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Rundfunk - Staatsvertrag - Merkzeichen RF


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat Entscheidungsdatum 25.10.2012
Aktenzeichen L 13 SB 56/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 69 SGB 9

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. Februar 2012 wird zurückgewiesen, soweit der Rechtsstreit nicht abgetrennt ist.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Mit seiner Berufung begehrt der Kläger die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Erteilung des Merkzeichens „RF“.

Für den 1949 geborenen Kläger wurde vom Beklagten zuletzt im Jahr 2001 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 bestandskräftig anerkannt. Dem lagen folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

Genussmittelmissbrauch, neurotische Fehlhaltung

        

(Einzel-GdB 50)

Herzleistungsminderung, Aortenklappenersatz, Bluthochdruck

        

(Einzel-GdB 30)

Folgen eines rechtsseitigen Knöchelbruchs,
beginnender Gelenkverschleiß

        

(Einzel-GdB 30)

Chronische Nasennebenhöhlenentzündung

        

(Einzel-GdB 10)

Am 20. Februar 2009 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Neufeststellung seines GdB sowie die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen „B“, „G“ und „RF“. Der Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 1. Oktober 2009 mit der Begründung ab, nach dem Ergebnis der ärztlichen Stellungnahme und anhand der beigezogenen ärztlichen Unterlagen habe eine Verschlimmerung des bestehenden Leidenszustandes nicht festgestellt werden können, auch wenn eine Funktionsbehinderung des Kniegelenkes links und eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule – bewertet jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 – hinzugetreten seien. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 27. Oktober 2009 Widerspruch ein, mit dem er weitere Gesundheitsstörungen berücksichtigt wissen wollte. Insbesondere habe er einen Sprachfehler, mit dem er sich in der Öffentlichkeit lächerlich mache, leide an schmerzhaftem Rheuma sowie einer Adipositas und bekomme Schwindelanfälle beim Husten, Bücken oder Lachen, die fast bis zur Bewusstlosigkeit reichten. Daraufhin holte der Beklagte ein Gutachten bei dem Allgemeinmediziner Dr. H ein, der in seinem Gutachten vom 8. März 2010 bei dem Kläger ein flüssiges Gangbild ohne Hilfsmittel beschreibt und für die Funktionsbeeinträchtigung „Genussmittelgebrauch, neurotische Fehlhaltung“ aufgrund einer unauffälligen Psyche nur noch einen Einzel-GdB von 30 vorschlägt, woraufhin der Beklagte nach entsprechender Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 2. August 2010, den er zum Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens erklärte, den GdB des Klägers auf 50 festsetzte, weil eine Besserung der Funktionsbeeinträchtigungen eingetreten sei.

Daraufhin hat der Kläger am 9. August 2010 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er sich gegen die Absenkung des GdB wandte und die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens „G“ begehrte. Zur Begründung trug er vor, der Beklagte habe seinen sich ständig verschlechternden Gesundheitszustand nicht zutreffend gewürdigt und unter anderem eine im April 2010 diagnostizierte Darmkrebserkrankung völlig außer Acht gelassen. Wenn er im Bus einen Fahrschein kaufe, werde er wegen seines Stotterns belächelt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. September 2010 gab der Beklagte dem Widerspruch des Klägers insoweit statt, als er feststellte, dass dessen GdB bis März 2010 wieder 60 betrage und ab April 2010 90. Im Übrigen wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Seinen Feststellungen legte der Beklagte folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

Genussmittelmissbrauch, neurotische Fehlhaltung

        

(Einzel-GdB 50)

Dickdarmerkrankung in Heilungsbewährung

        

(Einzel-GdB 50)

Herzleistungsminderung, Aortenklappenersatz, Bluthochdruck

        

(Einzel-GdB 30)

Folgen eines rechtsseitigen Knöchelbruchs,
beginnender Gelenkverschleiß

        

(Einzel-GdB 30)

Chronische Entzündung der Bauchspeicheldrüse

        

(Einzel-GdB 20)

Chronische Nasennebenhöhlenentzündung

        

(Einzel-GdB 20)

Funktionsbehinderung des Kniegelenks links

        

(Einzel-GdB 10)

Funktionsbehinderung der Wirbelsäule

        

(Einzel-GdB 10)

Weiter führte der Beklagte aus, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ bzw. weiterer Nachteilsausgleiche nicht vorlägen.

Daraufhin hat der Kläger an das Sozialgericht auf dessen Nachfrage, ob sich die Untätigkeitsklage erledigt habe oder der Rechtsstreit fortgesetzt werden solle, eine Erklärung übersandt, auf der er ankreuzte, er nehme das Anerkenntnis des Beklagten an und erkläre den Rechtsstreit für erledigt. Daneben ergänzte er: „Bis 2012!“ Das Sozialgericht teilte dem Kläger in der Folge mit, dass der Rechtsstreit aufgrund des angenommen Anerkenntnisses erledigt sei. Am 13. Oktober 2010 trug der Kläger gegenüber dem Sozialgericht vor, dass der Beklagte ihn ignoriere. „Wenn gar nichts gehe, klage [er] doch auf das „G“ im Ausweis.“ Mit am 25. Januar 2011 beim Sozialgericht Berlin eingegangenen Schreiben hat der Kläger klargestellt, dass er gegen den Widerspruchsbescheid vom 13. September 2010 habe Klage erheben wollen. Ihm gehe es um die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ ab April 2009. Das Sozialgericht hat daraufhin Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Wegen des Ergebnisses wird auf den Befundbericht der Orthopädin B vom 2. Mai 2011 verwiesen, die ein Schonhinken des Klägers links sowie ein kleinschrittiges Gangbild beschreibt und mitteilt, dass der Kläger 2.000 Meter mit Pausen in 30 Minuten zurücklegen könne, und auf den Befundbericht der Allgemeinmedizinerin Dr. K vom 6. Mai 2011, die von einer deutlichen Verminderung der Gehfähigkeit des Klägers berichtet. Nach Einholung versorgungsmedizinischer Stellungnahmen hat der Beklagte bei dem Kläger mit Schriftsatz vom 26. Juli 2011 einen GdB von 100 ab April 2010 anerkannt. Dem legte der Beklagte folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

Dickdarmerkrankung in Heilungsbewährung

        

(Einzel-GdB 80)

Genussmittelmissbrauch, neurotische Fehlhaltung

        

(Einzel-GdB 30)

Herzleistungsminderung, Aortenklappenersatz, Bluthochdruck

        

(Einzel-GdB 30)

Funktionsbehinderung des Kniegelenks links, Instabilität des
Kniegelenks links, Funktionsbehinderung des oberen
Sprunggelenkes rechts

        

(Einzel-GdB 20)

Chronische Nasennebenhöhlenentzündung

        

(Einzel-GdB 10)

Funktionsbehinderung der Wirbelsäule

        

(Einzel-GdB 10)

Der Kläger hat daraufhin mitgeteilt, dass es ihm um die Anerkennung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ gehe. Er wolle am kulturellen Leben teilnehmen. Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht Berlin mit Gerichtsbescheid vom 20. Februar 2012 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, bei dem Kläger läge keine erhebliche Gehbehinderung vor. Dies folge aus dem von dem Beklagten eingeholten Gutachten von Dr. H, der ein flüssiges Gangbild ohne Hilfsmittel festgestellt habe. Dieser Befund decke sich trotz des von der Orthopädin B beschriebenen leichten Schonhinkens links und kleinschrittigen Gangbilds mit deren Einschätzung, dass der Kläger in der Lage sei, eine Strecke von 2.000 Metern mit Pausen in 30 Minuten zurückzulegen. Darüber hinaus bestünden bei dem Kläger weder Herzfunktionseinschränkungen noch Lungenfunktionseinschränkungen oder orthopädische Behinderungen, die jeweils für sich genommen einen Einzel-GdB von 50 bedingten.

Der Kläger hat gegen den ihm am 25. Februar 2012 zugestellten Gerichtsbescheid am 23. März 2012 Berufung zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt, mit der er das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen „G“, „B“ und „RF“ geltend macht und im Hinblick auf seine eingeschränkte Gehfähigkeit insbesondere das Fehlen einer orthopädischen Begutachtung rügt.

Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung am 25. Oktober 2012 der Behandlung der Merkzeichen „B“ und „RF“ durch den Senat im Wege der Sachprüfung zugestimmt. Weiterhin hat der Senat in der mündlichen Verhandlung den Rechtsstreit durch Beschluss hinsichtlich der Nachteilsausgleiche „G“ und „B“ abgetrennt. Das Verfahren wird insoweit unter dem Aktenzeichen L 13 SB 228/12 fortgeführt.

Der Kläger beantragt vorliegend sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. Februar 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 1. Oktober 2009 in der Fassung des Bescheides vom 2. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2010 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 26. Juli 2011 zu verpflichten, bei ihm das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „RF“ ab Februar 2009 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegen-stand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig, auch wenn das Sozialgericht mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid über das Merkzeichen „RF“ keine Entscheidung getroffen hat. Der Kläger hatte mit seiner gegen den Widerspruchsbescheid vom 13. September 2010 gerichteten Klage bis zuletzt auch seinen Ausschluss vom kulturellen Leben gerügt und damit sinngemäß die Zuerkennung des Merkzeichens „RF“ begehrt. Da der Widerspruchsbescheid des Beklagten das Vorliegen weiterer Nachteilsausgleiche verneint und sich der Beklagte damit einverstanden erklärt hat, dass der Senat auch über das Merkzeichen „RF“ eine Entscheidung trifft, konnte der Senat im Wege des so genannten „Heraufholens“ von Verfahrensgegenständen auch ohne Vorliegen einer erstinstanzlichen Entscheidung über die Frage der Zuerkennung des Merkzeichens „RF“ in der Sache eine Feststellung treffen, wobei der Kläger mit seinem Berufungsantrag zugleich konkludent sein Einverständnis mit dieser Vorgehensweise erklärt hat (vgl. zum Ganzen allgemein BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 8/06 R, Rn.27 bei Juris).

In der Sache hat das Begehren des Klägers jedoch keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass bei ihm die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erforderlichen Nachteilsausgleichs „RF“ vorliegen (vgl. § 69 Absatz 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX)). Nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nr. 8 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages werden behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 vom Hundert beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, auf Antrag im ausschließlich privaten Bereich von der Rundfunkgebührenpflicht befreit.

Als öffentliche Veranstaltungen sind Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern, also nicht nur Ereignisse kultureller Art, sondern auch Sportveranstaltungen, Volksfeste, Messen, Märkte und Gottesdienste (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), vgl. Urteil vom 17. März 1982 – 9a/9 RVs 6/81, Rn.15 ff. bei Juris). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen kann nur dann bejaht werden, wenn der schwerbehinderte Mensch in einem derartigen Maße eingeschränkt ist, dass er praktisch von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen und an das Haus gebunden ist. Mit dieser sehr engen Auslegung soll gewährleistet werden, dass der auch aus anderen Gründen problematische Nachteilsausgleich „RF“ (vgl. insbesondere BSG, Urteile vom 10. August 1993, 9/9a RVs 7/91, Rn.13 bei Juris, und vom 16. März 1994, 9 RVs 3/93, Rn.11 bei Juris, das die Auffassung vertritt, es erscheine wegen der nahezu vollständigen Ausstattung aller Haushalte in Deutschland mit Rundfunk- und Fernsehgeräten zunehmend zweifelhaft, dass durch den Nachteilsausgleich „RF“ tatsächlich ein behinderungsbedingter Mehraufwand ausgeglichen werde) nur Personengruppen zugute kommt, die den ausdrücklich genannten schwerbehinderten Menschen (Blinden und Hörgeschädigten) und den aus wirtschaftlicher Bedrängnis sozial Benachteiligten vergleichbar sind.

Auch wenn dem Kläger ein GdB von 100 zuerkannt wurde, bestehen bei ihm keine Leiden im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages, die ihn ständig daran hinderten, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Zwar kann ein schwerbehinderter Mensch auch aufgrund psychischer Leiden ständig gehindert sein, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen (vgl. BSG, Urteil vom 16. Februar 2012 – B 9 SB 2/11 R, Rn.24 bei Juris), jedoch liegen bei dem Kläger derartige Erkrankungen nicht vor und werden von ihm auch nicht geltend gemacht.

Ein schwerbehinderter Mensch ist von öffentlichen Veranstaltungen auch dann ständig ausgeschlossen, wenn ihm deren Besuch mit Rücksicht auf die Störung anderer Anwesender nicht zugemutet werden kann (BSG, Urteil vom 23. Februar 1987 – 9a RVs 72/85, Rn.11 bei Juris). Das ist immer dann der Fall, wenn es den anderen Teilnehmern an öffentlichen Veranstaltungen unzumutbar ist, Behinderte wegen Auswirkungen ihrer Behinderungen zu ertragen, insbesondere, wenn diese durch ihre Behinderungen auf ihre Umgebung unzumutbar abstoßend oder störend wirken, z.B. durch Entstellung, Geruchsbelästigung bei unzureichend verschließbarem Anus praeter, häufige hirnorganische Anfälle, grobe unwillkürliche Kopf- und Gliedmaßenbewegungen bei Spastikern, laute Atemgeräusche, wie sie etwa bei Asthmaanfällen und nach Tracheotomie vorkommen können, oder bei ekelerregenden oder ansteckenden Krankheiten (vgl. BSG, Urteil vom 10. August 1993 – 9/9a RVs 7/91, a.a.O., Rn.16 ff.). Derartige Auswirkungen seiner Behinderungen liegen bei dem Kläger jedoch ebenfalls nicht vor und sind nach seinem eigenen Vorbringen auch nicht im Ansatz erkennbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetzt (SGG).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Absatz 2 SGG nicht gegeben sind.