den Tarifvertragparteien je nach Lage der Arbeitszeit unterschiedlich bewertet worden. Die Tarifvertragsparteien haben im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums die Arbeitsleistung an Sonn- und Feiertagen als den Arbeitnehmer stärker belastend angesehen als seine Arbeitsleistung in Nachtarbeit. Die Tarifvertragparteien haben auch gesehen, dass mehrere Erschwernisse zusammen treffen können. So wurde in § 8 Nr. 9 MTV Einzelhandel geregelt, dass beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge nur der jeweils höhere Zuschlag gewährt wird. Die Tarifvertragsparteien haben nicht nur den Fall geregelt, dass mehrere Erschwernisse, für die im Tarifvertrag ein Zuschlag vorgesehen ist, zusammen treffen können, sondern auch das Vorliegen eines Erschwernisses, für das kein Zuschlag vorgesehen ist, bei gleichzeitigem Vorliegen eines Erschwernisses, für das der Tarifvertrag einen Zuschlag regelt. Die Tarifvertragsparteien haben für im Rahmen von Schichtarbeit geleistete Nachtarbeit einen geringeren Zuschlag vorgesehen als für Nachtarbeit, die nicht in Schichtarbeit erbracht wird. Den Tarifvertragsparteien steht ein Beurteilungsspielraum zu, ob und wie sie Erschwernisse berücksichtigen. Auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Regelung kann § 8 MTV Einzelhandel nicht so verstanden werden, dass für Nachtarbeit immer auch wenn sie in Rahmen von Schichtarbeit geleistet wird mit einem Zuschlag von 50 % zu gewähren ist.
f. Die tarifliche Regelung ist wirksam. Sie verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, Art. 3 Abs. 1 GG.
Die Tarifvertragsparteien sind bei der tariflichen Normsetzung zwar nicht unmittelbar grundrechtsgebunden (vgl. BAG, Urteil vom 16. Dezember 2010 - 6 AZR 437/09 - zitiert nach juris, dort Rz. 18). Sie müssen hierbei jedoch aufgrund der Schutzpflichtfunktion der Grundrechte den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG sowie die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 2 und 3 Abs. 3 GG beachten. Deshalb ist im Ergebnis bei der Prüfung der Vereinbarkeit von Tarifregelungen mit Art. 3 Abs. 1 GG derselbe Maßstab anzulegen wie im Falle einer unmittelbaren Grundrechtsbindung. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für alle Belastungen und ungleiche Begünstigungen (BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2010 - 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07 - zitiert nach juris, dort Rz. 78). Verboten ist damit auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall das Willkürverbot oder das Verbot verhältnismäßiger Gleichbehandlung verletzt ist, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur bezogen auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2010, a. a. O., Rz. 83). Bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung ist der Gleichheitssatz verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. Januar 2003 - 1 BvR 487/01 - zitiert nach juris, Dort Rz. 83). Im Rahmen der Prüfung der Vereinbarkeit von Tarifregelungen mit Art. 3 Abs. 1 GG ist der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie Rechnung zu tragen. Den Tarifvertragsparteien kommt im Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie eine Einschätzungsprärogative zu. Sie sind nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen (BAG, a. a. O., Rz. 20).
Daran gemessen ist die Differenzierung in § 8 Nr. 5 MTV Einzelhandel zwischen Nachtarbeit in Schichtarbeit und Nachtarbeit ohne Vorliegen von Schichtarbeit nicht zu beanstanden.
Die Arbeitnehmer, die Nachtarbeit in Schichtarbeit leisten, sind sowohl dem Erschwernis der Nachtarbeit als auch dem Erschwernis der Schichtarbeit ausgesetzt. Die Tarifvertragsparteien haben die Erschwernis der Schichtarbeit anders beurteilt und bewertet als die Erschwernis der reinen Nachtarbeit. Die Zuschläge für besondere Formen der Arbeitszeit sind in § 8 MTV Einzelhandel abschließend aufgezählt. Für Schichtarbeit ist grundsätzlich ein Zuschlag nicht vorgesehen. Damit tragen die Tarifvertragsparteien dem tatsächlichen Umstand Rechnung, dass die Ladenöffnungszeiten im Einzelhandel die tarifliche Arbeitszeit von vollzeitig beschäftigten Arbeitnehmern überschreiten und somit die Mitarbeiter im Einzelhandel regelmäßig in Schichtsystemen eingesetzt werden. Mitarbeiter, die in Schichtsystemen arbeiten und/oder Nachtarbeit leisten, sind besonderen Belastungen ausgesetzt. Den Tarifvertragsparteien steht in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen eine Einschätzungsprärogative zu. Die Tarifvertragsparteien des MTV Einzelhandel haben, wie auch andere Tarifvertragsparteien, differenziert zwischen reiner Nachtarbeit und solcher, die in Schichtarbeit erbracht wird. Diese Differenzierung erfolgte nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch noch aktuell. Insbesondere haben die Tarifvertragsparteien im Ergänzungstarifvertrag vom 20. Juli 2011 die Differenzierung in § 8 Nr. 5 a) beibehalten. Veränderungen und Entwicklungen im Arbeitsleben in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht haben sich insoweit nicht ausgewirkt.
Nicht nur der hier streitgegenständliche MTV Einzelhandel sondern auch andere Tarifverträge differenzieren zwischen Zuschlägen für Nachtarbeit und Zuschlägen für Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit. Bislang waren entsprechende tarifliche Regelungen nicht beanstandet und für unwirksam erachtet worden. So hatte das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 24. Januar 2001 über Ansprüche des Klägers auf Zahlung von Zuschlägen für Nachtarbeit nach § 4 Nr. 4a Abs. 1 des Manteltarifvertrags für Arbeitnehmer im Groß- und Außenhandel in Nordrhein-Westfalen vom 9. Juli 1997 (im Folgenden: MTV Groß- und Außenhandel NRW) zu entscheiden. Auch § 4 MTV Groß- und Außenhandel NRW differenziert zwischen Zuschlägen für Nachtarbeit in Höhe von 50 % und Zuschlägen für Nachtarbeit, die in mehrschichtigen Betrieben geleistet wird, die mit Zuschlägen von 15 % zu vergüten ist. Bedenken an der Wirksamkeit der Regelung und der Berechtigung der Differenzierung bestanden nicht, denn das Urteil verhält sich dazu nicht. Das Bundesarbeitsgericht hatte in seinem Urteil vom 22. Oktober 2003 (Az. 10 AZR 3/03 - zitiert nach juris, dort Rz. 20) zu Regelungen des MTV Einzelhandel Bayern ausgeführt, dass das Verständnis von § 8 Nr. 1 h) MTV Einzelhandel Bayern als speziellerer Regelung zu § 8 Nr. 1 c) MTV Einzelhandel Bayern gem. Art 3 Abs. 1 GG bedenklich wäre, weil sich für die deutliche Benachteiligung der Arbeitnehmer, die neben der Erschwernis der regelmäßigen oder nur gelegentlichen Nachtarbeit zusätzlich der Erschwernis der Wechselschichtarbeit ausgesetzt seien, wohl kein sachlicher Grund finden ließe. Den verfassungsrechtlichen Bedenken brauchte das Bundesarbeitsgericht in dieser Entscheidung nicht weiter nachzugehen, da es seine Entscheidung auf andere Erwägungen stützte. Die Regelungen im MTV Einzelhandel Bayern entsprechen nicht den hier maßgeblichen Tarifnormen. Insbesondere sah der MTV Einzelhandel Bayern in § 8 einen Zuschlag für Schichtarbeit vor, auch waren dort Zuschläge für Mehrarbeit vorgesehen. Die dort geäußerten Bedenken bezogen sich auf eine andere, mit der vorliegenden tariflichen Regelung nur eingeschränkt vergleichbare Tarifnorm.
g. Da dem Kläger kein Anspruch auf Zahlung weiterer tariflicher Zuschläge für den streitgegenständlichen Zeitraum zusteht, kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger die tarifliche Ausschlussfrist gewahrt hat.
2. Mangels Hauptforderung steht dem Kläger ein Zinsanspruch nicht zu.
III.
Die Berufung des Klägers war daher mit der Folge zurückzuweisen, dass er die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen hat, § 97 ZPO.
IV.
Die Revision gegen die Entscheidung war gem. § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen, weil keiner der dort genannten Zulassungsgründe vorlag. Insbesondere wies der am Einzelfall orientiert Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung auf und folgte die Kammer bei der Entscheidung den in der zitierten Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen. Eine Divergenz zu dem Urteil des BAG vom 22. Oktober 2003 besteht nicht, da das BAG dort seine Bedenken im Rahmen eines obiter dictums geäußert hat.