Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen (Arbeitsunfall - Schmerzensgeld - Haftungsausschluss nach § 104 SGB 7)

(Arbeitsunfall - Schmerzensgeld - Haftungsausschluss nach § 104 SGB 7)


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 12. Kammer Entscheidungsdatum 01.06.2010
Aktenzeichen 12 Sa 320/10 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 104 Abs 1 S 1 SGB 7, § 280 Abs 1 S 1 BGB, § 847 BGB, Art 3 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 1 Abs 1 S 1 GG, EWGRL 391/89, EWGRL 655/89, Art 12 Abs 2 EWGV 1408/71, § 611 Abs 1 BGB, § 253 Abs 1 BGB, § 138 Abs 1 ZPO

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 08.01.2010 – 6 Ca 9056/09 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen Schmerzensgeldanspruch des Klägers aufgrund eines erlittenen Arbeitsunfalls.

Der Kläger ist seit dem 4. Februar 1974 bei der Beklagten, einem Automobilhersteller mit insgesamt mehreren tausend Arbeitnehmern, zuletzt als Maschinenschlosser/Nacharbeiter im Berliner Betrieb beschäftigt. Am 26. November 2007 erlitt er einen Arbeitsunfall, indem er beim Umdrehen mit der Stirn gegen eine an einem Kran aufgehängte und ca. 250 kg schwere Schraubmaschine prallte. Die Maschine wird durch den jeweils damit arbeitenden Monteur in die für ihn passende Position gebracht. Bis zum 5. Dezember 2007 befand er sich aufgrund der diagnostizierten Verletzungen in stationärer und anschließend bis zum 20. Januar 2008 in ambulanter Behandlung. Nach diesem Vorfall brachte die Beklagte an der Schraubmaschine Warnlichter und auf dem Boden um sie herum rote Markierungen an.

Mit seiner am 12. Mai 2009 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangen Klage verlangt er nach vergeblicher vorgerichtlicher Geltendmachung von der Beklagten Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,-- €.

Das Arbeitsgericht hat mit Versäumnisurteil vom 27. November 2009 - 6 Ca 9056/09 –, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 2. Dezember 2009 zugestellt, die Klage abgewiesen, wogegen dieser mit am 9. Dezember 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Einspruch eingelegt hat. Mit Urteil vom 8. Januar 2010 hat das Arbeitsgericht das Versäumnisurteil aufrechterhalten, die weiteren Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt und den Streitwert auf 10.000,-- € festgesetzt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Einspruch gegen das Versäumnisurteil sei zwar form- und fristgerecht eingelegt worden, die Klage jedoch unbegründet, denn ein etwaiger Anspruch des Klägers aus dem Unfall vom 26. November 2007 sei bereits gesetzlich gemäß § 104 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift seien Unternehmer ihren gesetzlich gegen Arbeitsunfälle versicherten Arbeitnehmern zum Ersatz von Personenschäden aus einem Versicherungsfall nach anderen gesetzlichen Vorschriften nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt haben. Hiervon gehe der Kläger selbst nicht aus, jedenfalls seien hierfür keine ausreichenden Tatsachen vorgetragen. Es könne daher dahinstehen, ob die Beklagte den Arbeitsunfall überhaupt verschuldet habe.

Wegen der weiteren Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, Blatt 59 f. der Akte, verwiesen.

Gegen dieses, ihm am 21. Januar 2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 12. Februar 2010 beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingegangene und am Montag, dem 22. März 2010 begründete Berufung des Klägers. Er wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und behauptet, der Unfall sei auf unzureichende Sicherungsmaßnahmen der Beklagten zurückzuführen. Nachdem er zunächst erstinstanzlich gemeint hat, die Beklagte habe durch das Unterlassen von Sicherungsmaßnahmen mindestens fahrlässig gehandelt, meint er nunmehr, der Unfall sei von der Beklagten bedingt vorsätzlich durch Unterlassen herbeigeführt worden. Sie habe den Unfall vorhersehen müssen, weil die Schraubmaschine frei beweglich über den Arbeitsplätzen ihrer Mitarbeiter hänge. Es sei ihr bewusst gewesen, dass aufgrund fehlender Sicherungsmaßnahmen irgendwann ein Unfall eintreten werde. Habe die Beklagte mit einem solchen Unfall gerechnet, habe sie den Erfolg billigend in Kauf genommen. Dass der Beklagten die potentielle Gefährlichkeit bewusst gewesen sei, zeige ihr Verhalten im Anschluss an den Unfall. Darüber hinaus meint er, die Vorschrift sei verfassungs- und europarechtswidrig, weil damit Schmerzensgeldansprüche, die nicht gegenüber der Unfallversicherung geltend gemacht werden könnten, entzogen würden.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. Januar 2010 - 6 Ca 9056/09 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 10.000,-- € zu zahlen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und bestreitet, Sicherungsmaßnahmen versäumt zu haben. Die später angebrachten Warnleuchten und Markierungen seien überobligatorische Maßnahmen gewesen. Schließlich habe der Unfall keine Untersuchung durch die Berufsgenossenschaft ausgelöst. Vielmehr sei er allein auf die Unachtsamkeit des Klägers zurückzuführen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung und die Sitzungsniederschriften beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht im Sinne von §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden. Durch die nunmehrige Behauptung der vorsätzlichen Schadensverursachung und den Hinweis auf die Verfassungs- und Europarechtswidrigkeit der vom Arbeitsgericht herangezogenen Vorschrift hat sich der Kläger ausreichend mit den erstinstanzlichen Entscheidungsgründen auseinandergesetzt.

II.

In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis und in der Begründung vollkommen zutreffend die Klage abgewiesen. Auf die Begründung des arbeitsgerichtlichen Urteils wird zunächst umfassend Bezug genommen und von einer Wiederholung gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Die Einwände der Berufung geben lediglich noch zu folgenden Anmerkungen Anlass:

1. Der Kläger ist gesetzlich Versicherter. Eine Haftung der Beklagten für Personenschäden anlässlich der Arbeitsverrichtung setzt daher gemäß § 104 Abs. 1 SGB VII voraus, dass der Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt worden ist. Dies ist auch nach dem zweitinstanzlichen Vortrag des Klägers nicht ansatzweise ersichtlich. Dabei gibt es schon keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte Sicherungs- und Unfallverhütungsmaßnahmen unterlassen hat, schließlich hat der Kläger den Vortrag der Beklagten, wonach die Schraubmaschine durch den jeweils damit arbeitenden Monteur in die für ihn passende Position gebracht wird, nicht bestritten. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, weil allein der Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften kein vorsätzliches Verhalten indiziert. Vielmehr ist ein Arbeitsunfall nur dann vorsätzlich herbeigeführt worden, wenn dieser gewollt und für den Fall seines Eintritts gebilligt worden war, das heißt die vorsätzliche Pflichtverletzung mit einer ungewollten Unfallfolge ist mit einem gewollten Arbeitsunfall nicht gleich zu behandeln (BAG vom 19. Februar 2009, 8 AZR 188/08, NZA-RR 2010, 123 mit umfangreichen Nachweisen). Danach dürfte die Beklagte nicht nur vorsätzlich Unfallverhütungsmaßnahmen unterlassen, sondern müsste den Eintritt des Unfalles gebilligt haben. Selbst wenn sie den Eintritt des Unfalls für nicht unwahrscheinlich gehalten hätte, wäre dennoch anzunehmen, dass sie dabei gehofft hat, dass kein Unfall passieren werde (vgl. BAG a.a.O. m.w.Nw.). Der Kläger hat keinerlei Tatsachen vorgetragen, die die Annahme rechtfertigen könnten, dass die Beklagte mit einem Unfalleintritt bewusst gerechnet hat und ihn in Kauf nehmen wollte. Ein Anspruch des Klägers auf Ersatz des Personenschadens ist daher gemäß § 104 Abs. 1 SGB VII gesetzlich ausgeschlossen.

2. Diese Vorschrift ist nicht verfassungswidrig. Dies hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt ausgesprochen (vgl. zuletzt BVerfG vom 27. Februar 2009, 1 BvR 3505/08, NZA 2009, 509 m.w.Nw. zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Die Vorschrift verstößt weder gegen Art. 3 GG noch gegen Art. 2 GG, weil der Haftungsausschluss verfassungsrechtlich nicht isoliert betrachtet und dem Anspruch aus § 847 BGB gegenübergestellt werden darf, sondern im Zusammenhang mit dem Leistungssystem der Unfallversicherung zu sehen ist, das an die Stelle der ausgeschlossenen zivilrechtlichen Ersatzansprüche wegen Personenschäden getreten ist. Die Haftungsbefreiung findet ihren sachlichen Grund in der sozialrechtlichen Leistung der in der Berufsgenossenschaft zusammengeschlossenen Arbeitgeber (BVerfG vom 7. November 1972, 1 BvL 4/71 u.a., NJW 1973, 502; vom 8. Februar 1995, 1 BvR 753/94, NJW 1995, 1607 – jeweils zur Vorgängerregelung des § 636 RVO; vom 27. Februar 2009, 1 BvR 3505/08, a.a.O.). Der Anspruch ist auch – anders als bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts - weder als wirksamstes noch als oft einziges Mittel zur Respektierung verfassungsrechtlicher Werte erforderlich. Letztlich erfordert auch das Sozialstaatsprinzip nicht, dass jede Einzelregelung, die in bestimmten Fällen zu Härten oder Unbilligkeiten führen kann, modifiziert wird (BVerfG a.a.O.).

3. Letztlich verstößt der gesetzliche Haftungsausschluss auch nicht gegen Europarecht (vgl. LAG Köln vom 29. September 1994, 6 Sa 763/94, NZA 1995, 470; Ricke in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 64. Auflage 2010, § 104 SGB VII, Rdnr. 2). Der Kläger hat trotz gerichtlichen Hinweises nicht konkretisiert, welche europarechtliche Norm hier entgegenstehen soll. Ein solcher Verstoß ist auch nicht ersichtlich. Sowohl die Richtlinie 89/391/EWG vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit als auch die Richtlinie 89/655/EWG vom 30. November 1989 über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Benutzung von Arbeitsmitteln durch Arbeitnehmer bei der Arbeit betreffen die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Unfallverhütung und nicht das Verhältnis von zivilrechtlichen Ansprüchen der Arbeitnehmer auf Ersatz von Personenschäden zu sozialversicherungsrechtlichen Ersatzregelungen. Demgegenüber sieht die Verordnung Nr. 1408/71 (EWG) vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, sogar ausdrücklich vor, dass das nationale Sozialversicherungsrecht Haftungsfreistellungen bei Arbeitsunfällen regelt (vgl. auch BGH vom 15. Juli 2008, VI ZR 105/07, NJW 2009, 916; Rolfs in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 10. Auflage 2010, § 104 SGB VII, Rdnr. 4).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 97 ZPO. Der Kläger und Berufungskläger hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

IV.

Die Zulassung der Revision kam gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG nicht in Betracht. Es handelt sich um eine am Einzelfall orientierte Entscheidung ohne grundsätzliche rechtliche Bedeutung. Die insoweit maßgeblichen Rechtsfragen sind höchstrichterlich bereits geklärt. Der zu beurteilende Sachverhalt wirft keine neuen Gesichtspunkte auf. Eine Divergenz zu anderen obergerichtlichen Entscheidungen ist nicht erkennbar.